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KLIMA/705: Erderwärmung - nicht nur Haldenmüll ... (SB)



Bisher wurden der Klimawandel und die weltweite Plastikflut als zwei getrennte Probleme behandelt. In einer aktuellen Lebenszyklusanalyse wird nun im Detail gezeigt, daß Herstellung, Gebrauch und Entsorgung von Plastik erheblich zur Erderwärmung beitragen. Da den Prognosen zufolge die Produktion von Plastik weltweit wachsen wird, hätte es im Jahr 2050 einen Anteil von 10 - 13 Prozent am sogenannten verfügbaren CO2-Emissionsbudget. Das wird am Klimaschutzziel des Übereinkommens von Paris bemessen, demzufolge die Erderwärmung möglichst nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen soll. Dadurch würde das Ausmaß an Naturkatastrophen in Folge des Klimawandels noch einigermaßen begrenzt; mit einem Überschreiten von Kippunkten in den Natursystemen rechnet die Wissenschaft bis dahin nicht. Das jedoch könnte schon bei einer globalen Temperaturerhöhung um zwei Grad geschehen und würde möglicherweise Kaskadeneffekte auslösen, bei dem andere Kippunkte folgen.

Die im Mai 2019 erschienene Studie "Plastic & Climate - The Hidden Costs of a Plastic Planet" (z. Dt.: Plastik & Klima - Die versteckten Kosten eines Plastikplaneten") wurde unter Federführung der sechs Nichtregierungsorganisationen Center for International Environmental Law (CIEL), Environmental Integrity Project (EIP), FracTracker Alliance, Global Alliance for Incinerator Alternatives (GAIA), 5Gyres und #breakfreefromplastic erstellt. Einige dieser Organisationen sind ihrerseits Zusammenschlüsse von Hunderten weiterer Gruppen aus dem Umweltschutz. [1]

Binnen rund zweihundert Jahren seit Beginn der Industrialisierung hat die Menschheit dem Planeten Erde ihren Stempel aufgedrückt. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas, aber auch durch die Intensivierung der Landwirtschaft stieg die globale Durchschnittstemperatur um rund ein Grad Celsius an; entsprechend nahmen die klimabedingten Naturkatastrophen signifikant zu. Innerhalb von rund hundert Jahren hat die Menschheit dem Planeten einen weiteren Stempel aufgedrückt, die Plastikverseuchung. 1950 wurden weltweit etwa zwei Millionen Tonnen Plastik produziert, 2015 waren es 380 Mio. Tonnen. In der Summe ist die Produktionsmenge auf 3,8 Milliarden Tonnen angewachsen, wobei fast zwei Drittel davon in irgendeiner Form in der Umwelt gelandet sind.

Allgemein kann man sagen, daß sich Plastik nur über lange Zeiträume hinweg abbaut, aber daß es in immer kleinere Teile zerlegt wird. Diese mikro- bis nanometerkleinen Partikel, deren chemischen Reaktionen mit der Umgebung noch weitgehend unerforscht sind, finden sich in Tieren, Menschen, Pflanzen, im Boden, in den Ozeanen und in der Luft. Der Begriff "Plastik" ist sehr weit gefaßt und bezeichnet sehr verschiedene Materialien. Manches davon ist wiederverwertbar, anderes nicht. Auf letzteres richtete sich das Hauptaugenmerk der Studie, denn das ist der größte und am schnellsten wachsende Teil der Plastikwirtschaft.

Der Weltklimarat (IPCC) hat festgestellt, daß die Menschheit bis zum Jahr 2030 ihre Treibhausgasemissionen (Kohlenstoffdioxid, Methan und andere Gase) um 45 Prozent verringern und bis 2050 auf Null zurückfahren muß, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu verfehlen. Die Industrie hat einen Anteil von 30 bis 40 Prozent an den weltweiten Emissionen. Insofern kommt der Plastikpolitik eine besondere Bedeutung auch hinsichtlich des Klimaschutzes zu.

Mehr als 99 Prozent des Plastiks wird aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Bereits bei der Förderung von Erdöl und Erdgas werden Treibhausgase freigesetzt, und zwar durch den Betrieb von Verbrennungsmotoren aller Art, durch Leckagen von Methan der Gasinstallationen sowie durch Flaring, das Abfackeln von Gas bei der Erdölförderung. Von den Betrieben der petrochemischen Industrie werden ebenso Treibhausgase emittiert wie im Anschluß an die Einmalnutzung einer Plastikverpackung, die dann im Müll landet und verbrannt wird. Der Anteil an solchen Plastikprodukten, die nicht recycelt werden, wächst rasant.

In diesem Jahr werden voraussichtlich 0,85 Gigatonnen Treibhausgase aufgrund von Plastik freigesetzt. Wenn dessen Herstellung und Gebrauch weiter zunimmt wie bisher stiege der Wert auf bis zu 1,34 Gigatonnen im Jahr 2030. Laut der Studie entspräche das den Emissionen von 295 500-MW-Kohlekraftwerken. Im Jahr 2050 wäre man schon bei 2,8 Gigatonnen, was den Emissionen von 615 500-MW-Kohlekraftwerken entspricht.

Das A und O gegen das Klimachaos aufgrund der Plastikflut: Verringerung der Produktion. Insbesondere Material, das nicht recycelt werden kann, schlägt sich negativ aufs Treibhausgasbudget nieder, heißt es in dem Bericht. Beim gegenwärtigen Trend sei jedenfalls das 1,5-Grad-Ziel allein schon wegen der Plastikproduktion nicht mehr einzuhalten.

Plastikflut und Klimawandel - es hängt nicht alles irgendwie zusammen, sondern hinter den beiden Schadensentwicklungen, von denen die Menschen des Globalen Südens besonders betroffen sind, stecken bestimmte Interessen. Die sind benennbar. In der vorliegenden Studie wird sehr detailliert der klimawertige Anteil der einzelnen Phasen des Lebenszyklus eines Plastikprodukts aufgezeigt. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, weitere Konsequenzen aus der Studie zu ziehen. So erweisen sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der USA und der EU hinsichtlich der Klimaschutzziele von Paris als überaus kontraproduktiv. Erstere fördern mehr und mehr Erdgas mittels der besonders umweltschädlichen Methode des Frackings und exportieren das Erdgas in verflüssigter Form (LNG) unter anderem nach Westeuropa. Die EU wiederum fängt an, klimaschädliches Pipeline-Erdgas aus Rußland nach und nach durch das noch klimaschädlichere LNG zu ersetzen. Hüben wie drüben wird das Erdgas nicht nur zum Verbrennen benutzt, sondern es werden petrochemische Fabriken gebaut, die aus dem Erdgas Plastikrohmaterial herstellen. Da werden Investitionen getätigt, die weit über das Jahr 2030 hinausgehen und somit die Behauptung zumindest der EU-Mitgliedsländer, die Bedrohung durch die Erderwärmung ernstzunehmen, konterkarieren.


Fußnote:

[1] https://www.ciel.org/plasticandclimate


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