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KLIMA/776: Die Alternativlüge ... (SB)



"Versuchen Sie das Unmögliche, Scotty! Schicken Sie die Gesamtenergie des Schiffs in die Impulstriebwerke; auch die Schutzschirme brauchen Energie, also löschen und dann volle Kraft geben, ihr müsst von dort weg!"
"Zu Befehl, Sir, ich werde alles abschalten außer dem Lebenserhaltungssystem und nur das Impulstriebwerk speisen. Aber Sie wissen, wie gefährlich das ist."
("Raumschiff Enterprise", Staffel 2, Episode 5)

Captain James T. Kirk und Bordingenieur Montgomery Scott verstehen es in dieser Szene, die begrenzte Energie der Enterprise so geschickt einzusetzen, dass sie eine existentielle Bedrohung für Schiff und Besatzung abwenden - allerdings unter dem hohen Risiko des Scheiterns aufgrund der vernachlässigten Energieversorgung an anderer Stelle. Mitunter klappen solche Maßnahmen ... in der filmischen Welt.

Dagegen lässt sich der Energiemangel in der doch etwas komplexeren Welt, in der der Unterhaltungswert solcher Phantasieprodukte geschätzt wird, nicht so einfach beheben. Würde man beispielsweise die am wenigsten umweltschädlich erzeugte Energie einzig und allein in eine von mehreren Zukunftstechnologien stecken, fehlte sie an anderen Stellen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die Konsequenzen träten, wenngleich nicht innerhalb einer 50-minütigen TV-Episode, so doch innerhalb weniger Jahre Realzeit als existenzielle Bedrohung für viele Millionen Menschen ein. Was die Staatengemeinschaft gegenwärtig verspricht, nämlich den Energieverbrauch beträchtlich zu steigern und gleichzeitig die globale Erwärmung zu stoppen, wird absehbar nicht gelingen. Um ersteres zu erreichen, müssen weiterhin fossile Energieträger verbrannt werden - um letzteres zu schaffen, darf man genau das nicht tun.

Im folgenden geht es nicht um die Energietechnologie auf phantastischen Raumschiffen, sondern um bodengebundene Fortbewegungsmittel, die Elektroautos. Sie gelten zwar als weniger "klimaschädlich" als Autos mit Verbrennermotoren, da es der Klimapolitik aber um die unverzügliche und starke Reduzierung von Treibhausgasemissionen geht, muss man sagen, dass E-Autos nicht die erhoffte Alternative bieten. Selbst ein rascher Umstieg der Antriebstechnologien käme zu spät. Der Klimawandel hat bereits Fahrt aufgenommen und kann mit Trippelschritten nicht mehr eingefangen werden. Die Hoffnung, im Laufe dieses Jahrhunderts klimatische Schwellenwerte wie das 1,5- oder 2-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 überschreiten zu können, wenn man nur in späteren Jahrzehnten mit "negativen Treibhausgasemissionen" wieder hinter die Ziellinie zurückkehrt, dürfte sich als trügerisch erweisen. Denn in der Zwischenzeit könnten als Folge der globalen Erwärmung in einem oder gar mehreren Natursystemen sich selbst verstärkende Prozesse, womöglich Kaskadeneffekte von einem System auf das andere, ausgelöst worden sein. Das macht eine Rückkehr auf den alten Stand unmöglich.

Gewiss, vordergründig sprechen einige technologische Kennziffern für einen Klimavorteil von Elektroautos. Zwar mussten noch vor rund zehn Jahren die gängigen E-Automodelle rund 100.000 Kilometer zurücklegen, bis ihre (vor allem aufgrund der schweren Batterien) grottenschlechte CO2-Bilanz wettgemacht wurde und die Verbrennerautos ins Hintertreffen geraten waren. Doch das ist heute nicht mehr so. Manche Elektroautos erreichen bereits nach 40.000 oder gar 25.000 gefahrenen Kilometern den Punkt, an dem sie gegenüber vergleichbaren Verbrennerautos hinsichtlich der Treibhausgasemissionen besser abschneiden. Allerdings vorausgesetzt, dass der elektrische Strom, den sie verbrauchen, mittels erneuerbarer Energien generiert wurde.

Die Vorteile der heutigen Generation von Elektroautos gegenüber früher haben vor allem damit zu tun, dass die Batterien leistungsstärker geworden sind. Sie halten länger und ermöglichen eine deutlich größere Reichweite. Zahlreiche Organisationen attestieren E-Autos eine bessere Klimabilanz als Verbrennern, unter anderem der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), das Heidelberger Ifeu-Institut, der europäische Dachverband "Transport & Environment", die österreichische Joanneum Research Forschungsgesellschaft und der International Council on Clean Transportation (ICCT) aus den USA. Wie ausgearbeitet einschlägige Studien zu Ökobilanzen und noch weitreichenderen Nachhaltigkeitskriterien sind - nicht allein der Fahrzeuge selbst, sondern der gesamten Infrastruktur, die zum flächendeckenden Betrieb gebraucht wird -, zeigt beispielhaft das 724 Seiten umfassende Buch "Elektromobilität - Grundlagen einer Fortschrittstechnologie" (herausgegeben von Achim Kampker und Heiner Hans Heimes), 2024 in der dritten Auflage erschienen und im Internet frei verfügbar.

Deutlich wird in dem Kompendium jedoch auch, dass Elektroautos keineswegs "klimaneutral" sind. Es werden durchaus große Mengen Energie benötigt, um die Fahrzeuge zu bauen und eine so umfangreiche Ladeinfrastruktur zu installieren, dass (bei gleichbleibendem Bedarf) auf Autos mit Verbrennermotoren verzichtet werden könnte. Elektroautos schneiden nur deshalb besser ab als Verbrenner, weil letztere an manchen Stellen aufwendiger zu produzieren sind, vor allem aber weil sie mit fossiler Energie betrieben werden.

Bei der CO2-Bilanzierung von Elektroautos ist nicht nur die energieaufwendige Herstellung der Batterien zu berücksichtigen, sondern auch die Produktion von anderen Komponenten innerhalb der Fahrzeuge (beispielsweise Wechselrichter, Batterieheizung ...) und außerhalb (Ladesäulen, Kühlsysteme - um die hohen, hitzeerzeugenden Ladeströme zu kühlen -, Transformatoren ...). Aber E-Autos benötigen keine Schaltung, kein Getriebe, keine Kurbelwelle, keine Kolben, keine Zylinder und in Zukunft auch keine Lenkstange. Die Übertragung vom Lenkrad auf die Räder erfolgt dann rein elektronisch. All das erspart Material und damit Energie und folglich die Emissionen von Treibhausgasen. Das durchschnittliche Antriebssystem eines Verbrennerautos besteht aus etwa 2000, das eines Elektroautos aus nur 200 Einzelteilen. Diese relativ einfache Bauweise ist auch einer der Gründe dafür, warum es in der Autoindustrie jetzt und in naher Zukunft zu Massenentlassungen von Arbeitskräften kommen dürfte.

Man hat es beim Elektromotor mit einem durchaus bewährten System zu tun. Ob Küchenmaschine, Staubsauger, Ventilator oder Computerfestplatte, in nahezu jedem Haushalt sind zahlreiche Elektromotoren unterschiedlicher Größe im Einsatz. Selten kommt es zu Ausfällen. Historisch ist das Elektroauto älter als der Benziner. Anfangs gab es sogar mehr Elektro- als Verbrennerautos. Das Verhältnis kehrte sich aber bereits mit Beginn des 20. Jahrhunderts um - auch weil Elektroautos nur bedingt kriegstauglich waren. Verbrenner waren an der Front beweglicher, sie mussten keine schweren Batterien mitschleppen und besaßen eine deutlich größere Reichweite. Elektrisch betriebene Autos konnten sich im 20. Jahrhundert nicht durchsetzen. Im Unterschied zur schienengebundenen Elektromobilität. Elektrische Straßen- und Eisenbahnen erlebten im vorigen Jahrhundert einen Siegeszug gegenüber kohlebefeuerten Dampfmaschinen. In der Bundesrepublik Deutschland fuhr 1977 die letzte Dampflok im regulären Betrieb. Auch Dieselloks werden abgeschafft, wenngleich die Elektrifizierung der Bahnstrecken der Deutschen Bahn nur schleppend vorankommt.

Selbst wenn in den nächsten Jahren mehr und mehr Elektroautos auf den Straßen angetroffen werden und Verbrenner im Laufe der Zeit verschwinden, wird diese technologische Transformation wenig zum Klimaschutz beitragen. Denn es können gar nicht genügend erneuerbare Energien generiert werden, um den riesigen gesellschaftlichen Bedarf an "sauberem" Strom zu decken. Es geht ja bei weitem nicht allein um Strom für die Elektromobilität. Abgesehen von der generellen Abkehr von fossilen Brennstoffen bei der Strom- und Wärmeerzeugung, konkurrieren weitere Zukunftstechnologien um die dann viel zu knappen erneuerbaren Energien: Herstellung von Wasserstoff als Ersatz für Erdgas, Ausbau der künstlichen Intelligenz, Verbreitung von Kryptowährungen und Aufbau eines flächendeckenden Netzes für den 5G-Funkstandard sind zur gleichen Zeit auf eine Steigerung der elektrischen Energiemenge angewiesen.


Künstliche Intelligenz

Die Unternehmensberatung McKinsey hat in diesem Jahr eine Studie veröffentlicht, derzufolge sich der Strombedarf von Rechenzentren für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) und andere Digitalisierungsprojekte bis 2030 nahezu verdreifachen wird, auf dann mehr als 150 Terawattstunden (TWh, 1 Terawattstunde = 1 Milliarde Kilowattstunden). Damit werden die KI-Anwendungen einen Anteil von fünf Prozent am Stromverbrauch der Europäischen Union haben. In den USA könnten bis Ende des Jahrzehnts Datenzentren rund neun Prozent des Energiebedarfs in Anspruch nehmen.

Das Unternehmen Google, das sich gern als besonders "klimafreundlich" gibt, hat in seinem Umweltbericht vom Juli 2024 eingeräumt, dass seine CO2-Emissionen im Vorjahr um 13 Prozent auf über 14,3 Millionen Tonnen gestiegen waren. Um den weiter wachsenden Energiehunger zu stillen, will Google in Kooperation mit dem Unternehmen Kairos Power sechs bis sieben Mini-Atomkraftwerke zu je 500 Megawatt (MW) Leistung betreiben. Zwischen 2030 und 2035 sollen sie ans Netz gehen. Doch bis heute ist nicht ein einziger solcher Mini-Reaktor in Betrieb. Man betritt hier technologisches Neuland. Anfang dieses Jahres hatte Kairos Power erst mit dem Bau eines kleineren Testreaktors mit voraussichtlich 34 MW Leistung begonnen. An diesem Beispiel zeigt sich, dass bei den Vorbereitungen darauf, eines Tages keine fossilen Energien mehr zu benötigen, zunächst einmal vermehrt auf eben diese zurückgegriffen werden muss.

Auch Microsoft setzt auf Atomenergie, um seinen ebenfalls rasant wachsenden Energiebedarf zu decken. Dazu soll Reaktor 1 des US-amerikanischen Atomkraftwerks Three Mile Island wieder in Betrieb genommen werden. Das war vor fünf Jahren abgeschaltet worden, weil Atomstrom nicht mehr wirtschaftlich war. Der Name des Atomkraftwerks weckt Erinnerungen. 1979 war im Reaktorblock 2 des Akw Three Mile Island ein schwerwiegender Nuklearunfall mit partieller Kernschmelze eingetreten (Harrisburg-Vorfall).

Angedacht ist eine Wiederinbetriebnahme des Reaktors 1 im Jahr 2028 und eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung bis 2054, möglichst darüber hinaus. Das Beispiel zeigt, welch immens großer zukünftiger Energiebedarf für Rechenzentren erwartet wird. Ein Kraftwerk, das noch vor fünf Jahren mangels Wirtschaftlichkeit außer Betrieb genommen worden war, soll in einigen Jahren wieder elektrische Energie liefern. Vermutlich um nicht mit dem schwersten Nuklearunfall in der US-Geschichte in Verbindung gebracht zu werden, soll das Akw Three Mile Island in "Crane Clean Energy Center" umbenannt werden. Atomkraft und sauber? Orwell lässt grüßen.

Weder die immensen Kosten dieser Nuklearkatastrophe noch die CO2-Emissionen, die bei der bis heute anhaltenden Katastrophenbewältigung freigesetzt werden - von den Gesundheitsschäden gar nicht erst zu reden -, halten die Nuklearindustrie davon ab, ihre Energieform als klimafreundlich zu preisen. Selbst die Europäische Union hat entschieden, Atomstrom zu den erneuerbaren Energien zu rechnen. Vorausgegangen war diesem Beschluss unermüdliche Lobbyarbeit seitens der Nuklearbranche. Zudem gelingt es dieser von Jahr zu Jahr besser, sich in die UN-Klimaschutzverhandlungen einzubringen; zuletzt bei der COP29 in Baku.

Zwar wird der Künstlichen Intelligenz ein Potential attestiert, auch zum Klimaschutz beitragen zu können, indem mit ihrer Hilfe Effizienzmaßnahmen unter anderem in Landwirtschaft und Industrie erarbeitet werden. Aber ob der Effekt größer sein wird als der eines Tropfens auf den heißen Stein, ist in Anbetracht des gesamten Rechenaufwands sowohl beim Trainieren der KI mit Daten als auch bei ihrer Anwendung fraglich. Berechnungen zufolge verbraucht eine einzige Anfrage an die KI zehnmal so viel Strom wie eine Anfrage bei der Google-Suchmaschine (2,9 Wattstunden versus 0,3 Wattstunden).

Im Januar 2024 gab die Internationale Energieagentur (IEA) ihre Einschätzung bekannt, wonach die weltweiten Rechenzentren, die unter anderem für Künstliche Intelligenz und Kryptowährungen eingesetzt werden, im Jahr 2026 zwischen 620 und 1050 TWh verbrauchen könnten. Zum Vergleich: 2022 waren es "nur" 460 TWh. (Den immens anwachsenden Wasserverbrauch der Rechenzentren wollen wir an dieser Stelle zumindest nicht unerwähnt lassen.)

Darüber hinaus steht auch die flächendeckende Verbreitung des 5G-Funkstandards und, möglicherweise ab 2030, des noch zu entwickelnden 6G-Funkstandards an. Hierdurch wird der Energieverbrauch nochmals gesteigert. Zwar wird für eine einzelne Datenübertragung in 5G schätzungsweise nur ein Zehntel der Energie wie unter dem Vorläuferfunkstandard 4G benötigt, aber der Gesamtenergieverbrauch des Funkverkehrs steigt deutlich an, da in Zukunft gleichzeitig ungeheuer viele Daten mehr übertragen werden.


Kryptowährungen

Kryptowährungen wurden entwickelt, um dezentral, anonym, am traditionellen Bankensystem vorbei, geschützt vor staatlicher Überwachung, digitalen Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Dass Kryptowährungen virtuell sind, bedeutet nicht, dass sie keine Spuren in der materiellen Welt hinterlassen. Die sind sogar gravierend.

In der Regel verbrauchen Kryptowährungen, insbesondere der Marktführer Bitcoin, enorme Mengen Energie; global steigt der Verbrauch von Jahr zu Jahr kräftig an. 2022 entsprach er bereits einem Fünftel des gesamten Stromverbrauchs Deutschlands. 2024 dürfte das weltweite Bitcoin-Netzwerk voraussichtlich 172,62 TWh elektrische Energie verschlingen und damit mehr als ganz Schweden.

Der hohe Energieverbrauch ist auf den sogenannten Proof-of-Work-Algorithmus zurückzuführen, der für das Schürfen (Mining) von Bitcoin verwendet wird. Dieser Prozess erfordert eine intensive Rechenleistung, um komplexe mathematische Aufgaben zu lösen und Transaktionen zu verifizieren. Man mag es kaum glauben, aber der Energieverbrauch einer einzelnen Bitcoin-Transaktion wird mit 1449 kWh angegeben. Das entspricht dem 50-tägigen Stromverbrauch eines US-Haushalts (finanzwissen.de). Obwohl andere Kryptowährungen so gestaltet sind, dass sie sehr viel weniger Energie benötigen, müssen Kryptowährungen hinsichtlich ihrer Treibhausgasemissionen wie ein weiterer Industriestaat gewertet werden.

Umgekehrt wird Kryptowährungen das Potential zugesprochen, Treibhausgasemissionen zu verringern. In dem Bericht "Bitcoin and the Energy Transition: From Risk to Opportunity" (2023) behaupten die Autoren Dylan Campbell und Alexander Larsen vom Institute of Risk Management (IRM), dass bis zum Ende des Jahrzehnts acht Prozent der Treibhausgasemissionen mit Hilfe von Bitcoin reduziert werden könnten. Die Idee lautet, dass dank Bitcoin entsprechend hohe Finanzströme in die Energieeffizienz gelenkt werden. Als Vorbild wird Norwegen genannt, eines der weltweit größten Erdölförderländer. Dessen Exporteinnahmen würden dafür eingesetzt, klimaneutral zu werden.

Nach dieser in Wirtschaftskreisen häufig anzutreffenden Denkweise soll der Bock zum Gärtner gemacht werden. Selbstverständlich fällt jede Menge Gartenarbeit an, ließe man den Bock die Salatbeete bearbeiten. Aber ohne den Bock im Beet wäre weniger zu tun. Warum überhaupt erst das Erdöl fördern, nur um anschließend die Emissionen aus dessen Brand zu verringern, wenn man das Erdöl in der Erde lassen könnte? Warum also unter hohem Energieverbrauch Bitcoins generieren, nur um später Einsparungen finanzieren zu können?


Wasserstoff

Die Bundesregierung hat eine nationale Wasserstoffstrategie aufgestellt, damit Deutschland bis 2045 rechnerisch "klimaneutral" wird und kein Erdgas mehr verbrennt. Das in diesem Jahr beschlossene Wasserstoffbeschleunigungsgesetz soll, wie der Name schon sagt, der Strategie weiter auf die Sprünge helfen. Man könnte meinen, es sei gut, schneller vom fossilen Energieträger Erdgas wegzukommen. Doch es bedeutet eben auch, dass der erforderliche Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur schneller stattfindet, was zumindest in den allernächsten Jahren als Negativfaktor in der CO2-Bilanz Deutschlands zu Buche schlägt.

Das ist aber noch das geringste Problem der Umstellung. Wasserstoff zählt nicht zu den Primärenergien wie beispielsweise Erdgas, Erdöl und Kohle, denn das flüchtige Gas muss erst hergestellt werden, bevor es verbrannt werden kann. (Zu den weiteren Primärenergien werden unter anderem Sonne, Wind und Gezeiten gerechnet. Sie unterliegen nicht der Endlichkeit der erwähnten fossilen Ressourcen.) Für die Produktion von 1 kg Wasserstoff werden derzeit etwa 53 Kilowattstunden (kWh) elektrischer Strom benötigt. Das ist so, als wenn 53 Staubsauger mit je 1000 Watt Leistung eine Stunde lang laufen würden. Hat man nun 1 kg Wasserstoff hergestellt und will dessen Energiegehalt nutzen, stehen lediglich 39,6 Kilowattstunden zur Verfügung. Man erhält also rund 25 Prozent weniger Energie, als man zuvor für die Herstellung von Wasserstoff verbraucht hat.

In Deutschland wird der zusätzliche Energiebedarf allein für die Produktion von Wasserstoff erheblich wachsen. Man erwartet bis 2030 eine Wasserstoffnachfrage von 10 bis 26 TWh, bis 2050 könnte der Bedarf nochmals um 300 bis 400 Prozent steigen. Dementsprechend nimmt der Energiebedarf zu.

Wasserstoff wird als "grün" bezeichnet, wenn er mittels regenerativer Energien produziert wird. Doch weltweit fällt weniger als ein Tausendstel unter diese Kategorie. Faktisch erweist sich Wasserstoff als ein weiterer fossiler Energieträger, denn 75 Prozent der Weltproduktion werden mittels Dampfreformierung aus Erdgas ("grauer" Wasserstoff) und weitere 23 Prozent über die Kohleverstromung ("brauner" Wasserstoff) erzeugt. Der Ausbau der regenerativen Energien kommt bei weitem nicht hinterher, den angestrebten "grünen" Wasserstoffbedarf zu decken - geschweige denn, die weiteren Zukunftstechnologien zu beliefern.


Globale Erwärmung zwingt zu radikalen Schnitten

Nicht über den bloßen Vergleich mit Verbrennern, sondern vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung mit ihren zukünftig wachsenden Energiebedarfen ist die "Klimafreundlichkeit" von Elektroautos als ungenügend zu bewerten.

Selbst wenn man die Hoffnung hätte, dass die Transformation von den fossilen auf die erneuerbaren Energien bis 2045 gelänge und spätestens dann die menschengemachten Treibhausgasemissionen rechnerisch auf Null zurückgefahren wären, bestünde das Problem, dass der Aufbau der erneuerbaren Energieträger zunächst ebenfalls Energie erfordert. All die oben genannten technologischen Trends laufen in den nächsten fünf Jahren hoch. Nicht einmal Atomenergie könnte in dieser kurzen Frist in nennenswertem Umfang zugebaut werden, um den Bedarf an elektrischem Strom zu decken - und wäre auch aus anderen Gründen keine Utopie, sondern eine Dystopie.

Der Klimawandel wartet nicht. Von Februar 2023 bis Januar 2024 wurde die 1,5-Grad-Schwelle erstmals überschritten. Der Erwärmungstrend hielt in diesem Jahr an, die globale Durchschnittstemperatur lag schon 1,62 Grad Celsius über der des vorindustriellen Zeitalters. Das bedeutet noch nicht, dass die 2015 im Abkommen von Paris beschlossene Vereinbarung gebrochen wurde, denn die wird nicht in Jahren, sondern Jahrzehnten gemessen, allerdings sprechen wesentliche Eckdaten dafür, dass die 1,5-Grad-Schwelle nicht mehr zu halten sein wird.

Das vor rund 150 Jahren einsetzende Erdölzeitalter hatte das bis dahin dominierende Kohlezeitalter nicht abgelöst, sondern ergänzt, weil gleichzeitig der Energieverbrauch zugenommen hatte. Bis heute hält der Trend an. 2023 war der weltweite Kohleverbrauch mit 164,3 Exajoule so hoch gewesen wie nie zuvor. Gleiches gilt für Erdöl. Im vergangenen Jahr wurden pro Tag durchschnittlich 102,1 Millionen Barrel (bpd) Erdöl gefördert - ebenfalls ein Rekordwert. Angesichts des oben geschilderten zukünftigen Energiebedarfs scheint deshalb die Vermutung nicht gewagt, dass das Erdölzeitalter seinerseits durch das anbrechende Stromzeitalter nicht ersetzt, sondern ergänzt werden wird.

Dazu passt, dass sich laut dem "Global Carbon Budget 2024" die Hoffnung, der Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen werde in diesem Jahr erreicht, nicht erfüllen wird. Voraussichtlich steigen sie um 0,8 Prozent an. Also ein weiterer Jahresrekordwert in 2023. Die aktuelle CO2-Konzentration (Stand 6.12.2024) liegt bei 424,73 ppm (parts per million), was vermutlich der höchste Wert seit über drei Millionen Jahren ist.

Nur einmal angenommen, in diesem Jahr würde der Höhepunkt der anthropogenen CO2-Emissionen erreicht und ab 2025 die Kurve wieder sinken. Das verbliebene Kohlenstoffbudget umfasste dann 235 Milliarden Tonnen, die maximal weltweit noch freigesetzt werden dürften, um das im Abkommen von Paris beschlossene Klimaschutzziel einzuhalten. Jenes Budget wäre bei gleichbleibendem Trend in nur sechs Jahren in Anspruch genommen. Der Lohn für die ungeheuren Anstrengungen, die erforderlich wären, um dieses Limit nicht zu überschreiten, bestünde dann darin, dass die 1,5-Grad-Schwelle mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent eingehalten wird. Würde sich irgend jemand einem Elektroauto anvertrauen, das mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit gegen die Wand fährt?

"Die Warnungen der Wissenschaft und vom UNO-Generalsekretär werden immer dringender, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Grenze noch zu halten ist praktisch nicht mehr möglich. Jetzt noch eine Katastrophe für die Menschheit zu verhindern ist ein Wettlauf gegen die Zeit."
(Klimaforscher Stefan Rahmstorf, Spektrum.de/SciLogs, 1.12.2024)

Da aller Voraussicht nach jene "ungeheuren Anstrengungen" nicht unternommen werden, kann man sagen, dass die von der globalen Erwärmung zu erwartenden Folgen katastrophale Verhältnisse zeitigen. Wenn aber die 1,5-Grad-Schwelle bis 2030 nicht eingehalten wird, dann wäre folgerichtig auch nicht damit zu rechnen, dass die 2-Grad-Schwelle bis 2035 eingehalten werden kann. Was bedeutet das? Es werden mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Kipppunkte überschritten, die dramatische Veränderungen nach sich ziehen: Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Dezimeter bis Ende des Jahrhunderts und, da der Trend über die Jahrhundertwende anhält, um mehrere Meter, da das Abschmelzen der Gletscher von Grönland und der Westantarktis nicht mehr aufgehalten werden kann. Zudem wird sich die Erde beschleunigt erwärmen, da der Permafrost taut und der Amazonas-Regenwald verschwindet. In Europa werden vermehrt Extremwetterereignisse, wie sie in diesem Jahr den Mittelmeerraum heimgesucht haben, auftreten, und sollte die nordatlantische warme Meeresströmung versiegen, weil die arktischen Schmelzwassereinträge den Antrieb dieser Strömung stören, könnte es in Europa ungemütlich kalt werden.

Die Frage lautet nicht mehr, ob solche Kipppunkte überschritten werden, sondern nur noch, ob es schon in diesem Jahrzehnt geschieht oder später. Die nächsten fünf Jahre sind entscheidend, und ausgerechnet in dieser kurzen Spanne explodiert der weltweite Energiehunger, ohne dass gleichzeitig der Verbrauch fossiler Energieträger zurückgefahren wird. Mit Elektroautos statt Verbrennern kann man bei den Geschwindigkeiten, die hier im Spiel sind, nicht mithalten. Dazu bräuchte man schon Warp-Geschwindigkeit.

8. Dezember 2024

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 182 vom 21. Dezember 2024


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