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RESSOURCEN/132: Unkonventionelles Gas - klimaschädlicher als Kohle und Gift fürs Trinkwasser? (SB)


Neue Studie stellt Klimafreundlichkeit von "shale gas" in Frage

US-Abgeordnete veröffentlichen erste umfassende Liste über die Chemikalien, die beim Fracking eingesetzt werden


Bei der Suche nach alternativen Energiequellen zum Erdöl, dessen globales Fördermaximum möglicherweise bereits überschritten ist und das deshalb knapp und teuer wird, ist die US-Regierung im zurückliegenden Jahrzehnt auf die Idee verfallen, unkonventionelles Gas zukünftig im großen Stil zu fördern. Das hat für die USA zwei wesentliche Vorteile: Dieses Gas kann Erdöl teilweise ersetzen und es kann aus heimischen geologischen Schichten herausgelöst werden. Im Unterschied zu konventionellem Erdgas füllt das sogenannte "shale gas" keine großen, zusammenhängende Hohlräume im Erdinnern aus, sondern ist in porösen Gesteinsschichten enthalten, so daß es mechanisch und chemisch herausgelöst werden muß. Fracking bzw. Hydrofracking nennt sich das Verfahren, das in den Vereinigten Staaten mittlerweile so intensiv betrieben wird, daß sie sich noch vor Rußland an die Spitze der Gasförderstaaten vorgearbeitet haben.

Verkürzt gesagt wird beim Fracking ein Gemisch aus Wasser, Sand und chemischen Substanzen unter hohem Druck in die gashaltigen Schichten gepreßt, um das Gestein zu weiten, so daß das Gas zusammenströmen und abgepumpt werden kann. [1] Diese Art der Gasförderung hat allerdings ihre Schattenseiten, und die Schatten werden lang und länger. Ob in Deutschland, England oder Südafrika, wo auch immer die großen Energiekonzerne unkonventionelles Gas fördern wollen, stoßen sie bei den örtlichen Bevölkerungen auf Widerstand, denn es wird eine chemische Kontamination des Grundwassers befürchtet. Zudem müssen beim Fracking viele Bohrungen ausgebracht werden, was ein erheblicher Eingriff in die Landschaft bedeutet. Und nicht zuletzt muß das teilweise wieder hinaufgepumpte Wasser sicher verbracht werden, was aber mit Umweltschäden einhergehen kann.

In jüngster Zeit mußte die Gasindustrie, die einige Jahre lang nahezu ungestört wirtschaften konnte, einige schwere Hiebe einstecken. So haben Wissenschaftler der Cornell Universität in Ithaca, New York, eine Studie veröffentlicht, derzufolge Naturgas klimaschädlicher sein kann als Kohle. [2] Die Forscher bilanzierten die Methanemissionen sowohl bei der Förderung als auch dem Transport über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Demzufolge wird beim Hydrofracking zwischen 0,6 und 3,2 Prozent des geförderten Methans freigesetzt, berichteten der Biogeochemiker Robert Howarth und seine Kollegen. Methan hat eine mindestens zwanzigfach höhere Klimawirksamkeit als Kohlendioxid.

Die Industrie bezeichnet die Studie als mangelhaft. Laut "Nature [2] erklärt Russell Jones, Wirtschaftsberater des in Washington ansässigen American Petroleum Institute, auf der Website seiner Organisation, daß der Hauptautor der Studie Evolutionsbiologe und Anti-Naturgas-Aktivist sei - ganz so, als ob das eine Person von vornherein unglaubwürdig machte. Außerdem wandte Jones ein, daß ein Untersuchungszeitraum von zwanzig Jahren zu kurz sei. Moderne Gaskraftwerke seien erheblich effizienter als Kohlekraftwerke. Im übrigen seien die Daten von schlechter Qualität.

Wenngleich das Wissenschaftsmagazin tiefer in die Fachdebatte über das Für und Wider der Untersuchungsmethoden und -resultate einsteigt, sparen wir uns das an dieser Stelle, dient doch das Beispiel lediglich als Beleg für die Aussage, daß die Förderung von unkonventionellem Erdgas in letzter Zeit schärfer in die Kritik gerät. Dazu paßt auch die Veröffentlichung einer ellenlangen Liste zu Art und Menge an chemischen Stoffen, die von den vierzehn führenden Erdöl- und Erdgasgesellschaften beim Hydrofracking verwendet werden, durch das Energy and Commerce Committee des US-Repräsentantenhauses, namentlich vertreten durch die demokratischen Ausschußmitglieder Henry A. Waxman, Edward J. Markey und Diana DeGette [3]. Es handelt sich um die erste umfassende und landesweite Inventurliste zu Fracking-Chemikalien.

Zwar erkannte Waxman an, daß Hydrofracking den USA geholfen habe, seine Naturgasproduktion auszudehnen, aber er mahnte, man müsse gewährleisten, daß die neuen Ressourcen nicht zu Lasten der öffentlichen Gesundheit gehen. Laut dem Report würden die Unternehmen zig Millionen Liter an Flüssigkeiten in den Boden pressen, "die potentiell gefährliche Chemikalien enthalten, einschließlich bekannter Karzinogene" [4]. Waxman appellierte an die Umweltschutzbehörde EPA und das Energieministerium, sie sollten sicherstellen, daß diese Chemikalien nicht in die Trinkwassersysteme gelangen. Und die Abgeordnete DeGette wird mit den Worten zitiert:

"Es ist zutiefst verstörend, festzustellen, daß Inhaltsstoffe und Menge an toxischen Chemikalien wie Benzol und Blei in den Untergrund eingebracht werden, ohne daß die Kommunen, deren Gesundheit davon betroffen sein könnte, davon wissen." [4] Im Verlauf der vierjährigen Studie seien allein in Colorado mehr als 5,7 Millionen Liter krebserzeugende Substanzen in den Boden injiziert worden, und viele Unternehmen wüßten manchmal gar nicht sämtliche Chemikalien, die sie verwendeten, zu identifizieren, erklärte DeGette. Unglücklicherweise verdeutliche das, daß die auf Freiwilligkeit beruhende Veröffentlichung der Daten durch die Industrie nicht gewährleiste, daß die Vorzüge der Naturgasproduktion nicht auf Kosten der Gesundheit der Familien gingen.

Die von dem Komitee veröffentlichte Studie ist auf unangenehme Weise beeindruckend. Demnach setzten die Unternehmen im Zeitraum 2005 bis 2009 mehr als 2500 Hydrofrackingprodukte ein, die 750 (!) verschiedene Chemikalien und andere Bestandteile enthielten. Einige, wie Salz oder Quarzsand, sind harmlos, andere sehr giftig. Zu letzteren zählen 29 krebserregende Chemikalien, die von der US-Trinkwasserschutzbestimmung (Safe Drinking Water Act) als gesundheitsgefährdend oder vom Luftreinhaltegesetz (Clean Air Act) als gefährliche Luftschadstoffe bezeichnet werden. Dem noch nicht genug, wurden auch mehrere hundert Millionen Liter von insgesamt 279 Produkten ausgebracht, von denen mindestens eine Chemikalie oder Verbindung geheimgehalten wird.

Weder die weiter oben erwähnten Wissenschaftler noch die Politiker gehen mit ihrer Analyse und Kritik so weit, daß sie ein Ende das Frackings verlangten. Im Gegenteil, jeder der beiden Berufsstände erfüllt auf seine Weise die Funktion, den außerparlamentarischen Widerstand gegen die unkonventionelle Gasförderung aufzufangen und zu entschärfen. Auch hinterfragen diese gesellschaftlichen Funktionseliten nicht - im Unterschied zu manchen sogenannten Aktivisten - die grundlegende Wachstumsorientierung der US-Gesellschaft, durch die ein Energiehunger entsteht, der laufend mit Erdöl, Erdgas, Uran sowie Futter- oder Nahrungsmitteln wie Mais, der zu Ethanol verarbeitet und verbrannt wird, und nun auch "shale gas" gestillt werden muß.


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu unter den Indizes:
UMWELT/REDAKTION
RESSOURCEN/129: Risikotechnologie Schiefergas-Förderung (SB)
RESSOURCEN/131: Fracking - Umstrittene Förderung von Erdgas in England angelaufen (SB)


UMWELT/MEINUNGEN
LAIRE/159: Wer erhält die 30 Silberlinge für die zukünftige Erdgasförderung in NRW? (SB)

POLITIK/REDAKTION
AFRIKA/2027: Südafrika - Widerstand gegen Fracking in der Karoo (SB)

[2] "Natural gas greenhouse emissions study draws fire", Nature online, 15. April 2011, doi:10.1038/news.2011.242
http://www.nature.com/news/2011/110415/full/news.2011.242.html?WT.ec_id=NEWS-20110419

Originalstudie:
Howarth, R. W., Santoro, R. & Ingraffea, A.: Climate Change doi:10 .1007/s10584-011-0061-5 (2011).

[3] UNITED STATES HOUSE OF REPRESENTATIVES COMMITTEE ON ENERGY AND COMMERCE MINORITY STAFF APRIL 2011 - CHEMICALS USED IN HYDRAULIC FRACTURING
PREPARED BY COMMITTEE STAFF FOR: Henry A. Waxman Ranking Member Committee on Energy and Commerce Edward J. Markey Ranking Member Committee on Natural Resources Diana DeGette Ranking Member Subcommittee on Oversight and Investigations.
http://democrats.energycommerce.house.gov/sites/default/files/documents/Hydraulic%20Fracturing%20Report%204.18.11.pdf

[4] "Committee Democrats Release New Report Detailing Hydraulic Fracturing Products", 16. April 2011
http://democrats.energycommerce.house.gov/index.php?q=news/committee-democrats-release-new-report-detailing-hydraulic-fracturing-products

20. April 2011