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RESSOURCEN/158: Fracking und die explosive Zunahme von Erdbeben in Oklahoma (SB)


Plötzliche Erdbebenschwärme in mehreren US-Bundesstaaten

US-Geologen vermuten, daß die Erdbeben von der Erdöl- und Erdgasindustrie ausgelöst werden



Ein in Science-fiction-Romanen häufig benutztes Szenario sieht so aus, daß eine Welt von einer feindlichen Macht aus dem All heraus angegriffen wird. Mittels hochwirksamer Strahlenwaffen oder anderer technologischer Finessen werden sämtliche Gebäude, Infrastruktureinrichtungen und sogar die Planetenoberfläche in ihre Bestandteile zerlegt.

Zumindest den Hauch einer Ahnung dessen, was die Angegriffenen vermutlich empfinden würden, bekommen die Einwohner des US-Bundesstaats Oklahoma seit einigen Jahren und mit zunehmender Intensität zu spüren. Die Erde zittert und bebt, mal schwächer, mal stärker, Gebäude fallen zusammen oder - je nach Schieflage - auch auseinander. Oklahoma ist einer der Bundesstaaten der USA, der in der Vergangenheit schon mehrmals von Erdbeben heimgesucht wurde, aber niemals in der Häufigkeit, wie sie seit 2008/2009 und, selbst dazu nochmals gesteigert, seit Oktober vergangenen Jahres auftreten.

Ausgelöst wurden die Erdbeben von "Aliens", nicht in böser Absicht, um die Erdlinge zu unterwerfen, aber doch von ihnen hingenommen auf ihrem profitorientierten Wachstumspfad als Kollateralschaden an Land und Leuten. Bei jenen Aliens (wörtlich übersetzt bedeutet es "Fremden") handelt es sich um Erdöl- und Erdgasfirmen, die kilometertiefe Löcher in den Boden bohren, das Gestein im Untergrund aufsprengen und somit riesige Gebiete unterirdisch zerrütten.

Diese "hydraulic fracturing" oder verkürzt "Fracking" genannte Gesteinzermürbungsmethode wird angewandt, um damit Erdöl oder Erdgas, das in bestimmten Gesteinen nicht als große zusammenhängende Blase (konventionell), sondern über feine Risse und Poren verteilt (unkonventionell) lagert, zu fördern. [1] Als noch zerstörerischer erweist sich sogar das Verpressen von Brauchwasser, für dessen gründliche Reinigung dem Unternehmen ansonsten hohe Kosten entstehen würden, in den Brunnen der ausgeschöpften Erdöl- und Erdgasfelder.

Technologisch ist das Fracking-Verfahren hochmodern. Es wird zwar schon seit Jahrzehnten eingesetzt, wurde aber erst vor rund 15 Jahren so weit entwickelt, daß sich, zudem begünstigt durch die gestiegenen Weltmarktpreise für fossile Energieträger, diese Methode der Förderung aus unkonventionellen Lagerstätten wie Schiefergestein rechnet.

Bei einem typischen Fracking-Vorgang wird der Bohrkopf zunächst senkrecht geführt, dann in tausend Meter oder noch größerer Tiefe horizontal umgelenkt, um die gewünschte Gesteinsschicht möglichst großvolumig aufbrechen zu können. Das geschieht zunächst mittels einer durch das Bohrloch in den Untergrund hinabgelassenen Perforationskanone, mit der Munition an vielen Stellen durch die Bohrwandung hindurch ins Gestein geschossen und dieses gelöchert wird. Dann werden unter hohem Druck Frackfluide (die Wasser, diverse Chemikalien und Spezialsand enthalten) in das Bohrloch gepreßt, so daß das Gestein weiter aufgebrochen wird. Bevor die eigentliche Erdöl- oder Erdgasförderung beginnt, muß die Frackflüssigkeit, so weit es eben geht, wieder hinaufgepumpt und entsorgt oder für die Wiederverwendung aufbereitet werden.

Je nach geologischer Beschaffenheit werden schon mal bis zu vier oder fünf Bohrungen pro Quadratkilometer ausgebracht. Wenn man jetzt noch bedenkt, daß von jedem Bohrloch radial in verschiedene Richtungen horizontal weiter gebohrt wird, läßt sich das Ausmaß der unterirdischen Zerstörung eines solchen Eingriffs ahnen. Wobei immer mitbedacht werden muß, daß es mit dem Fracking an sich nicht getan ist - das spätere Verpressen von Brauchwasser in die alten Lagerstätten stellt aus Sicht der Geologen das größere Problem dar.

Anfang Mai berichteten der Geologische Dienst der USA (U.S. Geological Survey) und der Geologische Dienst von Oklahoma (Oklahoma Geological Survey) in einer gemeinsamen Presseerklärung, daß binnen eines halben Jahres die Häufigkeit von Erdbeben in dem besagten Bundesstaat um 50 Prozent zugenommen hat. Demnach wurden zwischen Oktober 2013 und dem 14. April 2014 insgesamt 183 Erdbeben mit einer Stärke von 3,0 oder größer registriert. [2]

Noch deutlicher wird der Trend, wenn man zeitlich weiter zurückgeht. Zwischen 1978 und 2008 traten in Oklahoma im Durchschnitt pro Jahr nur zwei Beben der Stärke 3,0 oder größer auf - jetzt sind es 183 innerhalb eines halben Jahres. Hielte dieser Trend weitere sechs Monate an, bedeutete das, daß die Erdbebenhäufigkeit um mehr als das 180fache (oder 18.000 Prozent) zugenommen hat.

Dr. Bill Leith, Chefwissenschaftler für Erdbeben und Geologische Gefahren beim US-Geologischen Dienst, warnt eindringlich vor der Möglichkeit, daß ein energiereicheres Beben auftritt, und fordert die "Einwohner, Schulen und sonstigen Einrichtungen" in zentralen Landesteilen zu Erdbeben-Vorsorgemaßnahmen auf. Besondere Wachsamkeit sei bei unverstärkten, gemauerten Strukturen geboten.

Erdbebenforscher sind in der Regel sehr zurückhaltend, was die Ursachenbestimmung von Erdbeben angeht. Im Fall Oklahomas jedoch lehnen sie sich relativ weit aus dem Fenster und benennen als wahrscheinlichen Auslöser der Erdbebenserie das Verpressen von Brauchwasser aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung in tiefe geologische Formationen. In Oklahoma gibt es rund 4000 solcher "Entsorgungsbrunnen".

Dabei kann das Brauchwasser seismische Ereignisse noch in Dutzenden Kilometern Entfernung auslösen. Wobei es nicht der eigentliche Druck des Wassers ist, der so weit reicht, sondern es werden Gesteinsmassen in Bewegung gesetzt, die ihrerseits Bewegungen in weiter entfernten Gesteinsmassen nach sich ziehen.

Auf diese Weise kann ein geologisch relativ kleines Ereignis gravierende Folgen haben. So wurde nach Ansicht von Experten am 6. November 2011 ein Erdbeben der Stärke 5,7 in der Stadt Prague, Oklahoma, durch Fracking, bzw. durch das Einbringen von Brauchwasser aus dem Fracking-Prozeß in ein Bohrloch ausgelöst. Selbst wenn dies nur eine Verwerfung von geringerer Gefährlichkeit direkt betroffen hat, kann so etwas "ein Ereignis an einer benachbarten, größeren Verwerfung auslösen", erklärte die Seismologin Elizabeth Cochran, die an einer Studie des US-Geologischen Dienstes zu dem Vorfall mitgearbeitet hat, gegenüber der Internetseite Live Science. [3]

In der Gegend um Prague, Oklahoma, ist es im November 2011 zu einer ganzen Serie von Erdbeben, die Wissenschaftler sprechen von einem "Erdbebenschwarm", gekommen; seitdem hat das Grummeln im Untergrund nicht wieder aufgehört. Zunächst stand nicht fest, ob die zahlreichen seismischen Ereignisse auf "induzierte Seismizität" durch die Brauchwasserverbringung zurückgehen oder ob sie natürlichen Ursprungs sind. Dieser Zusammenhang wurde von Geophysikern eigens untersucht. Sie haben einige Anhaltspunkte für die Vermutung, daß der Erdbebenschwarm keiner natürlichen Aktivitätsperiode folgte, sondern menschenverursacht war, wie das "Journal of Geophysical Research: Solid Earth" in seiner Märzausgabe berichtet. [4]

Gail Atkinson, Professor für Erdwissenschaften an der Western University in Ontario, Kanada, hat sogar festgestellt, daß die sogenannte "induzierte Seismizität" die Erdbebengefährdung einer Region grundlegend verändern und die natürliche Seismizität überbieten kann. Daraus erwachse eine besondere Gefahr für empfindliche Strukturen wie Staudämme, Atomkraftwerke und andere größere Einrichtungen, da diese ursprünglich nur auf Basis einer Abschätzung der natürlichen Seismizität errichtet worden seien. [5]

Oklahoma ist das bekannteste Beispiel in den USA für eine höhere Erdbebengefahr, die wahrscheinlich auf die Tätigkeiten der Erdöl- und Erdgasindustrie zurückgeht, aber nicht das einzige. Erdbeben machen vor Staatsgrenzen nicht Halt. Seit Dezember bebt die Erde auch im Norden von Texas, in dem ebenfalls Fracking betrieben wird. Mal werden eine Woche lang viele hundert Beben aufgezeichnet, mal bleibt die Erde ruhig. Bis auf wenige Aufnahmen sind die seismischen Ereignisse in Nordtexas so energiearm, daß sie von den Menschen an der Oberfläche nicht gespürt werden. Doch die Meßergebnisse sind eindeutig, und die Wissenschaftler sorgen sich. Nordtexas ist nicht länger ein Ort, von dem man erwarten kann, daß dort keine Erdbeben auftreten, schreibt StateImpact, ein Zusammenschluß örtlicher, öffentlicher Radiostationen. [6]

Auch hier hegen Wissenschaftler der Southern Methodist University (SMU) und des Geologischen Dienstes der USA den Verdacht, daß die Erdbeben mit der Erdöl- und Gasförderung zusammenhängen. Beweisen können sie das nicht. Sie haben inzwischen in der Region von Reno und Azle zusätzliche Meßstationen aufgebaut und hoffen, die Erdbeben noch genauer lokalisieren und bestimmten menschlichen Eingriffen zuordnen zu können. [7]

Es läßt sich allerdings denken, daß eine unumstößliche Ursachenbestimmung schwer fällt in einem Gebiet, das mit Bohrlöchern übersät ist und in dem an vielen verschiedenen Stellen Erdbeben auftreten. Diesen Umstand macht sich auch die Oklahoma Independent Petroleum Association zunutze. Diese argumentiere, daß in 70 von 77 Counties Oklahomas Erdöl und Erdgas gefördert werde und deshalb jede seismische Aktivität innerhalb des Bundesstaates wahrscheinlich in der Nähe irgendeiner Förderaktivität auftrete, schreibt "The Oklahoman" unter Berufung auf eine Stellungnahme der Industrievereinigung. [8]

Mehrere wissenschaftlich geprüfte Studien hätten gezeigt, daß in Texas und andernorts Erdbeben ausgelöst werden können, wenn große Volumina von Erdöl- und Erdgasbrauchwasser in tiefe geologische Schichten verpreßt werden, so StateImpact. Die Website konstatiert aber zugleich, daß die Verbindung zwischen Erdbeben und Schiefergasförderung "eine wichtige Frage" bleibt.

Nichtsdestotrotz hat der Bundesstaat Ohio bereits Bestimmungen erlassen, nach denen in einigen Counties, in denen die Erde gebebt hatte, kein Brauchwasser in Bohrlöchern "entsorgt" werden darf. [9]

Die US-Bundesstaaten verzichten nicht auf die Förderung von Erdöl und Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten, legen jedoch stellenweise dem ungehemmten Boom Zügel an. Der hat weite Teile des Landes erfaßt, mit absehbaren Folgen wie die hier geschilderte Erdbebenhäufung ... und womöglich unabsehbaren Folgen. Denn zu fragen ist, welche Langzeitfolgen es hat, wenn das Gestein in 1000, 2000 Meter Tiefe oder darüber hinaus in Regionen aufgebrochen wird, die bislang seismisch inaktiv waren, aber in denen nun auf einmal Brüche entstehen und Verschiebungen auftreten?

Schieferstein und Sandstein, in denen die Hauptvorkommen von unkonventionellem Erdöl und Erdgas liegen, sind geologisch gesehen das vorläufige Endergebnis von Erosions-, Sedimentations- und Verfestigungsprozessen. Das Gestein stand über lange Zeiträume hinweg unter Druck und war tektonischen Spannungen ausgesetzt. Daß der zu den dabei auftretenden immensen Kräften relativ schwache menschliche Eingriff dennoch größere seismische Ereignisse auslösen kann, könnte bereits ein Grund sein, die Finger vom Fracking zu lassen, solange die Folgen unerforscht sind. Daß sie es sind, beweisen die Beispiele aus den USA, wo die Forscher erst dann auf den Plan traten, nachdem die ersten geologischen Folgewirkungen des Frackings festgestellt wurden.

Weiterhin ist zu bedenken, daß bei allen - in den USA inzwischen mehreren hunderttausend - Bohrlöchern grundwasserführende Schichten durchstoßen werden. Die sollen zwar durch eine Betonummantelung des Bohrlochs vor einer Kontamination mit dem Fracfluid sowie dem Erdöl oder Erdgas geschützt sein, aber wie stabil sind diese Installationen gegenüber Scherkräften, wie sie bei Erdbeben auf das Gestein einwirken und dort zu Versetzungen führen können?

Selbst wenn die Schutzmaßnahmen ordnungsgemäß ausgeführt wurden, was nicht immer der Fall ist, entstehen hier durch das Fracking langfristige Gefahrenherde. Die Risiken bestehen zum einen darin, daß das Grundwasser durch aufsteigendes Methangas verseucht wird, und zum anderen, daß das Wasser entlang der seismisch erschütterten und bewegten Betonummantelung nach unten wegfließt. Die Folgen würden vielleicht viele Jahre lang an der Erdoberfläche nicht bemerkt, da ein sinkender Grundwasserspiegel ja unter anderem auch eine typische Folge der in den USA intensiv betriebenen Bewässerungslandwirtschaft sein kann.

Wenn selbst Wissenschaftler, denen modernste Erdbebenmeßgeräte zur Verfügung stehen, nach Jahren der Forschung nicht sicher sagen können, ob das Verpressen von Brauchwasser aus der Erdöl- und Erdgasförderung in alte Bohrlöcher Erdbeben verursacht oder nicht, dann beweist das nicht die Harmlosigkeit des Frackings, sondern wie begrenzt das Wissen der Menschen über ihre Umwelt ist.

Die "Aliens", die seit über zehn Jahren in den USA von West nach Ost die Erde flächendeckend zertrümmern, haben ihre Aufmerksamkeit längst auf Europa gerichtet. In Polen wird von Pommern bis Lublin an 60 Stellen nach Gas gebohrt. Der US-Konzern San Leon Energy will noch in diesem Jahr im pommerschen Lewino anfangen, Schiefergas kommerziell zu fördern, berichtete die Infoseite Polen. [10] Und mit dem geplanten Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU könnten rechtliche Beschränkungen des Frackings aufgebrochen werden, heißt es in einer von mehreren Nichtregierungsorganisationen im März dieses Jahres veröffentlichten Kurzstudie. [11]


Fußnoten:

[1] Eine ausführliche Beschreibung des Frackings und der damit einhergehenden Probleme finden Sie unter:
NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE → UMWELTLABOR:
UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/chemie/chula278.html

[2] http://www.usgs.gov/newsroom/article.asp?ID=3880&from=rss_home#.U2yimXV_tdg

[3] http://www.livescience.com/43953-wastewater-injection-earthquake-triggering.html

[4] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2013JB010612/abstract

[5] http://www.spacedaily.com/reports/Wastewater_disposal_may_trigger_quakes_at_a_greater_distance_than_previously_thought_999.html

[6] http://stateimpact.npr.org/texas/2014/05/09/theres-been-over-300-hundred-small-earthquakes-in-north-texas-since-december/

[7] http://smu.edu/smunews/earthquakestudy/

[8] http://newsok.com/latest-earthquake-report-raises-more-questions/article/4746358

[9] http://thinkprogress.org/climate/2014/05/06/3434698/oklahoma-quakes-warning/DontFrackCA/

[10] http://www.infoseite-polen.de/newslog/?p=10784

[11] http://www.baerbel-hoehn.de/fileadmin/media/MdB/baerbelhoehn_de/www_baerbelhoehn_de/Kurzstudie_Fracking_TTIP.pdf

11. Mai 2014