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RESSOURCEN/216: Meeresboden - aus größten Schäden nichts gelernt ... (SB)




Verschiedenfarbige Schwämme und andere Lebewesen am Meeresgrund - Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Reichhaltiges Leben in der Tiefsee
Kalifornien, Channel Islands, bei Santa Cruz Island, 22. April 2011
Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Rohstoffe vom Tiefseeboden abzubauen ist technologisch machbar, ökonomisch zur Zeit noch unrentabel, ökologisch verheerend und rechtlich ungeklärt. Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) hat den Auftrag, Regeln aufzustellen, nach denen Staaten auf jenem Teil des Meeresbodens Rohstoffe schürfen dürfen, der außerhalb der nationalen Souveränität liegt. Jenes "Gebiet" (engl.: Area) ist größer als die gesamte Landfläche der Erde. Insofern ist es schon bedenklich, daß nur wenige Dutzend Personen bei der ISA zur Verwaltung des laut dem internationalen Seerechtsübereinkommen "gemeinsamen Erbes der Menschheit" arbeiten.

Die 24. Session der in Kingston, Jamaica, ansässigen ISA geht in diesem Jahr vom 2. bis zum 27. Juli. Schwerpunkt des Treffens bildet der "Mining Code", nach dessen Bestimmungen in Zukunft Tiefseebergbau betrieben werden soll. Das bedeutet, daß genau jetzt eine ganz entscheidende historische Phase eingeläutet wurde, in der Entscheidungen getroffen werden, die den Umbau des größeren Teils der planetaren Oberfläche betreffen und wahrscheinlich auf viele Jahre gelten werden.

Die als Entwurf vorliegenden Bestimmungen zum Meeresbodenbergbau reichen nicht aus, um zu verhindern, daß unwiderrufliche Schäden an den marinen Ökosystemen und ein Verlust einzigartiger Arten, von denen viele noch gar nicht entdeckt sind, eintreten, warnt die Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) und hat dazu am heutigen Montag einen neuen Report veröffentlicht. [1]

"Wir operieren im Dunkeln", sagt Carl Gustaf Lundin, Leiter des Globalen Marine- und Polarprogramms der IUCN. "Unser gegenwärtiges Wissen von der Tiefsee gestattet es uns nicht, das Meeresleben wirksam vor Bergbauaktivitäten zu schützen. Dennoch wurden bereits Erforschungslizenzen für Flächen vergeben, in denen äußerst seltene Arten ansässig sind. Ein Abbau von Mineralien mit Hilfe gegenwärtiger Technologien hat das Potential, das reichhaltige Tiefseeleben für alle Zeit zu zerstören, wovon dann nur einige wenige einen Vorteil zögen und die Zukunft von Generationen mißachtet würde." [2]

Kupfer, Kobalt, Seltene Erden, Aluminium und vieles mehr, was in modernen Technologien verarbeitet wird, liegen am Meeresboden in Form von Manganknollen (auf den großen Tiefseeebenen), Kobaltkrusten (auf und entlang der Seeberge) und Massivsulfiden (in den Hydrothermalen Feldern) vor. Bisher darf auf der Hohen See kein Bergbau betrieben werden, wohl aber innerhalb der 200-Seemeilenzone. Das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals schickt sich an, im kommenden Jahr in der Bismarcksee, die zu Papua-Neuguinea gehört, Massivsulfide abzubauen. Die riesigen Räumgeräte stehen schon bereit, allerdings befindet sich das Schiff, das die Rohstoffe aufnehmen und zur Verarbeitung nach China bringen soll, noch im Bau.

Auch hier warnen hiesige zivilgesellschaftliche Organisationen wie Fair Oceans, Forum Umwelt & Entwicklung und Brot für die Welt sowie eine Reihe lokaler Gruppen wie Bismarck Ramu Group vor den Zerstörungen, die in der Meeresumwelt angerichtet werden. Während sich jedoch beispielsweise Kai Kaschinski von Fair Oceans [3] und Marie-Luise Abshagen von Forum Umwelt & Entwicklung [4] nicht vorstellen können, daß Meeresbodenbergbau auf eine Weise betrieben werden kann, die nicht zerstörerisch ist, scheint die IUCN einen kompromißbereiteren Standpunkt einzunehmen.

Sicherlich werden die genannten drei Organisationen viele Gemeinsamkeiten bei der Gefahrenanalyse für das Tiefseeleben haben, doch wenn Kristina Gjerde von der IUCN erklärt, daß "strikte Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der marinen Umwelt ein zentraler Bestandteil für irgendwelche Bergbauregularien sein sollten", es daran aber nach wie vor mangele [2], und wenn es im Bericht heißt, daß "effektives Umweltmanagement" erforderlich ist, welches "auf weitaus besseren Kenntnissen der Tiefsee als den heutigen" beruhen muß [1], dann klingt das nicht nach einem Plädoyer für eine Nullösung.

Das Selbstverständnis der IUCN wird deutlich, wenn es in der Einführung des Berichts heißt: "Solange Wissenschaft und Industrie erforschen, können sie zusammenarbeiten und unser Wissen und Verständnis von der Tiefsee erweitern. Doch sobald die Industrie von der Erforschung auf den Abbau wechselt, gehen die Ziele auseinander."

Hier wird eine Trennung zwischen den Absichten der Wirtschaft und der Wissenschaft unterstellt. Aber war es nicht schon immer eine Ausrede der Wissenschaft, nur die Informationen zu liefern und nichts damit zu tun zu haben, was andere daraus machen? Anders gefragt: Kann es überhaupt Meeresbodenbergbau geben, wenn nicht die (staatlich geförderte) Wissenschaft zuvor Grundlagenforschung betrieben hätte? Wird also die IUCN eines Tages mit der Industrie an einem Tisch sitzen, mit dem Argument, sie wolle ihre Naturschutzperspektive einbringen und Schlimmeres verhindern, und anschließend über Projekte des Bergbaus in der Tiefsee befinden, also quasi eine administrative Aufgabe übernehmen?


Rosa Anemone mit zu einem weit aufgerissenen 'Maul' geformten Fangfäden - Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, Gulf of Mexico 2012 Expedition, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Venusfliegenfalle-Anemone im Golf von Mexiko, 24. April 2012
Foto: NOAA Okeanos Explorer Program, Gulf of Mexico 2012 Expedition, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] https://portals.iucn.org/library/sites/library/files/documents/2018-029-En.pdf

[2] https://www.iucn.org/news/secretariat/201807/draft-mining-regulations-insufficient-protect-deep-sea-%E2%80%93-iucn-report

[3] Ein Schattenblick-Interview mit Kai Kaschinski finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0265.html

[4] Ein Schattenblick-Interview mit Marie-Luise Abshagen finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0277.html


17. Juli 2018


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