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NACHGEFRAGT/0004: Der Böse ist immer der Bauer (SB)


Nachgefragt zu dem Schattenblick-Beitrag

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KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - ein Grund zu fragen (SB)


Der Gedanke, daß Chemikalien in der Landwirtschaft möglicherweise unnötig und mit nicht hinreichend erforschten Risiken für Mensch, Natur und Umwelt eingesetzt werden könnten, wie möglicherweise bei der Sikkationspraxis der Fall, läßt doch bei manchen unbehagliche Gefühle aufkommen, zumal auch heute noch die meisten Agrarprodukte potentielle Nahrungsmittel darstellen.

Im Echo auf den oben genannten Beitrag gab es allerdings auch unzufriedene Stimmen, welche die Infragestellung ökonomischer Kriterien bei der Bewertung von Produktionstechniken kritisierten.

Ein Landwirtschaftsbetrieb sei nun einmal in erster Linie ein Unternehmen und müsse nicht nur den Lebensunterhalt der Betriebsleiterfamilie gewährleisten (und zwar auf einem Mindestlohnniveau und nicht durch Selbstausbeutung der Familienangehörigen), sondern auch einen Mindestgewinn zur Erhaltung des Unternehmens abwerfen. Jeder Landwirt sei darauf angewiesen, die Betriebskosten so gering wie möglich zu halten.

Das leuchtet ein. Daß Bauern dieser Tage hart kalkulieren müssen, um bei ständig steigenden Preisen für Öl, Futter- und Düngemittel, überhaupt noch Gewinne zu erzielen, kann man derzeit am harten Kampf um die Anhebung des Milcherzeugerpreises mitverfolgen. Denn laut Bundesverband Deutscher Milchviehhalter BDM e.V. leiden ein Großteil der Betriebe immer noch unter den Auswirkungen der letzten Milchkrise und müssen schon jetzt an Rücklagen denken, um die nächste Krise, die kommen wird, überstehen zu können. Nicht viel anders sieht es bei der Gemüse und Getreideproduktion aus.

Nun stießen vor allem unsere kritische Auslegung des Begriffs "gute Agrarpraxis" - ein unseres Erachtens nach Gutdünken auslegbarer und sehr dehnbarer Begriff - für die Einhaltung umweltschonender Betriebspraxis auf Widerspruch, bei den um den guten Ruf der Landwirtschaft besorgten Lesern. Grund genug, den Begriff noch einmal genauer zu beleuchten. So wurde u.a. zur "Guten Agrarpraxis" positiv angemerkt:

Unter dem Begriff würde in Agrarkreisen eine sinnvolle "Abwägung der Interessen von Verbraucher-, Umwelt-, Boden- und Naturschutz gegen die Erhaltung der Wirtschaftlichkeit in der Landwirtschaft und Agrarproduktion" verstanden. Er sei somit gewissermaßen das Aushängeschild einer allgemein angestrebten und geförderten, sogenannten "nachhaltigen Landwirtschaft".

Doch genau da liegt ja der "Hase im Pfeffer" wie der Volksmund sagt. Ob man von "Guter Agrarpraxis" als sittlichen Konsensbegriff oder Berufsethos spricht, unter dem sich jeder etwas anderes vorstellen kann, oder den Begriff der Nachhaltigkeit verwendet, der bei genauerem Nachhaken auch nicht greifbarer wird, ist im Grunde gleich, würden beide doch eine nach eigenem Ermessen bzw. Abwägen auslegbare Betriebspraxis zulassen, die sich beim Einsatz von Agrarchemikalien auf die folgenden, individuell interpretierbaren Grundsätze stützt:

- den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur, wenn es unter Beachtung der Schadensschwellen notwendig ist

- die Wahl des geeigneten Mittels

- die Anwendung nur mit geeigneten Geräten

- keine Überschreitung der zugelassenen Aufwandmenge

- die Beachtung aller in der Gebrauchsanweisung genannten Vorsichtsmaßnahmen

sowie

- die Einhaltung der vorgeschriebenen Wartezeiten (aus KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - ein Grund zu fragen
(SB))

Laut Duden wird Nachhaltigkeit mit "einer für längere Zeit anhaltenden Wirkung" erläutert. Ursprünglich sagte das Wort also nicht einmal etwas über die positive oder negative Art der Wirkung aus. Im übertragenen Sinne hat das Wort inzwischen in Land- und Forstwirtschaft eine Bedeutungsrichtung gewonnen, bei der unter Nachhaltigkeit gewissermaßen das "Gegenteil von Raubbau" verstanden wird, d.h. ein Bodenbewirtschaften, ohne damit verbundene Ressourcen zu schädigen. Grundsätze der guten fachlichen Praxis der landwirtschaftlichen Bodennutzung sind die "nachhaltige" Sicherung der Bodenfruchtbarkeit und der Leistungsfähigkeit des Bodens als natürlicher Ressource. Die gute fachliche Praxis stellt somit vom Prinzip her keinen Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit dar. Nur steht ein kompletter Erhalt der Ressourcen bei einer wirtschaftlichen Nutzung von Forst und Boden von vornherein außer Frage.

Für Deutschland wird die Einhaltung der guten landwirtschaftlichen Praxis durch die EU-Verordnung (EG) Nr. 1257/99 und die Einhaltung der geltenden Regelungen des landwirtschaftlichen Fachrechts bestimmt.

Das Fachrecht gilt für landwirtschaftliche Betriebe aller Rechtsformen mit ihren unterschiedlichen Produktionsrichtungen, Anbauverhältnissen und Betriebsgrößen. Die gute fachliche Praxis beschreibt die von den Landwirten zu beachtenden Grundsätze der landwirtschaftlichen Flächenbewirtschaftung. Hinsichtlich der Umweltwirkungen sind dabei hauptsächlich die mit der Düngung und dem Pflanzenschutz verbundenen Stoffeinträge in Agrarökosysteme maßgebend.

Die im Rahmen der guten fachlichen Praxis der Düngung und des Pflanzenschutzes einzuhaltenden Grundsätze sind im Düngemittel- und Pflanzenschutzrecht umfassend beschrieben. Ihre Einhaltung soll den Schutz der Umweltgüter Boden, Wasser und Luft im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie sichern und zur Sicherung und Erhöhung der Artenvielfalt beitragen. (siehe auch Internetseite: www.thueringen.de/imperia/md/content/tmlnu/5.pdf Anlage I: Gute landwirtschaftliche Praxis, Teil A: Konzept zur guten landwirtschaftlichen Praxis im Freistaat Thüringen)

Wo aber Wirtschaftlichkeit endet und Raubbau anfängt bzw. was noch als landwirtschaftliche Nachhaltigkeit verstanden werden kann und wo doch Abstriche gemacht werden, ist eine Frage des Standpunkts. Praktiziert wird darunter etwas, was man bestenfalls als schwierige Gradwanderung, mit vielen "Kompromissen" und "Zugeständnissen" zulasten der Umwelt und Natur verstehen kann. Die "Gute Praxis" ist tatsächlich inzwischen zum Politikum verkommen, die solche "Zugeständnisse" dann sogar legalisiert.

Das fanden wir u.a. auch in einer Pressemitteilung des Bundesamts für Naturschutz vom 10. Oktober 2005 "Neue Studie zu Methoden der "Guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft" bestätigt:

In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung eine Landwirtschaft "die verstärkt die Erfordernisse des Natur- und Umweltschutzes beachtet" zu einem vorrangigen Ziel der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland erklärt. Die "Gute fachliche Praxis" ist in diesem Zusammenhang zu einem Schlüsselbegriff geworden. Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet die Landwirte seit 2002, die neu eingeführten Grundsätze zur "Guten fachlichen Praxis" zu beachten. Die Effektivität der neuen Regeln hängt nicht zuletzt von deren Ausgestaltung und Präzisierung in der Gesetzgebung der Bundesländer ab.
(Pressemitteiliung BfN, "Gute fachliche Praxis" als "Standard einer naturverträglichen Landwirtschaft", 10. Oktober 2005)

Tatsächlich muß der Landwirt unter besagter Maxime "guter landwirtschaftlicher Praxis" viele gesetzliche Auflagen erfüllen, die die Einhaltung der Fachgesetze (z.B. Düngeverordnung, Bodenschutz- und Pflanzenschutzgesetz) gewährleisten. Dies ist in manchen Bundesländern (wie Baden-Württemberg) auch eine Voraussetzung für Ansprüche der Bauern, d.h. für die Gewährung der Flächenzahlungen nach der Betriebsprämienregelung und für die Förderungen nach Marktentlastungs- und Kulturlandschaftsausgleich (MEKA), Ausgleichszulage und Landschaftspflegerichtlinie, und somit letztlich ein Druckmittel für Zuwendungen, die der Landwirt nötig braucht.

Vom Amt für Landwirtschaft soll die Einhaltung der guten landwirtschaftlichen Praxis im Rahmen von Fachrechtskontrollen überprüft werden. Ohnehin sind heute schon alle Landwirte zur Dokumentation der eingesetzten Mittel verpflichtet. Ein Verstoß kann zu Bußgeld und Kürzung der Zuwendungen führen.

Wenn man nun auch noch bedenkt, daß beispielsweise in Norddeutschland in den zurückliegenden Jahren - unter Berücksichtigung der Bodenrente - von allen Mähdruschfrüchten nur Winterweizen und Raps ohne die Agrarbeihilfe mit Gewinn zu produzieren waren (die anderen Körnerfrüchte wurden aus dieser Beihilfe subventioniert und von den Betrieben in der Regel nur wegen sekundärer Ertragseffekte, z.B. Fruchtfolge, angebaut), läßt sich vielleicht leichter verstehen, warum Landwirte, die sich in ihrer freien unternehmerischen Entscheidung auf diese Weise eingeschränkt sehen, jede "zulässige" bzw. zugelassene Möglichkeit zur Senkung der Produktionskosten, die möglicherweise auch noch unter Einhaltung "guter Agrarpraxis" "empfohlen" wird, unhinterfragt nutzen.

Das bedeutet hinsichtlich des Pflanzenschutzes, daß man zwar die amtlichen Vorgaben respektiert, aber auch die vorgebenen, "legalen" Möglichkeiten voll ausschöpft.

Ein Landwirt müsse schließlich darauf vertrauen können, daß die von Experten erlaubten Maßnahmen nicht den Rahmen "guter fachlicher Praxis" verlassen und daß er bei Einhaltung der Pflanzenschutzverordnung u.a. beispielsweise auf zugelassen Pflanzenschutz- oder auch Sikkationsmittel als Betriebsmittel schadlos zurückgreifen kann.

Der Einsatz von Agrarchemikalien wirkt sich allerdings - wie vorsichtig auch immer eingesetzt - grundsätzlich in irgendeiner Weise negativ auf Umwelt und Ressourcen aus: Sei es, daß Nahrung damit (wenn auch nur geringfügig) kontaminiert wird, ohne daß die toxischen Effekte dieser vermeintlich "verträglichen" Mengen ausreichend erforscht worden sind, oder daß die ausgebrachten Mittel in irgendeiner Form über die unterschiedlichsten Kreisläufe oder Stoffwechsel wieder in der Umwelt zur Wirkung kommen (siehe dazu auch: KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - ein Grund zu fragen (SB)).

Möglicherweise führt also genau dieses feste Regelwerk aus Bestimmungen und Verordnungen, die eine "nachhaltige Landwirtschaft" gewährleisten sollen, letztlich dazu, daß immer weniger über die wenig oder nicht beachteten Nebeneffekte dieser Praxis nachgedacht wird, geschweige denn darüber, was eigentlich alles unter Ressourcen verstanden werden müßte, die ein umsichtiger Mensch zum eigenen Wohl schützen, pflegen und nicht verletzten sollte. So werden beim Einsatz von Chemikalien selten die im Boden lebenden Mikroorganismen, Insekten und Tiere berücksichtigt, die als Teil des Bodenbiotops indirekt zur Pflege der Ressourcen beitragen.

Es bedarf allerdings nur einer kurzfristigen neuen Erkenntnis von Seiten der Wissenschaft und ihre Verbreitung in Presse und Medien, daß über genau die gleichen Bestimmungen, Begriffe und Mechanismen, die mit "nachhaltiger Landwirtschaft oder guter Agrarpraxis" verbunden werden, letztlich der nach gutem Gewissen handelnde Landwirt als der Erzeuger von "kritischen" Lebensmitteln zur Verantwortung gezogen wird. Abgesehen davon, daß die Erwähnung in den Medien oft schon ausreicht, daß ihm ganz einfach seine Erzeugnisse nicht mehr abgenommen werden. So mußten Rucolasalat-Bauern 2009 große Verluste hinnehmen, als ein schwer vom Salatblatt zu unterscheidendes, plötzlich als "giftig" erkanntes Jakobskreuzkraut im Rucolasalat" gefunden wurde. Selbst als sich der Vorwurf als nichtig herausstellte, wollte niemand mehr "giftigen Rucola" essen. Und auch der Dioxinskandal Anfang Januar 2011 hat wieder mal gezeigt, daß immer die Produzenten der durch Fremdverschulden (Futter) verunreinigten Lebensmittel, die größten finanziellen Verluste zu tragen und wenig Entschädigung zu erwarten haben. Darüber hinaus sind sie auch fachrechtlich für ihre Erzeugnisse verantwortlich.

Sicher ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur ein Teil und der Anteil der Sikkation daran ein recht geringer Beitrag an der gesamten Lebensmittelbelastung, deren mögliches Ausmaß der Landwirt nicht ohne weiteres versteht, da ihm die nötigen Informationen fehlen, bzw. es die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber noch gar nicht gibt. Und diese Unsicherheit im Regelwerk der Guten Praxis sollte ihm bewußt bleiben.

Wie auch immer aber vor allem angesichts der vielen unvermeidlichen Agrarchemikalien bei der Produktion von Agrarerzeugnissen, läßt sich die unnötige Belastung potentieller Lebensmittel und damit des Verbrauchers durch den Einsatz der Sikkation auch bei Einhaltung aller Auflagen zur "guten landwirtschaftlichen Praxis" nicht rechtfertigen.

Schließlich haben die Landwirte doch auch bei bester Absicht ihrer Sikkationspraxis, ohne in der Hauptsache für die damit verbundenen Ungereimtheiten und wissenschaftlichen Unwägbarkeiten verantwortlich zu sein, mindestens ihren guten Ruf zu verlieren.

09. März 2011