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BERICHT/017: Stark in der Not - Rio+20 angeregt - Ecuador als Beispiel für Nachhaltigkeit (SB)


Gegenposition Ecuadors zu "Green Economy" und Wasserprivatisierung

Veranstaltung zum Thema "Umwelt und Nachhaltigkeit in Cuba -
Erfahrungen, Perspektiven und Rio+20" am 29. Mai 2012 in Berlin

S.E. Jorge Jurado, Botschafter von Ecuador in Deutschland, in Großaufnahme - Foto: © 2012 by Schattenblick

S.E. Jorge Jurado, Botschafter von Ecuador in Deutschland
Foto: © 2012 by Schattenblick

Von der unmittelbaren Atemluft einmal abgesehen, ist nichts für den Menschen so lebens- und überlebenswichtig wie das Trinkwasser. Auf Antrag Boliviens hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 28. Juli 2010 einen allerdings nicht einklagbaren Anspruch auf sicheres Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen als Menschenrecht deklariert und in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Dem Resolutionsantrag hatten die Feststellungen zugrunde gelegen, daß schätzungsweise 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und über 2,6 Milliarden Menschen keine sanitären Anlagen haben. Jahr für Jahr sterben 1,5 Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag infolge des Trinkwassermangels. Dieser Mangel betrifft nicht allein die Frage der Verfügbarkeit des Wassers, so als wäre dies ein bloßes Verteiligungsproblem. Längst zeichnet sich ab, daß dies ein grundlegender Mangel mit stark zunehmender Tendenz ist. So wurde schon vor Jahren in einem Weltbankbericht prognostiziert, daß der globale Wasserbedarf in zwanzig Jahren die verfügbare Wassermenge um 40 Prozent überschreiten wird.

Dem Wassermangel fallen schon heute Tag für Tag und Stunde für Stunde Menschen zum Opfer. Wasser ist zu einer Mangel-Ware geworden, Betonung auf "Ware", denn längst ist es mit der Privatisierung des Wassers zu einem Dammbruch gekommen, den viele Menschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht für möglich gehalten hätten. Die Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, wird inzwischen auf über eine Milliarde geschätzt. Offensichtlich hat die Privatisierung des Wassers nicht dazu beigetragen, die Verfügbarkeit des Wassers für alle Menschen zu gewährleisten, was auch deshalb plausibel ist anzunehmen, weil durch den Schritt, aus einer Ressource welcher Art auch immer eine Handelsware zu machen, der Zugang zu ihr für einen Teil der Menschheit im Interesse und zum Nutzen eines anderen Teils erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird.

Diesen buchstäblich über Leben und Tod entscheidenden Interessengegensatz auszublenden, wie es in der Umweltpolitik und -schutzbewegung nicht selten vorkommt, liegt vorrangig im Interesse der Eliten, die die Verfügungsgewalt über die schrumpfenden Lebenssourcen der Menschheit für sich beanspruchen und diesen totalitär anmutenden Alleinherrschaftsanspruch mit militärischen, ökonomischen und administrativen Mitteln durchzusetzen im Begriff stehen. Wenn sich auf dem bevorstehenden Gipfel "Rio+20" die Staats- und Regierungschef fast aller Staaten ein Stelldichein in Rio de Janeiro geben, um was auch immer zu tun, wird eines ganz gewiß nicht im Fokus der Interessen der dominierenden Reichtumszone liegen: die unterschiedslose Gewährleistung des Überlebens aller Menschen, was sofortige Kraftanstrengungen nach sich ziehen müßte, um für den hungernden und verhungernden Teil der Menschheit wie auch die rund eine Milliarde Menschen, die nicht über sauberes Trinkwasser verfügen, das akut gefährdete Überleben sicherzustellen.

Wenn stattdessen von "Umwelt", "Nachhaltigkeit" oder auch "Green Economy" die Rede sein wird, offenbart allein diese Akzentuierung die Interessensphäre des privilegierten Nordens, der sich Sorgen um morgen und übermorgen macht, weil er - keineswegs unbegründet - durch Klima- und Umweltveränderungen die physischen Grundlagen seiner Vormachtstellung und seines raubgenerierten Überlebens gefährdet sieht. Dieses Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis findet seinen Niederschlag in dem, was "Weltwirtschaftsordnung" genannt wird und gegenüber der unmittelbaren Kolonialherrschaft vermeintlich vergangener Zeiten bestenfalls eine humanitär bemäntelte Schuldknechtschaft hervorgebracht hat mit dem fortgesetzten Resultat massenhaften Elends in den Ländern des Südens.

Diese Widerspruchslage hat in vielen Regionen der Welt längst zu einer Gegenentwicklung geführt, die ungeachtet der Lockungen und Verheißungen, die der reiche Norden den Armuts- und Hungerzonen der Welt entgegenwirft, um eine Infragestellung seiner Vormachtstellung zu verhindern, eine Inangriffnahme sozialer wie umweltbezogener Probleme mit nachprüfbaren Ergebnissen beinhaltet. Kuba, ein kleiner Inselstaat in der Karibik, ist einer der Staaten in der sogenannten "Dritten" Welt, der diese Numerierung umzukehren oder zu nivellieren imstande ist, weil er eine bis in das Revolutionsjahr 1959 rückdatierbare Politik aufweist, die der westlichen Welt in vielen Punkten sogar voraus ist, was die Bemühungen betrifft, die Lebenssituation und das unmittelbare Überleben für alle Menschen - und nicht nur die privilegierten - zu verbessern und zu gewährleisten.

Am 29. Mai 2012 fand in Berlin im Saal der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) eine Podiumsdiskussion zum Thema "Umwelt und Nachhaltigkeit in Cuba - Erfahrungen, Perspektiven und Rio+20" statt, auf der Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez von der kubanischem Umweltagentur (AMA) als Hauptreferentin einen ebenso informativen wie hochengagierten Vortrag gehalten hat [1]. Doch damit nicht genug, war doch mit S.E. Jorge Jurado, dem in Berlin ansässigen Botschafter Ecuadors in Deutschland, ein weiterer Referent gewonnen worden, der aufschlußreiche Ausführungen zum Thema machte und jede Frage danach, inwiefern denn die Situation bzw. Umweltpolitik Ecuadors mit dem eigentlichen Thema der Veranstaltung - "Umwelt und Nachhaltigkeit in Cuba" - in Verbindung stünde, schnell vergessen ließ. An diesem Abend konnten die rund 50 Anwesenden der vom Dachverband deutscher Kuba-Solidaritätsgruppen "Netzwerk Cuba e.V." organisierten Podiumsdiskussion einen Hauch lateinamerikanischer Solidarität miterleben, hatte doch der Botschafter Ecuadors die Gelegenheit genutzt, um sich - stellvertretend für sein Land sowie als Lateinamerikaner - bei Prof. Pérez - stellvertretend für ihr Land - zu bedanken für die solidarische Hilfe, die das kubanische Volk seit fünf Dekaden für Lateinamerika, aber auch für andere Völker und nun insbesondere auch für Ecuador geleistet hat.

Der Botschafter nannte drei Beispiele aus den letzten drei Jahren: Dank der Hilfe kubanischer Wissenschaftler könne sich Ecuador, das eine vollkommen andere Topographie als Kuba hat, durch entsprechende Modelle zur Einschätzung des Klimawandels und seiner spezifischen Folgen nun gezielt auf die Abwehr der damit einhergehenden Entwicklungen, Konsequenzen und absehbaren Gefährdungen einstellen. Als zweites Beispiel nannte er das kubanische Alphabetisierungsprogramm "Yo si puedo" ("Ja, ich kann"), das in den zurückliegenden Jahren auch in Ecuador zur Anwendung gebracht wurde und neben anderen Hilfen maßgeblich dazu beigetragen hat, den Analphabetismus auf vier Prozent zu reduzieren. Als drittes Beispiel nannte der Botschafter die Hilfe kubanischer Wissenschaftler im Bereich der Biotechnologie für ein Programm Ecuadors zur Unterstützung von als behindert geltenden Menschen, die zuvor isoliert gelebt hätten und bei denen nun aufgrund der in Kuba vorgenommenen Analysen geklärt werden könne, ob überhaupt eine genetische Veranlagung oder ganz einfach andere Probleme vorlägen.

Es sei ihm, so fuhr S.E. Jurado in Hinblick auf das vorherige Referat von Prof. Pérez fort, eine besondere Freude gewesen zu hören, wie ein Land wie Kuba es ungeachtet immenser Einschränkungen möglich machen konnte, sehr viele der Entwicklungsziele zu erreichen und ein Beispiel für andere Staaten, sogar für "entwickelte", zu liefern. Ecuador wisse, was es und ganz Lateinamerika Kuba zu verdanken habe und so sei die Solidarität seines Landes mit Kuba eine Selbstverständlichkeit. Botschafter Jurado erinnerte daran, daß beim letzten Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kolumbien Ecuador das einzige Land gewesen war, das aus Protest gegen den Ausschluß Kubas nicht teilgenommen hatte.

Der Botschafter Ecuadors während seines Vortrags - Foto: © 2012 by Schattenblick

Engagierter Vortrag - Der Botschafter Ecuadors nimmt klar Stellung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die kubanische Wissenschaftlerin machte in einer kurzen Erwiderung die Haltung ihres Volkes deutlich, indem sie erklärte, daß die Solidarität Kubas gegenüber anderen Ländern selbstverständlich sei und daß Kuba seinerseits die Solidarität der Menschen der Welt erfahren habe, und im übrigen teile sie mit dem Botschafter Ecuadors das Vertrauen auf eine verstärkte Süd-Süd-Zusammenarbeit. In ihrem Vortrag hatte Prof. Pérez die Politik Kubas in Fragen der Armutsbekämpfung, menschlichen Entwicklung und Umweltpolitik geschildert und deutlich gemacht, daß diese Aufgabenbereiche keineswegs getrennt voneinander in Angriff genommen werden. Das Beispiel Kubas wird in Ecuador seit dem Amtsantritt des jetzigen Präsidenten Rafael Correa Delgado, der Ende 2006 die Präsidentschaftswahlen gewonnen und noch in der Wahlnacht erklärt hatte, nun würde "das ecuadorianische Volk die Macht übernehmen", aufgegriffen mit schon heute unabweisbaren Resultaten.

Dies könnte die führenden westlichen Staaten in ihren Befürchtungen bestärken, daß immer mehr Staaten Lateinamerikas, aber auch anderer Kontinente, diesem Beispiel folgen und sich dem neoliberalen Diktat entziehen könnten. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als das sozialistische Kuba sich konterrevolutionärer Angriffe zu erwehren hatte, hatte die sogenannte "Domino-Theorie" in Lateinamerika zu einem Rechtsruck und mit tatkräftiger Unterstützung der USA zu zahlreichen Militärdiktaturen zur Abwehr der vermeintlichen Gefahren von links geführt. Das Rad der Geschichte in dieser Hinsicht noch einmal zurückdrehen zu wollen, ist angesichts des starken Einflusses und Zusammenhalts, den die Linksstaaten in Lateinamerika bereits entwickelt haben, mit den Mitteln militärischer Gewalt und offener Repression wohl nicht mehr möglich, und so scheinen für die westlichen Hegemonialstaaten eher indirekte Wege der Diskreditierung das Gebot der Stunde zu sein.

Da die Umweltproblematik in der sogenannten Weltgemeinschaft mit höchster, wenn nicht alleiniger Priorität versehen wurde, um die daraus ableitbare Sachzwanglogik zur Letztbegründung welcher administrativen Zwangsmaßnahmen auch immer nutzen zu können, bietet sich diese Thematik wie keine zweite auch zur Schmähung der heutigen Linksstaaten Lateinamerikas an, deren Erfolge in der Armutsbekämpfung ein so schlechtes Licht auf die vom Westen alternativlos vorgehaltene neoliberale Doktrin werfen. So wird beispielsweise gern die Behauptung aufgestellt, die Linksstaaten Lateinamerikas würden in gegenüber der Weltgemeinschaft wie auch ihren eigenen Bevölkerungen geradezu verantwortungsloser Weise Raubbau an Natur und Ressourcen betreiben. So erklärte beispielsweise der Sozialwissenschaftler und Philologe Thomas Fatheuer, der 1992 im Rahmen des Deutschen Entwicklungsdienstes nach Brasilien gekommen war, dort die erste Rio-Konferenz verfolgt und später mehrere Jahre das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung geleitet hatte, in einem Interview, das der Schattenblick am Rande einer Veranstaltung der Stiftung zum Thema "Zahlen, Daten, Fakten zum Erdgipfel in Rio im Juni 2012: Grüne Ökonomie - Wunderwaffe oder Wolf im Schafspelz?" [2] am 31. Mai 2012 in Berlin mit ihm führte [3]:

Ebenfalls neu ist es, was die Präsidenten Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador und Hugo Chavez in Venezuela machen. In all diesen Ländern sind erhebliche Erfolge in der Armutsbekämpfung zu verzeichnen. Aber eben auf Kosten einer im Grunde genommen skrupellosen Behandlung der natürlichen Ressourcen. Das ist der ökologische Preis dieses Entwicklungsmodells - nicht nur in Brasilien, aber dort eben auch.

Vor diesem Hintergrund bot das Referat des Botschafters Ecuadors in Deutschland - neben den Ausführungen der kubanischen Wissenschaftlerin von der Umweltagentur (AMA), Prof. Pérez - eine willkommene Gelegenheit, die hier gekreuzten Klingen auf ihre Plausibilität und Glaubwürdigkeit hin abzuklopfen. Was ist dran an der Behauptung, Ecuador und andere Linksstaaten Lateinamerikas hätten ihre Erfolge in der Armutsbekämpfung durch eine "im Grunde genommen skrupellose Behandlung der natürlichen Ressourcen" erwirtschaftet? Um die Umweltpolitik seines Landes sowie dessen Vision für den bevorstehenden Gipfel "Rio+20" zu erklären, hatte S.E. Jurado die neue, im Jahre 2008 in einem Referendum von der Bevölkerung mit 63 Prozent der Stimmen angenommene Verfassung seines Landes vorgestellt. In ihr werde in vielfacher Weise auf die Umwelt bezug genommen. Zunächst einmal sei jedoch wichtig festzustellen, daß die ganze Verfassung auf dem Prinzip des "Guten Lebens" (Buen Vivir) beruhe, das in Ecuador in den letzten Jahren intensiv diskutiert und inzwischen soweit entwickelt worden sei, daß es der Weltgemeinschaft vorgestellt werden könne.

Hierzu sei an dieser Stelle angemerkt, daß sich bei diesem Begriff die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit einer wirklich angemessenen Übersetzung erweist. Selbstverständlich ist "Buen Vivir" mit einem "Guten Leben" korrekt übersetzt, doch im deutschen Kultur- und Sprachraum liegt die Deutung nahe, jemand wolle sich "ein gutes Leben machen", was einen leicht negativen Beiklang hat und die Unterstellung impliziert, ausschließlich an seinem persönlichen Wohlergehen und Vorteil interessiert zu sein und sich nicht um die Belange anderer zu kümmern. Der kulturhistorische Kontext des ecuadorianischen Verfassungsprinzips des "Buen Vivir" darf damit nicht verwechselt werden, steht doch dieses Konzept, wie der Botschafter erläuterte, dem ungebremsten Wachstum hochentwickelter Länder wie auch aller übrigen Staaten, die sich dieser Position angeschlossen haben, entgegen.

In Ecuador sei man der Auffassung, daß es bestimmte Grenzen irdischer Güter gebe. Das Prinzip "Buen Vivir" beruhe darauf, in Umweltfragen diese Grenzen zu erkennen und zu berücksichtigen und dabei eine bestimmte, indianische Weitsicht zu entwickeln - das "Pacha Mama", worunter ein "Zurücksehen auf unsere Mutter Erde" zu verstehen sei. Die Verfassung Ecuadors beruhe in ihrer gesamten Struktur, wie Botschafter Jurado erläuterte, auf dem neuen Paradigma des "Guten Lebens". Die neue Verfassung Ecuadors, so fuhr der Botschafter fort, sei die erste der Welt, in der Rechte an die Natur vergeben worden sind. Um zu veranschaulichen, was darunter zu verstehen ist, erklärte er:

Es geht nicht darum, daß ein Baum oder ein Löwe oder ein Schmetterling zu uns kommt und uns als Menschen bittet, daß wir ihre Rechte anerkennen. Es geht darum, daß WIR MENSCHEN die Rechte der Schmetterlinge, der Bäume, der Bäche und der Fische anerkennen. [4]

Der Referent räumte ein, daß dies eine juristische Problematik sei, über die sich trefflich streiten ließe, wozu er gerne bereit sei. Natürlich können die Rechte der Natur nicht durch die Natur selbst eingeklagt oder beansprucht werden. Ecuador befindet sich in diesen Fragen in der Entwicklung. In die Verfassung wurden diese Begriffe und dieses Prinzip bereits aufgenommen, nun werde an der Lösung und gezielten Ausgestaltung dessen auf gesetzgeberischer und Verwaltungsebene gearbeitet. So wurde zum Beispiel ein Ombudsmann gewählt, der für die Rechte der Natur seine Stimme erheben soll. Derzeit ist in Ecuador eine intensive Diskussion im Gange, um ein gesellschaftliches Einvernehmen darüber herzustellen, wie mit den Rechten der Natur umzugehen ist.

Den zweiten thematischen Schwerpunkt bei der Präsentation der Umweltpolitik seines Landes legte der Botschafter auf die Artenvielfalt Ecuadors. Ecuador ist einer der acht Hotspots der weltweiten Biodiversität. Im östlichen Amazonasbecken liegt das artenreichste Naturschutzgebiet der Welt, das Yasuní-Gebiet. Die immense Artenvielfalt in diesem Naturschutzgebiet ist, wie der Botschafter betonte, wissenschaftlich erwiesen und von mehreren Universitäten untersucht worden, so unter anderem von einem von Prof. Kreft an der Universität Göttingen geleiteten Team [5]. In einem einzigen Hektar des Yasuní-Nationalparks gäbe es mehr Pflanzenarten als in ganz Nordamerika - also in den USA, Kanada und Mexiko, das in der Nähe des Yucatan auch ein Tropengebiet aufweise - zusammen.

Die Regierung Ecuadors sei sich dieser Verantwortung bewußt und habe deshalb die Rechte der Natur geschaffen und weitere Initiativen ins Leben gerufen. Die Verfassung Ecuadors garantiere ein nachhaltiges Entwicklungsmodell, das die Umwelt einbeziehe und der kulturellen Vielfalt Rechnung trage. Die Verfassung garantiere auch, daß die Artenvielfalt wie auch die Fähigkeit der Natur zur Regeneration der Ökosysteme erhalten bliebe, aber auch daß die Bedürfnisse der heutigen wie auch die zukünftiger Generationen gewährleistet werden. Ebenso selbstverständlich sei es, alle Menschen und Volksgruppen, die von Umweltaktivitäten und ihren Auswirkungen betroffen sind, an der Planung und Durchführung sämtlicher Maßnahmen, Projekte und Programme zu beteiligen.

S.E. Jorge Jurado am Podiumstisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

S.E. Jorge Jurado, ehem. Minister des Nationalen Sekretariats für Wasser in Ecuador
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ein sehr wichtiges Beispiel sei, wie der Referent betonte, das Wasser. Mit den Worten "Das Wasser gehört uns allen" [4] verdeutlichte der Botschafter Ecuadors die mit der weltweit vorherrschenden Vermarktung und Privatisierung unvereinbare Position und Sichtweise seiner Regierung. In der Verfassung Ecuadors werde anerkannt, daß das Wasser ein fundamentales Menschenrecht ist. Demgegenüber sei die Erklärung der UNO zum Wasser deutlich zurückhaltender, erläuterte S.E. Jurado, enthalte diese doch keineswegs ein fundamentales Menschenrecht auf Wasser. In Ecuador bedeutet dies, daß Wasser als etwas absolut Lebenswichtiges angesehen wird und deshalb überhaupt nicht privatisiert werden darf. Zugleich garantiere die Verfassung Ecuadors den freien Zugang zum Wasser als einem Naturerbe der Welt. In Ecuador ist es aufgrund dieser Verfassungsregelungen nicht mehr möglich, daß administrative oder private Konzessionen auf Wasser bzw. den Zugang zum Wasser vergeben werden. Das Wasser wird von der Gesellschaft, also entweder vom Staat oder von den Gemeinden und damit den Ureinwohnern, im Interesse aller verwaltet.

Es bedurfte im Kreise der an diesem Abend Anwesenden wohl keiner weiteren Erläuterung, ob und inwiefern die Umweltpolitik Ecuadors auf dem bevorstehenden Gipfel Rio+20 von Interesse sein könnte oder vielmehr sein müßte, ginge es dort tatsächlich, wie behauptet, um Fragen der Nachhaltigkeit, verstanden als einen schonenden und dem Schutz des Lebens verpflichteten Umgang mit Mensch und Tier, Pflanzen und der gesamten Umwelt. S.E. Jurado faßte den Beitrag, den Ecuador für die Weltgemeinschaft und alle Staaten mit ähnlichen Problemen erarbeitet und anzubieten hat, in dem Konzept des "Buen Vivir" zusammen, das die Bedürfnisbefriedigung jetziger wie künftiger Generationen ebenso beinhalte wie die Wahrung der Rechte der Natur und zu dem Wasser als ein grundlegendes Menschenrecht ebenso gehöre wie, um nur ein Beispiel der praktischen Anwendung zu nennen, die Yasuní-Initiative [6] seines Landes.

Zum bevorstehenden Rio+20-Gipfel nahm der Botschafter abschließend Stellung. Die geringfügige Umsetzung der vor 20 Jahren auf der ersten UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro getroffenen Vereinbarungen sei "für uns als Ecuadorianer äußerst beunruhigend" festzustellen. Dies zeige nicht nur ganz allgemein, daß das Befolgungsniveau niedrig gewesen sei, sondern auch, "daß die Kernursachen der mangelnden Nachhaltigkeit des gegenwärtigen Entwicklungsmodells intakt geblieben sind", so der Botschafter. Da der Wettlauf um ein anhaltendes wirtschaftliches Wachstum schon allein aufgrund der begrenzten Landflächen eindeutig nicht die Nachhaltigkeitskriterien erfülle, so seine Argumentation, sei es heute offensichtlicher denn je, daß angesichts der Komplexität der derzeitigen Probleme "allumfassende, innovative und zwingende Antworten" [4] benötigt werden. Der Referent wurde noch deutlicher und erteilte dem Projekt der "Green Economy", neben der Frage institutioneller Reformen eines der beiden vorgesehenen wesentlichen Gipfelthemen, eine klare Absage:

Wir meinen, die "Green Economy" stellt die Grundlagen eines Entwicklungsmodells, dessen Grenzen hinsichtlich einer gesicherten Produktion und Kontinuität bewiesen worden sind, nicht in Frage. Dieser Vorschlag präsentiert die Umwelt bloß als eine Komponente der Infrastruktur, auf welcher die Wirtschaft beruht. Die "Green Economy" bewahrt die Grundlagen eines ungerechten, ausschließenden und nicht-nachhaltigen Systems. Deswegen: Ecuador und alle anderen ALBA-Länder [7] akzeptieren nicht das Konzept der "Green Economy" und widersprechen ihm voll und ganz. [4]

Was sich hier abzeichnet, ist keineswegs eine bloße Meinungsdifferenz zwischen verschiedenen Staaten und Staatengruppen in Fragen der Umwelt-, aber auch der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ecuador ist Mitglied der G77, einem 1964 von ursprünglich 77 Staaten der sogenannten Dritten Welt gegründeten Forum, dem heute 133 Mitgliedsländer angehören. Dieses Gremium der Südsüd-Kooperation ist im reichen Norden und den von diesem dominierten internationalen Institutionen schlecht gelitten, werden doch in diesem Rahmen Positionen artikuliert und Forderungen gestellt, die unschwer erkennen lassen, daß die in diesem Forum organisierten Staaten des Süden nicht länger gewillt sind, sich dem postkolonialen und neoliberalen Diktat des Nordens widerspruchslos zu unterwerfen. Hier wird der Strich deutlich, den die durch diese Staaten repräsentierten Regionen der Erde, in denen immerhin 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, den westlichen Hegemonialmächten durch deren Rechnung möglicherweise zu ziehen gewillt sind.

So hatte der damalige kubanische Staatschef Fidel Castro im April 2000 auf dem Südgipfel der G77-Staaten die Abschaffung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gefordert, weil dieser die weltweite Armut noch gesteigert habe und das gegenwärtige Wirtschaftssystem durch Hunger und vermeidbare oder heilbare Krankheiten alle drei Jahre mehr Männer, Frauen und Kinder umbringe, als im gesamten Zweiten Weltkrieg getötet worden sind. Die G77 hatten bereits vor über zehn Jahren ein stärkeres Mitspracherecht im Weltsicherheitsrat sowie in der Welthandelsorganisation (WTO) verlangt. Die sogenannte Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik des Rio-Prozesses [8] könnte weitaus unmittelbarer mit diesem Konflikt in Verbindung stehen, als es im allgemeinen den Anschein hat, zeichnet sich doch längst ab, daß die Umweltthematik mit der ihr eigenen Sachzwanglogik von der dominierenden Staatenelite des Westens dazu genutzt wird, die wachsende Eigenständigkeit der lateinamerikanischen, asiatischen und afrikanischen Staaten einzudämmen und zu brechen.

So war es in der UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (UN Commission on Sustainable Development", CSD), die 1992 nach dem ersten Gipfel gegründet worden war, um den Rio-Prozeß voranzutreiben, vor einem Jahr zu einem Fiasko gekommen. Die G77-Staaten waren von westlichen Nichtregierungsorganisationen bezichtigt worden, den Vorbereitungsprozeß auf den diesjährigen Gipfel in Rio und dabei insbesondere dessen Projekt der "Green Economy" zu blockieren. Während die USA "erfreulich konstruktiv" an das Thema herangingen, hätten sich die G77-Staaten in "reiner Obstruktionspolitik geübt", wie Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung meinte. Das Argument der G77-Staaten, die "green jobs" ablehnten, weil sie schlechter bezahlt wären und keine soziale Absicherung böten, bezeichnete er als "offen zur Schau gestellte Ignoranz". Die G77 seien "ohnehin längst ein Anachronismus", so daß es auch für die NGOs Zeit wäre, "ihre geradezu reflexartigen Beißhemmungen gegenüber der G77 aufzugeben". [9]

Der Vortrag des ecuadorianischen Botschafters in Deutschland vom 29. Mai 2012 in Berlin ist auch vor diesem Hintergrund aufschlußreich, da er nicht nur die Umweltprinzipien seines Landes vorstellte, sondern auch den Standpunkt eines G77-Staates in Sachen "Green Economy" deutlich machte. Sein Land sei der Ansicht, so formulierte der Botschafter die Position Ecuadors zum bevorstehenden Gipfel, daß diese Konferenz einen Rahmen bietet, um Prinzipien nachhaltiger Entwicklung zu formulieren und daß sie alternative Entwicklungen und innovative Ansätze, die insbesondere in Lateinamerika und der Karibik entstünden, fördern sollte. S.E. Jurado stellte klar, daß es unmöglich sei, in diesen Fragen voranzuschreiten, ohne die Ursachen der strukturellen Krise zu untersuchen. Der Idee, auf dem Rio+20-Gipfel die bereits auf der vorherigen Konferenz beschlossenen Grundsätze neu zu verhandeln oder noch einmal zu definieren, erteilte er eine klare Absage, weil dies bedeuten würde, auf die Ebene von Verpflichtungserklärungen und Verantwortungsbekundungen zurückzufallen. Dann gäbe es Länder, die sehr stark daran interessiert seien, die vor 20 Jahren erarbeiteten Konzepte und Ideen zurückzustellen, was die Länder des Südens nicht zulassen dürften.

Stattdessen sollten, so der Vorschlag des Botschafters Ecuadors, auf dem Gipfel Alternativen vereinbart werden, die auf einer neuen Weltwirtschaftsordnung und einer neuen internationalen Finanzstruktur beruhten und den Grundsätzen der Transparenz, der Unabhängigkeit und Souveränität sowie der Kooperation und Solidarität der Völker verpflichtet seien. Der Referent thematisierte in diesem Zusammenhang den Ressourcenfluß zwischen dem Norden und dem Süden und erläuterte, daß dieser 2007 mit -869 Milliarden US-Dollar negativ zu Lasten des Südens ausgefallen sei. In den Andenstaaten habe diese Differenz zwischen Im- und Exporten 2009 -181,6 Tonnen betragen, was bedeute, daß diese Länder Biomasse, nicht erneuerbare Energie, Artenvielfalt und Umweltdienstleistungen an den Norden verloren hätten. Es sei uns angewöhnt worden, so erläuterte S.E. Jurado, ausschließlich in monetären Begriffen zu sprechen, doch um zu verstehen, was tatsächlich in dem Verhältnis zwischen Nord und Süd geschehe, sei es unverzichtbar, auch von diesen Verlusten zu sprechen.

Auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz sollte, so der Botschafter abschließend, über allgemeine wie Ernährungssicherheit, nationale Souveränität und den Zugang zu Energie nach den Kriterien der Gleichwertigkeit, Gerechtigkeit und Demokratisierung der Produktionsmittel gesprochen werden. In diesem Zusammenhang sei es dringend erforderlich, die Investitionsprioritäten zu analysieren, den Einsatz enormer Ressourcen für militärische Zwecke zu beenden und diese stattdessen für eine nachhaltige Entwicklung zu verwenden. In der anschließenden Diskussion wurde der Botschafter noch deutlicher, was den hier bereits angedeuteten Interessengegensatz zwischen den führenden kapitalistischen Staaten und den aus den ehemaligen Kolonien hervorgegangenen sogenannten Entwicklungsstaaten betrifft.

Ecuador und die ALBA-Staaten arbeiten daran, eine eigenständige, unabhängige und solidarische Politik zu betreiben, die "dem Menschen die Priorität vor dem Kapital" einräume, wie der Botschafter seinen Präsidenten Rafael Correa Delgado im Schlußwort seines Vortrags zitierte. Es bestehe, so erklärte S.E. Jurado in der anschließenden Diskussion, ein schwerer Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der Menschen in den hochentwickelten und in "unseren Ländern" und fragte angesichts der Leistungen, die in der hiesigen Gesellschaft erbracht werden in punkto Wohnung, Arbeit und Gesundheit, wie sich ein Individuum einer solch satten Gesellschaft für etwas interessieren könne, das irgendwann vielleicht einmal passieren und auf ihn zukommen könnte? In den Ländern des Südens stelle sich die Situation schon heute völlig anders dar - hier sei klar, daß es mit der Weltwirtschaft so nicht weitergehen könne.

Vorderfront des Veranstaltungshauses im Zentrum Berlins - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler präsentiert kritische Nachhaltigkeitsdiskussion
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:

[1] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/015: Stark in der Not - Inselsozialismus kreativ - Kubas Ergebnisse (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0015.html
INTERVIEW/016: Stark in der Not - Inselsozialismus kreativ - Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0016.html

[2] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/016: Konferenz Rio+20 - Unter grünem Deckmantel "Business as usual" (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0016.html

[3] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
INTERVIEW/017: Thomas Fatheuer, freier Autor und Berater, zu Rio+20 und der Umweltentwicklung in Brasilien (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0017.html

[4] Aus dem unveröffentlichten Schattenblick-Mitschnitt der Veranstaltung

[5] Prof. Dr. Holger Kreft, Juniorprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen, leitet die Free-Floater-Nachwuchsgruppe "Biodiversität, Makroökologie und Biographie", deren Ergebnisse im "Journal of Biography" im November 2010 veröffentlicht wurden.

[6] Das Yasuní-Projekt beinhaltet einen im August 2010 von der Regierung Ecuadors und dem UN-Entwicklungsprogramm gemeinsam eingerichteten Yasuní-ITT-Treuhandfonds. Als einen Beitrag zum weltweiten Schutz des Klimas wie auch der biologischen Artenvielfalt hat Ecuador sich bereit erklärt, einen Großteil seiner im Yasuní-Nationalpark liegenden Erdölreserven (900 Millionen Barrel) nicht zu fördern. Ecuador würde die Hälfte der auf 7 Milliarden US-Dollar geschätzten, dem Land dadurch entgehenden Einnahmen übernehmen, die andere Hälfte soll, damit die Entwicklung des Landes nicht beeinträchtigt wird, durch den Treuhandfonds, in den verschiedene Staaten, internationale Institutionen und Organisationen und sogar Privatpersonen einzahlen, aufgebracht werden.

[7] Der "Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerikas", kurz ALBA, gehören neben Kuba, Bolivien, Ecuador, Venezuela und Nicaragua auch die Karibikstaaten Antigua und Barbuda, Dominica sowie St. Vincent und die Grenadinen an.

[8] Zwischen dem ersten Gipfel 1992 in Rio und dem nun unmittelbar bevorstehenden Rio+20-Gipfel fand im Jahre 2002 in Johannesburg in Südafrika der Rio+10-Gipfel statt, auf dem Vereinbarungen wie das bereits 2002 beschlossene und beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) angesiedelte 10-Jahresprogramm zu Nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern (SCP) einmal mehr bestätigt wurden.

[9] Green Economy als Feindbild der G77. Von Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung, 31. Mai 2011,
http://www.boell.de/oekologie/gesellschaft/oekologie-gesellschaft-csd19-green-economy-als-feindbild-der-g77-12172.html

19. Juni 2012