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BERICHT/021: Bagger fressen Erde auf - Basisaktivismus gegen Braunkohletagebau (SB)


The True Cost of Coal - Antikohlewiderstand in Deutschland formiert sich

Veranstaltung am 14. Juni 2012 im Hamburger Gängeviertel

Diaprojektion 'Raus aus der Kohle!' - Foto: 2012 by Schattenblick

Foto: 2012 by Schattenblick

Auf der letzten Station ihrer Infotour "The True Cost of Coal" durch die Schweiz und Deutschland berichteten Aktivistinnen und Aktivisten aus den USA und England sowie dem rheinischen Braunkohlerevier über den Kampf gegen die Zerstörungen durch "Mountaintop removal mining" in den Appalachen [1] und den Tagebau und die Verstromung von Braunkohle in deutschen Revieren. Im Rahmen dieser Veranstaltung informierten Rebekka, Flo und Timo über die Waldbesetzung des Hambacher Forsts, die Werkstatt für Aktionen und Alternativen (WAA) in Düren und das Klimacamp Rheinland.

Warum sich die drei gemeinsam mit vielen anderen Menschen im Antikohlewiderstand engagieren, führen sie auf verschiedene Gründe zurück, die bei der Energiegewinnung aus Braunkohle auf besonders ausgeprägte Weise zusammentreffen. Auf lokaler Ebene findet durch die Umsiedlung ganzer Dörfer eine Zerstörung gewachsener sozialer Strukturen statt. Die Rodung von Wäldern, Abbaggerung fruchtbarer landwirtschaftlicher Flächen, das Aufbrechen der Bodenschichten und Abpumpen des Grundwassers vernichtet großräumig vorhandene Ökosysteme und läßt riesige Kraterlandschaften zurück. In Windrichtung der Tagebaue ist beispielsweise in nahen Städten wie Köln die Feinstaubbelastung um ein Vielfaches höher als jene durch den Autoverkehr. Die Dampfwolken der fünf Großkraftwerke verschatten angrenzende Gebiete, und in die Luft geblasene Giftstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Schwermetalle, Quecksilber und Radioaktivität beeinträchtigen weithin die Gesundheit der dort lebenden Menschen.

In globaler Hinsicht ist die Verstromung der Braunkohle die mit Abstand CO2-intensivste Form der Energieerzeugung. Die gravierenden Veränderungen des Klimas haben weltweit verheerende Folgen für Millionen von Menschen, deren Existenz und Lebensweise akut bedroht ist. Das Rheinische Revier ist mit den größten deutschen Tagebauen und Braunkohlekraftwerken Europas Klimakiller Nummer eins, und dort im Kohlewiderstand aktiv zu werden, verbindet lokale Kämpfe und regionale Vorgehensweisen mit maßgeblichen Strategien gegen den Klimawandel auf dem gesamten Planeten.

Aktivist vor Diaprojektion - Foto: 2012 by Schattenblick

Timo erklärt die Standorte der Tagebaue
Foto: 2012 by Schattenblick

So setzen sich die Aktivistinnen und Aktivisten nicht zuletzt für eine selbstbestimmte lokale Energieversorgung in kleinen Einheiten ein. Dafür eignet sich Kohle nicht, weil sie nur in großem Maßstab und gegen die Interessen der Menschen vor Ort produziert wird. Es geht also um nichts weniger, als die vielbeschworene Energiewende vorzudenken, praktisch in Angriff zu nehmen und vorzuleben, damit umweltpolitisches Engagement und persönliches Handeln miteinander verbunden werden.

Das Ausmaß der Zerstörung im Rheinischen Revier mag deutlich werden, wenn man sich zu vergegenwärtigen versucht, daß in jenem Dreieck, das von den Städten Aachen, Köln und Mönchengladbach gebildet wird, die Gruben des Tagebaus zusammengenommen eine Fläche von 220 km2 einnehmen. Zweitgrößtes Revier ist das Lausitzer Revier bei Cottbus, gefolgt vom Mitteldeutschen Revier und dem vergleichsweise kleinen Helmstedter Revier, das 2018 ausläuft. Im Rheinisches Revier werden 100 Mio. Tonnen Braunkohle jährlich gefördert, deren Verstromung rund 100 Mio. Tonnen CO2-Emissionen freisetzt. Das Revier in der Lausitz ist mit 55 Mio. Tonnen Förderleistung etwas mehr als halb so groß.

Unter den drei aktiven Tagebauen Hambach, Inden und Garzweiler im Rheinischen Revier erstreckt sich Hambach allein über 85 km2. Das Kraftwerk Niederaußem ist mit einer Leistung von 3.800 MW das größte Deutschlands und zweitgrößte Europas, das am selben Standort geplante neue Kraftwerk BoAplus läge im Falle seiner Realisierung mit 27 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß jährlich europaweit an der Spitze. Alle fünf Großkraftwerke des Reviers haben eine Leistung von mehr als 2.000 MW, wobei das demnächst ans Netz gehende Neurath II mit 2.200 MW das bislang modernste ist.

Der von restloser Vernichtung bedrohte Hambacher Forst war früher ein zusammenhängender 12.000 Jahre alter Wald auf einer Fläche von 5.000 bis 6.000 ha, wovon heute nur noch 1.000 ha stehen. Es handelt sich um einen Wald mit teilweise sehr alten Beständen, den zu begehen die Zerstörungsgewalt des näherrückenden Tagebaus in eigenem Erleben unmittelbar und auf besonders eindrückliche Weise deutlich macht. Der Tagebau Hambach zeitigt massive lokale Auswirkungen, da seine Grube bis in eine Tiefe von 400 m reicht und Grundwasser aus 600 m abgepumpt wird, was diverse Umweltschäden zur Folge hat. Ganze Dörfer mußten dem Bagger weichen, und ihre Bewohner teilen das Schicksal jener rund 40.000 Menschen, die deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten wegen der Braunkohle vertrieben wurden.

Diaprojektion zum Greenwashing - Foto: 2012 by Schattenblick

PR-Strategien sollen gegen Widerstand immunisieren
Foto: 2012 by Schattenblick

Unter dem Begriff "Greenwashing" gingen die Vortragenden auf das Bestreben vieler Menschen ein, Teil der Lösung des Klimaproblems zu sein. Energiekonzerne greifen dieses Bedürfnis auf und binden es in Werbekampagnen ein, die eine extrem klimaschädliche Produktion propagandistisch in einen hochwertigen Beitrag zum Klimaschutz verwandeln und so das Image des Unternehmens in der öffentlichen Wahrnehmung grünwaschen sollen. Vorgeführt wurde ein Werbefilm von RWE, der mit Untertiteln von Greenpeace versehen war, die die impliziten Aussagen des Unternehmens mit dessen tatsächlichem Handeln kontrastieren. Zu eingängiger Musik singt eine kindliche Stimme von der Liebe zu Natur, Tieren und Menschen, während ein freundlicher grüner Riese umherwandert, hier ein Windrad pflanzt und dort am Stromkabel einer Überlandleitung zupft, ins Wasser taucht, um ein Gezeitenkraftwerk zu bestaunen oder an Land vorsichtig in ein Häuschen späht, um zu sehen, ob auch wirklich alle gut versorgt sind und sich ihres Lebens freuen. Am Ende verkehrt die Aussage, daß der Klimariese RWE viel Gutes tue, die realen Verhältnisse auf groteske Weise in ihr Gegenteil.

Konzerne wie RWE im Westen oder Vattenfall im Osten meiden die Kontroverse um die Auswirkungen der Kohleverwertung keineswegs. Sie gehen vielmehr in die Offensive und okkupieren die Debatte um den Klimaschutz, wobei sie weite Teile der Bevölkerung vereinnahmen, die sich bereitwillig täuschen lassen. So tritt RWE regelrechte Kampagnen los, indem beispielsweise an Schulen Klimaschutzpreise verleihen werden und so den Kindern frühzeitig beigebracht wird, daß Unternehmensinteressen und Umweltbewußtsein in eins fielen. Daß sich trotz klaffender Tagebaue, unablässiger Staubbelastung und ständig dampfender Kühltürme bislang nur schwacher Widerstand in der Bevölkerung regt, ist indessen vor allem darauf zurückzuführen, daß Energiekonzerne wie RWE die Region wie ein neofeudales Lehen beherrschen. Ob Produktion, Arbeitsplätze, Lehrstellen oder Gelder für Infrastruktur und kommunale Vorhaben, alles scheint von diesem Konzern zu kommen, dessen Präsenz allgegenwärtig ist.

Kohlegegner haben es jedoch nicht nur mit solchen Energiekonzernen und deren Einfluß auf allen politischen Ebenen der Region zu tun, sondern zugleich den viel zu kurz greifenden Vorstellungen vieler umweltbewußter Menschen, die beispielsweise glauben, sie leisteten mit dem Kauf sogenannter grüner Produkte oder bestimmten Sparmaßnahmen im Haushalt bereits einen weit- und ausreichenden Beitrag zur Rettung der Ökosysteme und des Klimas. Solange das dahinterstehende globale wachstumsbasierte Industriesystem existiert, eskalieren die Zerstörungsfolgen. Auch für vermeintlich grüne oder alternative Produkte und Technologien werden Rohstoffe abgebaut, Transportwege in Anspruch genommen und Produktionsstätten betrieben, die in ihrer Summe zumeist größere Brände schüren, als sie mit den daraus resultierenden Erzeugnissen einzudämmen im Stande sind.

Namhafte Klimawissenschaftler fordern den kompletten Kohleausstieg binnen zwei Jahren und den raschen Verzicht auf sämtliche fossilen Energieträger, sollen die letzten verbliebenen Hoffnungen, den Klimawandel doch noch aufzuhalten, nicht endgültig zu Grabe getragen werden. Hält man die von Konzernen wie RWE ausgewiesenen Ziele dagegen, bis 2020 rund 20 Prozent erneuerbare Energien ins Sortiment aufzunehmen und die CO2-Emission schrittweise zu reduzieren, drängt sich der Verdacht auf, daß sich der Bock zum Gärtner machen will. So bewirbt RWE das geplante neue Kraftwerk BoAplus ("Ein großes Plus für die Umwelt") mit seiner optimierten Anlagentechnik und mithin höheren Effizienz als Beitrag zum Klimaschutz. Dabei verschweigt der Konzern wohlweislich, daß er mit neuen Kraftwerken den Ausstieg aus der Kohle verhindert und mit seinem Argument, es handle sich um eine Brückentechnologie, sich selbst eine Brücke in eine profitable Zukunft mit fortgesetzter Kohleverstromung baut.

Selbst modernste Kohlekraftwerke haben einen Wirkungsgrad deutlich unter 50 Prozent, und die Behauptung, sie könnten im Unterschied zu herkömmlichen leicht hoch- und heruntergefahren werden und so schwankende Energiemengen von Wind und Sonne ausgleichen, gilt nur eingeschränkt. Wie groß die Spannbreite der Lastanpassung tatsächlich ausfällt, gilt als umstritten. Wie ein Zuhörer im Publikum zu berichten wußte, könne das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg nicht niedriger als auf 35 Prozent der Vollast heruntergefahren werden. Es ganz herunterzufahren mache das anschließende Hochfahren außerordentlich schwierig und verkürze zudem die Lebensdauer des Kraftwerks. Wenngleich die technologische Entwicklung also auf diesem Gebiet unbestreitbar Fortschritte gemacht hat, führt die damit reklamierte höhere Effizienz grundsätzlich in eine verhängnisvolle Richtung, nämlich die inakzeptable Fortsetzung der Kohleverstromung.

Diaprojektion mit vier Bildern - Foto: 2012 by Schattenblick

Aktionsformen des Antikohlewiderstands
Foto: 2012 by Schattenblick

Akteure und Aktionsformen der Antikohlebewegung

Wie Rebekka, Flo und Timo weiter ausführten, ist die deutsche Antikohlebewegung noch recht jung und von der Beteiligung und Mobilisierungsfähigkeit her nicht mit der Anti-AKW-Bewegung vergleichbar. Ein Teil der Bewegung stamme aus Bürgerinitiativen, die in den letzten zehn Jahren nicht selten erfolgreich gegen Kraftwerksneubauten geklagt und diese damit verhindert haben. Beteiligt sind NGOs und Umweltschutzorganisationen wie BUND oder klima-allianz deutschland, die lokale Bürgerinitiativen unterstützen wie auch Kampagnen initiieren und juristische Auseinandersetzungen führen. Auch Attac ist mit von der Partie, und Greenpeace hat 2004 einen Bagger im Tagebau Hambach mehrere Tage besetzt. Daraus resultierte eine Zivilklage, die mit einem außergerichtlichen Vergleich endete. Danach zog sich Greenpeace tendenziell aus dem Rheinischen Revier zurück und konzentrierte sich mehr auf die Lausitz.

Aktivistin vor Bild 'The True Cost of Coal' - Foto: 2012 by Schattenblick

Rebekka klärt über geplantes Klimacamp auf
Foto: 2012 by Schattenblick

Die Aktivistinnen und Aktivisten an der Basis orientieren sich in ihren Klimacamps, Baustellenbesetzungen, Märschen und weiteren Aktionen insbesondere an der Klimacampbewegung in England. Daran geknüpfte Hoffnungen hätten sich nicht in der angestrebten Größenordnung erfüllt, doch sei es zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung gekommen, zumal die ausgetragenen Kämpfe wichtig für die Bewegung gewesen seien. Dann wurde die gesamte Mobilisierung von der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen aufgesogen, die bekanntlich desaströs verlief und nicht den erhofften Anschub brachte. Angesichts dieses Rückschlags seien viele Leute in ein Loch gefallen, doch hätten andere den Antikohlekampf weiter organisiert. Auf lokaler Ebene funktionierte das zunächst nur in Hamburg und Berlin, wo man vergleichsweise viele Leute mobilisieren konnte. Anderswo sei es wesentlich schwieriger gewesen, weshalb Kristallisationsorte wie insbesondere die Klimacamps dringend erforderlich seien. Direkt nach Kopenhagen gab es das Klimacamp Bonn und danach das Klimacamp Lausitz des BUND. Erste Aktion nach dem Bonner Klimacamp war die zweistündige Blockade eines Kohlezubringers des Kraftwerks Niederaußem als erste Anwendung zivilen Ungehorsams. Beide Camps seien zwar keine riesigen Zusammenkünfte, wohl aber Orte gewesen, an denen Menschen zusammengekommen sind, einander kennengelernt und kontinuierlich Strategien besprochen haben. Dadurch habe sich die Bewegung wieder stabilisiert.

Diaprojektion mit Plakaten früherer Klimacamps - Foto: 2012 by Schattenblick

Aus der Geschichte der Klimacamp-Bewegung
Foto: 2012 by Schattenblick

Im vergangenen Jahr wurde während des Klimacamps im Rheinischen Revier eine Kohlezugblockade durchgeführt. Dabei gelang es, mit der Hambach-Bahn die wichtigste deutsche Kohlebahn zwölf Stunden lang außer Betrieb zu setzen. Offenbar mußte deswegen eine Brikettfabrik heruntergefahren werden, und noch zwei Tage später war der Tagebaubetrieb nicht wieder im Lot. Dies sei eine effektive Aktion gewesen, die ohne Repression ablief. Dann folgte auf der Jahreshauptversammlung von RWE die Kampagne "RWE abschalten!", an deren Organisation sich viele Leute aus der Anti-AKW-Bewegung, aber auch aus der Klimabewegung beteiligten. Vor dem Gebäude wurde ein Blockadecamp errichtet, in dem unter der Woche immerhin 150 Leute präsent waren. Eine erneute Blockade vor der Essener Gruga-Halle wurde in diesem Jahr allerdings von einem großen Polizeiaufgebot verhindert. Weitere Aktionen waren Besetzungen von Parteibüros, die vom Klima- und Energiecamp in der Lausitz ausgingen und mit denen die rot-rote Landesregierung unter Druck gesetzt werden sollte.

Diaprojektion mit Logos beteiligter Initiativen - Foto: 2012 by Schattenblick

Fünf Finger einer Hand
Foto: 2012 by Schattenblick

Zu den Initiativen der Kohlegegner gehören ausgeCO2hlt mit der Kampagne für sofortigen Braunkohleausstieg [2], die Werkstatt für Aktionen und Alternativen (WAA), ein Hausprojekt in Düren mit Fokus auf dem Braunkohlewiderstand [3], sowie die Waldbesetzung im Hambacher Forst [4]. Greenpeace fängt langsam wieder an, auf der rechtlichen Ebene gegen BoAplus zu organisieren, der BUND klagt derzeit gegen Hambach III, also die Erweiterung des Tagebaus. Hinzu kommen Bürgerinitiativen vor Ort. In der Lausitz sind die Grüne Liga, das Netzwerk Lausitzcamp, Robin Wood, Greenpeace sowie diverse Kampagnen gegen Vattenfall auch mit Schwerpunkt in Berlin am Werk.

Diaprojektion mit vier Initativen gegen Braunkohleabbau in der Lausitz - Foto: 2012 by Schattenblick

Breites Bündnis regional fokussiert
Foto: 2012 by Schattenblick

Im Hambacher Forst begann die Besetzung am 14. April 2012 mit einem Bürgerfest. Der Tagebau wandert und baggert sich in Richtung des Waldes vor, bis in zehn Jahren nichts mehr davon übrig sein soll. Die Waldbesetzer haben an der unmittelbar bedrohten Seite des Forsts inzwischen mehrere Baumhäuser und andere Infrastruktur errichtet. Gefällt werden kann nur zur Winterperiode, die am 1. Oktober beginnt, worauf die Besetzung bis zum Frühjahr räumungsbedroht ist. Im Sommerprogramm sollen daher möglichst viele Leute den Wald und die Aktionen kennenlernen. Vom 29. Juni bis 8. Juli wurde ein Skill-Sharing-Camp mit Schwerpunkt Aktionsfähigkeit durchgeführt, bei dem die verschiedenen Aspekte des Lebens im Wald beraten und praktisch angegangen wurden. Etwa 100 Menschen beteiligten sich an den Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden, wobei sowohl Interessierte aus der Region, als auch überregionale Aktivistinnen und Aktivisten gekommen waren. Zum 1. Oktober ist eine Aktionswoche geplant und Ende Oktober soll ein Festival folgen.

Die ortsansässige Bevölkerung unterstützt in Teilen die Initiativen, doch sind viele Menschen von RWE gekauft oder finden sich mit dem scheinbar Unvermeidlichen ab. In den Dörfern, die als nächste von der Umsiedlung betroffen sind, ist der Wille meist schon gebrochen, da die Verhandlungen zu weit fortgeschritten, als daß viel Widerstand zu erwarten wäre. Hingegen gibt es bei Garzweiler II auch Dörfer, die erst später an die Reihe kommen sollen. Dort keimt noch eher Widerstand, was auch für Orte wie Buir gilt, die nicht abgebaggert werden sollen, aber die Auswirkungen des näherrückenden Tagebaus spüren. In Manheim, einer Ortschaft mit 1.700 Einwohnerinnen und Einwohnern, wohnt der Chef der RWE-Kraftwerkssparte, Dr. Johannes Lambertz, dessen Frau die Bürgermeisterin ist. Die beiden hätten alle unter ihrer Fuchtel und auf Linie gebracht, um reibungslos eine Musterumsiedlung durchzuführen, berichteten die drei Vortragenden.

Vom 3. bis 12. August findet wie schon im vergangenen Jahr ein Klimacamp in Manheim statt, das 2020 abgebaggert und deshalb Symbolort werden soll. Zwei Kilometer davon entfernt ist die Waldbesetzung des Hambacher Forsts. Das Klimacamp Rheinland beruft sich in seiner inhaltlichen Struktur auf die vier Säulen des Klimacamps UK. Als Ort der Bildung bietet es ein vielfältiges Programm zu Themen wie Braunkohleabbau, alternative Energieversorgung, Wirtschaftssystem ohne Wachstumszwang und ressourcenschonendes Leben im Camp. Als Vernetzung will es diverse Personen und Initiativen miteinander in Verbindung bringen. Als Praxis des besseren Lebens soll es unter anderem ein Festival mit Kulturprogramm auf die Beine stellen. Und nicht zuletzt ist es eine Schnittstelle des Widerstands mit drei Aktionstagen, Mahnwachen, Fahrraddemos und weiteren Zeichen des Kampfs gegen die Kohle. Im Anschluß daran beginnt das Klima- und Energiecamp in der Lausitz, das vom 11. bis 19. August mit einem ähnlichen Progamm, jedoch einem Schwerpunkt auf CCS, in Jänschwalde stattfindet.

Die zentralistischen Investitions- und Verwertungspläne einer wachstumsgläubigen Energiewirtschaft, die mit Milliarden jonglieren und Jahrzehnte in die Zukunft vorgreifen, scheinen den Widerstand der Antikohlebewegung auf das Maß allenfalls lästiger, doch leichterdings zu verschmerzender Mückenstiche zu degradieren. Daß die postulierte Alternativlosigkeit des kapitalistischen Raubzugs die Unausweichlichkeit der Klimakatastrophe heraufbeschwört, begreifen seine Profiteure nicht als Scheitern des Systems, sondern als einen wie immer von dessen Opfern in Kauf zu nehmenden Kollateralschaden. Ob aus den wenigen widerspenstigen Mücken ein ganzer Schwarm wird, der die Bagger zum Stillstand bringt und die CO2-Schleudern erkalten läßt, hängt nur bedingt von der Überzeugungskraft ökologischer Argumente ab. Die Logik des Räubers ist nicht dieselbe wie die seiner Beute, so daß von unabweislicher Bedeutung sein wird, den Brückenschlag zur sozialen Frage voranzutreiben und Herrschaft überall dort, wo sie ihr Haupt erhebt, zu überwinden.


Fußnoten:
[1] Siehe dazu Schattenblick - INFOPOOL - UMWELT - REPORT
BERICHT/020: Bagger fressen Erde auf - Wenn ganze Berge weichen müssen ... (SB)

http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0020.html

[2] http://www.ausgeco2hlt.de/

[3] http://waa.blogsport.de/

[4] http://hambacherforst.blogsport.de/

Plakat zum Klimacamp im Rheinland - Foto: 2012 by Schattenblick

Mobilisierung auch im fernen Hamburg
Foto: 2012 by Schattenblick

10. Juli 2012