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BERICHT/045: Down to Earth - Trabanten, Siedlungen, Katastrophen (SB)


Dr. Doracie Zoleta-Nantes zum mangelhaften Hochwasserschutz in Manila

IGC 2012 - Weltkongreß der Geographie vom 26. bis 30. August 2012 an der Universität Köln



Am 4. Dezember 2012 raste der Taifun Bopha auf die Philippinen zu und traf die Insel Mindanao mit voller Wucht. Über 1000 Einwohner verloren ihr Leben, weitere rund 800 Personen werden seitdem vermißt. Fast eine halbe Million Menschen mußte fliehen, 115.000 Häuser wurden zerstört. Eine Katastrophe mit Ankündigung. Der Wirbelsturm hatte sich im Pazifik aufgebaut, war dann über die südphilippinische Insel Mindanoa hinweggefegt, wobei er sich vorübergehend verausgabte, nur um sich im Ostchinesischen Meer wieder aufzuladen, umzukehren und die nördliche Philippineninsel Luzon zu treffen. Die wurde daraufhin unter gewaltigen Regenmassen begraben.

Karte von Südostasien, Verlauf des Sturm - Foto: Hintergrund: NASA, Bearbeitung: Keith Edkins, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Spur des Taifuns Bopha bis zum 10. Dezember 2012. Die Punkte zeigen die Wanderung als 6-Stunden-Intervall. Die Farben geben die maximale Windgeschwindigkeit nach der Saffir-Simpson Hurrikan-Skala an. Dunkelblau = Tropische Depression (< 63 km/h), Hellblau = Tropischer Sturm (63 - 117 km/h), Hellgelb = Kategorie I (118 - 153 km/h), Dunkelgelb = Kategorie II (154 - 177 km/h), Hellorange = Kategorie III (178 - 208 km/h), Dunkelorange = Kategorie IV (209 - 251 km/h), rot = Kategorie V (> 251 km/h). Die Form der Datenpunkte zeigt die Art des Sturms: Dreieck = außertropischer Zyklon, Kreis = tropischer Zyklon
Foto: Hintergrund: NASA, Bearbeitung: Keith Edkins, freigegeben als public domain via Wikimedia Common

Medienberichten zufolge hatte das Frühwarnsystem der Philippinen rechtzeitig Alarm geschlagen, doch war die Evakuierung nur schleppend vorangekommen. Mit einem so starken Taifun - der stärkste auf Mindanao seit mehr als einem Jahrhundert - hatten die Einwohner nicht gerechnet, so daß sich viele von ihnen viel zu spät entschlossen, ihr Haus zu verlassen und Schutz zu suchen. Selbst erfahrene Hilfskräfte berichteten, daß sie derart schwere Verwüstungen in den Philippinen noch nicht erlebt haben. Und das will was heißen, wird der Inselstaat doch jedes Jahr von durchschnittlich 20 Taifunen oder schweren Stürmen heimgesucht.

Satellitenaufnahme des schätzungsweise über 1670 Kilometer durchmessenden Wirbelsturms, der bereits den Osten Mindanoas erreicht hat - Foto: NASA Earth Observatory/Jesse Allen, freigegeben als public domain.

Taifun Bopha trifft in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 2012 die Insel Mindanoa. Aufnahme mit dem Visible Infrared Imaging Radiometer Suite (VIIRS) auf dem Satelliten Suomi National Polar-orbiting Partnership (NPP). Das Foto wurde auf dem "Tag-Nacht-Band" von VIIRS aufgenommen, was bedeutet, daß Wellenlängen zwischen grün und nahezu infrarot erfaßt werden. Zudem wurden unerwünschte Signale von Flammen aus der Gasförderung (Flaring), Aurorae, Waldbränden, künstlichen Lichtquellen und Mondlichtreflektionen herausgefiltert.
Foto: NASA Earth Observatory/Jesse Allen, freigegeben als public domain.

Diesmal war der dicht besiedelte Großraum Metro Manila von der Katastrophe verschont geblieben. Er wäre auch nur mangelhaft vorbereitet gewesen, wie aus den Schilderungen der Geographin Dr. Doracie Zoleta-Nantes vom "national hazards and disaster programme" der Australian National University auf dem 32. Weltkongreß der Geographie hervorging. Am 29. August 2012 hielt sie den Vortrag "Locating choke points and mapping land use changes in select river systems of Metro Manila: Historical Mapping of constriction and disappearances of waterways in urban settlements", z. Dt.: Staustellen in ausgewählten Flußsystemen von Metro Manila lokalisieren und Landnutzungsänderungen erfassen: Historisches Erfassen der Verengung und des Verschwindens von Wasserwegen in städtischen Siedlungen.

Dr. Zoleta-Nantes bezog sich in ihren Erläuterungen auf mehrere Flutkatastrophen in Metro Manila. Beispielsweise wurden im August 2011 acht Prozent des Großraums um die philippinische Hauptstadt herum überschwemmt, und dabei waren die ungeheuren Wassermassen nicht einmal von einem Taifun abgeladen worden, sondern nur vom jährlichen Monsunregen. Die Referentin erklärte, daß sie sich als Geographin an Untersuchungen beteilige mit dem Ziel, den Hochwasserschutz Metro Manilas zu verbessern. Insbesondere sollte den zahllosen Einwohnern, die in informellen Siedlungen (Slums) lebten und oft Opfer der großflächigen Überschwemmungen würden, geholfen werden. Die informellen Siedler seien aber nicht nur Opfer der Flutkatastrophen, sondern auch an deren Zustandekommen beteiligt, indem sie auf Evakuierungswegen siedelten und Wasserabflußwege durch Müll versperrten.

Referentin beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Doracie Zoleta-Nantes veranschaulicht die Verengung der Abflußkanäle und das Abschneiden von Evakuierungswegen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Bei ihrer vor einigen Jahren von der Hilfsorganisation Christian Aid Foundation finanzierten Studie über die physikalischen und sozialen Aspekte der Veränderungen der Landbedeckung in vier Gemeinden Metro Manilas hatten die Geographin und ihre Kollegen herausgefunden, daß innerhalb eines Jahrzehnts rund 23 Kilometer Wasserstraßen und Flüsse aufgrund unterschiedlicher Nutzungsformen des Lands verloren gegangen waren. Das Ergebnis habe man dann im August vergangenen Jahres präsentiert bekommen, erklärte sie: der Pegelstand der wenigen noch verbliebenen Wasserwege war unglaublich rasch gestiegen, viele Flächen seien überflutet worden.

Die erste Aufgabe der Forschergruppe habe darin bestanden, die historische Veränderung der Landnutzung in vier Flußsystemen zu erfassen. Dazu wurden unter anderem Bilder von Google Earth herangezogen. "Wir möchten die lokalen politischen Entscheidungsträger beraten, wie sie Staustellen der Wasserwege abbauen können", erklärte die Referentin in ihrem mit vielen Bildern sehr anschaulich gemachten Vortrag. Fotos vorzulegen sei sehr wichtig, um die örtlichen Behördenvertreter von dem Problem der Überschwemmungen zu überzeugen. Wenn man dagegen lediglich abstrakte Karten vorzeige, gewönne man nicht immer die erwünschte Aufmerksamkeit, gab sie eine Erfahrung aus der Praxis weiter.

Als weitere Aufgabe hatte sich die Forschergruppe vorgenommen, alle Staustellen an denjenigen Wasserwegen zu identifizieren, die in Zukunft gebraucht werden, um lokale Überschwemmungen zu kompensieren. Darüber hinaus wurden auch soziale Aspekte erfaßt. So wollte die Forschergruppe herausfinden, inwiefern die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft von den Überschwemmungen betroffen sind und wie sie mit den Gefahren umgehen. Dazu wurden vor Ort Befragungen sowohl der Zivilbevölkerung als auch von Behördenvertretern durchgeführt. Hierbei habe jedoch nicht der Anspruch bestanden, das Problem der Überschwemmungen an sich zu lösen, stellte Zoleta-Nantes klar. Vielmehr wollten die mit der Untersuchung betrauten Forscherinnen und Forscher helfen, die Risiken zu vermindern.

Vor drei Jahren sei Metro Manila von dem sehr gefährlichen Taifun Ondoy heimgesucht worden, berichtete die Geographin und präsentierte eine Reihe Fotos von urbaner Infrastruktur (Laternenmasten, Brücken Mauern), an denen die Höhe des Wasserstands abzulesen war. Stunde um Stunde waren die Pegel um 30 Zentimeter, teils sogar um bis zu einem Meter gestiegen. Die höheren Regionen standen 1,20 Meter unter Wasser, die flacheren ganze fünf Meter. Nach der Überschwemmung sei das Wasser binnen vier Stunden aus den höhergelegenen Stadtgebieten wieder abgeflossen, in den niedriger gelegenen Gebieten jedoch habe es noch vier Wochen gestanden.

In Manila gebe es sehr reiche Kommunen, die vorteilhaftere Flächen besiedelten, und sehr arme. In letzteren, mit ihren informellen Siedlungen, existiere oftmals nicht einmal ein Abwassersystem. Die als Entlastungs- bzw. Ausgleichsflächen für den Fall der Überschwemmung vorgesehenen Gebiete würden in Beschlag genommen, wobei das nicht allein für die informellen Siedler gelte. Die wohlhabenderen Einwohner ließen sich auf diesen vermeintlich ungenutzten Flächen Zweitwohnungen bauen.

Stadtlandschaft großflächig überschwemmt - Foto: Storm Crypt, freigegeben unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr.com

Überflutete Seen an der Küste, Metro Manila, 3. Oktober 2009
Foto: Storm Crypt, freigegeben unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr.com

Obwohl die Menschen die Evakuierungszonen kennen und wissen, wohin sie sich im Gefahrenfall begeben müssen, verändern sich die Gegebenheiten. So kann es sein, daß reiche Leute, die ihren Grund und Boden schützen wollen, Mauern errichten, aber genau dadurch die Evakuierungswege der informellen Siedler versperren. Es könne sich als nützlich erweisen, wenn Fabriken ihre Tore für die Überschwemmungsopfer öffneten, damit der Platz als Fluchtraum nutzbar werde, sagte Zoleta-Nantes. Das werde aber nicht gemacht. Teilweise nähmen Privatunternehmen sogar öffentlicher Grund in Anspruch und versperrten ihn.

Die wohlhabenderen Einwohner leben oft in festen, mehrgeschössigen Häusern und sind dadurch vor Überschwemmungen geschützt. Die ärmeren können es sich oftmals nicht leisten, ihr Haus aufzustocken, was Experten jedoch als Schutzmaßnahme dringend empfehlen. Auch müßten die Kanäle vom Müll befreit und tiefer ausgehoben werden, damit die Wassermassen schneller abfließen können, forderte Zoleta-Nantes. Schutzmauern entlang den Evakuierungswegen hingegen sollten erhöht werden. Generell seien der Katastrophenschutz und die Evakuierungspläne erheblich zu verbessern, und es sei dafür Sorge zu tragen, daß die Bestimmungen auch eingehalten werden. Zoleta-Nantes stellte ein dreistufiges Alarmsystem vor, bei dem Maßnahmen beispielsweise zur Evakuierung der Menschen je nach Gefahrenlage vorangetrieben würden.

Auch empfahl sie, daß die von Überschwemmungen bedrohten Leute zumindest vor der eintreffenden Flut gewarnt werden, und schlug als Lösungsansatz unter anderem vor, mehr Aufklärung zu leisten. Das begänne bereits bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen und deren Beteiligung an der Risikominderung. Denn das sei die Generation, die später die politischen Entscheidungen treffe. Die Curricula seien in dieser Hinsicht noch nicht sehr entwickelt. Ob auch Jugendliche aus den informellen Siedlungen in irgendeiner Form an der Gefahrenabwehr beteiligt werden, wollte im Anschluß an den Vortrag jemand aus dem Publikum wissen. Ja, die Nichtregierungsorganisation Buklod Tao habe Jugendliche mit Fotoapparaten ausgestattet, damit sie Fotos vom Zustand der Wasserläufe schössen, vor allem mit Blick auf die Menge an Müll. Auch werde den jungen Leuten gezeigt, wie man Bäume pflanze, die dann als Puffer gegen Überschwemmungen dienten, lautete die Antwort der Referentin.

Von allen Seiten dicht besiedelte Flußgabelung - Foto: Storm Crypt, freigegeben unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr.com

Notbehausungen engen Flußlauf vom Ufer her ein, Metro Manila, 20.9.2009
Foto: Storm Crypt, freigegeben unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Unported via flickr.com


Fazit

Es war wohl auch der Kürze der Vortragszeit und des weitreichenden thematischen Umfangs geschuldet, daß die Referentin das Problem der verstopften Abwasserwege durch Müll in Metro Manila nicht noch weitergehend ausgeleuchtet hat. Auch thematisierte sie nicht, unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen Menschen überhaupt dazu gebracht werden, sich informellen Siedlungen in urbanen Metropolen anzuvertrauen.

Darum sei hier ergänzend zum Vortrag angemerkt, daß es keineswegs nur die informellen Siedler sind, die die potentiellen Abflußwege mit Müll verstopfen, sondern daß dies sogar schon im behördlichen Auftrag geschehen ist. Vor drei Jahren hatten die Umweltorganisationen Greenpeace Water Patrol, EcoWaste Coalition und Buklod Tao Kalikasan protestiert, weil die Stadtverwaltung Manilas, die Metropolitan Manila Development Authority (MMDA), sowie die Regierung der wohlhabenden Stadtgemeinde Marikina große Mengen Müll, die 2009 nach Verwüstungen durch den Taifun Ondoy angefallen waren, ans Ufer des Nangka-Flusses kippen ließen [1]. Ein zehn Meter langes Plakat der Demonstranten trug die Aufschrift "Basurang itinapon ninyo, babalik sa inyo!" (Der Müll, den ihr wegwerft, kehrt als Fluch zu euch zurück!)

Bis zu 80 Prozent des Flußlaufs sei durch den Müll versperrt worden, hieß es. Durch diese Maßnahme werde der Abfluß bei Überschwemmungen behindert, lautete die sehr vernünftige Begründung der Protestierenden, von denen viele im jugendlichen Alter waren. Ob hierin vielleicht schon erste Erziehungserfolge zu sehen sind, die sich die Referentin gewünscht hat, oder ist den meisten Einwohnern Metro Manilas der Zusammenhang zwischen Müll und Verstopfung der Wasserwege eigentlich klar?

Zu fragen ist auch, warum die politischen Entscheidungsträger es hinnehmen oder gar fördern, daß Kleinbauern das Land verlassen und versuchen, in der Stadt zu überleben, wo sie in der Regel nur in informellen Siedlungen unterkommen. Landflucht ist sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal der Philippinen, aber sie ist eben auch dort wie in vielen anderen Entwicklungs- und Schwellenländern anzutreffen. Großgrundbesitzer und transnationale Konzerne beherrschen die Agrarproduktion.

In den Philippinen teilen sich zehn Prozent der Betriebe 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Es werden riesige Plantagen angelegt, die nur verhältnismäßig wenige und zudem schlecht bezahlte Arbeitsplätze bieten. Mit behördlichem Segen werden Bauern von ihrem Land vertrieben. Das sind Faktoren, die zur Landflucht beitragen. In den Städten entstehen dann informelle Siedlungen. Die sind eindeutig auch eine Folge von Enteignung oder Vertreibung, auf jeden Fall aber von politischen Entscheidungen, die gegen die Kleinbauern und informellen Siedler gerichtet sind. Wenn darüber hinaus die Stadtverwaltung nicht dafür sorgt, daß auch in den Armensiedlungen regelmäßig der Müll abgefahren wird, sollte es niemanden wundern, daß dieser sich ansammelt und bei einer Überschwemmung die dringend benötigten Wasserwege verstopft.

In den informellen Siedlungen wird der Müll aus der Not heraus ungeregelt entsorgt. Im Gegensatz dazu haben die reichen Kommunen sehr wohl eine Wahl, wo und wie sie ihren Müll verbringen. Beide Vorgänge gleichzusetzen hieße, den gesellschaftlichen Widerspruch der Armuts- und Reichtumsentstehung sowie deren fortwährende Befestigung durch politische Entscheidungsträger und gesellschaftliche Funktionseliten zu mißachten.

Im Innern der glamourösen Einkaufswelt Robinsons Place Manila - Foto: Howard the Duck, freigegeben unter der Lizenz CC-BY-SA-3.0 Unported via flickr.com

Gemeinsamkeit in der Qual der Wahl? Für die einen eine Frage des Lebensstils ... für die anderen eine des Überlebens. Robinsons Place Manila, 8.10.2009 Foto: Howard the Duck, freigegeben unter der Lizenz CC-BY-SA-3.0 Unported via flickr.com

Zahlreiche Menschen durchsuchen Müllhalde - Foto: Kounsou, freigegeben unter der Lizenz CC-BY-SA-3.0 Unported via flickr.com

Müllhalde Payatas, Metro Manila, 20.7.2007
Foto: Kounsou, freigegeben unter der Lizenz CC-BY-SA-3.0 Unported via flickr.co


Fußnoten:
[1] http://www.greenpeace.org/seasia/ph/News/news-stories/environmental-activists-take-a/


Weitere Berichte und Interviews zum Weltkongreß der Geographie 2012 in Köln finden Sie, jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Down to Earth", unter
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21. Dezember 2012