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BERICHT/057: Lebensraum Boden - Schritt für Schritt geht jeder mit? (SB)


"Landnutzung, Bodenschutz, Klimakollaps - gesellschaftliche Probleme und Gerechtigkeitsfragen"

Öffentlicher Vortrag von Prof. Felix Ekardt auf der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft an der Universität Rostock



Die Umweltbewegung Deutschlands gilt als eine der weltweit profiliertesten. Aus ihr heraus gründete sich schon vor über dreißig Jahren eine politische Partei, die zunächst in Landesparlamente einzog, dann im Bundestag Platz nahm und sich schließlich in einer Koalitionsregierung einfand. Zeitgleich mit diesem Trend wurden immer häufiger Firmen gegründet, von denen Umwelttechnologien entworfen und vermarktet wurden. Inzwischen hat sich diese "grüne Wirtschaft" zu einem festem Standbein des deutschen Mittelstands entwickelt. Darüber hinaus wird seit langem in ökologisch orientierten Gruppen, Verbänden, an Universitäten, in sozialen Netzwerken des Internets und auf vielen weiteren Flächen zwischenmenschlicher Begegnungen eine rege Debattenkultur über Umweltschutzprobleme gepflegt.

So auch auf der fünftägigen Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft vom 7. - 12. September 2013 an der Universität Rostock. Unter dem Motto "Böden - Lebensgrundlage und Verantwortung" spannten die Referentinnen und Referenten einen weiten Bogen vom Humusverlust und seine Bedeutung für die Welternährung über Boden als klimarelevanter Kohlenstoffspeicher bis zur Versiegelung der Landschaft durch Verkehrswege und urbane Agglomerationen. [1]

Redner am Stehpult - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Felix Ekardt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Einige der seit langem geführten Diskurse berührte auch Professor Felix Ekardt von der Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimaschutz Leipzig auf der Rostocker Tagung in einem öffentlichen Vortrag zum Thema "Landnutzung, Bodenschutz, Klimakollaps - gesellschaftliche Probleme und Gerechtigkeitsfragen". Der Wissenschaftler bemühte sich, seinen Ausführungen zu diesem breit angelegten Titel Struktur und Richtung zu verleihen, indem er zunächst einige Worte zu Normen als Grundlage allen gesellschaftlichen Handelns verlor. Im umfangreicheren, analytischen Teil seines Vortrags beschrieb er beispielhaft Probleme aus den im Vortragstitel genannten Feldern, um abschließend Lösungsvorschläge sowohl von allgemeiner als auch konkreter Art darzulegen.

Normen seien unverzichtbar für die Frage, wohin sich eine Gesellschaft entwickeln wolle, erklärte der 43jährige Jurist, Philosoph und Soziologe. Es stellten sich Fragen wie, ob eine Gesellschaft den Schutz von Böden wichtiger findet als das Wachstum der Wirtschaft oder ob sie die Freiheit der Konsumenten und Unternehmen heute höher bewertet als die elementaren Freiheitsvoraussetzungen auf Leben, Gesundheit und Existenzminimum der Menschen in Bangladesch in fünfzig Jahren.

Für solche Fragen seien die Geisteswissenschaften zuständig. Wohingegen allein die naturwissenschaftliche Betrachtung beispielsweise des Bodens noch keinen normativen Maßstab liefere, was Menschen tun sollten. [2] "Irgendwelche Fakten" sagten nie etwas darüber, wie die Dinge zu sein haben. Weder sagten sie etwas darüber aus, ob etwas zu begrüßen noch ob es zu bedauern ist. Das sei eine grundlegende philosophische Erkenntnis, erklärte Prof. Ekardt, der seit Oktober 2012 als Long-term Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (FIPH) tätig ist und zur Zeit an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig an einer weiteren Promotion schreibt.

Der Klimawandel mit seinen vielfältigen Implikationen für die menschliche Gesellschaft boten dem Vortragenden die Gelegenheit, einige vertiefende Erörterungen vorzunehmen. Demnach ist es allein mit technischen Hilfsmitteln nicht zu leisten, daß Deutschland bis Mitte des Jahrhunderts seine Treibhausgasemissionen pro Kopf auf 1,5 - 2 Tonnen CO2, was einem Fünftel des heutigen Werts entspricht, reduziert. Aber erst das gilt als ein ausreichend niedriges Niveau, von dem angenommen wird, daß die globale Gesellschaft damit nachhaltig leben kann. [3]

Deutschland ist gar nicht so gut aufgestellt, wie man annehmen könnte, um dieses Niveau zu erreichen, denn die angebliche 25prozentige Reduktion von Treibhausgasen seit 1990 sind zu einem wesentlichen Teil Verlagerungseffekte nach außerhalb Deutschlands; die Produktion findet überwiegend in Schwellenländern statt. Ohne eine Veränderung des Verhaltens ergänzend zu technischen Lösungen rund um Ressourceneffizienz seien die Klimaschutzziele nicht zu erfüllen, sagte Ekardt. Eigenem Bekunden zufolge betreibt er kein Technik-Bashing, doch mit Blick auf den Technik-Optimismus mancher Leute merkte er an, "daß wir technische Optionen nicht überschätzen sollten". Technik könne sehr nützlich sein, aber sie habe "inhärente Defekte und Grenzen".

Brauner Fluß mit Kohle-Leichter. Dahinter ein Hang mit verschiedenen Fabrikanlagen und mehreren qualmenden Schloten - Foto: High Contrast, freigegeben als CC-BY-2.0-DE via Wikimedia Commons

Eine Fabrik am Ufer des Jangtse, September 2008. Viele der in Deutschland konsumierten Produkte werden in China hergestellt, dem die Treibhausgasemissionen für ihre Herstellung aufgelastet werden.
Foto: High Contrast, freigegeben als CC-BY-2.0-DE via Wikimedia Commons

Der drohende globale Mangel an Phosphor, der für die Herstellung von Dünger in der Landwirtschaft unverzichtbar ist und dessen Abbau schwerwiegende Umweltprobleme nach sich zieht, diente Ekardt als weiteres Beispiel, auf das er näher einging. Demnach kann das Knappheitsproblem beim Phosphor "durch keine noch so enge Kreislaufführung" gelöst werden. Es wird auch nicht genügen, auf Ökolandbau umzusteigen. Aber: "Die größte Maßnahme wäre eine einfache, aber garantiert nicht technische: Weniger tierische Produkte essen", schlug der Referent, der sich seit zwanzig Jahren vegetarisch ernährt, vor.

In einem ständigen Wechselspiel zwischen der Änderung des politischen Rahmens und des individuellen Verhaltens, das Ekardt als Ping-Pong-Effekt bezeichnete, sollte sich die Gesellschaft langsam in eine andere Richtung entwickeln, um nachhaltiger zu werden. Als Mittel der Wahl schlägt er die schrittweise Verteuerung der Nutzung von fossilen Energieträgern vor. Dadurch würden die Konsumenten fast automatisch einen Schwenk zu den regenerativen Energieträgern vollziehen. Wünschenswert wäre eine globale Lösung, aber die Europäische Union könne auch allein vorangehen.

Das EU-Emissionshandelssystem, mit dem bestimmte Industriezweige aufgrund ökonomischen Drucks [4] dazu gebracht werden sollen, ihren Energieverbrauch weiter zu senken, bezeichnete der Referent als "geniale Idee", die jedoch schlecht in die Praxis umgesetzt worden sei. Die Reduktionsziele seien nicht anspruchsvoll genug und wesentliche Teile der Emissionslebensbereiche nicht abgedeckt worden.

Falls es keine globale Beteiligung an einem solchen System gibt, sollte aus Gerechtigkeitsgründen die schrittweise Verteuerung fossiler Brennstoffe mit "border adjustments" - Grenzausgleichsmaßnahmen oder Ökozöllen - verknüpft werden. Durch diese Maßnahme würde die Differenz bei Im- und Exporten von beispielsweise in China produzierten Gütern im Verhältnis zu dem Preis, der in Europa für ein Produkt bezahlt wird, ausgeglichen. Dann wäre es nicht mehr attraktiv, die industrielle Produktion nach außerhalb Europas zu verlagern.

Der Referent räumte ein, daß ein solches System soziale Verteilungsfragen aufwirft. Das sei aber ebenfalls vom Klimawandel oder der schleichenden Verschlechterung der Böden zu erwarten. Dadurch würden die sozial Schwächeren bei weitem stärker getroffen als die Wohlhabenden dieser Welt. Abgesehen davon könnten die Einnahmen aus dem Ökozollsystem im globalen Maßstab für soziale Maßnahmen genutzt werden, schlug er vor.


Fazit

Felix Ekardt lehnt technologischen Fortschritt nicht ab, erkennt aber eine deutliche Begrenztheit der Technik hinsichtlich der Lösung globaler Probleme wie Bodenverluste, Rohstoffmangel und Klimawandel. Deshalb hält er eine Verhaltensänderung der Menschen für unverzichtbar, damit die Nachfrage bzw. der Konsum insgesamt reduziert wird. Sich dafür zu entscheiden, kein Fleisch mehr zu essen, ist für ihn ein erster, nicht-technischer Schritt in die richtige Richtung. Auf dem Gebiet der Ordnungspolitik findet er es sinnvoll, ein wirksames Emissionshandelssystem aufzubauen, das notfalls auch von der Europäischen Union allein durchgezogen werden kann, wenn in Verbindung damit Ökozölle erhoben werden, die ein Abwandern der Industrie verhindern sollen. Die sozialen Folgen einer Verteuerung der Ressourcen könnten durch die Einnahmen abgemildert werden.

Letztere Annahme erscheint insofern recht optimistisch zu sein, als daß einkommensschwächere Haushalte bereits heute überdurchschnittlich stark beispielsweise von höheren Energiepreisen betroffen sind. Warum sollte das in Zukunft, wenn sie aufgrund gezielter politischer Maßnahmen noch mehr angehoben werden, anders sein? Wer hindert die Wirtschaft daran, ihre Mehrkosten von oben nach unten durchzureichen?

Der vorherrschende gesellschaftliche Widerspruch, der in einfachster Form als Armut von vielen und Reichtum von wenigen in Erscheinung tritt, wird durch Umverteilungsmaßnahmen gleich welcher Art oder durch die Verleihung eines grünen Anstrichs altbekannter Konzepte der Ökonomie nicht aufgehoben, sondern wie in Watte gepackt nur um so stärker befestigt. Es bestehen Zweifel, ob das ausreicht, den globalen Bedrohungen den Boden zu entziehen.

Plantage mit Sojabohnen bis zum Horizont - Foto: Tiago Fioreze, freigegeben als CC-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Soja satt - Tierfutter-Monokultur für Hochkonsumländer. Rio Grande do Sul, Brasilien, 8. Januar 2008
Foto: Tiago Fioreze, freigegeben als CC-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] Näheres zur Pressekonferenz der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft im Schattenblick-Pool UMWELT, REPORT unter:
BERICHT/056: Lebensraum Boden - Verschieben, verdrängen, ersetzen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0056.html

[2] Die im Wissenschaftsbetrieb übliche Unterscheidung in Naturwissenschaften, die Empirie betreiben, und Geisteswissenschaften, die dazu den normativen Rahmen setzen, ist insofern zu hinterfragen, als daß auch die Empirie niemals im normfreien Rahmen betrieben wird. Bereits die Herangehensweise des Zählens, die Art der Fragestellung, die Wahl der angewandten Methoden, die Verarbeitung und Präsentation der Ergebnisse sowie die daraus gezogenen Schlußfolgerungen sind von Normen bzw. gesellschaftlichen Wertmaßstäben bestimmt. Unstrittig ist natürlich, daß sich die Geistes- und die Naturwissenschaften die Zuständigkeiten für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion, auf die der Referent rekurriert, untereinander aufgeteilt haben. Insofern bewegt sich Ekardt auf wissenschaftlich abgesichertem Boden, wenn er beispielsweise konstatiert, daß es bei der Frage, ob man die grüne Gentechnik vorantreibt oder nicht, nicht nur um naturwissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Wirkungen geht, für die dann eher die Geisteswissenschaften zuständig sind.

[3] 1,5 - 2 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr entspricht ungefähr dem heutigen Stand Indiens.

[4] In der Regel sind Unternehmen bereits darum bemüht, ihre Betriebskosten zu senken. Dazu zählt dann auch, den Energieverbrauch möglichst gering zu halten. Mit dem EU-Emissionshandelssystem wird dieser Anreiz noch verstärkt, weil die an dem System beteiligten Unternehmen nicht nur für die Energie zur Kasse gebeten werden, sondern auch für die beim Energieverbrauch produzierten Treibhausgasemissionen.

17. September 2013