Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

BERICHT/092: Kettenbruch - Bienensterben im Blick der Forschung ... (SB)


bee careful - Initiative zur Erforschung der Bienengesundheit durch die Schwartauer Werke

Vorstellung des ersten norddeutschen "Hightech-Bienenstocks" am 10. Oktober 2014 in Bad Schwartau



Die Honigbiene ist das drittwichtigste Nutztier in Deutschland und das nicht nur, weil hierzulande so viel Honig verkonsumiert oder rund um Weihnachten so viele Bienenwachskerzen angesteckt werden, sondern weil sie ein unverzichtbarer Bestäuber von Blütenpflanzen ist. Dazu gehören zum Beispiel die Erdbeere, der Apfelbaum, der Kürbis und auch der Klee. Rund 80 Prozent aller Nutzpflanzen sind von der Bestäubung durch die Bienen abhängig.

Weil es in den letzten Jahren immer wieder zu enormen Verlusten an Bienenvölkern gekommen und die Kette der Ursachen selbst für Experten schwer zu brechen ist, haben die Schwartauer Werke die Initiative "bee careful" (www.bee-careful.de) gegründet. In Zusammenarbeit mit der digitalen Forschungsplattform HOBOS (HOneyBee Online Studies; www.hobos.de) wurde am Rande des Firmengeländes des Werks 2 in Bad Schwartau eine Bienenforschungsstation eingerichtet - die erste dieser Art in Norddeutschland. Über die digitale Vernetzung dieses mit zahlreichen Sensoren ausgestatteten "Hightech-Bienenstocks" können Vergleichsstudien zu einer ähnlichen Forschungsstation in Würzburg, jedoch mit sehr verschiedenen Umweltbedingungen, durchgeführt werden.

Bienenstock mit zahlreichen Bienen auf einem Tisch in einer Holzhütte und einer Reihe von Meßgeräten sowie Kameras - Foto: © 2014 bee careful / Schwartauer Werke

Bienen unter Beobachtung - Blick in das Innere der Forschungsstation
Foto: © 2014 bee careful / Schwartauer Werke

Über eine Minikamera und per Livestream kann jedermann über das Internet direkt in den Bienenstock blicken und die Bienen beobachten. Eine weitere Kamera am Eingang nimmt die Ein- und Ausflüge auf, die zudem durch eine Lichtschranke registriert werden. Die Nachtaktivität der Bienen wird über eine Infrarotkamera verfolgt. Mit weiteren Sensoren messen die Forscher das Gewicht des Stocks sowie die Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Innern.

Die Daten werden für jedermann frei zur Verfügung gestellt. Das habe bereits die Forschungsarbeit eines US-amerikanischen Kollegen ermöglicht, berichtete Prof. Dr. Jürgen Tautz, Leiter der BEEgroup des Biozentrums der Universität Würzburg, der den Schwartauer "Bien" oder "Superorganismus" - so die Fachbezeichnungen für ein Bienenvolk -, wissenschaftlich begleitet. Der Initiator von HOBOS gilt als einer der renommiertesten Bienenexperten Deutschlands und war zum offiziellen Startschuß von "bee careful" gemeinsam mit Kollegen eigens aus Würzburg angereist. Die Vor-Ort-Betreuung des rund 40.000 Exemplare umfassenden Bienenvolks und die technische Wartung der neuen Station übernimmt der Imker Michael Mietz aus Bad Oldesloe, der auch eines seiner elf Bienenvölker hierher umgesiedelt hat.

Kann man schon Genaueres zu den Ursachen des Bienensterbens sagen, wurde bei der Pressekonferenz am 10. Oktober in den Schwartauer Werken eine Frage aufgeworfen, die sicherlich viele Menschen bewegt. "Wieviel Zeit haben Sie für die Beantwortung?" lautete die mit einem Schmunzeln vorgebrachte Gegenfrage von Prof. Tautz, der anschließend veranschaulichte, wie ungeheuer aufwendig eine wissenschaftliche Erforschung auch nur eines einzigen möglichen Einflußfaktors wäre. Mit HOBOS verfolge man einen ganzheitlichen Ansatz, sammle Daten aus dem Stock und aus der Umgebung und rücke ihnen mit modernen Forschungswerkzeugen der Sensorik und Datenverarbeitung auf den Leib.

Prof. Tautz mit einer Biene auf der ausgestreckten Hand am Eingang zur Forschungsstation - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Jürgen Tautz reicht den Bienen die Hand
Foto: © 2014 by Schattenblick

Eine einfache Antwort auf die drängende Frage, woran die Bienenvölker sterben oder warum manchmal die Stöcke ohne die erwachsenen Tiere vorgefunden werden - das Bienensterben wird auch als Völkerkollaps bzw. "colony collapse disorder" (CCD) bezeichnet - gibt es nicht. Die aus Asien eingeschleppte Varroa-Milbe, die wiederum Viren übertragen kann, ist einer der am häufigsten genannten Gründe. Eine Vermutung hierzu lautet, daß die Westliche Honigbiene im Unterschied zu ihren asiatischen Verwandten nicht gelernt hat, daß ein Milbenbefall dann bewältigt werden kann, wenn befallene Larven regelmäßig aus dem Stock befördert werden. Auch der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft gilt als Risikofaktor. Vielleicht spielen aber auch Faktoren wie Überzüchtung, Monokulturanbau, Parasiten wie die Buckelfliege, klimatische Veränderungen, Mobilfunk oder auch industrielle Formen der Imkerei eine Rolle. Man hat es hier mit einer multifaktoriellen Gemengelage potentieller Schadensauslöser zu tun.

Als Produzent von Konfitüren und anderen Fruchtprodukten haben die 1899 gegründeten Schwartauer Werke naturgemäß ein vitales Interesse am Schutz der Bienen. Ein Unternehmen müsse sich manchmal "selbst neu erfinden, sich eine neue Philosophie geben", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Schwartauer Werke, Sebastian Schaeffer. Der Aufbau der Forschungstation im Rahmen von bee careful sei erst der Beginn einer umfassenden Transparenzstrategie. Das langfristig ausgerichtete Engagement der Schwartauer Werke solle auf wissenschaftlichen Beinen stehen. Ideen und Anregungen seien gerne gesehen.

Das Unternehmen verarbeitet jährlich 30.000 Tonnen Früchte. Schaeffer machte darauf aufmerksam, daß die Bienen nicht nur technisch für die Befruchtung der Blütenpflanzen wichtig sind, sondern daß sie auch eine bessere Qualität erzielen. Untersuchungen hätten gezeigt, daß von Bienen bestäubte Erdbeeren größer, gleichmäßiger und schmackhafter werden.

Dr. Sebastian Portius, der für Forschung und Entwicklung zuständige Geschäftsführer bei den Schwartauer Werken, sagte ein langfristiges Engagement des Unternehmens für bee careful zu. Das Unternehmen will die Forschungen zu der Honigbiene unterstützen, die Imkerei fördern und Schulkinder für das Thema sensibilisieren. Daß auch die Imker mit ins Boot geholt werden, ist insofern naheliegend, als daß sie es sind, die die Bienenstöcke an die Felder und Obstplantagen heranbringen und so dafür sorgen, daß die Bienen die Blütenpflanzen bestäuben.

Verschieden hoch mit Erdbeeren, Birnen, Äpfeln und Pfirsichen gefüllte Paare von Glasröhren veranschaulichen die prozentualen Verluste an Früchten, wenn die Bienen nicht mehr da wären. - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Säulendiagramm" als Modell - Ohne Bienen würden rechnerisch nur fünf Prozent der Pfirsichbäume bestäubt.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Auf dem Gebiet der schulischen Wissensvermittlung haben die Expertinnen und Experten von HOBOS, mit denen das Unternehmen seit gut fünf Monaten zusammenarbeitet, schon einiges an Vorarbeit geleistet, indem Lehr- und Lernmaterial für unterschiedliche Schularten und Klassen entwickelt wurde. Es sollen nicht einfach nur die alten Schulbuchinhalte auf neue elektronische Medien gebracht werden, machte Prof. Tautz deutlich. Ihre Initiative unterstütze einen modernen, interdisziplinären Unterricht.

Die Website von bee careful ist seit dem 10. Oktober online und soll zunehmend mit Informationen rund um die Bienengesundheit aufgefüllt werden. Solche Formen des "Öko-Sponsoring" durch Unternehmen, wie sie hier vorgestellt wurden, sind in der Wirtschaft nicht unüblich, allerdings machen die Initiatoren von bee careful erstens keinen Hehl aus ihrem Anliegen und zweitens gäbe es ohne die Bestäubung durch Bienen sehr viel weniger Obst und Gemüse. Das Bienenvölkersterben zu verhindern, indem man die Voraussetzungen zur Erforschung dieser Tiere schafft, ist somit eine Frage, die weit über das nachvollziehbare ökonomische Interesse eines einzelnen Unternehmens hinausgeht.

Mit Zahlenangaben wie jenen, daß den Bienen in Deutschland eine Bestäubungsleistung im Wert von rund 2,7 Mrd. Euro jährlich zukommt oder der volkswirtschaftliche Nutzen der Bienen weltweit auf 153 Mrd. Euro geschätzt wird, kann nicht annähernd die existentielle Bedeutung dieser Tiere für die Menschen zum Ausdruck gebracht werden. Würden die Bienen aus irgendeinem Grund von einem Jahr zum nächsten von der Erdoberfläche verschwinden, brächen ganze Industriezweige zusammen und es wäre mit schwersten sozialen Verwerfungen sowie einem vermehrten Auftreten von Hunger in der Welt zu rechnen.

Die Biene befindet sich an einer existentiell bedeutenden Schnittstelle der menschlichen Gesellschaft. Am Beispiel der bedrohten Gesundheit dieser Tiere wird deutlich, daß sich die Halter dieser "Nutztiere" in eine tiefe Abhängigkeit begeben haben, die ihnen auf die Füße fallen könnte. Das gilt möglicherweise um so mehr, wenn die Projektionen der Klimaforscher zutreffen, daß die globale Durchschnittstemperatur um vier oder fünf Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts steigen könnte, falls nicht entschieden dagegengesteuert wird.

Bienen gibt es zwar schon seit vielen Millionen Jahren, in denen auf der Erde mal ein heißes, mal ein kaltes Klima herrschte. Als Art haben die Tiere solche wechselhaften Verhältnisse offensichtlich irgendwie überstanden, und sei es durch den Rückzug in klimatisch weniger unwirtliche Zonen. Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bienen in einer Welt des Klimawandels zu erforschen, wird sicherlich zu den Themen gehören, denen in der Initiative bee careful in Zukunft weiter nachgegangen wird.

Bildschirm mit Livestream der Endoskopiekamera in den Bienenstock - Foto: © 2014 by Schattenblick

Blick ins Innere des Bienenstocks
Foto: © 2014 by Schattenblick

12. Oktober 2014