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BERICHT/099: Die Uhr tickt - klimatisch begrenzen Profitpräferenzen ... (SB)


"Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015"

Internationales Symposium zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Graßl am 18. März 2015 an der Universität Hamburg

Der Schweizer Ökonom Dr. habil. Ulrich Hoffmann über die noch immer unterschätzte Bedeutung der Landwirtschaft für den Klimawandel


Zur Zeit leiden über 805 Millionen Menschen chronisch Hunger. Vor sieben Jahren waren es eine Milliarde, vor zehn Jahren 850 Millionen und vor 25 Jahren über 900 Millionen Menschen, die nicht genügend zu essen hatten und deshalb regelmäßig hungern mußten. Der Wert schwankt auf einem hohen Niveau. Der versteckte Hunger (chronische Unterernährung) wird von diesen Werten noch nicht einmal erfaßt und betrifft rund 2,5 Milliarden Menschen. [1]

Offensichtlich ist das vorherrschende landwirtschaftliche Produktionsmodell nicht in der Lage, alle Menschen ausreichend zu ernähren. Zur Mangellage tragen maßgeblich bei: Der politische Ordnungsrahmen, der unter anderem der industriellen Landwirtschaft den Vorzug gibt, die wirtschaftliche Grundorientierung, die Unternehmen primär nicht darauf abzielen läßt, den Hunger zu beenden, sondern Profite zu realisieren und zu expandieren, und die Anbausysteme, die hohe Inputs (lizenziertes Saatgut, Dünger, Agrochemikalien) erfordern.


Beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dr. habil Ulrich Hoffmann
Foto: © 2015 by Schattenblick

Das landwirtschaftliche Produktionsmodell erweist sich noch in anderer Hinsicht als heikel: es trägt massiv zum Klimawandel bei. Über diesen Aspekt berichtete der Schweizer Ökonom Dr. habil. Ulrich Hoffmann am 18. März 2015 auf dem Symposium "Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015", das aus Anlaß des 75. Geburtstags des Meteorologen Prof. Dr. Hartmut Graßl an der Universität Hamburg veranstaltet wurde. Obwohl auf die globale Landwirtschaft nur 3 - 4 Prozent des Weltbruttoprodukts entfallen, seien auf die Landwirtschaft einschließlich der Landnutzungsänderungen etwa 30 Prozent des Klimagasausstoßes zurückzuführen, erklärte Hoffmann, der über drei Jahrzehnte beim Sekretariat der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf tätig war und seit Januar 2015 Chefökonom des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) ist. Berücksichtige man dazu noch die lebensmittelverarbeitende Logistik, die Vermarktung von Lebensmitteln und den Lebensmittelkonsum, erhöhe sich der Anteil der Landwirtschaft am globalen Klimagasausstoß auf über 40 Prozent.

Der prozentuale Anteil, den die Landwirtschaft an den anthropogenen Treibhausgasemissionen (wie CO2, Methan, Lachgas) hat, wird zwar unterschiedlich hoch bewertet. So gibt das Bundesumweltamt für Deutschland einen Wert von 13 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes an, der direkt oder indirekt aus der Landwirtschaft stammt [2] - wobei eigentlich immer auch der hiesige Konsum und Lebensstil berücksichtigt werden müßten, für den beispielsweise tropischer Regenwald gerodet wird -, aber generell wird die Bedeutung der Landwirtschaft für den Klimawandel als sehr hoch eingeschätzt.

Das bestätigte auch Prof. Dr. Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung bei einer Podiumsdiskussion des Symposiums. Als Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe 3 zu dem im vergangenen Jahr erschienenen 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) genoß er einen tieferen Einblick in das Zustandekommen dieser etwa alle sechs Jahre herausgegebenen Berichte. Die wichtigste Innovation gegenüber dem 4. Sachstandsbericht sei die enorme Bedeutung der Landnutzungsdynamik: "Je ambitionierter die Klimapolitik, desto bedeutender wird die Landwirtschaft und vor allem der Produktionsfaktor Boden."

Zu den wichtigen Landnutzungsoptionen zählte Edenhofer die Aufforstung sowie die Produktion von Bioenergie in Verbindung mit CCS-Verfahren, also der Abscheidung und Lagerung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Storage) aus Kraftwerken, in denen fossile Energieträger verbrannt werden - ein durchaus umstrittenes Konzept, da es noch nicht genügend erforscht ist, aber zur Legitimation der fossilen Energiewirtschaft und somit zu unvermindert hohen CO2-Emissionen beitragen könnte.

Hoffmann nannte in seinem Vortrag weitere Punkte, die seiner Einschätzung nach sowohl von Klimaforschern als auch der Öffentlichkeit in Hinblick auf die Agrarproduktion vernachlässigt werden. Die bereits hohen Emissionen aus der Landwirtschaft werden zwischen 2010 und 2030 um weitere 40 bis 60 Prozent steigen. Dabei entfällt der Hauptanteil auf die Entwicklungsländer.

Es war wohl allein der gebotenen Kürze des Vortrags wie auch der zeitlichen Begrenztheit der anschließenden Podiumsdiskussion geschuldet, daß der Referent die Brisanz dieser Prognosen nur mit wenigen Sätzen andeutete. Er berichtete, daß nach Einschätzung der FAO und des Umweltprogramms der Vereinten Nationen der Klimawandel das landwirtschaftliche Produktionsvolumen vor allem im Subsahararaum, aber auch in Südasien um über 50 Prozent bis 2080 reduzieren wird - bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum um 40 (Südasien) bzw. 50 Prozent (Subsaharastaaten). Dies erhöhe die Gefahr regionaler und internationaler Konflikte um fruchtbare Böden und den Zugang zu Wasser und löse große internationale Migrationsbewegungen aus. Das werde in den kommenden Jahrzehnten zu einer Frage der internationalen Sicherheit.

Auf den Punkt gebracht bedeuten Hoffmanns Ausführungen, daß in einer Weltregion, in der schon heute Hunderte Millionen Menschen mangelernährt sind, in Zukunft erheblich weniger Nahrungsmittel erzeugt werden, von denen jedoch sehr viel mehr Menschen satt werden müssen.

Ergänzend zum Vortrag ist zu sagen, daß ein weiterer Aspekt dieses politischen Sprengstoffs in dem seit Jahren zu beobachtenden Trend besteht, daß ausländische Investoren in Afrika Landfläche pachten oder kaufen, um darauf Produkte für den Export (Nahrungsmittel, Agrosprit) anzubauen. Da wird also nicht nur Fläche in Anspruch genommen, die von der heimischen Bevölkerung dringend für die Eigenversorgung gebraucht würde, sondern die Böden werden auch ausgelaugt, also ihrer organischen Anteile, die in den tropischen Breiten sowieso gering sind, beraubt. Außerdem werden Unmengen Wasser verbraucht, das in vielen Gegenden der Subsaharastaaten chronisch oder zumindest jahreszeitlich knapp ist.

Hoffmann sieht es als die mit Abstand wichtigste Klimaschutzmaßnahme auf dem Gebiet der Landwirtschaft an, die Kohlenstoffaufnahmefähigkeit der Böden zu stärken bzw. umgekehrt zu verhindern, daß es zu weiteren Verlusten an kohlenstoffreichen Böden kommt. Wenn Moore und Sümpfe trockengelegt und Wälder gerodet werden, setzt dies große Mengen an Kohlenstoff frei. Das zu unterbinden sowie darüber hinaus die Kohlenstoffaufnahmekapazität von Böden durch agroökologische Methoden des globalen Nährstoffrecyclings zu erhöhen, zählt der Schweizer Ökonom ebenso zu den sinnfälligen Klimaschutzmaßnahmen wie die Stärkung der Weidewirtschaft und die Integration von Feld- und Viehwirtschaft.

Es geht ihm um die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität auf nachhaltige Art, was seiner Einschätzung nach "große Bedeutung für die Kleinbauern" hat. Solche Transformationsmaßnahmen böten viele Co-Vorteile: Eine höhere CO2-Aufnahmekapazität der Böden (zumeist durch organische Anteile) erhöht die Fruchtbarkeit und damit das Produktivitätspotential. Das wiederum stärkt die ländliche und regionale Entwicklung. Darüber hinaus fördert es die Anpassungsfähigkeit des Bodens und damit auch der Produktionssysteme an den Klimawandel. Das kommt der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zugute und trägt zur effektiven Hungerbekämpfung in ländlichen Gebieten bei, erklärte Hoffmann und faßte dies noch einmal zusammen: "Die Reduzierung des landwirtschaftlichen Klimagasausstoßes ist die Gewährleistung von Ernährungssicherheit, und nachhaltige ländliche Entwicklung von größter strategischer Bedeutung für den globalen Süden in den nächsten Jahrzehnten."

Die von ihm beschriebenen Transformationsansätze würden nur erfolgreich sein, wenn zugleich einige der entscheidenden Strukturprobleme der globalen Landwirtschaft in Angriff genommen werden. Das betreffe vor allem die industrielle Viehwirtschaft, die für bis zu 80 Prozent der landwirtschaftlichen Klimagase verantwortlich sei. Der Fleischverbrauch müsse verringert werden, und es dürften nicht mehr so viele Nahrungsmittel weggeworfen werden. Zudem müsse "über die künftige Rolle der Biotreibstofferzeugung neu nachgedacht werden".

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion positionierte sich Hoffmann ebenfalls deutlich. Auf die Frage nach dem Einfluß der Agrarlobby auf die Politik antwortete er, daß die Technologien, um eine Transformation, wie er sie angedeutet habe, durchzuführen, existierten, aber daß sie nicht eingesetzt werden, habe in der Tat mit dem Einfluß von Lobbygruppen zu tun. Die heute vorherrschende Landwirtschaft sei sehr kohlenstoff-input-abhängig, sie erfordere den Einsatz großer Mengen an Treibstoff, Agrochemikalien und Düngemitteln. Daran etwas zu ändern sei möglich, führe aber zu mehr Autonomie. Man habe dann mehr lokale Kreisläufe und keine internationalen, langen Lieferketten mit zentralen Aufkäufern, Händlern und Vermarktern.

Viele Kleinbauern und die biologisch ausgerichtete Landwirtschaft sind keine Kunden für die großen Agrochemieunternehmen. Das sei das Problem, wo es politisch werde. Die Lobbyisten verfolgten ein Modell, das man aus der Energiebranche kenne: zentral. Die Transformation zur Dezentralität dagegen bietet viele Chancen sowohl aus Klima- und ökologischer Sicht als auch aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht, schloß Hoffmann seine Einlassungen.

Der Vortrag über die Bedeutung der Landwirtschaft für den Klimawandel (und nicht, wie häufiger beschrieben, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft) zeigt, daß das Thema wichtig ist und in Zukunft noch mehr Beachtung finden dürfte. Unerwähnt geblieben war in der Diskussion die Bedeutung der Agrarsubventionen für die Höhe der Treibhausgasemissionen. Die 25 in der OECD zusammengeschlossenen Industriestaaten haben im Jahr 2013 ihren Landwirten mehr als 258 Milliarden Dollar an Subventionen zukommen lassen. [3] Zwar wird diese Form der finanziellen Unterstützung in den letzten zwei Jahrzehnten allmählich zurückgefahren, aber noch immer haben hiesige Landwirte auf dem Weltmarkt einen deutlichen Konkurrenzvorteil gegenüber ihren Kollegen in den Ländern des Südens. Noch immer kommt es vor, daß in Afrika lokale Märkte durch die billigen Nahrungsexporte aus der EU und damit auch die Existenzgrundlage von Kleinbauern zerstört werden. Diese Praxis einzustellen wäre ein weiterer "Co-Effekt", wie sie Dr. Hoffmann in seinem Vortrag zur Transformation der Landwirtschaft aus Klimaschutzgründen angesprochen hat.


Fußnoten:


[1] https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/einrichtungen/hiddenhunger/Exposee_Hidden_Hunger.pdf

[2] http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/461/publikationen/4397.pdf

[3] http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-09/subventionen-landwirte


Unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT sind unter dem kategorischen Titel "Die Uhr tickt" bereits folgende Schattenblick-Beiträge erschienen:

BERICHT/098: Die Uhr tickt - mit und ohne Instanzen ... (SB)
Die globale Weltbürgergesellschaft macht sich auf den Weg
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0098.html

INTERVIEW/174: Die Uhr tickt - Solidarintervention Klimarettung ... Prof. Dirk Messner im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0174.html

INTERVIEW/175: Die Uhr tickt - auf niemand kann verzichtet werden ... Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0175.html

8. April 2015


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