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BERICHT/138: Landwirtschaft 4.0 - die Stickstoffalle ... (SB)




Sämtliche (unten im Text erwähnten) Podiumsteilnehmer nebeneinander hinter Stehtischen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Eröffnungsdiskussion zum 5. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung
Foto: © 2018 by Schattenblick

Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, da stehe noch jemand mit auf dem Podium, unsichtbar, schweigend, aber geradezu gespenstisch präsent. Grenzten sich doch viele der geladenen Gäste gegenüber einem Standpunkt ab, den gar niemand vertreten hatte. Da wurden "religiöse Diskussionen" kritisiert, die angeblich geführt würden und aus denen man "rauskommen" müsse; da grenzte man sich gegenüber einem "Polarisieren" sowie einer "ritualisierten Auseinandersetzung über den richtigen und falschen Weg, die richtige oder falsche Form der Agrarproduktion" ab, und ähnliches mehr. Die Rede ist vom 5. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung, der von der Wochenzeitung "Die Zeit" und der "agrarzeitung", die beide zur dfv Mediengruppe gehören, am 5. Juni 2018 in den Bolle-Festsälen in Berlin-Moabit organisiert wurde.

Selbst Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die zuvor eine rund halbstündige Schlüsselrede gehalten hatte, behauptete, offenbar auf einen nicht näher ausgeführten Diskurs zur Landwirtschaft abhebend, daß die "Quantität der Unterschriften" nicht die "Qualität der Argumente" ersetzen könne. Solch eine Aussage ausgerechnet aus dem Munde einer Politikerin, die von Berufs wegen alle vier Jahre um den quantitativen Zuspruch der Wählerschaft bemüht ist ...

Respektive in der ersten Diskussionsrunde, die sich um die Frage "Kreislaufwirtschaft als Leitbild für die Agrarpolitik?" drehte, wurde häufiger auf jenen offenkundig streitbaren, indes nicht näher ausgeführten Standpunkt rekurriert. Unter der Moderation von Dr. Angela Werner von der "agrarzeitung" diskutierten die Privatdozentin Dr. Barbara Amon (Abteilung Technikbewertung und Stoffkreisläufe des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. ), Franz-Josef Holzenkamp (Präsident Deutscher Raiffeisenverband e.V. - DRV), Prof. Dr. Matin Qaim (Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen) und Dr. Alfred Petri (Evonik Nutrition & Care GmbH). Eingedenk der mit 35 Minuten doch recht knapp bemessenen Zeit, die für diese erste von insgesamt vier Gesprächsrunden des 5. Zukunftsdialogs anberaumt worden war, verwundert es nicht, daß sich die Diskussion formal im wesentlichen auf Fragen der Moderatorin und Antworten der Gäste beschränkte und kaum über zwei bis drei Stellungnahmen pro Person hinauskam.

Die EU hat im Mai 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingereicht, da es die Nitratrichtlinie nicht eingehalten hat. Seit Jahren gelangt zuviel Dünger aus der Landwirtschaft in die Gewässer und ins Grundwasser, und so lautete die erste Frage der Moderatorin, welche Probleme wir mit Nährstoffüberschüssen in Deutschland haben.

Dazu nannte Amon das Beispiel Stickstoff. Sie forderte, daß die Landwirtschaft stickstoffeffizienter arbeitet. Verluste an Stickstoff erzeugten eine Reihe von Umweltproblemen wie Nitrat im Grundwasser, Artensterben, Versauerung der Böden, Waldsterben, massive Feinstaubbelastung durch Ammoniak und Klimawandel. Laut Amon entstehen durch Stickstoffverluste in der Europäischen Union jährliche Gesundheitskosten von 320 Mio. Euro. Ganz Mecklenburg-Vorpommern arbeite ausschließlich dafür, die Gesundheitskosten der Landwirtschaft zu reparieren, zog die Agrarwissenschaftlerin einen eindrücklichen Vergleich. Sie setzte allerdings ihre Hoffnung auf neue technologische Mittel der Robotik und Digitalisierung, des Big Data und auch der Schnelldurchsatzverfahren bei der Genomanalyse.

Franz-Josef Holzenkamp machte zunächst darauf aufmerksam, daß der Begriff "Kreislaufwirtschaft" in der Fragestellung nicht eindeutig definiert ist und man nicht sagen kann, ob er betriebs-, regional- oder landesspezifisch gemeint ist. Für die DRV bedeute Kreislaufwirtschaft in erster Linie "Abreicherung", also das Vermeiden von Einträgen. Was nicht in den Kreislauf reinkommt, müsse man später nicht rausholen, so sein Credo. Das sei durchaus machbar, erklärte er und verwies auf Dänemark. Das Land erzeuge sechsmal mehr Nahrung, als es selbst verbrauche, produziere insbesondere große Mengen an Schweinefleisch und setze Fütterungskonzepte konsequent um. Die Belastung der Umwelt durch die tierische Erzeugung könne durch eine effizientere Nutzung bestehender Ressourcen vermieden werden, und was trotz der Bemühungen um Vermeidung von Nährstoffeinträgen übrig bleibe, solle zur Erzeugung von Biogas verwendet werden.

Der Wirtschaftsvertreter Petri erklärte, daß die angesprochene ökologische Nachhaltigkeitskomponente bei der Bewertung von Futtermitteln "in der linearen Optimierung des Futters" bereits mit berücksichtigt werde. Dazu gebe es Ansätze, die müsse man weiter vorantreiben.

Wir müssen uns in der Gesellschaft klarer werden, daß Technologie in der Landwirtschaft nicht Teil des Problems, sondern der Lösung sein muß, forderte Matin Qaim. Das sah auch Amon so, die meinte, daß die Landwirtschaft einen großen Wert produziere, indem sie ein Grundbedürfnis der Menschen abdecke. Deshalb müsse es bei uns eine Bewußtseinsänderung geben. Sie plädierte für eine gemeinsame Lösungssuche und sprach sich gegen ein Gegeneinanderarbeiten aus.

Sowohl Holzenkamp als auch Qaim befürworteten prinzipiell den Handel, wobei der Raiffeisenpräsident von einem Abwägungsprozeß zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen sprach. Mit technischer Innovation müsse daran gearbeitet werden, "daß wir besser werden". Qaim wiederum führte die hohen Importmengen von Soja aus Brasilien darauf zurück, daß hierzulande zuviel Fleisch und tierische Produkte konsumiert werden. Eine Reduzierung des Verbrauchs könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, die Umweltprobleme hüben wie drüben zu vermeiden, meinte er.

"Wir müssen Essen wieder einen Wert geben", forderte Andreas Sentker, Ressortleiter Wissen bei der Zeit, der gemeinsam mit Angela Werner die Moderation der Tagung übernommen hatte, in der Einleitung der Veranstaltungsbroschüre.

Die sozialen Folgen einer Wertsteigerung von Lebensmitteln gemäß dieser nicht nur von Sentker aufgestellten Forderung wären sicherlich einen eigenen "Zukunftsdialog" wert. Zu so einem Treffen innerhalb dieser Gesprächsreihe wird es vermutlich niemals kommen, präsentierte sich die Veranstaltung doch auch in ihrem fünften Jahr als recht regierungs- und industrienah, also näher am Deutschen Bauernverband als an der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, näher an agroindustriellen Chemieunternehmen als an Ökolandbauhöfen, näher am wachstumsapologetischem Mainstream als an Ernährungssouveränität reklamierenden Produzenten.

Warum man jenem eingangs erwähnten "Gespenst" keine eigene Stimme verliehen hat und dessen Standpunkt über Abgrenzungsbemühungen der selbsterklärten anderen Seite bestenfalls zu erahnen war, müssen die Veranstalter selbst wissen. So entstand der Eindruck, man wolle unter sich bleiben und womöglich niemanden von den einflußreichen Lobbygruppen oder gar Sponsoren vor den Kopf stoßen. Das Resümee dieses ersten von mehreren geplanten Berichten zum 5. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung 2018: Die eingeladenen Gäste konnten als hochkarätig angesehen werden. Es wurde eine Reihe von Standpunkten ausgetauscht, doch entsprechend der doch recht allgemein gehaltenen Ausgangsfrage waren die Antworten wenig aufeinander bezogen, so daß erst gar keine Diskussion aufkam. Daß dies bei den weiteren Podiumsdiskussionen nicht so blieb, zählte sicherlich zu den spannendsten Seiten des Treffens.


Porträt, bei ihrer Rede - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Ernährung wird zur Schicksalsfrage"
(Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, 5. Juni 2018, Berlin)
Foto: © 2018 by Schattenblick


12. Juni 2018


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