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INTERVIEW/024: Bagger fressen Erde auf - Alfred Weinberg über Kontinuität im Umweltaktivismus (SB)


Vom sozialen Widerstand zum Lebensentwurf

Interview in Köln am am 29. Juni 2012

Alfred Weinberg ist langjähriger Umweltaktivist und im Antibraunkohlenetzwerk ausgeCO2hlt aktiv. Der zu einem großen Teil ehrenamtlich tätige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut hat seine Praxis unlängst von Köln nach Bergheim-Rheidt ins Rheinische Braunkohlerevier verlegt. Anläßlich der Sitzung des Regionalrats der Bezirksregierung Köln am 29. Juni 2012, in dem die politische Weichenstellung für den Bau des Braunkohlekraftwerks BoAplus in Niederaußem vollzogen wurde [1], beantwortete Alfred dem Schattenblick einige Fragen zur Geschichte des Braunkohlewiderstands und zu seinen persönlichen Erfahrungen in der Umweltbewegung.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alfred Weinberg
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Wie lange bist du schon Aktivist in der Umweltbewegung?

Alfred Weinberg: Ich bin seit 1975 in der Umweltbewegung, also eigentlich seit es sie gibt.

SB: Hast du als Anti-AKW-Aktivist angefangen?

AW: Ja. Es begann mit dem Atomkraftwerk Wyhl im Kaiserstuhl in der Nähe von Freiburg. Dort fand damals die erste große Waldbesetzung statt, die sehr erfolgreich war. Das Atomkraftwerk ist nie gebaut worden, und das ist eigentlich auch das Modell für den Hambacher Forst. Das war ein wunderschönes Wald- und Naturschutzgebiet mit vielen alten Eichen und Buchen. Dieser riesige Wald über 8,5 km mal 10 km war eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in NRW. Dort standen keine Nadelbäume, es war also keine Baumfabrik. Und jetzt befindet sich dort auf ca. 60 Quadratkilometern das größte Loch Deutschlands, eben der Hambacher Tagebau, den man nun auch noch erweitern will. Darin sind Bäume wie 500jährige Eichen versunken. Nun soll auch noch der Rest des Waldes vernichtet werden und ein Bild der Verwüstung hinterlassen.

1978 war ich dabei, als das Ökologieprojekt des Asta von der RWTH Aachen mitgegründet wurde. Bald darauf hatten wir mit der ersten Bürgerinitiative dort, die "Verheizte Heimat" hieß, Kontakt aufgenommen. 1985 ist nach sieben Jahren Recherche ein gleichnamiges Buch über den Braunkohletagebau und seine Folgen erschienen, in dem alles aufgeführt ist [2]. Durch den Tagebau ist alles vernichtet worden, Dörfer, Bauernhöfe, schöne Kirchen und Gutshöfe, vor allen Dingen aber der Wald. Wir haben versucht, uns dagegen zu wehren, aber es ist schon damals so gewesen, daß der BUND zunehmend Einfluß nahm und die Linie "Dialog und Prozessieren" verfolgt hat. Es werden seit über 30 Jahren Prozesse geführt. Wir arbeiten gerne mit dem BUND zusammen, aber es gibt eben auch Grenzen. In vielen Fällen kann man gut zusammenarbeiten, aber meiner Meinung nach wollten sie nichts davon hören, daß man durch eine Waldbesetzung, also durch Aktionen des sogenannten zivilen Ungehorsams, etwas erreichen kann. Wir waren junge Studenten und konnten die Leute nicht vom Gegenteil überzeugen. Möglicherweise haben wir auch zu viel geredet.

SB: In den 1970er-Jahren bestand die Anti-AKW-Bewegung zumeist aus Bürgerinitiativen. In dieser Zeit fing Greenpeace als semiprofessionelle Organisation gerade erst an, gleiches gilt für den BUND. Wie beurteilst du als langjähriger Aktivist die Professionalisierung des Aktivismus im Bereich der NGOs?

AW: Wenn man sich die heutige Situation zum Beispiel bei .ausgestrahlt anschaut, dann sitzen da auch professionelle Leute. Das ist meiner Meinung nach eine problematische Entwicklung. So trat ein Aktivist aus unserem Bündnis ausgeCO2hlt so überzeugend auf, daß Greenpeace ihn als Campaigner eingekauft hat. Er sitzt jetzt in Hamburg. Als ich vor einigen Tagen mit ihm gesprochen habe, habe ich den Eindruck gewonnen, daß man in das System ähnlich wie im Parlament eingebaut und in gewisser Weise deformiert wird, also daß deine ursprünglichen Standpunkte durch sogenannte Sachzwänge oder Anpassungsdruck relativiert werden.

Die NGOs haben darauf Wert gelegt, in der UNO zu sitzen, als Experten eingeladen zu werden und die Expertise zu leisten. Das ist aus meiner Sicht in vielen Fällen auch eine korrumpierende Verführung, was aber nicht unbedingt so sein muß. Es gibt auch Leute in diesen Organisationen, die bei ihren ursprünglichen Auffassungen geblieben sind. Beides ist also möglich. Wenn man bei seinen Idealen bleibt, ist das natürlich großartig, weil man dort an viele Informationen kommt. Das ist ähnlich wie im Parlament. Einer der wenigen, die ich bei den Grünen noch ernst nehmen kann, ist Hans-Christian Ströbele. Ich war selbst bei den Grünen. Wir hatten damals in den 80er Jahren noch die Hoffnung auf eine politische Wende gehabt, weil sehr viele Aktivisten aus der Anti-AKW-Bewegung in der Partei waren.

SB: In den USA gibt es viele große Organisationen, die ein Umweltlabel tragen und ausgesprochenes Greenwashing betreiben. Daher ist es nicht abwegig, die Frage zu stellen, inwiefern NGOs und große Umweltverbände nicht auch Interessen befördern, gegen die sie eigentlich antreten wollten?

AW: Letztendlich meine ich, daß sie diese Funktion indirekt ausüben und sich instrumentalisieren lassen. Es gibt sicherlich auch Leute, denen das bewußt ist und die so ihr Geschäft betreiben. Ich war 1982 für ein Jahr Mitglied von Greenpeace und vorher ein Jahr beim BUND. Was ich da gesehen habe, hat mir jeweils gereicht. Das sind hierarchisch gegliederte Organisationen. Wenn du eine Gruppe vor Ort hast, bist du letztendlich eine Schachfigur der Campaigner aus Hamburg oder was weiß ich woher. Das ist keine Politik, wie ich sie mir vorstelle. Eine Politik nach meinem Geschmack wäre, wenn Menschen sich selbst organisieren und cokreativ, also gemeinsam-schöpferisch überlegen, wie wir unsere Welt gestalten und hier ganz konkret vor Ort und nicht irgendwie von da oben herab Widerstand leisten können. Mit diesen Hierarchien spiegeln sie gesellschaftliche Strukturen in ihrer Organisation wider. Nur in Organisationen mit einer neuen Organisationskultur, die als Vorgriff auf eine neue Gesellschaft begriffen wird, könnte ich mitarbeiten.

Bei ausgeCO2hlt versuchen wir dies umzusetzen, auch bei Attac. Ich bin Mitglied von Attac Köln. Aber bei Attac gibt es manchmal Schwierigkeiten aufgrund des Dreifachcharakters der Organisation. Es ist ein Bewegungsnetzwerk, manche sehen aber auch eine NGO darin, andere eine Verbandsinternationale. Das Selbstverständnis von Attac geht dahin, zu versuchen, die Vorteile dieser Organisationsformen jeweils zu realisieren und die Nachteile zu vermeiden. Das ist ein hoher Anspruch. Die Nachteile einer sozialen Bewegung zu vermeiden, bedeutet, ihren schnellen Verfall zu verhindern. Sie keimt auf und geht wieder zugrunde. Also baut man ein Bewegungsnetzwerk auf, dann entwickelt sich daraus jedoch eine NGO, deren Nachteil eben darin besteht, daß man vollkommen ins System integriert ist. Der Vorteil ist, daß man sich etwas erarbeitet und echte Kenntnisse anhäuft, was auch wichtig ist, damit man die Probleme genauer erfaßt. Der nächste Schritt ist, daß man sich international organisiert, aber nicht dogmatisch. Nur das Undogmatische macht eine Positionsvielfalt möglich. All das ist bei Attac umsetzbar. Deswegen ist Attac für mich die größte Organisation, in der ich noch mitarbeiten kann und es auch weiterhin tun werde.

SB: Wie wirkt sich die Parlamentarisierung der Ökologiebewegung in NRW auf die Braunkohleproblematik aus?

AW: Wir haben hier mit Herrn Johannes Remmel einen grünen Umweltminister, der sich auf den Standpunkt stellt, daß die Tagebauerweiterung schon lange beschlossen ist und man deswegen nichts mehr dagegen machen kann. Dann wird BoAplus das größte Kohlekraftwerk der Welt sein. RWE hat das schon länger angekündigt, und wenn es das letzte ist, dann haben die Grünen nicht wirklich etwas dagegen. Das ist zumindest bei den Verhandlungen herausgekommen.

Ich habe hier den alten Koalitionsvertrag von 2010, in dem etwas über "Nachhaltige Perspektive für das Rheinische Revier" steht. Das hört sich erst einmal ganz gut an:

"Dem Revier droht Stillstand, sofern für die nächsten Jahrzehnte die Braunkohleförderung unverändert bliebe und diese Kohle überwiegend in Uralt-Blöcken verstromt würde. Weder die Klimaschutzziele wären zu erreichen, noch würde es eine gute Zukunft für die Menschen und ihre Arbeitsplätze im Revier geben." [3]

Es geht also um Effizienzsteigerungen. Weiter heißt es:

"Da dies keine Perspektive für Arbeit, Umwelt und Fortschritt im rheinischen Revier ist, werden wir mit einer aktiven Industriepolitik den stetigen Übergang von einer CO2-intensiven zur CO2-freien Stromerzeugung im Rheinischen Braunkohlerevier organisieren.
Gemeinsam mit dem Bergbau treibenden, Energie erzeugenden Unternehmen RWE Power wollen wir einen "Aktionsplan Rheinisches Revier" entwickeln, der in seiner Umsetzung folgenden zwei Leitzielen folgen soll:
o der zügigen und kontinuierlichen Reduzierung der CO2-Emissionen im Rheinischen Revier zur Erreichung der Ziele des Klimaschutzgesetzes (CO2-Reduktion um 80-95 Prozent bis 2050).
o der zügigen und kontinuierlichen Steigerung des Anteils der regenerativen Energien an der Stromerzeugung.
Um diese Ziele zu erreichen, werden wir mit RWE Power eine neue verbindliche Vereinbarung treffen." [2]

SB: Das ist aus dem alten Koalitionsvertrag?

AW: Ja, der alte ist die Grundlage für den neuen. Es ist ja nicht so, daß sie alles von neuem begonnen haben.

SB: Der neue Koalitionsvertrag enthält keine explizite Ablehnung des Braunkohletagebaus?

AW: Das hängt damit zusammen, daß die SPD, also Frau Hannelore Kraft, das als Übergangstechnologie betrachtet, mit der Behauptung, man brauche die Braunkohlekraftwerke zur Bereitstellung der Grundversorgung, falls kein Wind aufkommt oder die Sonne nicht scheint. Aber man kann Windenergie auch speichern. Ich bin selber Kunde bei Greenpeace Energy und beziehe auch Gas über sie. Sie wandeln Windenergie in Wasserstoff um, und Wasserstoff kann man ins normale Erdgassystem einspeisen. Die ganze Behauptung ist also ein großer Bluff. Interessant dabei ist, daß sie sich nicht explizit dagegen aussprechen, aber sie machen diesen Plan, und wenn wir dann konkret nachhaken, wird gesagt, es werden keine neuen Braunkohletagebaue beschlossen, aber die Erweiterung ist ja schon beschlossen. Auch die Grünen stehen dahinter. Die Grünen sind also letztendlich dafür, daß die letzten schönen Bäume dort vernichtet werden. Dagegen wehren wir uns seit dem 15. April mit der Waldbesetzung.

SB: Darunter sind auch Mitglieder der Grünen Jugend?

AW: Das ist richtig. Die Grüne Jugend ist auch beim Klimacamp in Manheim dabei. Da gibt es auch ein Barrio von der Grünen Jugend. Sie war schon auf vielen Klimacamps und macht auch bei etlichen Aktionen mit. Das ist ein Widerspruch, aber es gibt bei den Grünen zum Glück immer noch aktive Menschen, gerade die Jungen, auch hier vor Ort.

SB: Eine umweltfreundliche Politik ist die Kernkompetenz der Grünen. Wenn sie diese Kernkompetenz aufgeben, wie ließe sich das deiner Ansicht nach noch mit einer sinnigen Parteistrategie verbinden?

AW: Überhaupt nicht, das ist das Grab der Grünen. Sie unterscheiden sich dann überhaupt nicht mehr von einer FDP, aber die entsprechenden Leute befinden sich auch unter den Grünen. Meiner Meinung nach sind nur noch 15 Prozent der politisch aktiven Parteimitglieder wirklich grün und verfolgen die ursprünglichen Ziele.

SB: Mit dem ausgeCO2hlt-Netzwerk hast du andere Wege beschritten.

AW: Zuvor hatte ich die Kampagne Grube-gräbt im Sommer 2010 mitinitiiert. Am globalen Klimaaktionstag haben wir mit 40 bis 50 Leuten zwei Stunden lang Schienen am Braunkohlenwerk Bergheim-Niederaußem blockiert. Das ging damals durch die Presse. Im letzten Jahr haben wir die Kohlebahn neun Stunden lang besetzt, so bauen wir das langsam auf. Nach Kopenhagen und den großen Gipfeln, zu denen wir gefahren sind, haben wir uns gesagt, das hat so keinen Sinn. Es kommt darauf an, direkte Aktionen lokal zu organisieren und sich in diesem Sinne die Antiatombewegung als Vorbild zu nehmen, um eine wirkliche Antikohlebewegung zu entfachen. Wir arbeiten seit zwei Jahren daran, das Ganze unter dem Motto "Energiekämpfe" zusammenzubringen, sowohl gegen Atomkraft als auch gegen Kohlekraft. Atomkraft, nein Danke. Kohlekraft, nein danke.

SB: Welche Gruppen beteiligen sich beispielsweise an dem Bündnis?

AW: Es gibt mehrere Bürgerinitiativen aus dem Rheinischen Braunkohlenrevier, die auch heute auf dem Flugblatt stehen. Da ist zum Beispiel die Initiative Bergbaugeschädigter 50189 aus Elsdorf-Berrendorf. Diese Menschen leben direkt an der Abbruchkante am Hambacher Tagebau und sind unmittelbar von extremen Feinstaubbelastungen und der damit verbundenen Radioaktivität betroffen. Dadurch, daß die größten Bagger der Welt 400 Meter tief in die Erde graben, entsteht eine Aufwirbelung aus unglaublich vielen Stoffen, darunter sind eben auch radioaktive Stoffe. Ich bin weder Atomphysiker noch Geologe, aber nach den vom BUND geprüften Daten werden im Jahr 380 Tonnen Uran im Tagebau Hambach an die Luft abgegeben. Die Verbindung von Radioaktivität und Feinstaub ist dabei besonders gefährlich. Feinstaub muß man sich so vorstellen, daß ein Feinstaubkörnchen den Durchmesser von ungefähr einem Fünftel bis einem Achtel von einem Haar aufweist. Das dringt überall hin, auch in die Lungen, und das noch kombiniert mit Radioaktivität.

SB: Du protestierst hier bei der Kölner Bezirksregierung gegen den Bau des Braunkohlekraftwerks BoAPlus in Niederaußem. Könntest du noch einmal berichten, wie es zu der Anmeldung der Versammlung gekommen ist?

FW: Ich wollte die heutige Veranstaltung anmelden, nachdem Greenpeace dies kurz zuvor getan hatte. So rief die Polizei bei mir an und teilte mir mit, daß ich nicht mehr anmelden könne, weil dies schon erfolgt sei. Als wir uns mit Greenpeace kurzgeschaltet haben, erfuhren wir, daß bereits Auflagen mit der Polizei abgesprochen wurden. Man legte sich darauf fest, keine Blockaden zu errichten, keine Aktionen im Innenraum zu organisieren, keine Flugblätter zu werfen, keine Zwischenrufe zu machen und keine Transparente zu entrollen. Greenpeace würde die Veranstaltung bei solchen Zwischenfällen sofort abbrechen.

Dahin führt das Ganze nämlich. Du wirst irgendwann in das System eingebaut und erfüllst eine bestimmte Funktion in diesem schönen Komplott. Du sorgst dafür, daß der Widerstand kanalisiert wird, ähnlich wie der DGB den Widerstand der Arbeiterbewegung kanalisiert, damit nicht wirklich etwas passieren kann. Ich kann mich noch an wilde, selbstorganisierte Streiks Anfang der 1970er Jahre erinnern. 1973 war ich selbst mit von der Partie.

SB: Beim Skillsharing Camp im Hambacher Forst geht es gleich zu Beginn um die Frage der Bildungsarbeit. Wie ist es bei ausgeCO2hlt damit bestellt? Habt ihr ein bestimmtes Konzept dazu?

AW: Ja. Diese Bildungsarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Klimacamps. Ich selbst biete da zwei Workshops an, einmal über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Widerstands im Hambacher Forst, weil ich mich in der Materie auskenne, da ich von Anfang an beteiligt war, nicht permanent, aber doch über die Jahre die Entwicklung mitverfolgt habe. Das war nicht immer mein Schwerpunkt. Darüber hinaus biete ich noch "Straßentheater leicht gemacht" an. Als Psychodramatherapeut widme ich mich dem Theater der Unterdrückten nach Augusto Boal.

Alfred Weinberg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Streitbar festhalten an ursprünglichen Idealen
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: NGOs besitzen Strukturen und Mittel, aber wie lassen sich Proteste im Rahmen von selbstorganisierten Strukturen aufziehen?

AW: Im Wald gibt es einen Umsonstladen. Eine Menge Leute haben Kleidung, Schuhe, alles mögliche hingebracht. Jeden Tag kommen Spenden, und dann gibt es auch noch das Containern. Das heißt, die Menschen, die dort ständig leben und permanent besetzen, erhalten das Nötigste durch Containern, Spenden und den Umsonstladen. So ist das ganze Holz für die Baumhäuser von Bürgern gekommen. Viele Bürger kamen mit kleinen Lastwagen, brachten alte Fenster, Balken und was weiß ich noch alles.

SB: Für dich ist es wichtig, als Vorgriff auf zukünftige Verhältnisse mit Menschen zusammenzuarbeiten, die auch das Thema Lebensform oder alternative Lebensweisen praktisch erproben. Wie siehst du das im Zusammenhang mit ausgeCO2hlt, wird darüber nachgedacht?

AW: Nachgedacht wird darüber ständig. Im Klimacamp selbst, das von uns organisiert ist, wird während dieser fast zweiwöchigen Aktionsfrist versucht, neue Formen des Zusammenlebens zu realisieren, zuerst auf der sozialen Ebene, dann ein anderes Konsumieren. Produzieren können wir in der kurzen Zeit natürlich nicht so viel, aber immerhin wird von der Ernährung her vegan gelebt, allenfalls noch vegetarisch. Alles wird selbst organisiert. Wir kochen alles selbst, und es gibt eine Volxküche. Natürlich wollen wir uns von RWE kein Kabel legen lassen, aber es gibt die Möglichkeit, übers Fahrrad Strom zu erzeugen. Bei der angekündigten Fete wird es Musik geben, und dazu werden zehn Leute auf speziellen Fahrrädern sitzen. Außerdem bauen wir Kompostklos, die auch im Hambacher Forst gebaut wurden. Wir versuchen also sowohl sozialökologisch als auch selbstorganisiert andere Formen des Zusammenlebens ohne Chefs und dominante Führungsfiguren zu erproben. Es ist nicht so, daß es bei ausgeCO2hlt irgendwelche Leitfiguren gibt. Ich setze mich dafür ein, daß wir von ausgeCO2hlt schon eine Vorform dessen, was wir wirklich langfristig wollen, repräsentieren.

SB: Hast du Erfahrungen mit der früheren Kommunenbewegung gemacht?

AW: Ich habe sowohl in Kommunen gewohnt als auch in einem ökologischen Wohnprojekt bei Aachen Anfang der 90er Jahre. Eine der Architektinnen des Projekts "Alte Windkunst" war Bettina Herlitzius. Sie ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und sitzt heute hier im Regionalrat. Das Wohngebäude ist halbkreisförmig angeordnet und besitzt viele Gemeinschaftsräume und Gärten, in denen ökologisch gegärtnert wurde. Das Haus wurde nur aus schadstoffreien Materialien gebaut.

Ich verstehe mich als undogmatischer Linker. Ich war in der Basisgruppenbewegung, es gab auch einen kleinen Abstecher in maoistische Organisationen, aber eigentlich gehörte ich immer der undogmatischen Linken an. Ich bin seit 1969 politisch aktiv. Es gab ja nicht nur eine Studenten-, sondern auch eine Schülerbewegung, der ich angehörte. Es war eine Lehrlings- und Kulturarbeiter-Bewegung. Ich bin also seit 43 Jahren aktiv.

SB: Wie ist denn der Übertrag der Ideen von damals auf die jungen Aktivisten heute?

AW: Das kommt toll an. Ich finde sogar, daß sie noch kreativer sind. Im Wald sind mehrere junge Leute Anfang 20. Ich staune immer, wie offensiv sie ihr Anliegen gegenüber den Medien vertreten. Es war ja schon viel Fernsehen und Presse bei der Waldbesetzung. Es gibt heute wieder eine Generation, die nicht nur aufgreift, was wir früher gemacht haben, sondern auch kreativ weiterentwickelt. Ich bin etwas optimistischer geworden als in den 90er Jahren, als die Grünen sich immer mehr an Regierungen beteiligten und olivgrün wurden. Von wem wird Joschka Fischer heute bezahlt? Sogar von RWE.

SB: Alfred, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0019.html

[2] http://www.bund-nrw.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvnrw/PDF_Dateien/Braunkohle/Materialien/Verheizte_Heimat_Teil_I.pdf

[3] http://www.nrwspd.de/db/docs/doc_30009_201252317330.pdf

20. Juli 2012