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INTERVIEW/028: Dr. Kim Detloff zur Reform der EU-Fischereipolitik (SB)


Interview mit Dr. Kim Cornelius Detloff am 27. August in Kiel



Seit langem schlagen die europäischen Umweltschützer wegen des drohenden Kollaps der Fischbestände in Nord- und Ostsee, im Mittelmeer und im Nordatlantik Alarm. Mehr als 160 Umweltgruppen haben sich zur Allianz Ocean 2012 zusammengeschlossen, um unter dem Motto "Erneuerung der europäischen Fischerei" für eine sinnvolle Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU zu agieren. Im Rahmen besagter Initiative lud am 27. August der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in den Kieler Landtag zur Diskussionsveranstaltung "Stoppt die Überfischung! Europas Weg zu einer nachhaltigen Fischerei" ein. [1] Am Ende der gutbesuchten und lebhaften Diskussion hatte der Schattenblick die Gelegenheit, mit Dr. Kim Cornelius Detloff, der als Referent für Meereschutz im NABU-Vorstand die Veranstaltung mitorganisiert hatte und dort auch als Gastgeber aufgetreten war, zu sprechen.

Detloff auf der Podiumsdiskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Kim Cornelius Detloff
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Dr. Detloff, können Sie uns den Anlaß für die heutige Veranstaltung etwas näher erläutern?

Kim Cornelius Detloff: In der Europäischen Union befinden wir uns gerade in einer entscheidenden Phase bei der Entwicklung und Gestaltung der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik. Bereits letztes Jahr ist der Entwurf für die Grundverordnung herausgekommen. Inzwischen gibt es dazu die Kommentare des Europaparlaments wie auch einen Kompromißentwurf des Ministerrats, dem wir kritisch gegenüberstehen. Politisch sind wir in die heiße Phase eingetreten. Die nächsten Monate werden wahrscheinlich darüber entscheiden, in welche Richtung sich in Zukunft die europäische Fischereipolitik bewegt. Folglich möchten wir als Umweltverband dazu beitragen, über einen konstruktiven Dialog hin zu einer ökologischen Nachhaltigkeit, wie wir sie uns vorstellen, zu kommen.

SB: In welche Richtung sollte sich die Gemeinsame Fischereipolitik der EU Ihrer Meinung nach bewegen?

KCD: Es gibt das sogenannte Grünbuch der Europäischen Kommission, das ziemlich schonungslos offenbart hat, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, und heute Grundlage für diesen Reformprozeß darstellt. In der Grundverordnung sind bereits wichtige Aspekte der aktuellen Diskussion aufgegriffen worden, vor allem das Prinzip des maximalen Dauerertrages, auch Maximum Stable Yield (MSY) genannt, das wir bis 2015 eingeführt sehen wollen. Der MSY ist für uns lediglich ein Minimalziel. Eigentlich möchten wir mittelfristig über den MSY hinausgehen. Die Langzeitmanagementpläne sind ebenso wichtig wie die Einhaltung der Quoten streng nach wissenschaftlichen Vorgaben. Es sollte mit dem ständigen Quotengeschacher Schluß gemacht werden. Gleichzeitig fehlen in der Grundverordnung einige Dinge, die wir von der NABU für wichtig erachten. Wir treten zum Beispiel für eine deutliche Reduktion der Fangflotten ein. Wir wollen eine Bestandsaufnahme der nationalen Fischereien durch- und dann möglichst auch Fangobergrenzen einführen. Wir wollen es nicht allein den Verhandlungen über die Fangquoten überlassen, den Fischereidruck zu reduzieren. Für uns kommt es darauf an, daß die ökologische Nachhaltigkeit endlich den Vorrang erhält.

Wenn es um Fischerei geht, reden wir immer von drei Säulen der Nachhaltigkeit: die ökologische Nachhaltigkeit, also die gesunden Fischbestände, dann die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, daß das Ganze für die Fischerei auch wirtschaftlich lohnend ist, und die soziale Nachhaltigkeit, sprich daß Arbeitsplätze erhalten bleiben. Alle Aspekte sind für sich allein wichtig, aber wir meinen, daß die ökologische Nachhaltigkeit die Grundvoraussetzung für das Ganze ist. Eine lohnende Fischerei kann nur existieren, wenn gesunde Fischbestände vorhanden sind. Gerade die Gleichrangigkeit der drei Nachhaltigkeiten hat in der Vergangenheit genau zu dem Quotengeschacher in Brüssel geführt. Die zuständigen Minister der EU-Mitgliedsstaaten sahen in erster Linie die 50.000 Arbeitsplätze und die 20.000 Fangschiffe, die von der Fischerei abhängen, und glaubten durch höhere Quoten für deren Erhalt zu sorgen. Dabei haben sie das Problem der Überfischung übersehen. Das darf in der Zukunft nicht mehr passieren.

SB: Ist nicht eines der Probleme, daß im Zuge der europäischen Fischereipolitik zuviel auf Fangmaximierung gesetzt wurde? Heute fangen die größeren Schiffe mit kleiner Besatzung große Mengen an Fischen und zerstören dadurch die handwerkliche Fischerei. Die ganze Sache ist doch in die falsche Richtung gelaufen, nicht wahr?

KCD: Das kann man wohl sagen. Ich bin ebenfalls der Meinung, daß wir wieder auf die kleine handwerkliche Küstenfischerei setzen müssen. Die kleineren Schiffe sind durchaus in der Lage, nachhaltig zu wirtschaften. Das kann man von den großen Industrietrawlern, wo ein Fangschiff soviel Fisch mit nach Hause bringt wie vorher 50 kleine Kutter, gar nicht behaupten. Deswegen soll die Verwendung solcher Fabrikschiffe von der EU weder subventioniert noch gefördert werden.

Die Interviewszene am Stehtisch vor der NABU-Wand - Foto: © 2012 by Schattenblick

SB-Redakteur und Dr. Detloff
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wer sind die Gesprächspartner, mit denen der NABU versucht, Druck auf Brüssel auszuüben? Etwa die Beteiligten der heutigen Diskussionsveranstaltung, die Landesregierungen Mecklenburg-Vorpommerns, Niedersachsens und Schleswig-Holsteins und Politiker auf der Bundesebene?

KCD: Bei der heutigen Veranstaltung haben wir gesehen, wie groß die Gemengelage ist, wie viele Interessengruppen mitmischen und auch eine Meinung zur Fischerei haben. Wenn man nun die Fischereipolitik beeinflussen will, steht man vor der Herausforderung, daß die ausschließliche Kompetenz hierfür bei der EU liegt. Das heißt, das alles, was man außerhalb der Dreiseemeilengrenze regulieren will, automatisch über Brüssel geht. Deshalb spielt im Moment die Diskussion auf europäischer Ebene eine ganz entscheidende Rolle. Deshalb gilt es auch, mit den Abgeordneten im Strasbourger Europaparlament ins Gespräch zu kommen, wie auch über die Landespolitiker in den verschiedenen Fraktionen möglichst Druck auf die deutsche Bundesregierung auszuüben, damit Berlin gegenüber Brüssel sein politisches Gewicht in die Waagschale wirft und aktiv zu positiven Veränderungen beiträgt.

SB: Im Laufe der heutigen Diskussion wurde von einigen Teilnehmern der Vorwurf erhoben, der NABU verfolge eine Umweltpolitik, die einseitig zu Lasten der Fischer ausfalle. Inwieweit ist dieser Vorwurf begründet, wo kommt er her und wie läßt er sich entgegnen?

KCD: Das ist für mich ein bißchen wie der Rückfall in alte Zeiten. Ich räume ein, daß wir in der Vergangenheit nicht genug unternommen haben, um die Gräben zwischen der Fischerei und dem Naturschutz zu überwinden. Wir sind nicht aufeinander zugegangen. Doch gerade das wollten wir mit der heutigen Veranstaltung machen. Da sollten alle die Argumente der anderen Interessengruppen anhören, um anschließend gemeinsam über Lösungsansätze zu diskutieren. Die Möglichkeit der Diskussion ist in der Vergangenheit von beiden Seiten viel zu selten in Anspruch genommen worden.

Wir vom NABU sind der Meinung, daß es, um Fischerei nachhaltig gestalten und unseren Verpflichtungen der europäischen Umweltrichtlinie nachkommen zu können, künftig zu Regulierungen und Einschränkungen kommen muß, sowohl innerhalb bestehender Naturschutzgebiete als auch außerhalb. Das heißt aber nicht, daß das allein auf Kosten der Fischer erfolgen soll. Wie ich vorhin erwähnte, brauchen wir positive Anreizsysteme, um die Fischer in den Reformprozeß einzubinden. Schließlich verfügen sie über die größte Expertise und wissen eigentlich, wie es um die Fischbestände steht. Also müssen wir zu einer produktiven Zusammenarbeit kommen. Es gibt jedoch immer noch Situationen, wo Fischer ihre Daten nicht weitergeben, gerade wenn es um den Beifang wie zum Beispiel von Meeresenten oder Schweinswalen geht. Auch aus Angst vor einer schlechten Presse werden häufig solche Fälle nicht kommuniziert. Daß ein Fischer hier und da einen Schweinswal im Netz gehabt hat, wird lieber totgeschwiegen. Doch so schaffen wir keine verläßliche Datenbasis und haben auch nicht die Möglichkeit, dem Abhilfe zu schaffen. Das geht nur gemeinsam. Das sollte die Veranstaltung heute verdeutlichen, und ich hoffe, das haben auch alle Teilnehmer als Botschaft mitgenommen.

SB: Im Laufe der Diskussion wurde häufig der Einwurf gebracht, daß viele Aspekte der EU-Richtlinien, die hier im deutschen Verantwortungsbereich durchgesetzt werden, von den nationalen Behörden in anderen Teilen der EU nicht so rigoros gehandhabt werden. Inwieweit trifft diese Kritik zu? Machen die Deutschen ihre Hausaufgaben besser als die anderen, oder wie schneidet Deutschland im EU-Vergleich ab?

KCD: In der Tat schneidet die deutsche Fischerei besser ab. Das heißt noch lange nicht, daß bei uns alles optimal ist. Wenn man in die südeuropäischen Länder schaut, dann stellt man fest, daß dort die Fischereilobby viel stärker ist, weil die Flotten größer sind und weil mehr Arbeitsplätze als bei uns dranhängen. In der Vergangenheit haben wir auch beobachten müssen, daß die Kontrollen dort nicht so genau durchgeführt wurden. Das heißt, daß die illegale Fischerei häufig in südeuropäischen Ländern stattgefunden hat. Wir haben auch erleben müssen, daß leider polnische Fischer lange Zeit über ihre Quoten hinaus gefischt haben. Natürlich ist es schwierig, die Meere zu kontrollieren und auch die Tausenden von europäischen Fischereifahrzeugen verschiedener Größe im Blick zu behalten. Insofern haben die deutschen Fischer wahrscheinlich schon recht, wenn sie sagen, daß ihre kleine Flotte, relativ stark kontrolliert wird im Vergleich zu den europäischen Nachbarn. Da gilt es gleichwertige Bedingungen für alle zu schaffen.

Detloff Nahaufnahme - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Im Bereich des Umweltschutzes hört man häufig von der Zusammenarbeit über die Nationalstaatsgrenzen hinweg. In Verbindung mit der europäischen Fischereipolitik hat man seit Jahren den gegenteiligen Eindruck, der heute von der heutigen Veranstaltung verstärkt wurde, nämlich daß die nationalen Flotten gegeneinander konkurrieren und daß es zu keiner sinnvollen Kooperation zwischen den einzelnen Fischerverbänden kommt. Trifft dieser Eindruck zu und wie ließe sich eine Verbesserung erzielen?

KCD: Mit Blick auf die heutige Veranstaltung denke ich schon, daß diese Feststellung zutrifft. Da heißt es immer: "Wir machen unsere Hausaufgaben; die Bösen sind die Fischer aus den anderen Ländern." Aus der Sicht des einzelnen Fischers hierzulande kann man das sicherlich nachvollziehen. Wenn der kleine handwerkliche Küstenfischer von der deutschen Ostseeküste mit den großen Industrieflotten aus Rußland oder aus anderen europäischen Staaten konkurrieren muß, dann kommt er sich natürlich wie das schwächere Glied vor. Aber das ist eben auch Aufgabe der europäischen Fischereipolitik, wirklich den gleichen Handlungsspielraum für alle beteiligten Flotten zu finden. Das ist nicht einfach. Wie gut vernetzt die nationalen Fischerverbänden untereinander sind, kann ich nicht sagen.

SB: Vielleicht könnten sie von den Umweltorganisationen lernen?

KCD: Mit den Umweltverbänden klappt die überregionale, zwischenstaatliche Zusammenarbeit schon ganz gut, ist aber auch verbesserungswürdig. Aber wie gesagt, ich weiß nicht zu beurteilen, inwieweit wirklich nur auf die Nachbarflotte geschimpft wird oder ob es dort auch einen konstruktiven Umgang gibt; ob man versucht, irgendwie zum Beispiel Fangtechniken zu kopieren. Was die Beifangproblematik betrifft, dann wissen wir, daß in den skandinavischen Ländern Stellnetze durch Fischfallen ersetzt worden sind. Dort funktionieren sie relativ gut. Aber das heißt nicht, daß die deutschen Fischer von den skandinavischen Kollegen die Fischfallen übernehmen. Also glaube ich, daß noch viel Kommunikation auf allen Ebenen notwendig ist.

SB: Sie haben heute jedenfalls Anregung in die Problematik gebracht.

KCD: Wir bemühen uns. Es soll auch nur der Auftakt sein.

SB: Vielen Dank, Dr. Detloff, für dieses Gespräch

Fußnote:
[1] BERICHT/023: Fischfang in der Krise - Diskussion in Kiel (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0023.html

Vertäute Segelboote vor der Uferpromenade - Foto: © 2012 by Schattenblick

Sommerliche Abenddämmerung in der Kieler Bucht
Foto: © 2012 by Schattenblick

11. September 2012