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INTERVIEW/043: Down to Earth - Zwänge, Fehler und Lösungen (SB)


32. Weltkongreß der Geographie in Köln

Interview mit Dr. Stephan Baas von der Climate, Energy and Tenure Division der FAO am 30. August 2012



Fünf Tage lang wurden auf dem International Geographical Congress, der vom 26. bis zum 30. August 2012 an der Universität Köln stattfand, zur gesamten Palette an geographischen Themen Vorträge gehalten und Debatten geführt. Ein regelmäßig gut besuchter Höhepunkt waren die Keynote Lectures, zu denen pro Tag jeweils ein Geograph und ein Nicht-Geograph eingeladen worden waren. Ganz so streng hielt man es mit dieser Einteilung allerdings nicht, denn am letzten Tag des Kongresses übernahm mit Dr. Stephan Baas zwar ein Vertreter der FAO (Food and Agriculture Organization) eine der beiden Schlüsselreden, aber dessen wissenschaftliche Herkunft liegt neben der Sozialanthropologie auch in der Geographie.

In seinem Vortrag zum Thema "Disaster Risk and Crises - Challenges for Food and Nutrition Security" (Katastrophenrisiko und Krisen - Herausforderungen für die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit), über den der Schattenblick berichtete (siehe UMWELT, REPORT, BERICHT/037: Down to Earth - Bedrohte Frucht (SB)), verschaffte Dr. Baas einen Einblick in die Voraussetzungen, Analysen und Prognosen der FAO rund um die Bedrohungen der Lebensmittel- und Ernährungssicherheit. Im Anschluß an den Vortrag ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, mit weiteren Fragen zum Thema nachzufassen.

Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Stephan Baas
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wir haben eben in Ihrem Vortrag viele vernünftig klingende Vorschläge gehört, wie das Hungerproblem in Angriff genommen werden könnte. Mangelt es am politischen Willen, diese umzusetzen?

Stephan Baas (StB): Ich denke, der politische Wille, mehr für die ländliche Entwicklung und Landwirtschaft zu tun, hatte über mehrere Jahrzehnte hinweg abgenommen. Aber wie ich in meinem Vortrag schon ausgeführt habe, erhält die Landwirtschaft und die 'food and nutrition security' [Anm. d. SB-Red.: Lebensmittel- und Ernährungssicherheit] in den letzten vier, fünf Jahren, auch im Kontext der Klimadebatte, wieder verstärkte Aufmerksamkeit. Deshalb würde ich sagen, daß der politische Wille wieder wächst, basierend auf der baren Notwendigkeit zu erkennen, daß Ernährung ein 'basic need' [Anm. d. SB-Red.: Grundbedürfnis] von uns allen ist.

SB: Der Weltagrarbericht empfiehlt eine stärkere Förderung der Kleinbauern, da sie weltweit mehr als die Hälfte der Nahrung produzieren. An anderer Stelle ist aber die Rede davon, daß die Kleinbauern - Sie sprachen in Ihrem Vortrag von mehr als zwei Milliarden weltweit - verarmt sind und viele von ihnen immer noch Hunger leiden. Wie ist das zusammenzubringen?

StB: Viele dieser Kleinbauern oder 'small holders' produzieren nach wie vor subsistenzorientiert. Aufgrund der höheren Standards, auch hinsichtlich der Hygienevorschriften in vielen Konsumerländern, sind sie im internationalen Wettbewerb schlechter gestellt. Sie produzieren oft weit vom Markt entfernt, was komparative Nachteile mit sich bringt, zum Beispiel hinsichtlich der Kosten, um Zugang zum nächsten Marktplatz oder gar zum internationalen 'trade' [Anm. d. SB-Red.: Handel] zu erlangen. Oft sind sie Naturkatastrophen und anderen Krisen ausgesetzt und es fehlt an sozialen Sicherungssystemen.

Und man muß auch sehen, daß sich zur Zeit viele 'small holders' von der 'fulltime agriculture production' [Anm. d. SB-Red.: Vollzeit-Landwirtschaftsproduktion] abwenden und sich in 'part time agriculture' [Anm. d. SB-Red.: Teilzeit-Landwirtschaft] oder in diversifizierte Familienunternehmen begeben. Oder schauen Sie sich Asien an: fast alle südostasiatischen Länder setzen einen ganz starken Schwerpunkt auf die Reisproduktion. Aber als 'Small scale'-Reisproduzent wird man nicht reich.

In vielen Ländern werden die Weichen nach wie vor so gestellt, daß das Kleinbauerntum als Armutsbekämpfungsstrategie gefördert wird. Man kann damit Menschen ein Basiseinkommen sicherstellen und mittlerweile auch einen leicht steigenden Lebensstandard durch zunehmenden Zugang zu Services und Leistungen ermöglichen. Aber man darf die Dimensionen nicht unterschätzen: der Hunger und/oder die Fehlernährung ist/sind immer noch da.

SB: Glauben Sie, daß das im Jahr 2000 gefaßte Milleniumsziel der Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 noch erreicht werden kann?

StB: Die Frage ist für mich schwer zu beantworten. Die FAO hat natürlich diese Zielvorgabe, was ich für richtig halte. Es ist ein ethischer Imperativ. Aber ob man es wirklich in dem Zeitraum umsetzen kann? Es sind nur noch drei Jahre bis dahin. Man muß einen hohen Idealismus aufbringen, um dieses Ziel zu erreichen. Aber in jedem Fall, und unseren Prognosen zufolge, - ich habe ja vorhin die Daten für das Jahr 2050 präsentiert - muß die Nahrungsmittelproduktion deutlich erhöht werden, um die Weltbevölkerung weiterhin ernähren zu können. Theoretisch ist das erreichbar. Es ist wichtig, daß wir an sehr vielen Punkten ansetzen, am politischen Willen, am Handel, an der Kapazitätenbildung und dem Wechselspiel von Umwelt und Agrarproduktion. Ich persönlich halte dieses Millenniumsziel für eine sehr große Herausforderung, aber es ist uns von der FAO sehr, sehr wichtig, diese Ziele zu haben und zu versuchen, sie zusammen mit den Ländern umzusetzen.

SB: Weil ansonsten, wenn das Ziel nicht bestünde, vielleicht noch weniger erreicht oder gemacht würde?

StB: Ja.

SB: Wenn jedes Jahr genügend Nahrungsmittel für theoretisch zwölf Milliarden Menschen produziert werden könnten, warum wird dann nicht gemäß der Lehre der Ökonomie von Angebot und Nachfrage der zweifellos vorhandene Bedarf gestillt? Warum werden dann die Hungernden in der Welt nicht ernährt?

StB: Ich denke, es ist ein Fakt, daß derzeit genug produziert wird, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Aber überall allen Menschen gleichzeitig den Zugang zu Nahrungsmitteln zu verschaffen ist nicht so einfach, wie man oft annimmt. Und, wie ich gezeigt habe, gehen derzeit mehr als 30 Prozent der Agrarproduktion verloren oder werden verschwendet. Ein Teilaspekt davon ist, daß in manchen Regionen bis zu 14 Prozent der Nahrungsmittel dazu verwendet werden, die Übergewichtigkeit von uns zu ernähren. Hierbei reden wir nicht über den Grundbedarf, sondern die Energieleistungen, die gebraucht werden, um die übergewichtige Masse, die viele von uns haben, zu erhalten. Das ist Fehlernährung und unterlegt auch den ungleichen Zugang, der zu Nahrungsmitteln besteht. Es bedarf mehr als nur die Landwirtschaft selbst, um das Problem lösen zu können. Dazu gehört der politische Wille, da muß die Infrastruktur vorhanden sein, und viele Lebensmittel halten sich nicht unendlich.

SB: Ist nicht Hunger auch eine Folge des Energiemangels, weil beispielsweise in den heißen Ländern der Tropen oder Subtropen Kühlhäuser betrieben werden müßten?

StB: Das Argument hört man oft, vor allem in den Entwicklungsländern: Das liegt an den Kühlketten, das liegt an diesem oder an jenem. Ich würde sagen, es liegt vielleicht auch daran. Ich glaube aber nicht, daß das die 'triggers' [Anm. d. SB-Red.: Auslöser] oder die entscheidenden Gründe für Hunger sind. Die Hungerproblematik hängt zum Beispiel auch mit Preisentwicklungen und Veränderungen des Lebensstandards zusammen. Der wächst überall, und wir können es niemandem verdenken. Damit verändern sich aber automatisch die Konsumerwartungen und das Konsumverhalten. Die Tendenz, daß mehr Fleisch produziert wird, weil es auch konsumiert wird, ist eklatant, und wir wissen, daß bei der Umwandlung von Getreide in Fleisch energetisch enorm viel verlorengeht. Dennoch denke ich, daß es insgesamt positive Errungenschaften und Tendenzen in unseren Gesellschaften gibt, um die Nahrungssicherung und 'nutrition standards' zu erhöhen, die wir nicht wegreden, sondern auch erwähnen sollten.

SB: Sind Sie der Meinung, daß auch die Energiewirtschaft Einfluß auf die Nahrungsproduktion hat, da bestimmte Nahrungsmittel als Energiepflanzen verloren gehen?

StB: Absolut. Die Nachfrage nach Bioäthanol und Biodiesel steigt enorm. Unsere letzten Prognosen gehen davon aus, daß im Jahr 2020 möglicherweise 30 Prozent des 'sugar canes', des Zuckerrohrs, für Bioäthanol verwendet werden könnten und 15 Prozent aller 'vegetable oils' [Anm. d. SB-Red.: Pflanzenöle]. Und daß, wenn man das auf die Landnutzung überträgt, zwischen drei und zehn Prozent vom 'arable land' [Anm. d. SB-Red.: Ackerland] für Bioenergie benutzt werden könnte. Diese Verschiebung treibt, wie wir beobachten können, auch die Nahrungspreise hoch, und ist ökonomisch sehr attraktiv, wenn der Ölpreis hoch ist. Der Maispreis ist ja bereits an den Erdölpreis gekoppelt. Da besteht also ganz sicher ein Zusammenhang. Es gibt einen Wettbewerb, und der wird sich eher verschärfen.

Aber noch einen Zusatz zum 'biofuel' [Anm. d. SB-Red.: Biotreibstoff]: Wir sehen die Entwicklung nicht nur negativ. Er bietet auch Chancen für Kleinbauern, vor allem wenn sie organisiert sind und solange man die Pflanzen eher in 'marginal lands' [Anm. d. SB-Red.: marginalen Flächen] anbaut.

SB: Wie Jatropha?

StB: Die Chancen von Jatropha werden von uns durchaus kritisch gesehen, es erscheint nicht immer alles im positiven Licht. Aber man sollte nicht sagen, der Anbau von Pflanzen für Biosprit übe nur schlechte Einflüsse aus. Er kann eine Einkommensquelle bilden. Wenn man es schafft, das über koordinierte Absatzstrategien in eine diversifizierte Einkommensstruktur zu integrieren, dann kann sich das selbst auf Kleinbauern in Entwicklungsländern positiv auswirken. Aber für die gesamtglobale Ernährungsproduktion ist es ein Risikofaktor.

SB: Ich möchte noch an eine andere Aussage aus der Ankündigung Ihres Vortrags anknüpfen. Es wurde berichtet, daß Sie Olivenbäume anbauen und Oliven ernten. Vor einiger Zeit wurde in der hiesigen Berichterstattung über die Energieprobleme der Welt und mögliche alternative Energiequellen erklärt, daß Olivenkerne sehr ölhaltig sind und energetisch genutzt werden könnten. Halten Sie das für eine relevante Größe in der Debatte um das weltweite Energieproblem?

StB: Das übersteigt jetzt mein Wissen, aber ich würde sagen nein.

SB: Wir haben ebenfalls in der Ankündigung Ihrer Vortrags vernommen, daß Sie sich näher mit Somalia befaßt haben. Somalia ist neben Sudan ein Land, denen in den Medien schon mal nachgesagt wird, sie seien Beispiele für Klimakriege. Teilen Sie diesen Begriff, oder wie schätzen Sie den Einfluß der klimatischen Entwicklung auf die Konfliktlage Somalias ein?

StB: Die klimatische Entwicklung am Horn von Afrika deutet klar auf eine Zunahme der Trockenheit mit mehr Dürrephasen. Das ist evident. Aber nach meinen Kenntnissen von Somalia, wo ich über ein Jahr gelebt habe, sind auch andere Faktoren im Spiel. Dazu zähle ich beispielsweise die Art und Weise, wie in Somalia Krieg geführt wird, wie dort ohne Regierung über so lange Zeit gearbeitet, gehandelt und gelebt wurde und wird. Klima ist sicher ein Faktor, aber zu sagen, es ist alles klimatisch bedingt, halte ich für übertrieben.

Ich denke, die gesamte Klimadebatte sollte so geführt werden: Klimawandel ist nicht der einzige 'driving factor', sondern einer von vielen. An dem müssen wir natürlich auch arbeiten und vor allem auch, weil wir wissen, daß wir verantwortlich dafür sind.

SB: Sie sprechen von anderen Faktoren für den Konflikt in Somalia. Könnten Sie das spezifizieren?

StB: Also, das möchte ich eigentlich nicht so gern. Das hat auch sehr viele kulturelle Gründe, glaube ich.

Interviewpartner, in unterster Sitzreihe der Aula der Universität zu Köln - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Baas im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Welche Chancen geben Sie den freiwilligen Richtlinien gegen die Landnahme, die jetzt vor kurzem von einigen Staaten beschlossen wurden?

StB: Die halte ich für eine ganz tolle Errungenschaft. Es sind natürlich 'volontary guidelines' [Anm. d. SB-Red.: freiwillige Richtlinien], die sind nicht zwingend. Aber das war lang, lang, wie sagt man im Englischen, 'overdue' - überfällig -, und hoffentlich werden die von so vielen Ländern wie möglich angenommen und umgesetzt. Zugang zu Land über längere Fristen ist die fundamentale Voraussetzung, daß Bauern investieren und daß die Produktion und die 'livelyhoods' [Anm. d. SB-Red.: Lebensgrundlage] der Leute erhalten werden.

SB: Herr Dr. Baas, herzlichen Dank für das Gespräch.

7. November 2012