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INTERVIEW/053: Rohstoff maritim - Countdown (SB)


Internationaler Workshop zu den mineralischen Ressourcen des Meeresbodens vom 18. bis 20. März 2013 in Kiel

Interview mit Stephan Lutter, Meeresschutzexperte der Umweltorganisation WWF



In den nächsten Jahren werden die Rohstoffpreise weiter steigen, da die Nachfrage zunimmt, prognostizieren inzwischen viele Analysten. Sie begründen ihre Vermutung mit mehreren Faktoren, insbesondere der wachsenden Weltbevölkerung, dem Konsumzuwachs in den aufstrebenden Schwellenländern und dem absehbaren Versiegen der vergleichsweise unaufwendig und damit kostengünstig auszubeutenden Lagerstätten. Als Folge dieser Trends werden Rohstoffvorkommen attraktiv, die zu erschließen ein höheres Investitionskapital erfordert und die mit höheren Risiken für die beteiligten Unternehmen behaftet sind.

Beispielsweise Rohstoffe von den Tiefseeböden. Erste Erkundungen zu sogenannten Manganknollen, die in 4000 bis 6000 Meter Tiefe auf dem Meeresboden liegen und unter anderem Nickel, Kupfer, Kobalt und Mangan enthalten, wurden schon in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgeführt. Als jedoch die Rohstoffpreise weltweit absackten, verschwanden die Forschungsergebnisse der Expeditionen zunächst in den Schubladen.

Diese Phase scheint nun vorbei zu sein. Seit Beginn des neuen Jahrhunderts ziehen die Rohstoffpreise wieder an, und es werden Vorbereitungen zur Exploration (Erkundung) und Exploitation (Ausbeutung) mineralischer Rohstoffe vom Tiefseeboden getroffen. Abgesehen vom Abbau von Manganknollen besteht auch Interesse an Massivsulfiden und Kobaltkrusten - beides über Jahrmillionen gewachsene Ablagerungen, die von der Industrie benötigte Metalle enthalten.

Satellitenaufnahme der Appalachen - Foto: NASA, Earth Observatory

Der Bergbau am Meeresboden wird angeblich ähnliche Folgen haben wie der terrestrische Bergbau. Hobet-Mine in West-Virginia, 17. September 1984. Die Aufnahme beruht auf Daten der NASA-Landsat-Satelliten.
Foto: NASA, Earth Observatory

Satellitenaufnahme der Appalachen - Foto: NASA, Earth Observatory

In den Appalachen werden bei der Kohleförderung durch die Methode des Mountaintop Removal Mining ganze Landschaften abrasiert und anschließend eingeebnet, indem die Täler mit dem Abraum gefüllt werden. Inzwischen sind schon rund 500 Bergkuppen verschwunden. Die Aufnahme, die auf Daten der NASA-Landsat-Satelliten beruht, wurde am 20. September 2012 gemacht und zeigt, daß sich die Hobet-Mine innerhalb von 28 Jahren nach Westen vorgearbeitet und eine verwüstete Landschaft hinterlassen hat.
Foto: NASA, Earth Observatory

Eingedenk der teils katastrophalen Umweltverschmutzungen, die der Bergbau in vielen Regionen an Land verursacht hat, gibt es berechtigte Gründe für die Annahme, daß Bergbauaktivitäten in der Tiefsee, unter dem Schutz der Lichtlosigkeit und völligen Unzugänglichkeit dieser Weltregionen, ebenfalls schwerwiegende Folgen für deren Bewohner zeitigen könnten.

Umweltschutzorganisationen wie der WWF wollen dieser drohenden Entwicklung keineswegs tatenlos zusehen. Die Tiefsee soll nicht schutzlos jenen überlassen werden, die von dort den wachsenden Hunger der Menschheit nach Rohstoffen stillen wollen. Also mischt sich die Organisation ein, erstellt Analysen, macht auf drohende Gefahren für das Meeresleben aufmerksam und versucht, die absehbare Entwicklung in weniger zerstörerische Fahrwasser zu lenken.

Durch dieses grundlegende Konzept hat sich die Organisation an anderen Fronten ihres Umweltschutzengagements schon mal den Vorwurf der allzu großen Nähe zur Industrie eingehandelt. Die Umweltschützer selbst kehren das Argument um: Nur eine relative Nähe zur Industrie ermögliche es, mit deren Vertretern zu sprechen und auf sie einzuwirken. Rufe aus großer Ferne dagegen würden ungehört verhallen; damit wäre nichts erreicht.

Einer, dessen Stimme gehört wird, ist der Meeresschutzexperte Stephan Lutter vom WWF. Er wurde von dem Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung zum Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" (Mineralische Ressourcen des Meeresbodens: wissenschaftliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Fragen) vom 18.-20. März 2013 in Kiel eingeladen, um seine Position zu Fragen des Meeresbodenbergbaus vorzustellen.

Unter dem Titel "Protecting the Marine Environment and Biodiversity from Deep-Sea Mining" (Schutz der Meeresumwelt und -biodiversität vor dem Tiefseebergbau) berichtete Lutter von den drohenden Gefahren für das Leben im Meer und am Meeresgrund. Der Verlust von Arten und ganzen Habitaten sowie eine Beeinträchtigung des marinen Lebens durch die vom Bergbau ausgelösten Sedimentwolken (plumes) sind nur einige der von dem Referenten erwähnten potentiellen Folgen des Rohstoffabbaus in der Tiefsee.

Portrait - Foto: © 2013 by Schattenblick

Stephan Lutter
Foto: © 2013 by Schattenblick

In vielen Bereichen decken sich die Forderungen des WWF mit den bereits bestehenden Umweltschutzregularien der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA), der die Lizenzvergabe für die Exploration und Exploitation des Meeresbodens jenseits der ausschließlichen Wirtschaftszone der Staaten übertragen wurde. In einem Punkt jedoch weicht die Umweltorganisation deutlich von der Politik der ISA ab: Der WWF empfiehlt, keine weiteren Lizenzen zur Exploration des Meeresbodens zu vergeben und schon gar nicht die Exploitation zuzulassen, bevor nicht umfangreiche Schutzmaßnahmen für die Meeresumwelt getroffen wurden und sichergestellt ist, daß die Einhaltung der Umweltauflagen von unabhängiger Seite überwacht wird. Auch sollten zunächst einmal ernsthaft Alternativen zum Meeresbodenbergbau geprüft werden, beispielsweise das Recycling und eine größere Effizienz bei der terrestrischen Rohstoffgewinnung, wobei dabei strengere Umweltschutzmaßnahmen zu treffen seien.

Am Rande des Workshops verdeutlichte Stephan Lutter in einem Gespräch mit dem Schattenblick seine Position, berichtete über die Arbeit des WWF und auch dessen Erfolge beim Meeresschutz.


Schattenblick: Der WWF hat für den Bergbau in der Tiefsee detaillierte Empfehlungen vorgelegt, was seiner Meinung nach zum Schutz der Ökosysteme unbedingt beachtet werden müsse. Ist das ein Hinweis darauf, daß die Umweltschutzorganisationen mit ihrem Anliegen bereits ins Hintertreffen geraten sind gegenüber der Exploration und den Bemühungen der Wirtschaft, den marinen Bergbau voranzutreiben?

Stephan Lutter: Ja, das spiegelt sich auf allen Ebenen in der ungleichen Ausstattung mit Rechtsmitteln für den Schutz der Natur auf See und für ihre Nutzung, in diesem Fall des Meeresbodens, wider. Es ist ein ungleiches Wettrennen zwischen den wirtschaftlichen und den Schutzinteressen entstanden.

SB: Auf dem heutigen Workshop wurde von Professor Thiel [1] der Standpunkt vertreten, daß die Gebiete, die für den marinen Bergbau überhaupt in Frage kommen, eigentlich gar nicht so groß sind. Wie schätzen Sie das ein, ist das nicht eine Verharmlosung gegenüber der doch enorm großen Gebiete, sowohl was die Fläche am Meeresboden als auch was das Volumen des Meeres betrifft, das beeinträchtigt wird, wenn Bergbau erst einmal im großen Stil losgetreten wird?

StL: Ja, erstens ist ein Gebiet wie die Clarion-Clipperton-Zone [2] im Pazifischen Becken schon sehr groß; zweitens ist das nicht das Ende der Fahnenstange. Beispielsweise wurde erst vor kurzem mit der Exploration von Massivsulfiden um heiße Tiefseequellen begonnen, und die Exploration von Seebergen mit Kobaltkrusten hat noch nicht einmal angefangen. Aber vielleicht ist es bald soweit, und dann haben wir es mit einem Prozeß zu tun, der sich über die ganze Fläche verteilen kann.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß aufgrund des technologischen Fortschritts die Möglichkeit entsteht, Bergbau auch an stärker geneigten Hangflächen [3] zu betreiben? Wie groß ist Ihrer Meinung nach das Risiko, daß der technologische Fortschritt da ganz neue Aspekte reinbringt?

StL: Mir sind an den Hangflächen der Kontinentalränder und -sockel keine Vorkommen bekannt, abgesehen von den Methanhydraten. Deren Ausbeutung stellt tatsächlich ein Risiko dar. Japan hat gerade damit angefangen, aber es gibt auch ein großes deutsches Forschungsprojekt. Solche Vorkommen sind natürlich auch Beweggründe für Staaten, sich den erweiterten Kontinentalsockel [4] einzuverleiben. Dabei geht es entweder um Öl und Gas oder Methanhydrate, aber bisher nicht um metallische Vorkommen. Außer in Ländern wie Papua-Neuguinea, wo heiße Tiefseequellen sogar innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone liegen.

Schemazeichnung u.a. mit Festland, Küste, Kontinentalhang und Ozeanboden - Schaubild: Gretarsson, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Längsschnitt durch einen Kontinentalrand (aus Gründen der Anschaulichkeit überhöhte Darstellung)
Schaubild: Gretarsson, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

SB: Die Internationale Meeresbodenbehörde hat Habitate festgelegt, die von der Rohstoffnutzung ausgenommen werden sollen. Für wie groß halten Sie die Gefahr, daß eines Tages unter veränderten ökonomischen Bedingungen in diesen Gebieten doch Bergbau betrieben wird, wobei die Argumentation so lauten könnte, daß der Schaden, die Habitate nicht zu nutzen, größer wäre als der ökologische Schaden durch die Eingriffe?

StL: So etwas kann passieren. Beispielsweise könnte durch eine Mehrheit bei der Internationalen Meeresbodenbehörde etwas völlig anderes beschlossen werden als das relativ umweltschonende Konzept, das wir jetzt dort haben und das von uns unterstützt wurde. Wir begrüßen es, daß Habitate innerhalb eines so großen Ausbeutungsgebiets wie der Clarion-Clipperton-Zone von der Nutzung ausgenommen werden. Aber es bereitet mir Sorgen, daß es jetzt viel früher von der Erkundung zur Ausbeutung kommen könnte durch bestimmte Staaten, die das pushen. Ich denke an das jüngste Vorgehen des Vereinigten Königreichs. [5]

SB: Gibt es Hinweise darauf, daß beim marinen Bergbau, ähnlich wie beim Walfang und der Politik Japans, unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Erforschung fast schon eine kommerzielle Nutzung betrieben wird?

StL: Meines Wissens zufolge wird das durch die Regularien der ISA verhindert, und das ist auch gut so.

SB: Inwiefern sind der WWF und andere Umweltschutzgruppen an den Entscheidungsprozessen der ISA beteiligt?

StL: Für alle internationalen Abkommen gilt, daß wir nicht in Form eines Stimmrechts beteiligt sind. Aber natürlich können wir die Entscheidungen beeinflussen und das umso besser, je mehr wir mitbekommen, was innerhalb der Gremien vor sich geht. Bei dem sogenannten Beobachterstatus kann man sprechen und auch schriftliche Eingaben machen. Von Abkommen zu Abkommen wird das etwas unterschiedlich gehandhabt. Hinsichtlich der ISA sind zur Zeit Greenpeace, IUCN [6] und WWF zumindest in der Plenarebene, nicht jedoch in den Untergruppen aktiv.

SB: Könnten Sie näher erläutern, was genau mit "beobachten" gemeint ist?

StL: Man nimmt an den Sitzungen teil und kann Statements abgeben. Im Fachjargon nennt sich das "Intervention". Bei manchen Abkommen kann man nur am Anfang der Diskussion ein Opening-Statement abgeben, bei anderen, wie den OSPAR-Treffen [7], darf man ständig mitreden. Da kann sehr viel Fachwissen eingebracht werden, auch Studien werden angenommen. Ich habe heute in meinem Vortrag das Beispiel von den ersten Hohe-See-Schutzgebieten im Nordatlantik und dem Mittelatlantischen Rücken erwähnt. Das Charlie-Gibbs-Gebiet [8] ist tatsächlich ein Baby des WWF. Wir haben das wissenschaftlich begründet, die Stellungnahme dort eingereicht, und das wurde dann von den Staaten mehrheitlich verabschiedet.

Kartenausschnitt der Nordhalbkugel mit dem Mittelatlantischen Rücken im Bildzentrum - Karte: Pimvantend, angefertigt mit Material von NOAA, ETOPO1, GPLATES, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Schwarze Querlinien: Charlie-Gibbs-Bruchzone im Nordatlantik. Schwarze Flächen: Landmassen. Untermeerisches Höhenprofil von rosa (flach) bis dunkelblau (tief).
Karte: Pimvantend, angefertigt mit Material von NOAA, ETOPO1, GPLATES, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported via Wikimedia Commons

SB: Bei dem Workshop wird sehr häufig das Umweltschutzthema angesprochen. Welchen Eindruck hat das bei Ihnen hinterlassen? Glauben Sie, daß dennoch der marine Bergbau auf die Bahn gebracht wird, weil ökonomische Interessen im Vordergrund stehen?

StL: So sieht die Lage aus, ja. Wie ich schon sagte, unsere breiteste Forderung, die ich auch vorgetragen habe, lautet: keine weiteren Lizenzen für die Exploration und schon gar nicht für die Ausbeutung, solange eine Rechtslücke besteht und kein Umsetzungsabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf der Hohen See verabschiedet wurde. Das wäre ein erster Schritt, um ein Gegengewicht zum Bergbau zu bilden. Dazu gehört auch, daß man, so wie die EBSAs [9] das vorzeichnen, bestimmte Prozente von einem bestimmten Lebensraumtyp und Ökosystem als Schutzgut unangetastet läßt. Heute wurde 30 Prozent vorgeschlagen. Man kann ja darüber reden, wie man das macht.

Selbst in Gesetzeswerken der Europäischen Union wie der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie [10], die inzwischen seewärts sogar bis in die Tiefsee hinein angewandt wird, wird den Mitgliedsstaaten vorgeschrieben, daß sie 20 bis 60 Prozent der in ihren Gewässern vorkommenden Schutzgüter, die in den Anlagen dieser Richtlinie aufgelistet sind, sichern und bewahren müssen. Dazu gehören Riffe, biogene Riffe und auch heiße Tiefseequellen. So ein Ansatz fehlt noch immer für die internationalen Gewässer.

SB: Wird der internationale Meeresschutz immer mehr zu einem Schwerpunkt des WWF?

StL: Der ist schon ganz lange unser Schwerpunkt! Wir haben uns mit unserer Arbeit immer mehr von der Küste entfernt und sind mit unseren Vorschlägen und Konzepten in die Tiefsee und schließlich sogar in die Hohe See gegangen. Ich habe an der Kampagne zum Schutz des Wattenmeers mitgearbeitet und Vorschläge für das Anlegen von Meeresschutzgebieten in der Nordsee und noch weiter hinaus unterbreitet. Die ersten Schließungen für Kaltwasserkorallenriffe in der Tiefsee gehen stark auf diese Initiative zurück. Aber so etwas schaffen wir nicht allein. Eine ganz wichtige Begleitmusik bildet eine Szene von kritischen Wissenschaftlern, die uns mit Informationen füttern und auch politisch unterstützen. Das tun allerdings nicht alle, manche bleiben lieber im Elfenbeinturm.

SB: Wie bewerten Sie die Politik der Bundesregierung, unterstützt sie Ihre Arbeit?

StL: Nach allem, was wir auch aus Diskussionen mit den Bergbaubehörden, die die Lizenz zur Durchführung der Exploration von Meeresrohstoffen haben, wissen, besteht auf jeden Fall die Neigung, die bestverfügbare, umweltverträglichste Technik anzuwenden. Aber natürlich denkt man nicht daran, vom Tiefseebergbau abzusehen oder ein Moratorium einzugehen.

Seeteufel 'verschmilzt' mit seiner sedimentreichen Umgebung - Foto: Deepwater Canyons 2012 Expedition, NOAA-OER/BOEM

Wenn die Maschinen anrücken, nutzt ihm die beste Tarnung nichts - Seeteufel finden sich in vielen Habitaten der Ozeane.
Foto: Deepwater Canyons 2012 Expedition, NOAA-OER/BOEM

SB: In seinem Vortrag hatte Dr. Gerd Schriever [11] von "vermeidbaren" und "nicht vermeidbaren" Umwelteinflüssen gesprochen. Ist nicht schon im Sprachgebrauch angelegt, daß das angeblich Unvermeidbare in Kauf genommen werden soll?

StL: Ja, aber Dr. Schriever hat in dem Fall von "minimieren" gesprochen und nicht gesagt, daß man jene nicht vollständig zu vermeidenden Umweltauswirkungen einfach so geschehen lassen sollte.

SB: Gibt es für Sie einen Tiefseebergbau, der noch vertretbar wäre?

StL: Für den Bergbau am Meeresboden gilt natürlich irgendwo dasselbe wie für den Bergbau an Land. Auch da gibt es Umweltauswirkungen. Die müssen geprüft und minimiert werden. Insofern sehe ich da nicht den großen Unterschied. Aber bevor man in die Tiefsee geht, sollte man sich erst einmal darüber klar werden, daß die Landressourcen eigentlich noch gar nicht so erschöpft sind, wie immer behauptet wird. Das wurde ja hier auf dem Workshop auch thematisiert. Außerdem glaube ich, daß das Recyclingpotential für seltene Metalle noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Um aber noch einmal aufs Meer zurückzukommen: eine völlig umweltneutrale Fischerei wird es nie geben, und wir würden auch nie "Stellt die Fischerei ein!" fordern. Die Nutzung von Ressourcen aus dem Meer sollte jedoch nachhaltig und möglichst umweltverträglich sein.

SB: Gelangt man da nicht zu der Frage, was der Mensch angeblich alles unbedingt zum Leben braucht?

StL: Ja, das ist nur in dem Fall sehr abstrakt und schwer zu vermitteln. Selbst hinsichtlich der Fischerei ist es schon abstrakt, weil wir es bei den internationalen Gewässern mit einer allgemein genutzten Ressource zu tun haben. Wenn jemand einen Schaden anrichtet, ist das nicht so leicht vermittelbar wie ein Schaden, den jemand an Land anrichtet. Das Problem besteht also darin, daß der Rohstoffabbau in der Tiefsee so weit weg ist und man ihn nicht mit eigenen Augen sehen kann.

SB: Herr Lutter, vielen Dank für das Gespräch.

SB-Redakteur und Interviewpartner am Tisch - Foto: © 2013 by Schattenblick

SB-Redakteur und Referent beim Versuch, die Probleme des Meeresbodenbergbaus etwas näher heranzuholen
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Hjalmar Thiel, Professor im Ruhestand für Biologische Ozeanographie der Universität Hamburg, hat die deutsche Tiefseeforschung über Jahrzehnte hinweg entscheidend mitgeprägt. Im Gespräch mit dem Schattenblick brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, daß der wohl nicht mehr zu verhindernde Meeresbodenbergbau möglichst umweltschonend durchgeführt wird.

[2] Die Clarion-Clipperton-Zone erstreckt sich rund 15 Grad nördlich des Äquators über mehrere tausend Kilometer im Pazifik zwischen Hawaii und Mexiko. Wegen der vielen Manganknollen am Meeresboden wird die Zone auch "Mangangürtel" genannt. Mehrere Länder, darunter Deutschland, vertreten durch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), haben hier von der Internationalen Meeresbodenbehörde Lizenzgebiete zugeteilt bekommen.

[3] Ab einer Hangneigung des Meeresbodens von etwa drei Prozent wird die Ernte von Manganknollen technisch schwierig, weil die Geräte dann zuviel Sediment aufwirbeln, sagte der BGR-Mitarbeiter Ulrich Schwarz-Schampera gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
http://www.sueddeutsche.de/wissen/bergbau-in-der-tiefsee-knollenernte-am-meeresboden-1.1054185

[4] Der Kontinentalsockel (Festlandsockel, Schelf) stellt die Fortsetzung eines Kontinents unter dem Meer dar. Für die Signatarstaaten des UN-Seerechtsübereinkommens regelt die UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels, welcher Staat bis wohin souveräne (nicht territoriale) Rechte über den Kontinentalsockel zum Zweck seiner Erforschung und der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen ausüben darf. Anerkannt wird eine Entfernung vom Festland von bis zu 350 Kilometern.

[5] Der britische Premierminister David Cameron hat kürzlich angekündigt, daß das Vereinigte Königreich stärker in den marinen Bergbau einsteigen wird und für die heimische Wirtschaft Einnahmen in Höhe von 40 Mrd. Pfund (47 Mrd. Euro) über die nächsten 30 Jahre zu erwarten sind. UK Seabed Resources, ein hundertprozentiges Tochterunternehmen des Rüstungskonzerns Lockheed Martin UK, hat sich mit dem Department for Business Innovation and Skills (Ministerium für Unternehmensinnovation und berufliche Qualifizierung) zusammengetan und von der ISA die Lizenz zur Erkundung eines 58.000 Quadratkilometer großen Gebiets im Manganknollengürtel erhalten. Die Fläche grenzt an das deutsche Lizenzgebiet.

[6] IUCN - International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (z. dt.: Internationale Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen). Diese Nichtregierungsorganisation setzt sich für den Natur- und Artenschutz ein.

[7] OSPAR steht für Oslo und Paris bzw. den Zusammenschluß von der Oslo-Konvention und der Paris-Konvention im Jahr 1992. Es handelt sich um ein völkerrechtliches Abkommen zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks.

[8] Die Charlie-Gibbs-Bruchzone ist die größte tektonische Versetzung des Mittelatlantischen Rückens. Sie liegt zwischen Island und den Azoren und besteht aus zwei parallelen Bruchzonen. Auf Anregung des WWF wurde das artenreiche Gebiet von der OSPAR-Kommission im Jahr 2010 als Meeresschutzgebiet anerkannt. Mit 145.000 Quadratkilometern ist es das weltweit größte Schutzgebiet auf Hoher See.

[9] EBSA - Ecologically or Biologically Significant Marine Areas (z. dt.: Ökologisch oder biologisch bedeutende Meeresgebiete). Umweltschützer wollen diese Gebiete einem besonderen Schutz unterstellen, damit beispielsweise seltene oder vom Aussterben bedrohte Arten erhalten bleiben.

[10] Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie wurde 1992 von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschlossen und ist Ausdruck der Naturschutzpolitik der EU.

[11] Dr. Gerd Schriever vom BioLab Forschungsinstitut Hohenwestedt hielt auf dem Workshop den Vortrag "Past German environmental impact studies on manganeses nodules" (z. dt.: Frühere deutsche Umweltfolgenstudien zu Manganknollen).


Weitere Berichte und Interviews zum Kieler Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" finden Sie, jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Rohstoff maritim", unter

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml

und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

16. April 2013