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INTERVIEW/073: Zukunft der Meere - Nachzubessernde Gerechtigkeit? Dr. Christoph Spehr im Gespräch (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See

Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Interview mit Dr. Christoph Spehr



Die Weltmeere bieten eine wichtige Nahrungsgrundlage für rund zwei Milliarden Menschen. Seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren haben sie rund 30 Prozent des menschengemachten Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) absorbiert. Auf diese Weise wirkten und wirken sie noch heute der globalen Erwärmung entgegen. Außerdem wird bei der Photosynthese in den Weltmeeren mehr Sauerstoff abgespalten und damit zum Atmen verfügbar gemacht als durch den tropischen Regenwald - eine Eigenschaft, die geschmälert wird, wenn sich die Meere weiter erwärmen. Kurzum, es hängt das Leben und Überleben vieler Menschen davon ab, wie in Zukunft mit den Weltmeeren umgegangen wird.

Da besteht wenig Grund, optimistisch zu sein. Das ging aus den Vorträgen und Diskussionen auf der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" am 7. Dezember 2013 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen hervor. Doch einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat im vergangenen Jahr das Hauptgutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" [1] veröffentlicht, in dem sowohl konkrete Handlungsempfehlungen als auch eine allgemeine Vision zu einem nachhaltigen und gerechten Umgang mit den vielfältigen Ressourcen der Meere entworfen wird. Dieses Gutachten stand im Mittelpunkt der regen Debatten der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, von denen viele nicht nur ökologische, sondern auch entwicklungspolitische Anforderungen an die Meeresnutzung stellten.

Im Anschluß an die Tagung ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, mit einem der Referenten, Dr. Christoph Spehr, in einem weniger institutionellen Ambiente ein Interview zu führen. Er ist Sprecher des Landesverbandes Bremen der Linkspartei sowie Mitglied von Fair Oceans, dem Arbeitsschwerpunkt des Vereins für Internationalismus und Kommunikation e. V., der die Tagung gemeinsam mit Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst und dem Forum für Umwelt und Entwicklung organisiert hat. An dem Gespräch hat sich auch ein weiterer Mitorganisator der Tagung, Kai Kaschinski, beteiligt. [2]

Alle drei Gesprächsteilnehmer sitzen an einem Restauranttisch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Reger Gedankenaustausch in entspannter Atmosphäre - Kai Kaschinski, SB-Redakteur, Dr. Christoph Spehr (von links nach rechts)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Christoph, wie bist du zu Fair Oceans gekommen?

Christoph Spehr (CS): Ich bin über den Fair Oceans zugrundeliegenden Verein IntKom dahingekommen. IntKom steht für Internationalismus und Kommunikation e.V. und hat sich wiederum aus der BUKO, der Bundeskoordination Internationalismus, heraus entwickelt, in der ich schon lange aktiv bin. Wir waren ursprünglich einmal die Zeitungsgruppe für den BUKO, woraus die entwicklungspolitische Zeitung "alaska - Zeitschrift für Internationalismus" entstand. Damals hatten wir verschiedenste Projekte gestartet und sind in den letzten Jahren dann auch auf die Probleme der Meere gestoßen. Unser Eindruck ist, daß es in der Hinsicht eine, ich will nicht sagen blinde, aber zumindest eine nicht hinreichend ausgefüllte Stelle gibt. Im Moment arbeiten wenige NGOs von der entwicklungspolitischen Seite her zum Meer. Das Thema ist eher von der umweltpolitischen Seite dominiert.

SB: Eine Zeitlang hat man das Meer nur als Nahrungsressource begriffen. Heute gibt es zahlreiche wirtschaftliche Nutzungen, angefangen von der Förderung von mineralischen Ressourcen, Erdöl und Erdgas bis zur Energiegewinnung mit Offshore-Windrädern. Welche Kriterien müssen diese Nutzungsformen erfüllen, um als fair zu gelten?

CS: Man kann eigentlich nicht sagen, daß das Meer die längste Zeit nur Nahrungsressource war, es hat immer eine komplexe Nutzung gegeben. Beispielsweise galt es von den Verkehrswegen her immer als eine strategische Ressource. Und als in der frühen Neuzeit die Übernutzung und Ausrottung von Fischen und der ersten Walbestände einen enormen Schub erfuhren, ging es nicht nur um Nahrung, sondern auch um Fischbein und Walfett. Damals hat man in Europa mit Talglampen Licht gemacht.

Die Ressourcengewinnung aus dem Meer war also immer schon sehr komplex. Aber richtig ist natürlich, daß mit der technischen Entwicklung die Nutzungsgrenzen in verschiedenen Schüben weiter vorangetrieben wurden. Lange Zeit waren bestimmte Fischreservate und Walbestände noch halbwegs geschützt, weil man sie nicht so gut erreichen konnte. Heute haben wir durch die technischen Möglichkeiten, auch in Verbindung mit Informationstechnologien und der Tiefenerfassung, eine unglaubliche Erschließungsdichte. Wenn man sich die entsprechenden Pläne zur Nordsee ansieht, dann ist da kein Unterschied zur Raumplanung an Land zu erkennen. Man muß solche Pläne auch machen, aber sie vermitteln einen Eindruck von der Vollständigkeit, mit der eine Erschließung heute möglich ist.

Ich finde es nicht ganz einfach zu definieren, was eine faire Nutzung sein könnte. Erstens müßte sie eine sein, die das Meer als eine produktive Ressource entlang seiner natürlichen Produktivität nutzt, sie also nicht zerstört oder übernutzt, sondern das verwendet, was unter Erhalt dieser Produktivität möglich ist. Das würde sich sehr von der heute üblichen Praxis unterscheiden. Zweitens müßten Formen entwickelt werden, um die Nutzung in einen globalen Ausgleich einzubetten. Man muß berücksichtigen, daß Länder sowohl technologisch als auch geographisch unterschiedliche Zugänge zum Meer haben, und es besteht der Anspruch, daß es genutzt wird, um in den nächsten Jahrzehnten auch die großen Ressourcen- und Nahrungsprobleme im Rahmen einer auf Erhalt ausgerichteten Nutzung mit zu lösen. Das wäre fair.

SB: Hältst du die zehn Kriterien [3] des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen - WBGU - für ausreichend, damit das Meer als Ressource und Lebensraum bewahrt wird?

CS: Ich finde es gut, daß der wissenschaftliche Beirat damit auf ein Modell zugeht, das eine andere Managementstruktur hat, als sie üblicherweise verwirklicht wird. Solche Instrumente werden gebraucht, um schon im Ansatz zu sagen, daß etwas als eine gemeinsame Ressource bewirtschaftet wird. Das sind zumindest Voraussetzungen, auf die man nicht verzichten kann, und die anders sind, als zu sagen, in weiten Bereichen können Staaten mit den Meeresressourcen machen, was sie wollen, oder können sie privatisieren und die Nutzungsrechte beliebig verkaufen.

Mir fehlt aber in der Herangehensweise des WBGU ein bißchen die Frage des internationalen Ausgleichs. Auch könnte der Entwicklungsaspekt stärker betont sein, denn der wurde in dem Gutachten relativ wenig berücksichtigt. Zudem fehlt der ganze Bereich Arbeit, Beschäftigung und die Bedeutung von Arbeits- und Einkommensstrukturen, die mit dem Meer verbunden sind, auch auf globaler Ebene. Aber alles in allem geht der Beirat mit den Kriterien in eine Richtung, die ich sehr gut finde.

Brennender Ölteppich auf dem Meer - Foto: US Navy

Fragwürdige Managementstruktur: Explosion und Untergang der Ölbohrplattform Deepwater Horizon lösten bisher schwerste Umweltkatastrophe durch ein Einzelereignis in der Geschichte der Erdölförderung aus.
Beispiel für "kontrolliertes" Abbrennen von Ölteppichen auf dem Meer, 6. Mai 2010.
Foto: US Navy

SB: In deinem Vortrag hast du den Wert der Ressourcen erwähnt. Da hatte ich den Eindruck, daß du einen etwas anderen Ansatz verfolgst als normalerweise Umweltschützer. Kann es sein, daß du die Erforschung einer nachhaltigen Technologie für wichtiger erachtest als die Erforschung der möglichen ökologischen Einflüsse?

CS: Ich halte es in der Tat für hochwichtig, daß man an Fragen der Management- und Verwaltungsstrukturen mindestens genauso viel denkt wie an die Frage der ökologischen Bewertung. Es gibt einen Dialog von Umwelt-NGOs in der Öffentlichkeit, den ich an sich auch gut finde und der darauf hinweist, wie wichtig die Ressource Meer für den Erhalt der Ökosphäre ist. Aus dem Dialog ergibt sich, daß man das Meer eigentlich so weit wie möglich in Ruhe lassen müßte. Der Wunsch ist auch legitim, doch dazu wird es nicht kommen, weil das Meer heute schon weitreichend genutzt wird und in der Vergangenheit genutzt wurde.

Aber es müssen Auseinandersetzungen um die Form der Nutzung und um ihre Regulierung geführt werden. Bei so einer Diskussion muß man auf der Hut sein, weil die politischen Entscheidungsträger ansonsten sagen: "Ja, das Ressourcenproblem ist ganz schlimm und wichtig, das erkennen wir an." Und dann machen sie all die Klauseln, die ihnen von den Lobbyorganisationen gesagt und ihn von der Industrie diktiert werden, und man stellt am Ende fest, daß sie zwar die Ziele der NGOs bejaht, aber verhältnismäßig wenig für ihre Umsetzung getan haben.

Das passiert normalerweise. Deswegen muß man die andere Seite mit einbinden und auch Bündnisse schließen, wobei mir der Aspekt schon wichtig ist zu sagen, daß etwas eine bedeutende Ressource für die Entwicklung und das Überleben der Menschheit ist oder daß sie für die unverzichtbare ökologische Wende genutzt werden muß; und daß es völlig idiotisch und verbrecherisch ist, die Ressource kurzfristigen Profiten zu opfern, denn das machen wir an Land nicht mehr in gleicher Weise wie früher und soll auch die nächsten 30 Jahre im Meer nicht geschehen. So eine Argumentation muß begleitend aufgebaut werden, um aus dieser Falle des Appellativen herauszukommen. Darum geht es mir eigentlich.

Kai Kaschinski (KK): Christoph und ich haben uns viel mit Natur, Nachhaltigkeitskritik und Naturbildern beschäftigt. Wenn man sich nun die Szene anguckt, die sich mit dem Meer beschäftigt, dann entsteht der Eindruck, als würden die Debatten, die in den 80er, 90er Jahren für den Natur- und Umweltschutz an Land geführt wurden, noch ausstehen, nämlich anzuerkennen, daß auch das Meer zu einer immer mehr von Menschen genutzten Kulturlandschaft wird und wir deshalb unser Naturbild ebenso wie unsere Forderungen anpassen müssen. Genau, wie Christoph das eben gesagt hat. Denn viele Leute gehen davon aus, daß, wenn wir das Meer schützen, wir die Wildnis schützen. Aber in der Realität trifft das nicht zu. Wir schützen nicht die Wildnis, wir nutzen sie.

CS: Ich kann keine Bündnisse mit Kleinfischern oder einer kleinen Fischereiindustrie, mit bestimmten Entwicklungsländern oder auch Dritte-Welt-NGOs schließen, wenn ich die Frage der Nutzung eigentlich ausklammern will. Das geht einfach nicht, dann werde ich mit meinem Anliegen relativ alleine stehen. Doch wenn man die Diskussion um eine faire Nutzung führt, so ist das meiner Meinung nach der einzige Weg, um breitere Bündnisse zustandezubringen, die auch auf internationaler Ebene etwas bewegen können. Das ist super schwierig im Moment, aber die einzige Chance.

SB: Wäre das eine typisch linke Meeresschutzpolitik? Gibt es das überhaupt, eine Meeresschutzpolitik der Partei der Linken?

CS: Jein. Bei der Linken steht Meeresschutz einerseits im Kontext von Entwicklungspolitik, was kein sehr stark bearbeitetes Feld ist, muß man ganz ehrlich sagen. Andererseits steht er im Kontext der Debatte um Commons und öffentliche Güter, die sich zögerlich entwickelt. Beide Felder halte ich für strategisch wichtig, sie standen aber nicht unbedingt im Fokus der Diskussionen der letzten Jahre.

Ein typisch linker Meeresschutz ist nicht nur ökologisch orientiert, sondern auch verbunden mit der Frage nach internationaler Gerechtigkeit. Dazu gehören Fragen von Ernährungs-, aber auch Arbeitssicherung, von Arbeitssituationen in Verbindung mit dem Meer, und es gehört natürlich die Eigentumsfrage dazu. All diese Fragen kann man nicht bearbeiten, ohne sie an einer Eigentumsdebatte aufzuhängen.

SB: Du hast in deinem Vortrag die Commons bzw. Gemeingüter recht positiv dargestellt. Ist der Begriff des Gemeinguts nicht auch ein Ausschlußkriterium gegenüber denjenigen Menschen, die nicht dazugehören?

CS: Ja, das kann zutreffen. Ich bin auch immer ein bißchen am Bremsen bei Diskussionen, in denen ohne Umschweife gesagt wird, Commons sind von vornherein gut, sie sind gleich solidarische Ökonomie und sowieso etwas ganz anderes. So einfach funktioniert das natürlich nicht. Commons sind eine Eigentums-, Verwaltungs- und Wirtschaftsform, die sich sowohl von Staatseigentum und Staatswirtschaft als auch von Privateigentum und freiem Markt unterscheidet. Aber es existieren eben auch ganz viele Mischformen, gemeinsame, vielleicht genossenschaftliche Bewirtschaftungsformen, die damit verbunden sind, daß etwas produziert und verkauft wird.

Auf der heutigen Tagung wurde am Beispiel der Fischerei in Westafrika darauf hingewiesen, daß es bei den Commons auch Ausschlußkämpfe gibt. Das ist ganz klar eine völlig offene Frage, ob Commons gerecht oder ungerecht sind.

Ölfässer, Müll und Korallen am Meeresgrund im Westpazifik - Foto: © Wolcott Henry 2005/Marine Photobank

Das Meer als Gemeingut? Bisher nur auf dem Gebiet der Müllentsorgung verwirklicht ...
Foto: © Wolcott Henry 2005/Marine Photobank

SB: Die ökonomischen und technologischen Voraussetzungen beispielsweise von reichen Staaten wie den USA und armen wie Haiti, um das Menschheitserbe Meer zu nutzen, sind sehr unterschiedlich. Kann man angesichts dessen überhaupt von einem Gemeingut Meer sprechen?

CS: Im Moment ist das Meer nur deklamatorisch ein Gemeingut, in der Realität ist es keines, weil die Startvoraussetzungen zur Nutzung völlig andere sind. Die Ausgleichsmaßnahmen greifen kaum, und die Überfischung wird im wesentlichen von einer Handvoll Staaten, einem Bruchteil der globalen Fangflotte, betrieben. Völlig richtig, das ist keine gemeinschaftliche Nutzung.

Wir sehen ja auch die Probleme, eine gemeinschaftliche Nutzung zu installieren, bei der Meeresbodennutzung. Da passiert genau das: Es gibt Staaten, die entsprechen dem, was man in der Finanzwirtschaft Steueroasen nennt. Deren Geschäftsmodell besteht darin, eine nicht-nachhaltige Nutzung privater Art zu ermöglichen.

Das heißt, die Entwicklung des Meeres als Gemeingut ist eine Aufgabe für die Zukunft, und es wird natürlich nicht auf dem niedrigen Level gehen wie gegenwärtig beim Meeresboden. Wir beschäftigen knapp 13.000 Leute, um einen so kleinen Spot wie das Bundesland Bremen zu verwalten - die Meeresbodenbehörde muß mit viel geringeren Kapazitäten operieren. Oder wenn man sich anschaut, welcher Aufwand betrieben wird und welche Technologien eingesetzt werden, um das Mittelmeer zu überwachen, damit keine Flüchtlingsboote nach Europa kommen, und das mit dem vergleicht, wie wenig Piratenfischerei auf dem offenen Meer bekämpft wird; dann sehen wir da schon ein großes Ungleichgewicht, und das ist natürlich so gewollt.

Deswegen müßte auf ganz andere Weise in ein Gemeingut Meer "reingepowert" werden. Es müßten zum Beispiel Ausgleichsformen entwickelt werden und ein Technologietransfer stattfinden, so daß diejenigen, die technologisch im Moment vorne liegen, das nicht für sich allein nutzen können.

KK: Die Entstehungsgeschichte von UNCLOS, des internationalen Seerechtsübereinkommens, zu dem wir im vergangenen Jahr eine Tagung gemacht haben, zeigt, daß es von den Grundsätzen her schon Möglichkeiten bietet, die wir an anderen Stellen nicht haben, und daß darin ein Geist oder eine Idee aus den 70er Jahren heraus eingeschrieben ist. Damals waren die Staaten dekolonisiert, und Personen wie Elisabeth Mann Borgese [4] hatten mit ihrem Ansatz tatsächlich auch Fragen der Entwicklung und globalen Gerechtigkeit eingebracht. Die Etablierung von Ausgleichsmechanismen geht auf diese Zeit zurück.

Letzte Woche wurde hier in Bremen die zweite maritime Konferenz zu Seerechtsfragen abgehalten. Da zeigte sich, daß sich die Industrie durchaus Gedanken über bestimmte Punkte macht, die in das UNCLOS eingeschrieben sind, beispielsweise wo entsprechend Rücklagen für Entwicklungsländer und die Behörde selbst angelegt werden müssen. Es gibt in dem Abkommen in der Hinsicht mehr Optionen als an vielen anderen Stellen der Nutzung globaler natürlicher Ressourcen. Ich finde es sehr spannend, daß wir an die entsprechende Denktradition anknüpfen können.

SB: Will die Initiative Fair Oceans solche Denktraditionen bewahren?

KK: Ja, das wollen wir nach vorne bringen, darum finde ich auch das Hauptgutachten so gut. Da wird mit dem Allmende-Gedanken etwas aufgegriffen, das in vielen Behörden gar nicht gut angekommen ist. Das wurde auf der Tagung heute gar nicht erwähnt.

SB: Inwiefern kam es nicht gut an?

CS: Das WBGU-Gutachten ist in seinem Ansatz sehr fortschrittlich. Wir haben es mit einer interessanten Politikform zu tun. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Organisation des Atomausstiegs über die Enquetekommission, die dabei eine wichtige Rolle gespielt hat. Es gibt heutzutage schon mehr Bruchlinien in der staatlichen Politik als früher.

In der Hauptzeit des Umweltimperialismus, des Neokolonialismus und dessen fossilen Kapitalismus gab es diese Bruchlinien noch nicht. Da haben die mächtigen Staaten die Linie unterstützt: Wir verfeuern, was da ist, dadurch verschaffen wir uns einen zeitlichen Vorteil, und den bauen wir um in Dominanz. Das geht heute nicht mehr ganz so bruchlos vonstatten, weil eben doch Grenzen der Umweltbelastung zutage treten. Auch das hat eine Rolle dabei gespielt, daß so ein Gutachten überhaupt geschrieben werden konnte. Deshalb finde ich es auch hinsichtlich der Frage spannend, was man für andere Nutzungsformen durchsetzen kann.

KK: Du hast in deinem Vortrag in passender Weise nochmals auf die besondere Rolle von Deutschland aufmerksam gemacht. Es gibt viele Staaten, die einen wesentlich leichteren Zugang zu Ressourcen haben als Deutschland. Darum sind die Bundesregierung und die entsprechenden Institutionen stark an einem möglichst freien, durch die Meeresbodenbehörde regulierten, kontrollierten, damit auch sicheren und für alle Staaten gleichen Zugang zu den Ressourcen interessiert. Da die Bundesregierung in Sachen Fischerei keine großen eigenen Interessen hat, besteht somit durchaus eine politische Chance, in Deutschland Prozesse zu unterstützen oder mit zu beeinflussen, die auf eine faire, umweltverträgliche oder nachhaltige Meeresnutzung hinauslaufen. Zumal auch das Nachhaltige von Interesse ist, weil Deutschland eben auch bei der Herstellung von maritimer Technologie eine führende Exportnation ist. Da verschafft man sich dann natürlich einen Wettbewerbsvorteil, wenn man die Latte möglichst hoch hängt, so daß nur die, die technologisch relativ weit sind, diese Anforderung auch erfüllen und dann die entsprechenden technologischen Angebote zur Ressourcenförderung machen können. Da bestehen von unserer Seite durchaus Chancen, da reinzugehen und zu agieren, auch wenn die Zielrichtung nicht unbedingt die gleiche ist.

SB: Heute wurde der sogenannte Mining-Code der Internationalen Meeresbodenbehörde angesprochen. Es wird so getan, als wäre dadurch für alles gesorgt. Wobei es doch klar sein sollte, daß der Mining-Code nur bis zur Grenze der Forschungsmöglichkeiten gelten kann, nicht aber für bislang unbekannte Folgewirkungen des Meeresbodenbergbaus.

KK: Gut, aber der Mining-Code wird immer weiter entwickelt. Die fangen stufenweise an und beginnen mit der Exploration. Später wird die Förderung hinzugenommen, und dabei zunächst nur der Mangan-Knollen, dann der Massivsulfide und Kobaltkrusten. Durch die Anforderungen, die die Internationale Meeresbodenbehörde daran stellt, wird tatsächlich versucht, technologisch auf dem neuesten Stand zu bleiben. Und dadurch, daß es sich bei der Behörde um ein internationales Gremium handelt, das vor dem Hintergrund von UNCLOS arbeitet und einen wissenschaftlichen Austausch betreibt, kann man berechtigterweise darüber diskutieren, inwieweit das ein sinnvolles Regime ist, zumindest um erste Testversuche am Meeresboden durchzuführen. Das gestehen wir einfach deshalb zu, weil wir weitere Sicherheit über die Frage erlangen wollen, ob es sinnvoll ist, in der Tiefsee zu arbeiten oder nicht, und falls ja, unter welchen Bedingungen.

Der wirklich kritische Bereich ist unserer Ansicht nach die AWZ, die Ausschließliche Wirtschaftszone. Darum ist es auch richtig von Seiten des WBGU, auch wenn es nur eine politische Vision ist, vorzuschlagen, daß eine maritime Organisation aufgebaut wird, die in die AWZs hineingeht und die nationale Souveränität zurücknimmt. Allerdings haben wir schon vor Jahren mit Blick auf die Nachhaltigkeitsdebatte kritisiert, daß die jetzigen administrativen Strukturen nicht einfach durch ein wissenschaftliches Regime ersetzt werden. Das kann keine Alternative sein, was auch auf der Tagung angemerkt wurde. Es ist wichtig, daß die politischen Entscheidungsprozesse partizipatorisch und transparent sind.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Christoph Spehr bei der Diskussion auf der Tagung - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Das WBGU-Gutachten ist in seinem Ansatz sehr
fortschrittlich."
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf

[2] Ein SB-Interview mit Kai Kaschinski folgt in Kürze.

[3] Die zehn Kriterien in der Zusammenfassung des WBGU-Gutachtens [1] lauten:
1. Adaptives Management zielt darauf, die Wissensbasis für die Governance kontinuierlich zu verbessern und sie zeitnah für den Umgang mit den Meeren zu nutzen. Adaptives Management soll im Sinne eines Lernprozesses das Wissen über Ökosystemstruktur und -dynamik vertiefen und somit Schutz und Bewirtschaftung der Meere iterativ verbessern.
2. Anreize für Innovationen für eine nachhaltige und risikoarme Nutzung der Meere sollen Akteure belohnen, die statt kurzfristiger Gewinnmaximierung langfristig gedachte, nachhaltige Geschäftsmodelle für Nutzung und Schutz der Meere entwickeln.
3. Eine klare Zuweisung von Nutzungsrechten ist notwendig, um die Übernutzung des Kollektivguts Meer zu verhindern. Dies ermöglicht die Ausschließbarkeit von Nutzern und somit eine Koordinierung der Nutzung, sei es über Märkte oder über Verhandlungen. Zudem können die gesellschaftlichen Kosten der Nutzung nach dem Verursacherprinzip den Nutzern angelastet werden, so dass die externen Kosten internalisiert werden.
4. Ohne ein bisher unerreichtes Niveau globaler Kooperationskultur und globaler Kooperationsmechanismen sind Schutz und nachhaltige Nutzung des globalen Kollektivguts Meer unmöglich. Globale Kooperation ist Grundlage für die Entwicklung internationaler Übereinkommen für Meeresschutz und -nutzung sowie für deren gemeinschaftliche Umsetzung.
5. Subsidiäre Entscheidungsstrukturen, die Entscheidungskompetenzen primär bei dezentralen Entscheidungsträgern auf regionaler oder lokaler Ebene und sekundär bei zentralen internationalen Stellen ansiedeln, sind für die Akzeptanz globaler und nationaler Regulierungen entscheidend. Darüber hinaus wird durch eine derart verstandene Subsidiarität die effiziente Durchsetzung der Regulierungen erleichtert.
6. Transparente Informationen stellen sicher, dass die relevanten Daten für alle Akteure zugänglich sind.
7. Partizipative Entscheidungsstrukturen ermöglichen es, Interessen offenzulegen und führen zu Entscheidungen, die für alle Akteure nachvollziehbar sind.
8. Faire Verteilungsmechanismen sollen die gerechte Aufteilung der Gewinne aus mariner Ressourcennutzung sowie der Kosten, z.B. von Schutz, Monitoring, Überwachung und Sanktionierung, gewährleisten. Dies gilt für die Kosten- und Nutzenteilung sowohl zwischen Staaten als auch zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen eines Staates.
9. Konfliktlösungsmechanismen sind notwendig, um die vielfältigen Nutzungsinteressen verschiedener Akteure (z.B. Staaten und Individuen) abzustimmen.
10. Sanktionsmechanismen auf den verschiedenen Governance-Ebenen sind zentrale Instrumente, um die Einhaltung von Nutzungsregelungen durchzusetzen.

[4] Elisabeth Veronika Mann Borgese (1918-2002): Tochter des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Sie war maßgeblich am Zustandekommen des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982 beteiligt und mitverantwortlich dafür, daß die Meere als Gemeingut aufgefaßt werden.


Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung finden Sie unter:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

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BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!

BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?

BERICHT/064: Zukunft der Meere - Welterbe, Weltbesitz (SB)
Zum Vortrag von Dr. Christoph Spehr über "Die Weltmeere, ein Gemeingut mit Zukunft?"

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Interview mit Dr. Onno Groß

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5. Januar 2014