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INTERVIEW/082: Atommüll ohne Ende - Rufer an der Küste, Irene Thesing im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Irene Thesing von der BI Kiel gegen Atomanlagen



Der sogenannte Atomausstieg der Bundesregierung erweist sich bei genauerer Betrachtung als Trugbild. Mindestens bis zum Jahr 2022 sollen die Atomkraftwerke weiterlaufen, und daß bis dahin nicht der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergienutzung eingeleitet wurde, kann man nicht sicher ausschließen. Vor allem aber handelt es sich von vornherein um einen partiellen Ausstieg, weil davon nicht alle Atomanlagen Deutschlands betroffen sind. Die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen bleiben davon unberührt und somit auch die vielen Transporte von radioaktivem Material von und zu diesen Anlagen.

Die Landeshauptstadt Kiel liegt an einem dieser Transportwege, dem Nord-Ostsee-Kanal, der meistbefahrenden künstlichen Wasserstraße der Welt. Nahezu jede Woche fährt hier ein Schiff mit Nuklearmaterial an Bord durch, berichtet die "Bürgerinitiative Kiel gegen Atomanlagen". [1]

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Irene Thesing
Foto: © 2014 by Schattenblick

Irene Thesing ist Mitglied dieser Initiative. Am zweiten Tag eines bundesweiten Treffens von Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen vom 28./29. März 2014 in Berlin zum Thema "Atommüll ohne Ende" beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick (SB): Du bist Mitorganisatorin der Veranstaltung "Campen gegen Atomkraft" in Kiel. Worum geht es da?

Irene Thesing (IT): Bei dem Camp geht es thematisch vor allem um Atomtransporte, weil durch den Nord-Ostsee-Kanal immer wieder Atomtransporte fahren, vor allen Dingen zur Versorgung der laufenden Anlagen in Gronau und Lingen. Die sind nicht vom Atomausstieg betroffen. Deshalb möchten wir weiter dagegen aktiv sein. Uns ist wichtig, daß auch diese Anlagen stillgelegt werden und nicht weiter die Illusion verbreitet wird, es gäbe einen Atomausstieg. Deswegen wollen wir an dem Camp Aktionstage zum Kanal machen, Workshops abhalten, ein Kulturprogramm anbieten und uns vernetzen.

SB: Bist du Mitglied in einer Umweltorganisation?

IT: Ich bin in die Bürgerinitiative Kiel gegen Atomanlagen eingetreten und ansonsten auch unabhängig aktiv.

SB: Sind die Atomkraftgegnerinnen und -gegner aus Kiel mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen vernetzt? Ich denke da beispielsweise an Gruppen gegen Fracking?

IT: Wir sind schon vernetzt, aber dennoch sind das eigenständige Gruppen. Wir versuchen auf dem Camp auch Workshops zur Braunkohle und zu Fracking zu machen, um die Themen übergreifend zu behandeln.

SB: Hast du hier auf der Veranstaltung schon Zuspruch für euer Camp erfahren, gehören die Leute hier zu euren Ansprechpartnerinnen und -partnern?

IT: Teilweise handelt es sich um Leute, die wir gefragt haben, ob sie einen Workshop machen wollen, beispielsweise zur Asse. Die haben sich auch positiv geäußert. Ansonsten werden eher andere Leute zum Camp kommen.

SB: Mit wievielen Personen rechnest du dort?

IT: Im letzten Jahr haben wir im Münsterland ein Camp gemacht, da waren es 100. Wir vermuten, daß es diesmal ähnlich viele werden.

SB: Häufig wird im Sommer auch ein Klima-Camp organisiert. Findet das auch in diesem Jahr statt und habt ihr euch mit denen abgestimmt?

IT: Das größte Klima-Camp ist meistens im rheinischen Braunkohlerevier. [2] Das ist eine Woche vorher - wir achten schon darauf, daß es nicht parallel stattfindet. (lacht)

SB: Die Kernfrage der heutigen Tagung lautet, ob man sich mit der Regierung an einen Tisch setzen soll oder nicht. Wie stehst du dazu?

IT: Man sollte es eher nicht tun. Weil ich glaube, daß auch diese Beteiligungstrategien dazu dienen sollen, den Widerstand zu befrieden und die Leute einzulullen. Das hat man gestern deutlich gehört: "Habt Vertrauen. Wir machen das schon alles." Bei allem, was sie bisher gemacht haben, sieht man, daß dabei das genaue Gegenteil herauskommt. Und in einer 24-köpfigen Kommission, in der dann zwei Leute aus der Bewegung sitzen sollen, dürfte das, was sie dann zu sagen haben, untergehen. Da finde ich es wichtig, die eigenen Positionen auch auf andere Weise in die Gesellschaft zu tragen.

SB: Was sagst du zu dem Vortragstitel des BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger: "Ist das unser Müll?"

IT: Das ist eine schwierige Frage. Ich würde nicht sagen, daß das mein oder unser Müll ist. Weil ich ihn nicht produziert habe, und ich wollte nie, daß er produziert wird. Das wurde entschieden, bevor ich geboren wurde. Ich will erreichen, daß man mit der Nutzung der Atomtechnologie aufhört, dafür kämpfe ich. Daß es nicht mein oder unser Müll ist, heißt nicht, daß der Müll nicht trotzdem da ist und es deshalb nicht sinnvoll sein könnte zu überlegen, wie man vielleicht am wenigsten schlecht damit umgehen kann. Trotzdem bin ich der Meinung, daß erst alle Atomanlagen stillgelegt werden müssen.

SB: Welche Forderungen erhebt ihr hinsichtlich der Atomtransporte? Sollen sie eingeschränkt werden?

IT: Nein, es geht uns um die sofortige Einstellung sämtlicher Transporte. Und damit auch verbunden die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau, die für rund zwei Drittel der Transporte verantwortlich sind.

SB: Was hattest du dir von dieser Veranstaltung erwartet?

IT: Zum einen noch mal ein bißchen mehr an Informationen zu kommen. Ich beschäftige mich meistens mehr mit Atomtransporten und den Anlagen in Gronau und Lingen und nicht so viel mit Atommüllagerung - wobei das natürlich auch immer mit reinspielt. Zum anderen auch ein bißchen die kritische Position zu der Kommission und der Beteiligung reinzutragen. Weil als klar vorausgesetzt wird, daß es die beste Lösung ist, da eine Beteiligung zu finden. Doch da bin ich gar nicht so sicher. Wir sind schon so oft über den Tisch gezogen worden.

SB: Irene, vielen Dank für das Gespräch.

Flyer mit stilisiertem Schiff auf einem Kanal, im Hintergrund ein Akw, und der Einladung zum 'Camp gegen Atomkraft' - Grafik: © antiatomcamp.nirgendwo.info

Einladung zum "Camp gegen Atomkraft"
Grafik: © antiatomcamp.nirgendwo.info


Fußnoten:

[1] http://bi-kiel.blogspot.de/

[2] Das Klimacamp im Rheinland findet dieses Jahr vom 26. Juli bis zum 3. August in Borschemich am Tagebau Garzweiler statt. Das Camp gegen Atomkraft findet vom 9. bis 16. August in der Nähe von Kiel statt.


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UMWELT → REPORT → INTERVIEW:

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3. April 2014