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INTERVIEW/112: Fracking nein danke - und alle Teile des Problems ... Jörg Irion von der Bürgerbewegung Berlin im Gespräch (SB)


Mecklenburg-Vorpommern - das Erdölland von morgen?

Demonstration am 24. Mai 2014 gegen die Förderung von Erdöl in Saal, Mecklenburg-Vorpommern

Jörg Irion über Fracking und die Gründung einer Umweltgewerkschaft zur Entwicklung der Kampfkraft gegen Konzerninteressen



"Es sind also vorrangig nicht Anwohner gewesen, die an der Demonstration teilnahmen. Und 'BI Erdöl Barth'? Wohl kaum, wenn man weiß, dass der Anmelder aus dem ca. 40 Kilometer entfernten Rostock kommt." [1]

So heißt es auf einer gegenüber der Förderung von Erdöl und Erdgas positiv eingestellten Website, und die hier präsentierte Argumentation, daß an einer Demonstration gegen Fracking in Saal vorwiegend keine Anwohner, sondern Auswärtige teilnahmen, dürfte stellvertretend für einen Standpunkt sein, mit dem versucht wird, ein überregionales zivilgesellschaftliches Engagement für eine lebenswerte Zukunft zu verunglimpfen. "Berufsdemonstrant" ist ein in solchen Zusammenhängen ebenfalls gern verwendeter Diskriminierungsbegriff.

Es wird von der besagten Quelle zwar nicht belegt, sondern lediglich gemutmaßt, daß die Mehrheit der rund 220 Demonstrantinnen und Demonstranten nicht aus Saal stammt, aber selbst wenn es so wäre, stellt sich die Frage, ob das der Ernsthaftigkeit des Anliegens dieser Menschen zu demonstrieren irgendeinen Abbruch tut. Wenn es so wäre, so müßte man folgerichtig das gleiche Argument auch dem Unternehmen entgegenhalten: Es ist zugereist, sein Firmensitz liegt in Berlin und ist damit sehr viel weiter vom Ort des Geschehens entfernt als der Wohnort desjenigen, der die Demonstration angemeldet hat. Sollte man deshalb vermuten, daß das Anliegen des Unternehmens Central European Petroleum (CEP), in Saal Erdöl fördern und dabei die umstrittene Technologie des Frackings einsetzen zu wollen, von keiner Ernsthaftigkeit getragen ist? Das wäre bedenklich.

Jörg Irion mit Plakat auf der Brust, das die Aufschrift trägt: 'Kein Fracking! Sondern erneuerbare Energien!' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Jörg Irion
Foto: © 2014 by Schattenblick

Jörg Irion ist so ein Auswärtiger. Er kommt aus Berlin und macht in Wieck Urlaub. Ihm ist es ein so wichtiges Anliegen, gegen Fracking zu demonstrieren, daß er dafür einen Urlaubstag opfert - und man darf doch wohl annehmen, daß die vorpommersche Ostseeküste für Urlauber attraktivere Angebote bereithält als ausgerechnet die Teilnahme an einer Demonstration. Im Gespräch mit dem Schattenblick vor Beginn des Protestzugs vom alten Saaler Bahnhof zum Bohrloch Barth 11 legte Jörg Irion seinen Standpunkt und sein Anliegen dar.

Schattenblick (SB): Was hat Sie motiviert, hier gegen Fracking zu demonstrieren?

Jörg Irion (JI): Ich mache gerade in Wieck Urlaub und habe davon erfahren, daß hier heute eine Demonstration gegen die Erdölförderung stattfindet und daß voraussichtlich noch im Mai die Probebohrung durchgeführt werden soll als Ausgangspunkt für das angestrebte deutschlandweite Fracking. Deswegen unterstützen wir die Demo und wollen dazu beitragen, den Widerstand dagegen aufzubauen. Man weiß ja, daß Fracking inzwischen weltweit vorangetrieben wird. Obwohl wir eigentlich den Kampf um erneuerbare Energien führen, wird hier sogar ein Verfahren angewendet, das von seinen Auswirkungen her noch schlimmer ist als die bisherige Erdölförderung. Und die ist schon schlimm genug. Unser Klima ist akut in Gefahr, deswegen ist jeder Schritt in eine andere Richtung zu unterstützen und jeder Schritt in die falsche Richtung zu verhindern.

SB: Sind Sie selbst einer Initiative angeschlossen?

JI: Ich bin von der Bürgerbewegung für Kryorecycling, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz in Berlin. [2] Wir unterstützen als Organisation aktiv den Aufbau einer Umweltgewerkschaft. Da gibt es noch zwei weitere Organisationen und viele Einzelpersonen. Das soll in diesem Jahr noch stattfinden, also im November und dafür werben wir Unterstützer.

SB: Welche Zielgruppe wollen Sie ansprechen? Was schwebt Ihnen vor, wer sich Ihnen anschließen könnte?

JI: Eigentlich alle Menschen, die daran interessiert sind, daß wir die erneuerbaren Energien durchsetzen. Wir dürfen nicht nur immer an irgendwelche Politiker appellieren, sondern müssen das selber in die Hand nehmen und organisieren. Dem steht alles entgegen: Die aktuelle Politik, zum Beispiel jetzt auch unsere Regierung, und auch die Europäische Union. Das sollte eigentlich bei den Europawahlen eine große Rolle spielen. Beispielsweise sind manche Parteien oder Organisationen gegen die geplante Freihandelszone zwischen den USA und der EU. Die ist auch so ein Projekt, bei dem eigentlich das Gegenteil dessen gemacht wird, was zu tun wäre.

Eine Umweltgewerkschaft wollen wir deshalb gründen, weil wir früher an sich positive Erfahrungen mit den Gewerkschaften gemacht haben und das auch heute noch der Fall ist. Die sollten eigentlich den Kampf organisieren, was sie manchmal auch tun, um bessere Arbeitsbedingungen und anständige Löhne durchzusetzen, so daß man davon leben kann. Doch die Umwelt wird einfach vernachlässigt. In einzelnen Fragen wird es den Bürgerinitiativen überlassen, aufzuzeigen, daß sie anderer Meinung sind. Aber wir brauchen auch eine Kampforganisation, um diese Interessen durchzusetzen. Das ist ganz offensichtlich, und da halte ich den Aufbau einer Umweltgewerkschaft für die geeignete Maßnahme. Das könnte auch eine Verbindung zwischen den Organisationen der Arbeiterbewegung und der Umweltbewegung sein.

SB: Was unterscheidet so eine Gewerkschaft von der Umweltbewegung? Wie stellen Sie sich das vor?

JI: Das ist keine Gewerkschaft, sondern eine Organisation, die sich zum Ziel setzt, die verschiedenen Umweltinteressen und die verschiedenen Umweltinitiativen auch für die Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen zu organisieren. Wir haben ja ein ungeheures Wissen, aber wir haben keine Kampfkraft in Deutschland und deswegen müssen wir auch etwas tun, um diese zu entwickeln. Es gibt einzelne Organisationen wie zum Beispiel Greenpeace. Aber es hat mich ernüchtert, als im November 2013 rund 3000 Menschen gegen die UN-Klimaverhandlungen in Warschau demonstrierten und Greenpeace an einer ganz anderen Stelle eine spektakuläre Aktion gemacht hat. Das ist nicht der Weg, den wir brauchen. Wir müssen die Massen organisieren und mobilisieren und nicht so elitäre Aktionen machen. Das ist nicht der geeignete Maßstab - trotzdem unterstützen wir auch Aktionen von Greenpeace.

SB: Da wollen Sie aber reichlich dicke Bretter bohren, wenn Sie die Umweltverbände, die jeweils eigene Strukturen etabliert haben, dazu bringen wollen, sich zu beteiligen.

JI: Ja, und von denen einige zum Teil vom Staat finanziert werden, was politisch natürlich furchtbar abhängig macht.

SB: Wie ist der Stand der Dinge bei der Verwirklichung der Umweltgewerkschaft?

JI: Der Stand der Dinge ist so, daß wir sie im November mit etwa 5000 Initiatoren in Deutschland gründen wollen. Im Augenblick haben wir Dinge wie den Satzungsentwurf auf unserer Homepage unter www.umweltgewerkschaft.org veröffentlicht. Es muß darüber diskutiert werden, was das eigentlich für ein Instrument werden soll, an dem möglichst viele Leute beteiligt sind, so daß wir da eine ganz demokratische Struktur zusammenbekommen.

SB: Das ist also nicht im klassischen Sinne eine Arbeitervertretung?

JI: Nein. Das kann auch gar nicht sein, weil die Bauern genauso davon betroffen sind und für ihre Interessen kämpfen, die Ärzte davon betroffen sind, die Lehrer ebenfalls. Die müssen wir alle zusammenbringen. Deswegen ist das keine reine Arbeitervertretung, aber wir wollen natürlich die Einheit mit der Arbeiterbewegung herstellen.

SB: Wie stellen Sie sich die Aktionen einer Umweltgewerkschaft vor? Was könnte die machen? Auch zu Demonstrationen aufrufen?

JI: Unter anderem auch das. Aber auch Betriebsstillegungen oder Streiks organisieren. Das muß zusammenwirken. Im Augenblick haben die Mächtigen vor Streiks am meisten Angst. Deswegen wird auch versucht, über die Gewerkschaftsführungen, die da eher hörig sind, solche Maßnahmen zu vermeiden. Und die Streikvermeidungsaktionen sind im Augenblick ausgeprägter als umgekehrt die Bemühungen zu streiken. Obwohl ich schon sehe, daß die Bereitschaft zu streiken da wäre. Das sieht man am Beispiel von Opel. Die Mitarbeiter wollen den Streik eigentlich, die Gewerkschaften verhindern das, und trotzdem ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch da lautete die Frage: Setzt sich die Selbständigkeit durch oder macht man sich abhängig von irgendwelchen Funktionären?

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Demonstrationszug mit Fahnen und Plakaten bei einem Zwischenhalt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ein breites Bündnis schmieden ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://erdoelerdgasdeutschland.wordpress.com/2014/05/25/stell-dir-vor-es-ist-anti-fracking-demo-und-niemanden-interessiert-es/

Ähnlich wie in dieser Quelle wird in einem Leserbrief, den die "Ostseezeitung" veröffentlicht hat, zum Thema Demonstration in Saal argumentiert:
"Bis heute wird auf diese Art in Mesekenhagen Erdöl gefördert und bis heute sind dabei keine Umweltkatastrophen entstanden, aber die Ölförderung hat erheblich zum Wohlstand der Region beigetragen. Und das, obwohl die Methoden der DDR-Ölbohrer bei Weitem nicht den heutigen Umweltstandards entsprach. Dies ist wohl auch der Grund, warum die Ölförderungsgegner ihre 'Demonstranten' aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Berlin herankarren mussten."
http://www.ostsee-zeitung.de/Extra/Meinung/Leserbriefe/Alle-hier-sind-gegen-Fracking

[2] http://www.total-recycling.org/


Zur Anti-Fracking-Demonstration am 24. Mai in Saal sind bisher unter dem kategorischen Titel "Fracking nein danke" erschienen:
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BERICHT/074: Fracking nein danke - bohren, testen und zerbrechen (SB)
und
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INTERVIEW/111: Fracking nein danke - vorbei an Mensch und Natur ... Wilfried Fischer im Gespräch (SB)

6. Juni 2014