Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/138: Wohnstube Meer - Weitsicht, Umsicht und bedachtes Fischen ... Dr. Annika Mackensen im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Dr. Annika Mackensen über die Nützlichkeit der freiwilligen Richtlinien der FAO zur Kleinfischerei und die Vereinbarkeit von Meeresschutzgebieten und Kleinfischerei



Wenn der Supertrawler "Margiris" sein riesiges Fangnetz aufspannt, hätte darin ein Jumbo-Jet locker Platz. Rund 250 Tonnen Fisch könnte so ein Schiff pro Tag fangen und gleich an Bord verarbeiten. Doch auch kleinere Trawler haben in der Regel ein ungleich größeres Fangvolumen als die Schiffe der handwerklichen (artisanalen) Fischerei. Diese Kleinfischerei verzeichnet erhebliche wirtschaftliche Einbußen, weil die traditionellen, relativ küstennahen Fanggründe von ausländischen Trawlern leergefischt werden - es sei denn, das wird durch entsprechende Abkommen sowie eine aufmerksame Küstenwache unterbunden.

Eine Handvoll Fischer zieht ihr Holzboot an den Strand - Foto: Ji-Elle, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

David gegen Goliath - ohne wirksame Schutzmaßnahmen unterliegt die Kleinfischerei gegenüber ihrer Konkurrenz, die mit Supertrawlern wie die "Margiris" aufwartet.
Rückkehr der Fischer von Yoff, Dakar, Senegal, 1. Januar 2007.
Foto: Ji-Elle, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Weltweit sind rund 75 Prozent der Fischarten vom Aussterben bedroht. Das hat neben den ökologischen auch ökonomische Folgen, gibt es doch in den Ländern des Südens rund 500 Millionen Kleinfischer, denen der Fang vor dem Bug ihrer Boote weggeschnappt wird. "Kleine Fische, Großer Fang - Kleinfischerei im Kontext Internationaler Fischereipolitik" lautete zu dieser Problematik der Titel einer Veranstaltung auf der Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" vom 15. bis 17. Mai in Bremen.

Als Diskussionsgrundlage diente zum einen der 25minütige Film "Yaayboy - Vom Fischen im Trüben ..." [1], den Francisco Mari von der Organisation Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst vorstellte, und zum anderen die Erläuterungen der FAO-Mitarbeiterin Nicole Franz zu den "Voluntary Guidelines for Securing Sustainable Small-scale Fisheries" [2], den Freiwilligen Richtlinien zur Sicherung der nachhaltigen Kleinfischerei. Moderiert wurde das Treffen von Kai Kaschinski, einer der Hauptorganisatoren der gesamten Konferenz und Mitglied im Arbeitsschwerpunkt "Fair Oceans", des Vereins für Internationalismus und Kommunikation, IntKom.

Damit sich das nicht wiederholt, was in dem Film insbesondere am Beispiel Senegal gezeigt wurde, in dessen Küstengewässern zunächst russische Trawler Sardellen und Makrelen abfischten, dann die Fangflotten der Europäischen Union auf Jagd gingen und dabei vorzugsweise lukrative Edelfische wie Thunfisch, Doraden, Seezungen, Tintenfische und Zackenbarsche fingen (während der sogenannte Beifang wieder über Bord gekippt wurde), hat die FAO in Ergänzung zu einem früheren Abkommen aus dem Jahr 1995 und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft die besagten Freiwilligen Richtlinien erarbeitet. Daß diese nur "freiwillig" sind, wurde von den Teilnehmenden der Veranstaltung, aber auch der Referentin selbst als Manko bezeichnet; andererseits war man erleichtert, daß die Kleinfischerei überhaupt in den Fokus der FAO gerückt ist. Wobei das offenbar Folge einer seit etwa zehn Jahren zu beobachtenden Entwicklung ist, in der die Kleinfischerei einige Anerkennung erfahren hat.

Im Anschluß an das Treffen stellte sich Dr. Annika Mackensen, die keine offizielle Referentin war, sich aber als am Thema Kleinfischerei sehr interessierte Teilnehmerin in die Debatte eingebracht hatte, dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Frau Mackensen, Sie sprachen vorhin davon, daß Sie für eine Umweltorganisation zur Kleinfischerei arbeiten. Was ist da Ihre Aufgabe?

Dr. Annika Mackensen (AM): Ich arbeite für den WWF als Fisheries Certification and Livelihoods Manager, das heißt, ich arbeite zur Zertifizierung von Fischereien und den Lebensumständen beziehungsweise den Einkommenssituationen von Fischern. Da liegt mein Schwerpunkt dann auf der Kleinfischerei.

SB: Für den WWF ist die Kleinfischerei vermutlich kein klassisches Thema, seit wann wird denn dazu gearbeitet?

AM: Das sehe ich aber ganz anders! Gerade dadurch, daß wir ein so großes weltweites Netzwerk sind und viele Büros in den Ländern vor Ort haben, wo die Kleinfischerei noch einen erheblichen Teil der Produktion ausmacht, war dies schon immer ein großes Thema.

SB: Sie sprachen davon, daß Sie bereits mit den "Voluntary Guidelines" der FAO zur Kleinfischerei arbeiten. Könnten Sie das näher erklären?

AM: Bei der Kleinfischerei ist es immer schwierig, einen länderübergreifenden Ansatz zu entwickeln. Das ist problematisch für alle, die damit zu tun haben, auch für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe. Ganz oft verhält es sich so, daß sie einzelne Fallbeispiele studieren, aber es als sehr schwierig empfinden, einen Gesamtansatz zu entwickeln, weil die Kleinfischerei ziemlich divers ist. Deshalb ist es natürlich für uns, da wir eine weltweite Organisation sind und eine gewisse einheitliche Linie beibehalten wollen, sehr schön, wenn die FAO ein solches Instrument entwickelt, mit dem wir arbeiten und auf das wir uns beziehen können. So müssen die Entscheidungen nicht immer nur einzeln, von Situation zu Situation, getroffen werden.

SB: Wenn die Kleinfischerei davon abgehalten wird, in Meeresschutzgebieten zu fischen, dann müssen möglicherweise Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden. Entstehen aus dem Widerspruch zwischen Meeresschutz und Schutz der Kleinfischerei manchmal Probleme?

AM: Nein, das würde ich nicht so sehen. Meiner persönlichen Erfahrung nach - ich habe viele Jahre für lokale Organisationen in Lateinamerika gearbeitet - ist das zumindest kein schwerwiegender Widerspruch. Denn Meeresschutzgebiete sind nicht unbedingt hundertprozentige "No-take-zones". Es gibt zumindest in den Schutzgebieten, mit denen ich zu tun hatte, Bereiche, die zwar teilweise saisonal oder ganzjährig geschlossen, aber andere Bereiche, die für die Kleinfischerei offen geblieben sind. Nicht jedoch für die größeren Schiffe. Deshalb war es in den Gebieten, in denen ich in Südamerika gearbeitet habe, oft so, daß die Kleinfischer die Einrichtung von Meeresschutzgebieten sehr begrüßt haben, weil das beispielsweise bedeutete, daß auch die Grundschleppnetzfischerei nicht mehr so nah an ihre traditionellen Fischgebiete herankam.

SB: In Senegal waren aufgrund des Widerspruchs zwischen Meeresschutz und dem Verbot der Kleinfischerei Probleme aufgetreten, die aber geregelt werden konnten, nachdem der Fischbestand über die Grenzen der Verbotszonen hinaus zunahm, wovon wiederum die Kleinfischer profitierten.

AM: Ja, das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Außerdem ist es ja nicht mehr so, daß die Kleinfischer das alles gar nicht mitbekämen. Solche Sachen sprechen sich herum. In letzter Zeit erlebe ich oft, daß die Fischergemeinden das als direkten Benefit für sich entdecken.

SB: Gibt es in Südamerika so etwas wie länderübergreifende Fischereiabkommen für die Kleinfischerei oder unterliegt das alles nationaler Regie?

AM: Ich bin mir nicht sicher, ob da länderübergreifend auch schon Abmachungen getroffen wurden, auf jeden Fall gibt es die großen RFMOs [3], die gemeinschaftlich betrieben werden und in denen auch südamerikanische Länder organisiert sind. Dabei geht es teilweise um Thunfischfang und in diesem Rahmen auch um Kleinfischerei. Wobei sich gerade bei der Kleinfischerei die Frage der Definition stellt. Was ist überhaupt artisanale Fischerei? Das unterscheidet sich von Land zu Land und deshalb spricht man da teilweise von unterschiedlichen Dingen.

SB: Frau Mackensen, vielen Dank für das Gespräch.

Supertrawler am Kai festgemacht - Foto: free photos & art [(CC BY 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode]

Supertrawler KL 749 "Margiris Klaipeda" (IMO 8301187), fährt heute unter dem Namen "Abel Tasman". 11. Mai 2012.
Länge: 144 Meter
Netzlänge: bis zu 600 Meter
Breite der Netzöffnung: 80 x 35 Meter
Fangmenge pro Tag: bis zu 250 Tonnen
Lagerkapazität: über 6.000 Tonnen
Foto: free photos & art [(CC BY 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode]


Fußnoten:

[1] http://old.gep.de/ezef/index_658.htm

[2] ftp://ftp.fao.org/FI/DOCUMENT/ssf/SSF_guidelines/TC/2014/2e.pdf

[3] RFMO: Abkürzung für "regional fisheries management organisation", z. Dt.: "Regionale Fischereibewirtschaftungsorganisation".


Zur Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" sind bisher in den Pools
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
Ein Einführungsbericht
BERICHT/085: Wohnstube Meer - die See, die Arbeit und der Lohn (SB)
Die Billigflaggenkampagne der ITF

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ... Thilo Maack im Gespräch (SB)
INTERVIEW/106: Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ... David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/107: Wohnstube Meer - Mitgeschöpfe ... Tharaka Sriram im Gespräch (SB)
INTERVIEW/108: Wohnstube Meer - Forschung tut not ... Meeresbiologin Antje Boetius im Gespräch (SB)
INTERVIEW/109: Wohnstube Meer - Umsicht, Rücksicht, starke Regeln ... Prof. Dr. Uwe Jenisch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ... Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)
INTERVIEW/114: Wohnstube Meer - Plastik zum Dessert ... Nadja Ziebarth (BUND) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/115: Wohnstube Meer - Ungebremst' Zerstörungswut, Menschen bleibt da nur die Flucht ... Maureen Penjueli aus Fidschi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/127: Wohnstube Meer - Ausweg und Sackgasse ... Helmut Dietrich im Gespräch (SB)
INTERVIEW/130: Wohnstube Meer - dem Meer, dem Land, dem Rest der Welt ... der Seevölkerrechtler Erik van Doorn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/135: Wohnstube Meer - Rost und Gift den Armen ... Patrizia Heidegger im Gespräch (SB)

22. Mai 2014