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INTERVIEW/143: Kohlepatt Brandenburg - Wandel der Auslegung ..., Dirk Teßmer im Gespräch (SB)


Die Argumente des Widerstands sind umfassender und stichhaltiger geworden

Interview am 9. Juli 2014 in Berlin-Schöneberg



Der Rechtsanwalt Dirk Teßmer aus Frankfurt/Main, dessen Arbeitsschwerpunkte Umweltrecht, Verwaltungsrecht und Planungsrecht sind, ist Mitglied im Landesvorstand des BUND Hessen und Stellvertretender Sprecher des dortigen Arbeitskreises Recht.

Im Rahmen einer Pressekonferenz des BUND Berlin und des BürgerBegehrens Klimaschutz (BBK) am 9. Juli in Berlin-Schöneberg erläuterte Teßmer ein von ihm erstelltes aktuelles Rechtsgutachten, dem zufolge Berlin über die Gemeinsame Landesplanung auf die Brandenburger Braunkohlepläne einwirken kann. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den Eigentumsrechten beim Tagebau, Veränderungen in der Rechtsprechung und der Wahrnehmung des Themas Braunkohle in der Öffentlichkeit.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dirk Teßmer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Auf der Pressekonferenz klang an, daß bei den Planungsverfahren wie auch beim Bergrecht komplizierte Eigentumsfragen angesprochen werden, die einer breiteren Öffentlichkeit für gewöhnlich unbekannt sein dürften, obgleich sie die Lebensverhältnisse vieler Menschen unmittelbar oder mittelbar betreffen. Könnten Sie für unsere Leser erläutern, inwieweit nach dem Bergbaugesetz ein öffentlicher Anspruch Vorrang vor dem privaten Grundbesitz und anderen Schutzrechten hat?

Dirk Teßmer: Das Bundesberggesetz ist ein sehr unternehmerfreundliches Gesetz, das von Anbeginn darauf ausgerichtet war, Bergbau zu ermöglichen und Widerstände wegzuschaffen. Es ging über das hinaus, was mit unserer demokratischen Verfassung vereinbar ist, wie man klar sagen muß. Deswegen hat das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen und auch jüngst das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt, wo seine Grenzen verlaufen. Es mußte seitens der Gerichte immer wieder am Bundesberggesetz herumgedoktert werden, um zu zeigen, daß auch noch die verfassungsmäßigen Rechte der betroffenen Menschen zu wahren sind. Das betrifft natürlich das Eigentumsrecht, aber auch Gesundheitsrechte, die durch Bergbauvorhaben beeinträchtigt sein können, und auch die Persönlichkeitsrechte. Zudem war die Frage des Rechts auf Heimat ein Thema, das in Karlsruhe bei der Verfassungsbeschwerde den Tagebau Garzweiler betreffend behandelt wurde.

Leider hat es, was das Bundesverfassungsgericht im Garzweiler-Prozeß anbetraf, nicht dazu gereicht, das ganze Gesetz für verfassungswidrig zu erklären. Die Richter haben jedoch deutlich gemacht, daß sie hinsichtlich einiger Enteignungsvorschriften Bedenken haben. Die Verfassungsbeschwerde des BUND Nordrhein-Westfalen betraf eine Streuobstwiese, die für den Tagebau Garzweiler in Anspruch genommen und enteignet wurde. Diese Enteignung hat das Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Wenngleich das Grundstück verlorengegangen ist, wurde doch befunden, daß die Enteignung verfassungswidrig war. Das Gericht hat gezeigt, daß es nur unter bestimmten Maßgaben, die es allerdings für Garzweiler noch für erfüllbar hielt, dann auch enteignet werden darf.

In Brandenburg wird sich die Sache anders darstellen, weil der Tagebau Garzweiler in den 70er und 80er Jahren Teil der Braunkohleplanung und in den 90er Jahren im Braunkohleplanverfahren und im Genehmigungsverfahren war. Damals gab es natürlich noch ganz andere Vorgaben und Energieversorgungsstrukturen. Unter diesem Aspekt ist auch das Garzweiler-Urteil zu sehen. In Brandenburg haben wir heute bei dem Tagebau Welzow-Süd II oder Jänschwalde-Nord gänzlich andere Rahmenbedingungen, auch ganz andere gesetzliche Vorgaben, was unter anderem den Klimaschutz betrifft. Wir haben eine ganz andere Stellung der Kohle im Energiemix, die natürlich ohne Frage immer noch groß ist. Andererseits haben wir Aussagen des Umweltbundesamtes und des Sachverständigenrates für Umweltfragen, daß die Braunkohle ersetzbar ist. Es wird sehr spannend werden, prüfen zu lassen, ob man unter diesen Maßgaben noch enteignen darf.

Das Bundesberggesetz versucht ja, jede Tür offenzuhalten, aber die Gerichte haben es eingeschränkt. Der Tagebau Welzow-Süd II ist unter energiepolitischen Notwendigkeiten nach meinem Dafürhalten nicht zu rechtfertigen und steht selbst mit den energiepolitischen Leitlinien des Landes Brandenburg, der Energiestrategie 20/30, in Widerspruch. Das wird auf der Rechtsebene relevant werden. Eine Enteignung darf nur im zwingenden überwiegenden öffentlichen Interesse erfolgen. Wenn aber die Energieversorgung anderweitig sichergestellt ist und es um einen Export von Strom geht, dann bin ich sehr gespannt, wie die Gerichte in diesen Fällen agieren werden.

SB: Das heißt, daß sich im Grunde die Rechtsprechung geändert hat?

DT: Die hat sich definitiv mehrfach geändert. Es gab in den 90er Jahren schon gewisse Tendenzen, dann in den 2000ern zwei bahnbrechende Entscheidungen und das Garzweiler-Urteil, das leider nur zur Hälfte zugunsten der Betroffenen ausgegangen ist. Aber in der Hälfte, die zu ihren Gunsten ausfiel, handelt es sich um eine weitere Erschwerung, nach altem Stil Braunkohletagebau durchzugenehmigen und auch durchzuführen. Wenn jetzt die Öffentlichkeit das gesamte Verfahren auch noch stärker kritisch begleitet, dann kommen wir an den Punkt, wo Tagebaue nicht mehr genehmigt werden oder Genehmigungen von Gerichten aufgehoben werden.

SB: Sie haben im Zusammenhang des Genehmigungsverfahrens die Eigentumsrechte angesprochen. Wie verhält es sich im einzelnen mit diesen Rechten, wenn ein Energieerzeuger seine Interessen am Abbau der Bodenschätze durchzusetzen versucht?

DT: Der Bergbautreibende muß zwar zu einem gewissen Zeitpunkt auch Eigentumsrechte am Bodenschatz erwerben, also eine Konzession zum Abbau bekommen, aber er plant sein Vorhaben ja auf fremdem Grund. Er darf das nach dem Bundesberggesetz auch tun und hat dann die Enteignungsmöglichkeit, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. In der Praxis läuft es natürlich so ab, daß er sich schon im Vorfeld Flächen sichert. Wenngleich es bekanntermaßen schwierig ist, sich zumal als Einzelner gegen den Tagebau zu wehren, werden zum Teil auch kommunale Flächen verkauft, so daß es nicht in jedem Fall zur Enteignung und damit auch nicht zur gerichtlichen Entscheidung kommt. Das bergrechtliche Verfahren läuft jedoch nicht aus der Eigentumsposition heraus, sondern aus dem Interesse ab, daß man dort einen Tagebau führen will.

Der Bodenschatz Braunkohle gehört zunächst einmal niemandem. Er gehört nicht dem Eigentümer des darüberliegenden Grundstücks, denn es handelt sich um das Sonderrecht des Bergrechts, daß das Eigentum dann an den Bergbauunternehmer verliehen wird. Der Staat könnte natürlich nein sagen, hat es aber nicht getan. Er hat aber nicht das gewissermaßen bessere Recht, denn es handelt sich um ein Konkurrenzverhältnis: Der eine hat den Bodenschatz, dem anderen gehört die Oberfläche, und da gibt es kein Besser und Schlechter. Gäbe es ein Besser, hätte nach meinem Dafürhalten der Besitzer der Oberfläche im Grunde die besseren Rechte, weil er sie anders nutzt, aber das stelle ich erst einmal dahin. Der Bergbauunternehmer bekommt mit dem Bergrecht das Instrumentarium, seinen Tagebau zu planen und auch durchzusetzen, sofern die Voraussetzungen vorliegen.

SB: Wie beurteilen Sie als Jurist das Verhältnis von privatem Eigentumsrecht und dem bekundeten öffentlichen Interesse an der Energieerzeugung, das wiederum in privatwirtschaftlichem Sinne verwertet wird? Es findet ja in gewissem Ausmaß eine Form der privaten Aneignung statt.

DT: Die Gerichte haben klar entschieden, daß Enteignungen, die nur im fiskalischen und nur im privaten Interesse erfolgen, verfassungswidrig sind. Natürlich will Vattenfall damit Geld verdienen, was ja auch nicht per se verwerflich ist. Aber die Enteignung erfolgt vor allen Dingen, um die Energieerzeugungssicherheit herzustellen, soweit es in diesem Rahmen erforderlich ist. Dann kommt Artikel 14 Absatz 3 zur Anwendung: "Zum öffentlichen Wohl darf enteignet werden." Da muß der Private mit seinem Eigentumsrecht zurückstehen gegenüber dem bekundeten öffentlichen Interesse, daß das Grundstück benötigt wird. Das öffentliche Interesse zu definieren, ist zuvorderst Aufgabe des Gesetzgebers und des Landes Brandenburg - des Landes Berlin an der Stelle weniger, das allerdings über öffentliche Interessen im Rahmen der Landesplanung mitreden könnte, indem man festlegt, wie das öffentliche Interesse in Bezug auf die Energieversorgung aussehen soll. Insofern hat man also Möglichkeiten der Einwirkung. Das Garzweiler-Urteil hat gesagt, daß es Aufgabe der gewählten Parlamente ist, die öffentlichen Interessen zu bestimmen. Aufgabe der Gerichte ist dann zu prüfen, ob das eigentlich in sich schlüssig ist. Und da darf man bei aller Freiheit, die von den Gerichten zugewiesen wird, schon erhebliche Bedenken haben und kann gute Argumente dafür finden, daß hier der Punkt wohl überschritten ist.

SB: Trifft der Eindruck zu, daß die Wahrnehmung des Themas Braunkohle in der Öffentlichkeit größer geworden ist?

DT: Definitiv, wenn man sich überlegt, daß es im Rheinland früher überhaupt keinen Widerstand gab. Man nahm es gewissermaßen mit der Muttermilch auf, daß der Tagebau irgendwann kommt und alles wegmacht. Die Leute waren natürlich trotzdem unglücklich, aber man hat das nicht in Frage gestellt. Das ist mit Garzweiler schon gänzlich anders geworden, und ich glaube, im Rheinland würde man heute keinen neuen Tagebau genehmigt bekommen. Garzweiler II wird ja im Gegenteil reduziert, was einerseits auf das Garzweiler-Urteil, aber andererseits auch darauf zurückzuführen ist, daß man den Menschen in dem Ort Holzweiler, der bleiben darf, nicht mehr vermitteln konnte, daß er verschwinden sollte. Und natürlich ist die Kohle auch nicht mehr so wirtschaftlich wie früher.

In Brandenburg verhielt es sich ähnlich, denn es gab damals mit Horno noch das widerständige Dorf und das Versprechen, daß es nicht gegen den Willen seiner Einwohner abgebaggert würde. Zunächst gab es ein stärkeres Ressentiment, dann aber so etwas wie eine Ernüchterung, nachdem Horno weg war und die meisten dachten, daß man ja doch nichts machen könne. Inzwischen hat die Kontroverse um Welzow-Süd II jedoch Munition des Widerstands in einem Maße aufgenommen, wie man das bislang nicht kannte. Wenn Sie sich überlegen, wieviel Tausende, Zehntausende kritischer Stellungnahmen und ablehnender Einwendungen es gab, ist das in Deutschland, für welche Großprojekte auch immer, beispiellos und für Braunkohletagebaue allemal. Es sind letztlich - in Anführungszeichen - nur knapp 1000 Leute in Welzow-Süd betroffen. Aber allein das ist schon nicht zu rechtfertigen, und die Solidarität ist doch merklich größer geworden.

SB: Welche Folgen hat das für Ihre Arbeit gehabt? Ich könnte mir vorstellen, daß es ursprünglich eher ein juristisches Fechten auf einsamem Posten war.

DT: Im wesentlichen sind wir weiterhin Vertreter Davids gegen den Goliath, da hat sich insofern nichts geändert. Aber das Repertoire an Argumenten ist wesentlich größer geworden, Argumenten auch europarechtlicher Art, das ganze Naturschutzrecht, das Wasserrecht ist europäisch geprägt und sieht erst einmal keine großräumigen Ausnahmen für den Tagebau vor. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diese Dinge auch in den bergrechtlichen und wasserrechtlichen Verfahren einzubringen. Das tun wir - gerade gestern hat der Europäische Gerichtshof zu wasserrechtlichen Fragen verhandelt, was zwar nichts mit Braunkohle, aber sehr wohl mit der Frage zu tun hatte, wie die Weser durch die Vertiefung belastet wird. Dort sind die gleichen Fragen wasserrechtlicher Art wie bei dem Tagebauverfahren relevant. Insofern sind die Argumentationsmöglichkeiten nicht nur umfassender, sondern auch wesentlicher stichhaltiger geworden. Es steht ja heute im Kontext, die Kohle insgesamt auch gesellschaftlich in Frage zu stellen, was früher nicht der Fall war. Wenngleich die Richter natürlich nach Recht und Gesetz zu urteilen haben und das auch tun, sind sie selber Teil der Gesellschaft, so daß sich ihre Sichtweise auf die Buchstaben des Gesetzes mit dem Umdenken der Gesellschaft ebenfalls ändert.

SB: Herr Teßmer, vielen Dank für dieses Gespräch.


Bericht über die Pressekonferenz im Schattenblick unter
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BERICHT/087: Kohlepatt Brandenburg - Tic Tac Toe ... (SB)

29. Juli 2014