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INTERVIEW/146: Wohnstube Meer - Pionier- und Technikgeist, der dem Meere Wunden reißt ..., Dr. Kim Detloff im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Meeresschutzexperte Dr. Kim Detloff dazu, warum der NABU die Bundesrepublik Deutschland verklagt, warum es bei den geplanten Offshore-Windanlagen für ein Learning by doing fast zu spät ist und wer die eigentlichen Verlierer in diesem gewaltigen Freiland-Experiment sind ...



Es gibt viele Argumente für erneuerbare Energien. Fragt man nach den Klima- und Umweltschäden, die die Nutzung fossiler Energieträger mit sich bringen, ganz zu schweigen von den Risiken durch die Nutzung von Atomkraft oder nach problematischen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen in diesem Zusammenhang - Deutschland muß 98 Prozent Erdöl und 87 Prozent Erdgas importieren -, so treffen sich Umweltaktivisten aller Couleur in dem gemeinsamen Wunsch nach Unabhängigkeit von der fossilen wie nuklearen Energiegewinnung: "Die Sonne scheint, der Wind bläst, man solle die Kräfte, die die Natur "umweltfreundlich" zur Verfügung stellt, nutzen", ist gemeinhin die plausible Antwort auf das Problem. Während aber an Land die Nutzung alternativer Energien ebenfalls auf Widerstand bei jenen stößt, die in der Verspargelung der Landschaft und dem ungeheueren Flächenverbrauch solarer oder windenergetischer Anlagen eine Einschränkung ihrer eigenen Interessen sehen, scheint das Meer als endloser, sich selbst regenerierender Quell wilder, freier Naturenergie, die sich zum Selbstkostenpreis ausschöpfen läßt und praktisch unendlich zur Verfügung steht, der begehbarste Weg des geringsten Widerstands zu sein, und dazu eine "Win-Win-Situation", wie sie sich der moderne Mensch wünscht.

In der Luftaufnahme sind zwei Sportboote im Größenvergleich zu den gigantischen Windanlagen nur noch als kleine Punkte zu erkennen. - Foto: www.riffgat.de

Der erste kommerzielle Windpark in der deutschen Nordsee.
Foto: 2013 by www.riffgat.de

Nicht wenige, die dabei in flüchtiger Betrachtung an eine Art Perpetuum Mobile denken, denn die Meere stecken voller Energie. Gezeitenkräfte bewegen gewaltige Wassermassen. Starke Winde bauen mächtige Wellenberge auf. Fast 90 Prozent der weltweiten Windenergie stecken im Sturm über den Ozeanen. Wind, Wellen, Gezeiten und Strömung enthalten jüngsten Berechnungen zufolge gemeinsam etwa 300mal mehr Energie, als die Menschheit derzeit verbraucht. Da hätte man selbst ausreichend Nahtzugabe für die aufstrebenden Schwellenländer und ärmeren Länder, die der Industrialisierung entgegen zu fiebern scheinen. Und dabei gehen nicht einmal jene marinen Kräfte in die Kalkulation mit ein, die Ingenieure in der Ausbeutung von Temperaturunteschieden in verschiedenen Meerestiefen (Meereswärmekraftwerk) oder in der durch Salzgehaltunterschiede steckenden Energie (Osmosekraftwerk) sehen.

Diese Energieressourcen könnten den Strombedarf der Menschheit theoretisch spielend decken. Der industrialisierte Mensch könnte ohne Einschränkungen weiterleben wie bisher. Doch es gibt auch hier eine Kehrseite. So wird sich bestenfalls nur ein Teil davon nutzen lassen, weil viele Meeresregionen wie etwa die Tiefsee für die nötige Infrastruktur kaum zugänglich sind oder eine Anbindung an das Stromnetz beispielsweise mittels Seekabel geradezu unerschwinglich wäre. In den küstennahen Gebieten wiederum scheiden viele potentielle Standorte aus, weil sie mit Fischerei oder Schifffahrt konkurrieren. Besonders für die Erschließung der Offshore-Windenergie bestehen derzeit ergeizige Pläne. Mit der Erfahrung von Tausenden an Land errichteten "Spargel" gilt die Windenergietechnik inzwischen als ausgereift. Experten gehen davon aus, daß allein durch Wind über den Meeren weltweit rund 5000 Terawattstunden Strom pro Jahr geerntet werden könnten. Das entspricht etwa einem Drittel des derzeitigen jährlichen globalen Stromverbrauchs, der laut dem world ocean review 1, der 2010 vom Maribus Verlag in Kooperation mit dem Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" der Kieler Universität herausgegeben wurde, auf rund 15.500 Terawattstunden (TWh, 1 Terawattstunde entsprechend 1 Billion Wattstunden) geschätzt wird. Europa will im Rahmen des "Blue Growth", das auf der Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" in Bremen in vielen Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops kontrovers thematisiert wurde, erreichen, daß die Windenergieanlagen (WEA) auf See bereits bis zum Jahr 2015 rund 340 TWh jährlich liefern. Bis heute wurden weltweit rund 40 Offshore-Windenergieprojekte realisiert, die meisten in Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und Schweden. In die Pläne eingeschlossen sind 20 Prozent der ausschließlichen Wirtschaftszone vor der deutschen Nordsee, auf der Offshore-Windparks installiert werden sollen. Dabei werden zwei Trends deutlich: Zum einen werden die Anlagen immer größer, zum anderen wagt man sich in immer größere Tiefen vor, denn damit lassen sich immer größere Bereiche des Meeres für diese Zwecke erschließen.

Wurden die ersten Windparks noch zu Beginn dieses Jahrhunderts in Küstennähe und in Wassertiefen von 2 bis 6 Metern errichtet, so werden die Türme der Anlagen, die sogenannten Monopiles, inzwischen in mehr als 40 Metern Wassertiefe in den Meeresboden gerammt. Die Säulen müssen damit selbst größeren und bislang noch wenig erkundeten Meereskräften standhalten. Die größere Entfernung vom Land verspricht noch höhere Windgeschwindigkeiten, aber noch rauere Umweltbedingungen auf See, die eine anspruchsvolle, bislang noch nicht vollständig entwickelte Technologie erfordern, und ebenso eine, die dazu in der Lage ist, die angreifbaren Systeme sicher auf weichem Sediment zu verankern.

Auch schwimmende Konzepte für noch größere Wassertiefen befinden sich in der Entwicklung und werden teilweise bereits erprobt. So hat ein norwegisch-deutsches Konsortium die erste schwimmende "WEA" vor Norwegens Küste errichtet.

Seit Bau der ersten großen Windparks in Dänemark mehren sich die technischen Schwierigkeiten. In Deutschland hatte man daher mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums zunächst kleinschrittig begonnen, um im ersten Hochsee-Windpark "Alpha Ventus", etwa 40 Kilometer von der Nordseeinsel Borkum entfernt, erst einmal zwölf Windenergieanlagen verschiedener Hersteller auf Herz und Nieren zu prüfen.

Doch die Errichtung von Offshore-Anlagen ist wegen der anspruchsvollen Gründungsarbeiten und des aufwendigen Anschlusses an das Stromnetz nicht nur deutlich teurer und technisch anfälliger als an Land. Bei der Planung der "umweltfreundlichen" Stromgewinnung setzen sich Energiekonzerne wie Länder über teilweise bereits erkannte oder in der Diskussion befindliche Naturschutzgebiete hinweg. Darüber, welche Veränderungen die festen Aufbauten im Meeresuntergrund für die dortige Meeresumwelt mit sich bringen, wurden bislang nur wenig Erkenntnisse gewonnen, sie werden sich erst in der Praxis erweisen, in "learning by doing" gewissermaßen, ist die Befürchtung vieler Meeresschützer, denen nicht nur die bei Landratten allgemein beliebten Meereslebewesen am Herzen liegen wie Wale, sondern auch Meeresvögel wie Seetaucher und Trottellummen oder marginale Erscheinungen wie Bärtierchen, Kiefermündchen, winzige Würmer, Schnecken und Muscheln.

Im Anschluß an seinen Vortrag zum Thema "Offshore Windkraft in Deutschland - Naturverträglichkeit in Theorie und Praxis" ergab sich mit dem Meeresschutz Referenten des NABU-Bundesverbandes Dr. Kim Cornelius Detloff ein weiterführendes Gespräch darüber, inwiefern der Punkt 2 der Richtlinie der kürzlich in Kraft getretenen EEG Novelle "Die Meeresumwelt ist nicht gefährdet", der eine Voraussetzung für die Genehmigung von Windkraftanlagen darstellt, eine Frage des Standpunkts ist.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Rammarbeiten könnten schneller abgeschlossen sein, als daß das Gericht zu einer Entscheidung kommt.
Dr. Kim Detloff
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der NABU hat am 17. April nach Umweltschadensgesetz gegen den Bau der Offshore-Windparks Butendiek, "Dan Tysk", "Amrumbank West" und "Borkum Riffgrund II" Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingelegt. Grund für die Klage ist, daß der Umweltverband durch den Windpark Schäden bei streng geschützten Meeresvögeln und Schweinswalen befürchtet. Einmal noch die Frage. Gegen wen richtet sich die Klage jetzt genau, die der NABU anstrebt, gegen den Betreiber oder den Gesetzgeber?

Kim Detloff (KD): Die Klage richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Wir können nicht den Betreiber "wpd" [1] anklagen, weil der berechtigt sagt, er hat eine bestandskräftige Genehmigung. Das heißt, wir klagen nach Umweltschadensgesetz gegen die Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist die vertretende Behörde der Bundesrepublik Deutschland dort das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Das heißt, auf diese Weise bleiben das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und die wpd-Gruppe bei dem Verfahren zunächst außen vor. Sie sind nur "beigeladen", was bedeutet, daß sie irgendwann in dem Prozeß sicherlich eine Rolle spielen, aber beklagt ist die Bundesrepublik.

SB: Woran ist denn 2002 der Versuch von NABU gescheitert, das Projekt Butendiek zu verhindern?

KD: 2002 sind wir gescheitert, weil wir damals formell nicht berechtigt waren, in der ausschließlichen Wirtschaftszone, der sogenannten AWZ, nach Verbandsrecht zu klagen, das heißt, jenseits der 12-Seemeilenzone. [2] Das hat sich erst durch die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes 2010 geändert. Damals wurde der marine Artenschutz auf die AWZ übertragen und seitdem sind die Verbände berechtigt, gegen Projekte in der 200-Seemeilenzone vor Gericht zu ziehen.

SB: Hätte die Gegenseite heute noch andere Argumente, mit denen sie die Berechtigung der Klage anzweifeln könnte?

KD: Es gibt nach wie vor die Frage, ob das Umweltschadensgesetz Rücksicht nehmen muß auf die bestandskräftige Genehmigung. Wir, beziehungsweise unsere Juristen, sagen, nein, der Umweltschaden ist davon abgekoppelt, denn der entsteht, ob eine Genehmigung vorliegt oder nicht. Aber es gibt seitens des BSH die Argumentation, daß die bestandskräftige Genehmigung Butendiek nicht mehr rückgängig zu machen ist.

SB: Was ist an neuen Argumenten von eurer Seite dazu gekommen?

KD: Neue Argumente sind zum einen, daß bereits 2002 bekannt war, daß die fraglichen Gebiete Schutzgebiete werden sollten. Das ist immer ganz wichtig zu verstehen, denn letztendlich sind die Schutzgebiete erst 2008 durch die Europäische Kommission anerkannt und in nationales Recht überführt worden. Aber schon 2002 hatte man vor, das Sylter Außenriff und das Vogelschutzgebiet 'Östliche deutsche Bucht' zu Schutzgebieten zu machen. Also war allgemein bekannt, in welchem sensiblen Raum man sich bewegt. Heute sind das offizielle und zwar ganz zentrale Schutzgebiete. Gerade das Gebiet des Sylter Außenriffes ist 2009 als besonderes populationsbiologisches Gebiet für Seetaucher durch das sogenannte Seetaucherpapier definiert worden, das ich vorhin angesprochen habe. Und 2013 im Schallschutzkonzept ist es als Hot Spot für den Schweinswal definiert worden. Westlich von Sylt ist gewissermaßen die Kinderstube des Schweinswals. Dort bringen die Mütter ab April und Mai ihre Kälber zur Welt. Also gibt es für Seetaucher und für Schweinswale kein sensibleres Gebiet als das Sylter Außenriff. Und da liegt Butendiek mittendrin. Natürlich haben wir inzwischen noch mehr Kenntnisse über mögliche Schallauswirkungen oder über mögliche Flächen-beziehungsweise Habitatverluste, durch diese Scheuchwirkung, die Anlagen und Rotoren vor allem auf den Seetaucher und die Trottellumme haben. Das kannte man damals im Ansatz aber auch schon. Es hat sich also eher einiges an Wissen vertieft, als daß was ganz Neues dazu gekommen ist. Das ist genau der Punkt, den wir kritisieren. Man hätte schon damals diesen Windpark ablehnen müssen. Wir vom NABU setzen uns eigentlich schon seit 2001, 2002 naturschutzfachlich damit auseinander. Außerdem war der NABU an der Ausweisung der Schutzgebiete beteiligt. Insofern wußten wir schon sehr lange, daß es sich hier um einen besonders sensiblen Lebensraum handelt.

Eine Karte von der Nordseeküste, in der die geplanten Windparks sehr viel Fläche ausmachen. - Grafik: By Maximilian Dörrbecker (Chumwa) [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0 )], via Wikimedia Commons

Butendiek ist ein gelbes Dreieck rechts oben auf der Karte, ein Stück weiter links ist Dan Tysk, ein Stück darunter Amrumbank West (über HelWin alpha und beta). Borkum Riffgrund befindet sich etwa 50 Kilometer davon entfernt in dem untersten Windparkkomplex auf der linken Seite in der Mitte der Karte. Die feine Schraffierung zeigt, daß alle diese Projekte innerhalb der FF-Habitate und/oder der EU-Vogelschutzgebiete liegen.
Grafik: By Maximilian Dörrbecker (Chumwa) [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0 )], via Wikimedia Commons

SB: Gäbe es denn überhaupt die technische Möglichkeit, den Bau an Butendiek jetzt noch aufzuhalten? Oder ist das Stadium schon zu weit gediehen, daß bereits gravierende, irreversible Schäden da sind?

KD: Das ist eigentlich die ganz entscheidende Frage. Wir haben, wie gesagt, Mitte April die Klage eingereicht. Aber letztendlich ist das Verfahren so komplex und für die verantwortliche Kammer in Köln auch ein relativ neues und umfassendes Thema, daß wir befürchten müssen, daß die Rammarbeiten, die sehr gut und schnell voranschreiten, schneller abgeschlossen sind, als daß das Gericht zu einer Entscheidung kommt. Wir müssen aber zwei Dinge trennen, denn wir klagen zwar einmal gegen den Umwelt- beziehungsweise Gesundheitsschaden, der den Schweinswalen durch die Lärmemission bei den Bauarbeiten droht, wir klagen aber zum anderen wegen des dauerhaften Gebietsverlustes für die Seetaucher. Und wenn wir nun im schlimmsten Fall anerkennen müssen, daß die Rammarbeiten abgeschlossen sind und für den Schweinswal das Kind in den Brunnen gefallen ist, können wir immer noch sagen, wenn der Park nicht errichtet wird, also nicht noch die Turbinen auf die sogenannten Monopiles aufgesetzt werden, ist das immer noch ein Gewinn für den Seetaucher. Und das ist letztendlich die Entscheidung, die das Gericht fällen muß. Es könnte sogar zu der Entscheidung kommen, daß rückgebaut werden muß.

Auf verschiedenen Bildern wird der Ablauf der Gründung eines Monopiles bzw. Fundaments der Windkraftanlage gezeigt. Im letzten Schritt ragen die Fundamente ohne Windanlagenaufsatz aus dem Meer. - Fotos: 2013 by www.riffgat.de

Aufwendige Gründungsarbeiten, wie mag da ein Rückbau aussehen?
Fotos: 2013 by www.riffgat.de

SB: Du sagtest vorhin, daß der Fall Butendiek besonders deswegen problematisch wäre, weil es ein riesiges Freilandexperiment ist. Könntest du das noch etwas näher erläutern?

KD: Mit "riesigem Freilandexperiment" meine ich eigentlich das gesamte Ausmaß der Ausbaupläne in Deutschland. Wenn wir tatsächlich auf 20 Prozent der ausschließlichen Wirtschaftszone in der deutschen Nordsee Windparks installieren wollen, dann verändern wir ein ganzes Ökosystem. Wir bringen Hartsubstrat ein, wir bieten Trittsteine für invasive Arten, wir bauen eine Barriere auf für den Vogelzug - all das läßt sich heute noch gar nicht abschätzen. Dieser großmaßstäbige Ausbau der Off-Shore Windkraft ist das eigentliche Freilandexperiment. Das gibt es an keiner anderen Stelle der Welt. Ein einzelner Park bringt nicht diese gewaltigen Veränderungen mit sich.

SB: Und es gibt praktisch überhaupt keine Möglichkeiten, vorauszusehen oder abzuschätzen, was damit an Umwälzungen in der Natur entsteht?

KD: Nein dieses Ausmaß läßt sich von einem einzelnen Park mit 80 oder 120 Turbinen nicht auf ein paar tausend Turbinen hochrechnen. Alles weitere ist wirklich Spekulation. Das ist ja genau das, was alle Wissenschaftler immer wieder konstatieren, die an der Begleitforschung des ersten Hochseeparks "Alpha Ventus" beteiligt sind. Sie können sagen, was an zwölf Fundamenten passiert, aber sie können überhaupt nicht einschätzen, was passiert, wenn da plötzlich 2000 stehen. Dahinter ist wirklich ein ganz großes Fragezeichen.

SB: Finden die Wissenschaftler solche großmaßstäblichen
Umweltexperimente eigentlich spannend?

KD: Sicherlich. Ich glaube schon, daß bei den Wissenschaftlern dann zwei Herzen in einer Brust schlagen. Es ist immer spannend, wenn so eine neue Technologie in einem höchst anspruchsvollen und komplexen Lebensraum umgesetzt wird. Ich meine aber in den Gesprächen zu erkennen, daß vielen Wissenschaftlern die damit verbundenen Risiken und Gefahren durchaus bewußt sind.

SB: Eine Befürchtung der Gegner von Offshore-Anlagen ist, daß die Rammungen Spitzenwerte von 200 Dezibel erreichen können. 130 Dezibel gelten als Schmerzgrenze bei Menschen und in diesem Bereich erleidet das Gehör von Walen nachweislich Schaden. Die Beeinträchtigungen fangen jedoch schon bei geringeren Werten an, sagtest du in deinem Vortrag. In einem anderen Zusammenhang habe ich nun gelesen, daß Airguns oder Luftpulser-Signale, die bei der Erkundung von Rohstoffen auf dem Meeresboden verwendet werden, sehr tiefe Töne in einem Schallbereich von 300 Herz abgeben, die von Walen und Meeressäugern noch in 1000 Kilometern Entfernung wahrgenommen werden können.

KD: Ja richtig, es ging dabei um Blauwale.

SB: Dabei werden gemeinhin Maskierungsprobleme, die irritierende Überlagerung der Walkommunikation mit ähnlichen Lauten und damit einhergehend Verhaltensstörungen diskutiert, ich finde es zeigt doch, wie weit Geräusche unter Wasser transportiert und wahrgenommen werden. Ist das eine neue Erkenntnis oder eine Frage, die vielleicht auch auf Rammgeräusche übertragen werden müßte, in welchen Entfernungen noch Tiere unter dem Lärm leiden?

KD: Ja. Ganz entscheidend ist dabei, daß wir zwar einen Grenzwert haben, aber bei den Untersuchungen, die gemacht wurden und die wir kennen, nie das gesamte Frequenzspektrum berücksichtigt wurde. Tatsächlich entstehen bei der Rammung - sowohl im tieffrequenten Bereich, aber ebenso im hochfrequenten Bereich - Schallemissionen. Für den Schweinswal sind die hochfrequenten Töne besonders entscheidend, weil er damit navigiert und jagt. Im tiefen Bereich verzeichnen wir also vor allem Maskierungseffekte, doch im hochfreqenten Bereich werden wirklich wichtige Lebensfunktionen beeinträchtigt und das sind eben genau die Töne, die für das Gehör besonders gefährlich sind und bei denen die Tiere ein Trauma, die sogenannte temporäre Hörschwellenverschiebung TTS, erleiden. Aus diesem Grund unterscheidet man einmal den sogenannten Spitzenschallpegel oder SPL von 190 bis 200 Dezibel, der mit einem Hammerschlag erzielt werden kann, und den Schallereignispegel oder SEL, der den gesammelten Schall über einen bestimmten Zeitraum erfaßt. [3] Während der Spitzenschallpegel 190 Dezibel nicht überschreiten darf, soll der Schallereignispegel unter 160 Dezibel bleiben. Das versteht man unter einem dualen Lärmschutzkriterium. 190 Spitze, 160 SEL. Das sind jedenfalls die Bedingungen, die vom Umweltbundesamt für den Schweinswal gefordert sind.

Die grafische Darstellung zeigt eine Röhre mit Blasen, in die der Monopile hineingerammt wird. Das soll die Rammgeräusche auf den 160/190er Wert halten. - Grafik: 2013 by www.riffgat.de

Lärmschutz zur Einhaltung dualer Kriterien
Grafik: 2013 by www.riffgat.de

SB: Könnten nicht andere Bereiche des Schalls wie die tiefen Frequenzbereiche oder die Anzahl von Impulsen, die noch nicht erforscht sind, ebenfalls eine starke und möglicherweise schädigende Wirkung auf Tiere haben und müßten diese nicht ebenfalls in den Forderungen nach Grenzwerten berücksichtigt werden?

KD: Das wäre praktisch ein Fall für weitere Forschung, daß man lernt, Schallemission frequenzabhängig zu bewerten. Vielleicht sind wir in Zukunft einmal dazu in der Lage, daß wir für alle Frequenzen eigene Grenzwerte mit bestimmten Dezibelangaben festlegen können. Diesen Weg müßte man wahrscheinlich einschlagen.

SB: Wer legt denn die Grenzwerte fest?

KD: In Deutschland wurden sie vom Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz bestimmt und unter Beteiligung des BSH, basierend im wesentlichen auf einer wissenschaftlichen Untersuchung, die damals von Klaus Lucke [4] in Dänemark gemacht wurde. Der hat auf der Insel Fünen mit gefangenen Walen im Schweinswal Zentrum Kerteminde gearbeitet. Dabei hat er einen einzelnen Schweinswal mit einer Airgun beschallt und dabei festgestellt, daß bereits bei 164 Dezibel mit einem damit verbundenen SPL von 199 Dezibel dieser temporäre Hörverlust beginnt, also ein schallinduziertes akustisches Trauma, das für mehr als einen Tag auftrat, was einer physischen Verletzung gleichkommt. Und da hat man dann noch einen gewissen Puffer eingeplant und so ist man bei dem Grenzwert von 160/190 gelandet.

Im Moment arbeitet man auf europäischer Ebene daran, diesen Wert zu hinterfragen und zu verifizieren. Auch das Bundesamt für Naturschutz und das Bundesumweltministerium haben Mittel für ein Forschungsvorhaben freigestellt, in dem man, um diesen Wert zu verifizieren, beigefangene Wale aus Netzen befreit, sie anschließend besendert und ihnen gleichzeitig einen Recorder aufpflanzt, der dann praktisch ihr Verhalten mit den Schallempfang korreliert.

SB: Das sind immer noch relativ einzelne und zufällige Beobachtungen. Hat man schon darüber nachgedacht, irgendeine Art von Monitoring oder systematische Überwachung auf die Beine zu stellen?

KD: So etwas ist unheimlich schwierig. Es gibt wohl inzwischen eine Handvoll Wale, die auf diese Weise mit Sender und Empfänger ausgestattet wurden. Das heißt, dadurch läßt sich praktisch ein Tauchprofil erstellen, an dem man gleichzeitig verfolgen kann, wie es sich mit dem Hintergrundlärm verändert. Wenn beispielsweise ein Schiff vorbeifährt - das habe ich erst auf der DUH-Tagung [5] am 7. Mai in Berlin in einer Powerpoint-Präsentation gesehen, dann hat man über das Monitoring festgestellt, daß der Wal auf einmal in die Tiefe geht. Bislang hat man immer gedacht, der Wal schwimmt dann an der Oberfläche. Jetzt zeigt sich, daß er tief abtaucht, wenn es laut wird und dann auch in der Tiefe bleibt. [6] Das stellt natürlich eine weitere physiologische Belastung für ihn dar. Also da gibt es bereits einige Forschungsansätze, aber die stecken alle noch in den Kinderschuhen.

SB: Das heißt, ob alle Wale so reagieren, oder ob das nur ein einzelner Fall war, kann man eigentlich noch nicht sagen?

KD: Ja, selbst der 160er/190er Grenzwert, den wir heute haben, kommt von einem einzigen Wal.

SB: Wie gewährleistet man, daß der Rammschall diesen Grenzwert nicht überschreitet?

KD: Das wird online gemessen. Und die Werte überprüft dann das BSH. Anders gesagt, die Bauherren des Baufelds sind verpflichtet, innerhalb von 24 Stunden einen Fortschritts- und Schallbericht an das BSH, das heißt an die zuständige Genehmigungsbehörde zu senden. Heute wird gerammt und morgen um die gleiche Zeit muß das BSH praktisch einen Bericht auf den Tisch haben, in dem drei Fragen beantwortet sein müssen: "Wie laut war das?", "Hat der Schallschutz funktioniert?" und "Sind Schweinswale beobachtet worden?". Das wird so vom Standarduntersuchungskonzept gefordert.

SB: Wie ist das mit dem Lärm, der während des normalen Betriebs der Anlage entsteht? Gibt es hier so etwas wie eine In-Prozeß-Kontrolle?

KD: Meinst du den operativen Lärm?

SB: Ja genau. Ich kann mir vorstellen, daß so eine Riesenwindmühle, einige haben ja gewaltige Rotoren, deren Blätter den Platz von einem ganzen Fußballfeld durchmessen würden, einiges an Geräuschen von sich gibt. Wird dafür wieder der 160er/190er Grenzwert geltend gemacht?

KD: Beim Schweinswalschutz konzentriert man sich vor allem erstmal auf die Bauphase, also den Rammschall. Den operativen Lärm sieht man gemeinhin als das geringere Problem an. Der ist vielleicht noch im Nahbereich störend, doch er wirkt sich nicht so großflächig aus. Ich glaube aber schon, daß Schallmessungen während der Operation des Windparks gemacht und nicht allein die Arbeiten im Baufeld überprüft werden. Es wäre gut möglich, daß man diesen Faktor bislang unterschätzt.

SB: In der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MRSL) [7], die neben anderen auch der NABU zur Grundlage nimmt, ist der Unterwasserlärm ebenfalls ein Kriterium, von dem der "gute Zustand" der Meeresumwelt abhängig gemacht wird. Lärm - wir hatten ja gerade das Beispiel - wird nicht nur von Bauarbeiten erzeugt, der Schiffsverkehr ist maßgeblich daran beteiligt. Ein französisches Unternehmen will hierfür mittels mathematischer Modelle sogenannte Schallrisikokarten flächendeckend herstellen, die das Schädigungsrisiko aufzeigen. Was hältst du davon, das sind ja letztlich Modellierungen? Und wie sinnvoll ist dieses Projekt im Vergleich zu dem anderer Staaten, die mittels Unterwassermikrophonen, also echten, empirisch ermittelten Daten, Geräuschkartierungen der Meere vornehmen, beispielsweise das Projekt Baltic Sea Information on Acoustic Soundscape (BIAS)? [8]

KD: Ich halte das für einen sehr spannenden und guten Weg. Deutschland geht in dieselbe Richtung. Das heißt, das Umweltbundesamt, das, wie ich meine, federführend im Rahmen der Meeresstrategierahmenrichtlinie zu diesem Deskriptor "Lärm- und Energieeinleitungen" ist, versucht gerade eine Lärmkarte von der deutschen Nord- und Ostsee aufzubauen. Ein wesentlicher Punkt ist nämlich, daß Lärm akkumuliert und interagiert. Ein Schiff macht Lärm. Eine Explosion macht Lärm. Eine Rammung macht Lärm. Eine Karte herzustellen, mit der sich abschätzen läßt, wie laut es in dem Gebiet ohnehin schon ist und welche Ausweichsmöglichkeiten Wale beispielsweise noch haben, wenn dort auch noch gerammt wird, ist ganz wichtig. Also gibt es überhaupt noch Fluchtmöglichkeiten oder ist es anderswo genauso laut oder sogar noch lauter zur selben Zeit. Dafür macht dann eine Lärmkartierung, die konstanten Lärmmessungen und Modellierung im Anschluß wirklich Sinn. Man kann nicht dauerhaft alles konstant monitoren. Man muß natürlich irgendwann anfangen zu modellieren, wenn die Datenbasis ausreicht. Aber dafür muß man praktisch erstmal empirisch messen. Das ist der Anfang. Es gibt zahlreiche Daten. Zum Beispiel vom Militär über die Dokumentation ihrer Sonarsysteme. Diese empirischen Daten führt man zusammen und macht daraus eine Karte. Und dort, wo diese dann Lücken aufweist, beginnen die Modellierungen.

SB: Könnte man damit Vorhersagen treffen, in welchen Gebieten Lärm besonders akkumuliert, wo man also mit zusätzlichen Bauarbeiten aufpassen sollte?

KD: Ja, zum Beispiel. Es wird sicher chronische Lärm-Hotspots geben. Die Schifffahrtswege werden immer besonders laut sein. Und dann weiß man natürlich von den Bauvorhaben und Projekten, wo gerammt werden soll. In diesem Zusammenhang muß man europäisch denken. Was nützt es, wenn ich so eine Lärmkarte nur von der deutschen AWZ erstelle, und an der Grenze rammen dann die Dänen, die Engländer und die Niederländer und das ist dort nicht auf der Karte vermerkt. Ein Schweinswal hält sich ja nicht an diese imaginäre nationale Grenze. Insofern ist es gut, daß Deutschland etwas macht, aber wir brauchen auch diese regionale Koordinierung. Die Meeresstrategierahmenrichtlinie gilt ja für alle Mitgliedstaaten. Und eigentlich brauchen wir wirklich große Lärmkarten von der gesamten Nordsee, dem Nordost-Atlantik und selbst darüber hinaus. Das ist aber noch ein weiter Weg.

Die Grafik stellt den Größenvergleich zwischen einem Fußballfeld, der von den Rotoren eingenommenen Fläche und dem Bremer St. Petri Dom dar. - Grafik: 2013 by www.riffgat.de

Verdrängungsfaktor für Meeresvögel
Die Aufbauten nehmen viel Fläche ein, vor allem beim Betrieb.
Grafik: 2013 by www.riffgat.de

SB: Der NABU ist nicht grundsätzlich gegen Windkraft eingestellt. Welche Bedingungen würdest du als einen akzeptablen oder gangbaren Kompromiß bezeichnen? Oder anders gefragt: Wie sähe denn ein umwelt- oder naturverträglicher Ausbau von Offshore-Anlagen aus?

KD: Weniger und leiser! Also, der gangbare Kompromiß bestände erst einmal darin, sich zu überlegen, wieviel Offshore-Windkraft die deutschen Gewässer, also Ostsee und Nordsee, vertragen können. Da gibt uns die EEG-Novelle jetzt eine Richtlinie [9]. Darüber hinaus geht es aber um die Frage, kann ich die Technik leiser machen. Für uns ist die Impulsrammung überhaupt nicht das Mittel der Wahl. Dieses "großer Hammer auf das Fundament, es wird laut und ich errichte" ist für uns nicht akzeptabel. Das heißt aber, bevor man den Ausbau in der Allgemeinen Wirtschaftszone forcieren kann, müßte dafür eine umweltverträgliche Technik verfügbar sein. Doch die zu entwickeln hat man in den letzten Jahren versäumt. Man hat zwar am Schallschutz gearbeitet und den auch wirklich verbessert, da ist in den letzten drei Jahren viel passiert, aber die alternativen Gründungsverfahren: Bohrverfahren, schwimmende Verfahren, Schwerlastfundamente, die sind noch immer nicht im Einsatz. Und da gilt es nachzubessern, schnellstmöglich.

SB: Angenommen, man fände eine Lösung, ohne Lärm zu bauen, welche Gefahr bliebe dann noch für die Meeresumwelt?

KD: Deshalb sprechen wir ja von einem Freilandexperiment, weil sich bestimmte Gefahren einfach noch nicht absehen lassen. Dazu gehört das Kollisionsrisiko, das sich für den Vogelzug ergibt. Wir können heute einfach nicht abschätzen, was wir mit 10, 20 oder sogar 30 Parks in der Nordsee da wirklich bewirken. Für den Vogelzug bliebe also ein Restrisiko. Ein weiteres ergibt sich aus der veränderten Faunzusammensetzung [10] in einem Seegebiet. Was passiert mit invasiven Arten, die sich über Offshore-Windparks bis in die Küstengewässer hangeln. Es gibt also ein paar Dinge, die man monitoren muß, die man ganz schlecht vorhersagen kann.

SB: Es wurde ja schon die Möglichkeit erwähnt, die Windräder beispielsweise zu Zeiten des Vogelflugs ganz abzuschalten. Die Türme stehen dann aber immer noch im Weg.

KD: Ja, genau. Man würde durch eine Abschaltung die Kollision nicht ausschließen können. Das wird auf jeden Fall kommen. Wir stellen sogar auf Forschungsplattformen fest, daß Vögel bei schlechtem Wetter, bei Wind, bei Regen oder bei Nebel selbst an einem statischen Pfahl kollidieren. Aber man kann natürlich durch das Abschalten die Kollisionsfläche deutlich reduzieren.

SB: Könnten die statischen Aufbauten auf dem Meer sich auf die Strömungsverhältnisse auswirken, also sowohl unterhalb der Meeresoberfläche wie auch oberhalb?

Die graphische Darstellung eines kleinen Strudels, der durch den Widerstand in der Strömung ausgelöst wird und am Grund eine kleinere Erosion verursacht. - Grafik: 2009 By Masterslime, Envin.Yatar, Cepheiden [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Schon ein Stein kann Auskolkungsprozesse, Unterspülungen durch Verwirbelung der Wasserströmung auslösen.
Grafik: 2009 By Masterslime, Envin.Yatar, Cepheiden [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

KD: In der Tat. Man kann jetzt schon feststellen, daß die Gezeitenkräfte in der Nordsee und damit die Auskolkungsprozesse [siehe Grafik] deutlich stärker sind, als man sie vorhergesagt hat. Also Auskolkung heißt, daß von den Fundamenten Sand weggespült wird, daß sie praktisch freigegraben werden. Durch die Monopiles, die Fundamente, hat man einen Störfaktor im Sediment. Dadurch werden zum Beispiel die Sedimentwandereigenschaften erheblich beeinflußt. Man baut feste Barrieren im Sediment. Und das Sediment besteht ja nicht nur aus Sandablagerungen, das ist eine ganz lebendige Artengemeinschaft. Da leben unwahrscheinlich viele kleine Organismen. Hast du dich mal mit der Interstitialfauna [11] auseinandergesetzt, im Biostudium? Das sieht nur aus wie Sand, aber in Wirklichkeit krabbelt und quirlt das alles durcheinander.

SB: Ich stell mir das so ähnlich vor wie im Boden, da gibt es ja bereits in einem Fingerhut Erde Millionen von Bakterien und winzig kleinen Lebewesen.

KD: Ja, genau. Und das wird alles verändert. Dafür bietet man sessilen [festsitzenden] Organismen, die Hartsubstrat benötigen, eine Siedlungsfläche, die vorher nicht da war. Das ist ja das, was das BSH, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, nach ihrer Konferenz als gesteigerte Artenvielfalt verkauft hat. Daß nämlich eine Miesmuschel, ein Taschenkrebs und eine Seepocke dazukommen. Na, da kann ich auch ein Ölfaß ins Meer werfen, das hat den gleichen Effekt, oder ein Wrack. Das ist ein ganz einfacher, biologischer Effekt, den jeder kennt. Die eigentlichen Verlierer, also die Tierarten, die wir verdrängen, kennen wir gar nicht. Das sind ein paar Unwägbarkeiten, die man sehr schlecht modellieren kann, die man monitoren muß. Und deshalb wären wir meines Erachtens gut aufgestellt, wenn wir so ein bißchen auf das zurückkommen könnten, was mal 2002 in der "Strategie Windenergie auf See" des Umweltbundesamts vorgeschlagen wurde, ein stufenweiser Ausbau. Laßt uns doch erstmal aus Alpha Ventus lernen, laßt uns doch erstmal aus den nächsten fünf Parks lernen und laßt uns nicht immer weiterplanen und Fakten schaffen.

Kamerabild eines Tauchroboters. Links ein Monopile mit Skalierung, davor am Boden die Filterschicht für den Kolkschutz (Befestigung des Meeresbodens gegen Freispülen des Gründungspfahls). - Foto: 2013 by www.riffgat.de

Durch die Monopiles, die Fundamente, hat man einen Störfaktor im Sediment, der seine Wandereigenschaften erheblich beeinflußt.
Dazu kommt der Kolkschutz.
Foto: 2013 by www.riffgat.de

SB: Nicht gleich 30 Parks auf einmal ...

KD: Ja. Und nicht gleich 120 weitere planen. Und die Chance nochmal auf die Bremse zu treten, bietet uns jetzt das reformierte Erneuerbare-Energiengesetz.

SB: Hat man eigentlich für Offshore-Windkraft-Anlagen einmal berechnet, wie die Umweltschadensbilanz und die Summe des energetischen Aufwands aussieht im Vergleich zu der erwarteten energetischen Leistung eines solchen Parks?

KD: Du meinst, daß man mal Rechnungen aufstellt, was stecke ich eigentlich an Energie durch den Schiffsverkehr rein, durch Helikopterflüge, durch Stahlproduktion und Verbrauch von Rohstoffen? Vorhin sagte mir jemand, so etwas ähnliches gäbe es für Riffgat. [12] Also für einzelne Windparks scheint man das gemacht zu haben. Ich selbst habe allerdings noch nie etwas davon gelesen. Das wäre durchaus mal eine wissenswerte Fragestellung. Eine Gesamtenergiebilanz über die Laufzeit der geplanten Anlagen würde mich auch interessieren. Zumindest für einzelne Parks wird es das schon geben.

SB: Vielen Dank für das aufschlußreiche Gespräch.


Anmerkungen:

[1] Informationen über die wpd-Gruppe wpd onshore GmbH & Co. KG siehe hier:
http://www.wpd.de/de/unternehmen/profil.html

[2] 12-Seemeilenzone - Die deutschen Gewässer in Nord- und Ostsee unterteilen sich in die 12 Seemeilen-Zone (das sogenannte "Küstenmeer") und die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). Das Küstenmeer (früher 3-Seemeilen, nach der Überlegung potestatem terrae finiri, ubi finitur armorum vis, übersetzt etwa: Die territoriale Souveränität endet dort, wo die Kraft der Waffen endet) ist deutsches Hoheitsgebiet und unterliegt der Zuständigkeit des jeweiligen Bundeslandes. Seewärts der 12 Seemeilen-Grenze bis maximal 200 Seemeilen Entfernung zur Küste befindet sich die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), an die sich die hohe See anschließt. In Nord- und Ostsee ist die deutsche AWZ im wesentlichen mit dem sogenannten deutschen Festlandsockel identisch. In der Ostsee ist die deutsche AWZ - aufgrund der angrenzenden AWZ der Nachbarstaaten - sehr viel kleiner als in der Nordsee.

[3] Eine Aussage über das biologische Schädigungspotenzial eines Schallsignals läßt sich anhand der Anstiegszeit des akkustischen Signals, der Zeitintervalle zwischen den Signalen, die Anzahl der Impulse und weiterer Parameter treffen. Zum Schutz vor Gewebeverletzungen durch impulshafte Lärmsignale hat das Umweltbundesamt aber nur eine Grenzwertkombination aus zwei Kriterien (duale Lärmschutzkriterien) festgelegt: Der SEL (Sound Exposure Level) Schallexpositions- oder Schallereignispegel bildet die gesamte empfangene Schallenergie ab, die einen biologischen Empfänger über die Dauer eines Schallsignals erreicht. Der SPL (Sound Pressure Level) Schalldruckpegel oder Spitzenschalldruckpegel, Maß zur Beschreibung der Stärke eines Schallereignisses, also die maximale Schalldruckamplitude unabhängig von dem Zeitraum betrachtet, in dem ein Tier einem Schallimpuls ausgesetzt ist.Quelle:
http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/4118.pdf
Umweltbundesamt, Fachgebiet II 2.3/Stefanie Werner, Wörlitzer Platz 1, 06844 Dessau-Roßlau, www.umweltbundesamt.de

[4] Klaus Lucke, "Effekte von Unterwasserschall auf Meeresorganismen - erfassen, vermeiden, minimieren", aus der Reihe: Natur und Landschaft online; Natur und Landschaft Jahrgang 2011; Natur und Landschaft 86 (2011): 09/10

http://www.kohlhammer.de/wms/instances/KOB/appDE/Natur-und-Landschaft-fuer-freies-Einkaufen/Effekte-von-Unterwasserschall-auf-Meeresorganismen-erfassen-vermeiden-minimieren/

[5] Die DUH (Deutsche Umwelthilfe) veranstaltete am 7. Mai eine zweite Fachtagung zum Thema: Wege zu einem wirksamen Unterwasserschallschutz beim Bau von Offshore-Windparks:
http://www.duh.de/schallschutz-tagung_2014.html

[6] Die Powerpoint-Präsentation mit der fraglichen Grafik ist hier abrufbar:
http://www.duh.de/uploads/media/03_D%C3%A4hne.pdf

[7] Ziel der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MRSL) von 2008 ist, mit einem ökosystemaren Ansatz bis 2020 den guten ökologischen Zustand des Meeres wieder herzustellen. Für die Beurteilung eines guten ökologischen Zustandes müssen die im Anhang I der MSRL aufgeführten Deskriptoren regional erarbeitet und angepaßt werden. Mit Hilfe dieser elf Deskriptoren werden auch die Ziele für die einzelnen Schwerpunkte formuliert, darunter der Deskriptor D11 "Lärm- und Energieeinleitungen".
http://www.bund-bremen.net/themen_und_projekte/naturschutz/meeresschutz/meeresstrategie_rahmenrichtlinie/

[8] Baltic Sea Information on Acoustic Soundscape (BIAS)
http://www.foi.se/en/Customer--Partners/Projects/BIAS/BIAS/

[9] Richtlinien in der am 1. August 2014 in Kraft getretenen EEG-Novelle siehe hier:
http://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Dossier/windenergie.html?cms_docId=69018

Eine Genehmigung muß erteilt werden, wenn drei Kriterien erfüllt sind:
1. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs sind nicht beeinträchtigt.
2. Die Meeresumwelt ist nicht gefährdet.
3. Die Errichtung des Offshore-Windparks steht den Erfordernissen der Raumordnung oder sonstiger öffentlicher Belange nicht entgegen.

So wird geprüft, ob das Vorhaben im Bereich anerkannter oder wichtiger Schifffahrtswege liegt oder ob Schutzgüter - z.B. Vögel, Meeressäuger, Fische, Benthos, Boden und Wasser gefährdet werden. Zu den öffentlichen Belangen gehört die Prüfung, ob ein Windpark mit der Rohstoffsicherung (beispielsweise Öl, Gas, Kies oder Sand), der Fischerei oder der Landesverteidigung konkurriert. Auch der Arbeitsschutz und die Luftverkehrssicherheit sind Gegenstand der Untersuchung. Soll der Offshore-Windpark mehr als 20 Anlagen umfassen, muß der Antragsteller zusätzlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchführen, um eventuelle Umweltrisiken frühzeitig zu erkennen und zu bewerten. Die UVP schließt eine eingehende Untersuchung der Meeresumwelt im Plangebiet ein. Auf dieser Basis können geeignete Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung der zu erwartenden Umweltauswirkungen getroffen werden.

[10] Faunzusammensetzung = Zusammensetzung der Fauna steht fachsprachlich für die Lebewesen (Arten, Anzahl und Verteilung), die in einem überschaubaren Lebensraum, z.B. Teich, vorkommen.

[11] Interstitial - Lebensraum zwischen den Sandkörnern
Interstitialfauna - eine artenreiche Lebensgemeinschaft aus Ciliaten, Bärtierchen, Korsetttierchen, Nematoden, Kiefermündchen, Copepoden sowie winzigen Muscheln und Schnecken.

[12] "Riffgat" heißt der erste kommerzielle Windpark in der deutschen Nordsee. Das gesamte Windkraftwerk aus 30 Windkraftanlagen, die in nur 14 Monaten in die Nordsee gestampft wurden, hat eine Gesamtkapazität von 108 Megawatt Leistung und kann rund 120.000 Haushalte mit Strom versorgen. Der Rotordurchmesser der Anlagen beträgt 120 Meter, die Nabenhöhe 90 Meter und entspricht damit der Höhe des Bremer Doms. Insgesamt sind die Anlagen von der Wasseroberfläche bis zur oberen Rotorblattspitze 150 Meter hoch. Gegründet sind sie auf 70 Meter lange Stahlfundamente, die 40 Meter tief im Meeresgrund stecken. Die Wassertiefe im Windpark beträgt zwischen 18 und 23 Metern.
http://www.riffgat.de/

Zur Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" sind bisher in den Pools INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
Ein Einführungsbericht zur Bremer Konferenz
BERICHT/085: Wohnstube Meer - die See, die Arbeit und der Lohn (SB)
Die Billigflaggenkampagne der ITF

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ..., Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ..., Thilo Maack im Gespräch (SB)
INTERVIEW/106: Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ..., David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/107: Wohnstube Meer - Mitgeschöpfe ..., Tharaka Sriram im Gespräch (SB)
INTERVIEW/108: Wohnstube Meer - Forschung tut not ..., Meeresbiologin Antje Boetius im Gespräch (SB)
INTERVIEW/109: Wohnstube Meer - Umsicht, Rücksicht, starke Regeln ..., Prof. Dr. Uwe Jenisch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ..., Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)
INTERVIEW/114: Wohnstube Meer - Plastik zum Dessert ..., Nadja Ziebarth (BUND) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/115: Wohnstube Meer - Ungebremst' Zerstörungswut, Menschen bleibt da nur die Flucht ... Maureen Penjueli aus Fidschi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/127: Wohnstube Meer - Ausweg und Sackgasse ..., Helmut Dietrich im Gespräch (SB)
INTERVIEW/130: Wohnstube Meer - dem Meer, dem Land, dem Rest der Welt ... der Seevölkerrechtler Erik van Doorn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/135: Wohnstube Meer - Rost und Gift den Armen ..., Patrizia Heidegger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/138: Wohnstube Meer - Weitsicht, Umsicht und bedachtes Fischen ..., Dr. Annika Mackensen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Wohnstube Meer - Seltene Erden, seltener Mensch ..., Lisa Rave im Gespräch (SB)

4. August 2014