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INTERVIEW/157: Technik klimagerecht - in großen Entwürfen und gerecht ...    Jennifer Morgan im Gespräch (SB)


"Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen"

Podiumsdiskussion der "Michael Otto Stiftung für Umweltschutz" am 2. September 2014 in den Mozartsälen, Hamburg

Jennifer Morgan über das Denken in globalen Maßstäben und "Big Ideas" für lokale Lösungen, ihre Hoffnungen an das neue Pariser Klimaabkommen und warum die internationale Klimawandelpolitik Frau Merkel braucht



Zwischen eindrücklichen, wissenschaftlichen Fakten, technologischen Lösungen und ihrer Durchsetzung mittels politischer Konsequenzen durch die jeweiligen Entscheidungsträger scheint im Falle der Klimawandelpolitik nicht nur ein mühsamer Weg zu liegen, für dessen Überwindung sich Politiker offenbar nur ungern die Schuhe staubig machen, sondern ein tiefer Spalt, dessen Bewältigung ambitionierte, anstrengendste Bergsteigerarbeit in allen politischen und ökonomischen Sektoren erfordert.

So stellt das Fazit des Fünften Sachstandsberichts (Assessment Report 5, kurz: AR5) des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz: IPCC) unverbrüchlich fest: Der Klimawandel ist eine eindeutige Tatsache. Menschliche Aktivitäten, insbesondere der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2), sind mit 90-prozentiger Sicherheit die Hauptursache dafür!

Schon jetzt zeigen sich überall auf dem Planeten Veränderungen, die auf diese Entwicklung zurückgehen: Die Atmosphäre und die Ozeane erwärmen sich und werden zunehmend saurer, die Menge von Schnee und Eis sowie die damit bedeckte Fläche geht zurück, die Meeresspiegel steigen, Wettermuster ändern sich. Darüber hinaus ergeben die vom IPCC verwendeten Computermodelle, daß die Klimaveränderungen fortschreiten werden. Wenn die Menschheit weiterhin große Mengen an Treibhausgasen produziert, dürfte sich die weltweite Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,6 bis 4,8 Grad Celsius erhöht haben, schließen die Wissenschaftler daraus. Der Meeresspiegel wird um 0,45 bis 0,82 Meter ansteigen (verglichen mit dem heutigen Niveau). Zunehmende Wetterextreme wie schwere Stürme, Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen und die weiträumige Zerstörung bestehender Ökosysteme zählen zu den absehbaren Folgen. Womöglich entstehen gänzlich neue Klimazonen, die fraglich werden lassen, ob Menschen darin noch leben können.

Weltkarte, die verdeutlicht, daß die Erwärmung in den letzten 40 Jahren nachweislich zugenommen hat. - Grafik: by NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

Der Klimawandel ist eine unverbrüchliche Tatsache
oben: 2000 bis 2009, unten: 1970 bis 1979
Grafik: by NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

Damit all das nicht eintritt, haben sich die inzwischen 195 Unterzeichnerstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), die bereits seit 1994 in Kraft ist, auf ein Ziel geeinigt: "die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene, d.h. vom Menschen verursachte Störung des Klimasystems verhindert wird." (Artikel 2, Klimarahmenkonvention)

Was genau mit einer "gefährlichen" Störung des Klimasystems gemeint ist, läßt die Konvention bis heute offen. Im Jahr 2010 auf der COP 16 [1] in Cancún haben die Vertragsstaaten allerdings beschlossen, den globalen Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur unter 2 Grad Celsius (gegebenenfalls sogar auf 1,5 Grad Celsius) gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen.

Um dieses Ziel zu schaffen, dürfte der gesamte, seit Beginn des Industriezeitalters vom Menschen verursachte Kohlendioxidausstoß einen Richtwert von 1.000 Gigatonnen Kohlenstoff nicht überschreiten. Allerdings kommt der Ende 2013 erschienene Teilband des AR5 zu dem Schluß, daß die Menschheit bereits 2011 zwei Drittel dieser noch verträglichen Stoffmenge an Kohlenstoffdioxid ausgestoßen hatte, so daß nur noch etwa 300 Gigatonnen Kohlenstoff verbrannt werden dürfen, d.h. eine nahezu vollständige Dekarbonisierung der Stromerzeugung bis 2050 in allen Ländern, somit eine vollständige Einsparung sämtlicher CO2-Emissionen, die durch Kohle-, Öl- oder Erdgas-Kraftwerke erzeugt wird, ist unumgänglich. [2] Dies sei zu schaffen, sagen die Wissenschaftler des AR5, es verlange aber eine kreative Umgestaltung auf allen CO2-erzeugenden Sektoren. Und je später damit begonnen wird, desto drastischer sind die danach erforderlichen Minderungen, die zum wahrscheinlichen Einhalten des Erwärmungslimits von 2 °C nötig würden.

Es sind verschiedene Modellierungskurven abgebildet, die bis zum Jahr 2100 mehr oder weniger stark ansteigen. Nur die als RCP 2.6 gekennzeichnete, grüne Kurve bleibt darunter. - Grafik: by Ilinri [CC-0], via Wikimedia Commons

Verschiedene Modellierungen zeigen, nur in einem RCP-2.6 Szenario [3], das von "aggressiven" Maßnahmen zur Emissionsminderung ausgeht, würde die globale Durchschnittstemperatur nicht die 2 Grad Grenze überschreiten.
Grafik: by Ilinri [CC-0], via Wikimedia Commons

In der Praxis können Emissionsminderungen jedoch nicht nur aus technischen und wirtschaftlichen, sondern auch aus gesellschaftlichen und sozialen Gründen nicht beliebig schnell vollzogen werden. Zudem wächst in den meisten Ländern, aber vor allem in den Schwellenländern, der Bedarf an Energie und Lebensqualität. Jede Verzögerung bei der Emissionsreduktion birgt aber das Risiko, daß das internationale Zwei-Grad-Limit unerreichbar wird.

Vor diesem Dilemma steht die Klimapolitik, die von immer größeren Klimafolgen ausgehen kann, je weniger sie sich ändert. Seit dem Scheitern der Post-Kyoto-Regelung auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 wurden jedoch kaum Schritte getan.

Trotz der Diskrepanz zu den gewaltigen Hürden, die noch zu nehmen sind, ist die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Jennifer Morgan, Direktorin des Energie- und Klimaprogramms des Washingtoner World Resources Institutes [4] und Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung in Berlin, nach eigener Aussage "optimistisch", daß es die Staaten weltweit, vor allem aber die OECD-Länder, schaffen können, ihre CO2-Emissionen entsprechend um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Sie gehört zu den Politikberatern, die mit zündenden Ideen helfen sollen, Brücken zu schlagen und ambitionierten wissenschaftlichen Zielen politische Durchsetzungskraft zu verleihen.

Vor der Podiumsdiskussion "Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen" der "Michael Otto Stiftung für Umweltschutz" am 2. September 2014 in den Mozartsälen in Hamburg, an der sie neben dem Stifter Dr. Michael Otto, Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung und Inhaber der Stiftungsprofessur, sowie Max Schön, Vorstand der "Stiftung 2° - Deutsche Unternehmer für Klimaschutz", der das Treffen moderierte, teilnahm [2], nutzte der Schattenblick die Gelegenheit zu einem Gespräch mit der Energie- und Klimaexpertin.

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Wir müssen in globalen Transformationen denken' - Jennifer Morgan
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In der Zeitung "The Guardian" vom 2. September 2014 wird von einer Studie der australischen Universität Melbourne berichtet, derzufolge die Berechnungen in dem Buch "Die Grenzen des Wachstums" aus dem Jahr 1972 tatsächlich zutreffen und erste Anzeichen des prognostizierten globalen Kollapses bereits zu erkennen sind. Können Sie das durch Ihre eigenen Forschungen bestätigen?

Jennifer Morgan (JM): Ich kann das bestätigen, da es inzwischen viele wissenschaftliche Berichte gibt, die das beweisen. Das "World Resources Institute", für das ich arbeite, befaßt sich zwar unter anderem mit internationalem Klimaschutz, ist allerdings überwiegend eine politische Forschungsorganisation. Das heißt, wir machen selbst keine Modellierungen oder Studien dieser Art. Doch wenn man die jüngsten Ergebnisse des Potsdam Instituts (PIK) in Betracht zieht, dann steuern wir bereits auf einige Tipping Points [5] zu und die Auswirkungen des Klimawandels werden viel eher und sehr viel massiver zu spüren sein, als es die Wissenschaftler lange dachten. Das heißt aber, wenn wir unser globales Energie- und Wirtschaftssystem nicht sehr schnell auf einen anderen Kurs lenken und in den nächsten zehn Jahren den Energiewechsel schaffen, dann werden diese Tipping Points erreicht wie etwa das Austrocknen des Regenwalds in Brasilien. Damit würde eine irreversible Grenze überschritten, was das gesamte System betrifft. Das würde einigen Forschungsergebnissen zufolge durchaus einem globalen Kollaps entsprechen.

SB: Befassen sich die Überlegungen Ihrer Organisation auch mit dem Fall, daß sämtliche Klimaschutzmaßnahmen, die im jüngsten Sachstandsbericht der IPCC vorgeschlagen wurden, zu kurz greifen und mit dem Worst Case Szenario zu rechnen ist?

JM: Meine Organisation konzentriert sich auf die Umsetzung von Lösungen. Dafür sind wir vor allem in Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien sehr aktiv, aber auch in den USA, wo wir versuchen Lösungen in großem Maßstab und in möglichst kurzer Zeit durchzusetzen. Denn eigentlich wissen wir bereits sehr gut, was zu tun ist, wir haben die Technologie. Das ist nicht das Problem. Deshalb geht es uns mehr darum, jetzt zu handeln, als darum, Worst Case Szenarien durchzuspielen. Das heißt, wir sind uns dieser Probleme durchaus bewußt, aber wir versuchen sie schon im Vorfeld mit politischen oder wirtschaftlichen Lösungen, aber auch durch Forschung und das Bemühen darum, Entscheidungsträger zu engagieren, zu lösen.

SB: Ihr Institut in Washington hat sich gewissermaßen das eigene Motto mit einem Warenzeichen gesichert - Making Big Ideas Happen . Was war der Grund für diese Entscheidung?

JM: Unser Logo ist ein ganz altes Warenzeichen, das bei der Gründung des Instituts vor 30 Jahren entworfen wurde. Es symbolisiert, wie alles miteinander verbunden und ineinander integriert ist und verdeutlicht auch sinnbildlich, daß es nicht so einfach ist, ein Ding ohne alles andere zu lösen. Um Lösungen zu finden, muß man zunächst die Verbindungen zwischen Wirtschaft, Politik, den Finanzsystemen, aber auch zwischen den sozialen Debatten verstehen lernen. Das Motto 'Making Big Ideas Happen' steht dann für die große Herausforderung, die damit einhergeht. Wir müssen wirklich 'Big' denken. Denn es geht nicht mehr um allmähliche Änderungen, wir müssen in globalen Transformationen denken.

SB: Gibt es schon bestimmte Konzepte, die Sie dabei verfolgen?

JM: Ja klar. Einmal haben wir das sogenannte Global Forest Watch System implementiert. Dabei handelt es sich um ein intelligentes Informationssystem, das über Satelliten-Fernerkundung und Groundtruthing [6] die Abholzung von Wäldern dokumentiert. Eigentlich kann jeder dabei mitmachen, indem er seine Beobachtungen fotografiert und die Bilder ins Netz stellt. Dann kann man überprüfen, ob es sich um Privatbesitz handelt, auf dem abgeholzt wird, oder um einen Regierungsauftrag, ob es illegal oder legal geschieht.

Das Global Forest Watch System ist tatsächlich eine 'Big Idea', denn sie macht das Abholzungsproblem megatransparent und bezieht auch die Menschen vor Ort mit ins Geschehen ein, die auf diese Weise eine Möglichkeit bekommen, dagegen vorzugehen. Aber es ist nur eins von vielen Beispielen.

Ein anderes, sehr konkretes, ist der Bus Rapid Transit (BRT) [7], an dem wir in Indien und Brasilien experimentieren und den wir in möglichst vielen Städten und vor allem in den Mega-Cities, in denen massive Transportprobleme vorherrschen, einzuführen versuchen.

Ein globaler Klimavertrag [8], wenn er ratifiziert würde, wäre natürlich in diesem Sinne auch eine 'Big Idea'. Wir engagieren uns, von der lokalen Städte- und Gemeindearbeit angefangen, in der wir Projekte ausprobieren und die Erfahrungen dann auf andere große Städte übertragen, bis hin zur Durchsetzung von globalpolitischen Konzepten, für die wir etwa zu berechnen versuchen, welche Gesamtmenge an Treibhausgas-Emissionen die USA nach 2020 in der Lage wäre, einzusparen. Dafür bauen wir eine Koalition auf.

SB: Versuchen Sie auch direkt Einfluß auf die Regierungspolitik zu nehmen, indem Sie Abgeordnete für Ihre Vorschläge gewinnen? Was wären Ihre Ansätze, um politisch wirksam zu werden?

JM: Es sind genaugenommen drei Ansätze. Einmal wird unser Institut wirksam, indem es sehr gut erforschte Ideen auf den Tisch legt und indem wir den Fragen der sogenannten 'Policy Makers' mit unseren Antworten mindestens sechs Monate zuvorkommen, das heißt, wir denken weit voraus. Dann gibt es das sogenannte 'Convening' [Versammeln]. Wir bringen verschiedene Gruppen zusammen, um unsere Ideen zum Beispiel auf der internationalen Ebene zu besprechen. Momentan sind wir dabei, einen Vorschlag für diesen Weltklimavertrag vorzubereiten. Wir machen dafür in zwölf verschiedenen Ländern rund um die Welt Konsultationen mit unterschiedlichen Entwürfen, die wir untersuchen. Und mit diesen Analysen setzen sich dann weitere Akteure auseinander, so daß auch hier ein Einfluß bemerkbar wird.

Der dritte Ansatz besteht in der Kommunikation und in Partnerschaften. Denn es ist klar, mit Studien oder Ideen allein läßt sich die Welt leider nicht ändern. Man braucht Partnerschaften zum Beispiel mit Greenpeace, mit Unternehmen, mit Gewerkschaften usw. Wir arbeiten wirklich mit jeder Organisation, die Interesse hat, etwas zu bewegen. Denn ohne Druck von außen passiert meiner Erfahrung nach gar nichts.

SB: Wie beurteilen Sie den UNFCCC-Prozeß insgesamt? Wird der Tiger zahnlos bleiben? Oder haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Weltklimagipfel von Mal zu Mal aufwendiger und unergiebiger zu werden scheinen?

JM: Den UN-Prozeß halte ich für das Produkt der Positionen der großen Länder. Die derzeitige Entwicklung hängt damit zusammen, daß die Bush-Regierung Kyoto abgesagt hat, und deshalb hat es bereits in Kyoto keine Fortschritte gegeben. Aber auch Saudi Arabien und andere große Länder haben einen enormen Einfluß auf diesen UN-Prozeß. Wenn USA, China, Europa und vielleicht noch Brasilien zusammenarbeiten würden und ihre Positionen ändern könnten, dann würde meines Erachtens der UN-Prozeß insgesamt ganz anders aussehen. Was ihn außerdem schwierig macht, ist das Timing, das heißt, daß eine relevante Menge von Staaten im gleichen Moment auch bereit dazu ist, einen Schritt zu machen. Und dann ist natürlich auch die nationale Politik oft im Weg.

Ich kann mir aber vorstellen, daß wir mit dem Pariser Abkommen Ende 2015 eine neue Chance auf internationaler Ebene haben werden, weil Obama es diesmal wirklich ernst meint, weil Xi Jinping in China das Problem der Luftverschmutzung lösen und weg von der Kohle will, weil viele mittelgroße Länder inzwischen verstehen, daß es günstiger oder billiger ist, jetzt etwas für den Klimaschutz, die Energieeffizienz sowie für die Hinwendung zu "Erneuerbaren" zu tun, als später für die Auswirkungen des Klimawandels zu zahlen. Wenn Sie sich einmal umsehen in der Welt, dann verändert sich an vielen Ecken schon etwas. Und ich hoffe sehr, daß der politische Wille ausreichen wird und wir einen Moment erwischen, in dem alle Länder an Bord sind. In Kyoto war das nicht der Fall. In Paris könnte es anders sein, und das wäre eine neue Chance.

Der gleiche Blick auf die Stadt. Links: Gebäude sind gut zu erkennen. Rechts: Ein dicker Smogschleier trübt die Sicht. - Foto: by Bobak (Own work) [CC-BY-SA-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Für Chinas Bevölkerung wird es lebenswichtig, die Probleme der Luftverschmutzung zu lösen.
Peking im August
Links: Nachdem es zwei Tage lang geregnet hatte.
Rechts: Wie es gewöhnlich an einem eigentlich sonnigen Tag aussieht.
Foto: by Bobak (Own work) [CC-BY-SA-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

SB: Sie haben gemeinsam mit Dirk Messner und Hans Joachim Schellnhuber im April diesen Jahres eine Stellungnahme verfaßt, in der Sie gemeinsam die Bildung neuer sogenannter Vorreiterclubs (Pioneers Clubs) empfehlen, wie den "Club der Energiewendestaaten" (Renewables Club). Sie attestieren speziell diesem Club Potential, kritisieren darin aber auch, daß augenblicklich nur unverbindliche Ideen ausgetauscht werden. Wie würde eine verbindlichere Lösung aussehen? Oder was müßte sich Ihrer Meinung nach ändern, damit dieser Club eine sinnvolle und wirksame Einrichtung wird?

JM: Zum einen wollen wir Länder motivieren, daß sie, was die Verringerung von Treibhausgasemissionen angeht, weiter machen, daß sie noch ehrgeizigere Ziele als bisher formulieren und daß sie diese auch über mehrere Legislaturperioden hinweg durchsetzen. Es gibt weltweit bereits einige Initiativen, aber die sind nicht effizient genug. Es sind eben keine 'Big Ideas'. Unsere Forschung hat gezeigt, daß so ein Zusammenschluß von Ländern, der die Treibhausgasreduktion fördern soll, zunächst mal ein gemeinsames Ziel braucht. Das heißt, man gründet einen 'Zwei-Grad-Club' oder einen, der sich die Senkung des Strompreises bei der Nutzung von Erneuerbaren oder die CO2-Emissions-Besteuerung, -Bepreisung oder etwas in dieser Art auf die Fahne schreibt. Außerdem braucht man finanzielle oder ökonomische Anreize für die daran beteiligten Länder, besonders wenn es sich um ärmere Länder handelt. Und dann sollte die Beteiligung auch an bestimmte Auflagen gebunden sein. Wichtig wäre darüber hinaus eine starke politische Führung. Dieser Club der Energiewendestaaten war eine sehr mitreißende Idee von Minister Peter Altmaier, als er noch Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit war. Jetzt ist er Bundesminister für besondere Aufgaben. Welche Rolle also Deutschland weiterhin in diesem "Renewables Club" spielen wird, ist noch nicht ganz klar.

Derzeit überlegen wir auch, ob das neue Pariser Abkommen nicht zulassen sollte, daß sich einige Länder auf diese Weise zusammenschließen und in Teilaspekten ehrgeizigere Klimaziele verfolgen als andere. Denn abgesehen davon, daß jedes Land darin seine nationalen Ziele und Maßnahmen verbindlich festlegen wird, bestünde auch die Möglichkeit, die Bildung solcher Zusammenschlüsse oder Clubs vertraglich zu regeln. Es könnte beispielsweise einen Zusammenschluß von Ländern geben, die gemeinsam ambitionierte Hocheffizienz-Standards für Kraftfahrzeuge entwickeln wollen oder ähnliches, was die Frage der institutionellen Kontinuität dann über ein gemeinsames Regelwerk lösen könnte. Doch die verbindliche Partnerschaft, eine politische Führung und eine starke Motivation für die teilnehmenden Länder sind die wesentlichen Voraussetzungen, die solche Clubs wirksam werden lassen.

SB: Ich möchte noch bei diesen großen Konzepten oder 'Big Ideas' bleiben: Prognosen zum Klimawandel, in denen vor einer bevorstehenden Entwicklung gewarnt wird, tragen mitunter den Beigeschmack, von der aktuellen drastischen Not eines erheblichen Teils der Menschheit abzulenken, nämlich von etwa 845 Millionen Hungernden in der Welt. Könnte es eine Aufgabe von Organisationen wie das World Recources Institute sein, ein Gesamtkonzept für die Behebung der Not dieser Menschen und zukünftiger Generationen zu erarbeiten?

JM: Ja absolut. Also wir erproben augenblicklich verschiedene Strategien, an denen wir noch weitere Institutionen beteiligen wollen, die sich vor allem mit Anpassungsfragen befassen, die in den Klimaverhandlungen einen ebenso hohen Stellenwert einnehmen sollten, wie die Senkung der Treibhausgasemissionen. Denn in Teilen von Afrika, für die Küsten Indiens und für die pazifischen Inselentwicklungsländer sind das Fragen um Leben oder Tod. In Anbetracht dessen, was nötig wäre, sollten 50 Prozent der bereitgestellten Finanzmittel für Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen an diese Länder gehen. Das geschieht aber nicht.

Daher besteht ein Teil des geplanten Pariser Abkommens darin, ein Adaptationskonzept mit Finanzierungsplan zu integrieren und die Betroffenen darüber auch zu informieren. Das Vertrauen in diesen internationalen Prozeß ist derzeit so gering, daß die Industrienationen eigentlich einmal in der Pflicht wären, das sehr ernst zu nehmen und eine entsprechende Initiative aufzubauen, mit der ein Klima-Warnsystem geschaffen wird, das jeden einzelnen Bürger erreicht. Derzeit gibt es Pläne über Netzwerke, um Küstenbewohner über die Meeres- und Ländergrenzen hinaus miteinander zu verbinden, aber auch Daten aus den Höhenregionen und Gletscherzonen der Schweiz, Nepal oder Butan schnell zu vermitteln. Das ist nur ein ganz kleiner Teil von dem, was getan werden kann. Es sollte mehr sein.

Auch die Debatte, wer für die Verluste der Klimawandelgeschädigten aufkommen wird, gehört dazu. Dafür brauchen wir meines Erachtens mehr legale Möglichkeiten, Druck auf die Verursacher auszuüben. Wir haben natürlich unter anderen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Internationalen Gerichtshof, die dafür zuständig sind, Menschenrechte gegen die Interessen von Industrienationen oder großen Unternehmen zu verteidigen. Dazu wird es womöglich kommen, wenn die Klimaentwicklung in dieser Form weiter voranschreitet. Denn der Klimawandel mit seinen Begleiterscheinungen ist für viele Menschen in Afrika oder den pazifischen Inselstaaten bereits eine Tatsache. Die sehen ganz nüchtern, was passiert.

Und teilweise ist der Klimawandel auch schon eine Tatsache. Wenn man Menschen in Afrika oder von den pazifischen Inselstaaten fragt, dann ist die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bereits offensichtlich. Für diese Menschen ist es keine Frage, was passiert, und daß es passiert. Der Druck ist durchaus spürbar. Nur wäre es an der Zeit, daß die Industrieländer und die großen Unternehmen diese Probleme viel ernster nähmen. Eine angemessene, große Initiative dazu wäre absolut angebracht und auch notwendig.

SB: Was wäre für Sie der konkreteste und effektivste Hebel, den man für den Klimaschutz umlegen sollte? "Warm anziehen - Heizkosten sparen", "Veränderung des Sozialverhaltens jedes Einzelnen" oder die "Reduktion der Industrieemissionen"?

JM: Gott, man braucht einfach alles. Die Herausforderung, die der Klimawandel an die Gesellschaft stellt, betrifft jeden Sektor. Der erste große Hebel wäre meines Erachtens allerdings "weg von Kohle!" Es gibt in dieser Welt keinen Platz mehr für Kohlenutzung. Das wäre mein erster Schritt. Ein generelles, weltweites Kohleverbot wäre allerdings zu drastisch. Man kann diese Forderung nicht an China, Indien, Pakistan oder gar an Polen stellen. Also müssen zunächst Industrieländer wie Deutschland, die bereits Alternativen und die nötigen Mittel für ihre Umsetzung besitzen, als erste damit beginnen, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen, und dann die existierenden Kraftwerke allmählich durch erneuerbare Energien ersetzen. Ob das klappt, ist inzwischen keine Frage der Technologie mehr, die gibt es, sondern es ist eine Frage des politischen Willens, und da hoffe ich sehr, daß sich Kanzlerin Merkel in den kommenden Monaten wesentlich mehr um den Klimaschutz kümmert als bisher. Wir brauchen Frau Merkel.

SB: Herzlichen Dank, daß Sie sich die Zeit genommen haben.


Anmerkungen:


[1] COP - Conference of the parties oder Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention oder auch Weltklimagipfel werden die jährlich stattfindenden UN Klimaverhandlungen genannt. Auf der COP 3 wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet, das derzeit ausläuft, nachdem es zuletzt 2012 beim COP 18 in Doha bis 2020 verlängert wurde. Vom 1. bis 12. Dezember 2014 wird die Klimakonferenz (COP 20) in Lima stattfinden. Die COP 21 in Paris soll endlich der Nachfolgevertrag bzw. Weltklimavertrag [siehe auch 8], d.h. ein das Kyoto-Protokoll ersetzendes neues Abkommen mit verbindlichen Klimazielen für alle 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention vereinbart werden. Bei der Klimakonferenz in Warschau 2013 (COP 19) hatten sich die Staaten darauf verständigt, möglichst bis März 2015 ihre jeweiligen nationalen Klimaschutz-Beiträge für dieses neue Abkommen vorzulegen.

[2] Den Bericht über die Podiumsdiskussion zum Thema finden Sie hier:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0089.html

[3] "RCP" - das Kürzel steht für Representative Concentration Pathways, zu deutsch: Repräsentative Konzentrationspfade. In allen RCP-Szenarien außer RCP 2.6 wird die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur über der Land- und der Meeresoberfläche bis Ende des 21. Jahrhunderts voraussichtlich um mehr als 1,5 °C gegenüber vorindustriellen Werten steigen. Mit Ausnahme des Szenarios RCP 2.6 wird sich die Erwärmung in allen anderen Szenarien über das Jahr 2100 hinaus fortsetzen. RCP 8.5 heißt "business as usual", dagegen geht RCP 2.6 von überaus "aggressiven" Maßnahmen zur Emissionsminderung (engl.: mitigation) aus, in deren Folge der Treibhausgasausstoß weltweit nach rund einem Jahrzehnt zu sinken beginnt und in etwa 60 Jahren beinahe auf Null fällt.

[4] Das World Resources Institute (WRI, auf Deutsch: Weltressourceninstitut) ist eine Umwelt-Denkfabrik mit Sitz in Washington, D.C. Die Non-Profit-Organisation wurde 1982 von James Gustave Speth gegründet. Heute verfügt das WRI über einen Stab von mehr als 100 Wissenschaftlern, Wirtschaftsanalysten, Ökonomen, Politikexperten. Ihre Arbeit dient dem institutseigenen Zweck, die Umwelt zu schützen, nachhaltige Entwicklung zu forcieren und allgemein die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern. Schwerpunkte des WRI umfassen die globale Erwärmung, verschiedene Ökosysteme, Governance-Strukturen, erneuerbare Energie und besonders den Gebrauch von Ressourcen. Das globale Wald-Monitoringsystem Global Forest Watch (über das Jennifer Morgan im Interview spricht) ist ebenfalls auf Initiative des WRI entstanden.

[5] Tipping points - Wenn die Temperatur bestimmte Schwellen überschreitet, können an den sogenannten Kipp-Punkten, den Archillesfersen im Klimasystem, Veränderungen ausgelöst werden, die die Anpassungsmöglichkeiten der Weltgesellschaft bei weitem übersteigen. Folgende Kipp-Punkte fallen darunter:

01 Schmelzen des arktischen Meereises
02 Schmelzen des grönländischen Eisschilds
03 Zusammenbruch des westantarktischen Eisschilds
04 Methanfreisetzung durch tauende Permafrostgebiete und Kontinentalschelfe
05 Abtauen des tibetischen Hochlands
06 Unterdrückung der atlantischen Tiefenwasserbildung
07 Unterdrückung der antarktischen Tiefenwasserbildung
08 Schwächung der marinen Kohlenstoffpumpe
09 Änderungen von El Niño
10 Antarktisches Ozonloch
11 Ozonloch über dem Nordpol
12 Störung des indischen Monsuns
13 Störung des westafrikanischen Monsuns
14 Rückgang der borealen Wälder
15 Austrocknen des amazonischen Regenwalds
16 Ergrünung der Sahara und Versiegen der Staubquellen

mehr dazu:
https://www.pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente/

[6] Ground Truth (übersetzt in etwa "Bodenwahrheit") bezeichnet in der Fernerkundung und Kartografie direkt durch Geländeerkundung am Boden aufgenommene Informationen (Bodenproben, Fotos, Vegetationsbestimmung etc.) oder Referenzdaten, die zur Analyse von Luftaufnahmen, Satellitenbildern oder anderen Fernerkundungsdaten genutzt werden. Durch Ground-Truth-Daten ist es möglich, Fernerkundungsdaten präziser zu klassifizieren. Der Vorgang wird Groundtruthing genannt.

[7] Der aus dem Englischen stammende Begriff Bus Rapid Transit (kurz BRT, auch Busway) steht für eine Reihe von öffentlichen Transportsystemen, die durch infrastruktur- wie auch fahrplantechnische Verbesserungen versuchen, einen höheren Qualitätsstandard als normale Buslinien zu erreichen. Die Bus-Rapid-Transit-Systeme können hierbei unterschiedliche Ansätze haben, wenn auch viele Verbesserungen von der Mehrzahl der Systeme genutzt werden. Ziel der Verbesserungen ist, sich dem Qualitätsstandard von Schienennahverkehrssystemen anzunähern, dabei aber die Kostenvorteile des straßengebundenen Verkehrsmittels Bus zu nutzen. Dabei kann sich vor allem eine höhere Gewinnschöpfung als beim schienengebundenen Verkehr ergeben.

[8] Das Paris-Protokoll 2015 soll als Weltklimavertrag Ziele für alle 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention beinhalten und ab 2020 in Kraft treten. Im Januar 2014 hat eine EU-Kommission zentrale Klimavorschläge für 2030 als Eckdaten formuliert. Sie sollen als Basis dienen, um die europäischen Klimaziele für die Konferenz auszuarbeiten.

15. September 2014