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INTERVIEW/175: Die Uhr tickt - auf niemand kann verzichtet werden ...    Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl im Gespräch (SB)


"Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015"
Internationales Symposium zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Graßl am 18. März 2015 an der Universität Hamburg

Der Jubilar erzählt von den verschlungenen Pfaden der Entscheidungsfindung in der Politik, glücklichen Zufällen, profitablem Klimaschutz und davon, wie er selbst an einigen denkwürdigen Entscheidungen maßgeblich beteiligt war.


Was mag einen konsequent altersresistenten Jubilar wie Hartmut Graßl, der sich in vielen Ämtern und Funktionen rund um das Klima verdient gemacht hat und immer noch als Wissenschaftler gefragt und präsent ist, wohl mehr freuen, als sein Wiegenfest im streitbaren Kreise der früheren und heutigen Weggefährten, Nachfolger und Ziehkinder im Geiste zu feiern? Das hatten sich die Verantwortlichen der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) auch gefragt, als sich der runde Geburtstag ihres Beirats-Vorsitzenden näherte und tatsächlich noch etwas "mehr" gefunden: Zu der gelungenen Fusion von Geburtstagsfeier mit internationalem Symposium "Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015", zu der die VDW gemeinsam mit den beiden anderen gastgebenden Organisationen, dem WBGU (Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) und MPI-M (Max-Planck-Institut für Meteorologie), in denen der nun 75jährige ebenfalls in führender Funktion tätig war, eingeladen hatte, waren nahezu 300 Gäste gekommen.

Neben Ehrungen im Senat, Geburtstagstorte im Hauptgebäude der Universität Hamburg und einer Abendveranstaltung im Schauspielhaus mit ausgewählten Gästen wurde im Agathe-Lasch-Saal der Hamburger Uni in zahlreichen Beiträgen und Diskussionsrunden vor allem jene Debatte angestoßen und fortgesetzt, die dem Geburtstagskind nach wie vor am Herzen liegt, auch wenn es dabei ans Eingemachte geht: Wie läßt sich Klimaschutz überhaupt durchsetzen bzw. "den Herausforderungen des Klimawandels mit Hilfe einer breit informierten Gesellschaft als Ganzes begegnen"? Dafür, daß damit der Nagel auf den Kopf getroffen wurde, zeugte die gespannte Aufmerksamkeit des Gefeierten, der viele Wortbeiträge mit engagiertem Kopfnicken quittierte, ehe er sich im Kreise junger Wissenschaftler und im Zentrum des Geschehens ganz "zu Hause" fühlen konnte.

Bereits 1987 war der als Atmosphärenschützer der ersten Stunde zählende Klimaexperte an einer gemeinsamen Schrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMP) [1] mit seiner wissenschaftlichen Expertise beteiligt, die vor der damals durchaus schon erkannten Gefahr warnte, die von den durch die Menschen fahrlässig in die Atmosphäre entlassenen Luftschadstoffe und Spurengase drohte. Ziel der damaligen Schrift war bereits, im Namen der beiden Präsidenten der Gesellschaften Prof. H.-W. Georgii und Prof. J. Trümper die Verantwortlichen dazu aufzufordern, ein wirksames Programm zur Eindämmung der drohenden Klimaänderungen "jetzt", also zum damaligen Zeitpunkt sofort, zu beginnen. Im Fazit des Berichts heißt es wörtlich:

Die von den Spurengasen bewirkten Klimaänderungen kündigen sich nicht spektakulär an, sondern treten im Verlauf von Jahrzehnten ganz allmählich in Erscheinung. Sind sie aber erst einmal deutlich sichtbar geworden, so ist keine Eindämmung mehr möglich. Die Klimaänderungen sind - abgesehen von einem Krieg mit Kernwaffen - eine der größten Gefahren für die Menschheit, eng verknüpft mit der übermäßigen Ressourcennutzung und Umweltbelastung, vor allem seitens der Industrienationen und der Bevölkerungsexplosion der weniger entwickelten Nationen.
Die Klimaänderungen können nur eingedämmt werden, wenn weltweit alle Nationen bald alle die vielfältigen, immer einschränkenden Maßnahmen ergreifen, die zu einer rechtzeitigen ausreichenden Minderung der Emission aller Spurengase insgesamt unumgänglich sind. [1]

Daß vor 28 Jahren derart konkrete Fakten der Meteorologie wie die Anforderung an die Gesellschaft gewissermaßen in den Wind geredet schienen, war vielleicht der Auslöser für Hartmut Graßl, gemeinsam mit weiteren unermüdlichen Atmosphärenschützern jene Sisyphos-Aufgabe auf sich zu nehmen, nicht nur immer wieder die wissenschaftliche Gemeinschaft, politische Entscheider und die Öffentlichkeit über den Stand der Klimaentwicklung und den Klimaschutz aufzuklären, sondern vor allem auch auf die Bedeutung der Information der Zivilgesellschaft aufmerksam zu machen, die seines Erachtens als Wählerschaft einzig den nötigen Druck auf die Politik ausüben kann, um entsprechende Kurskorrekturen in die Wege zu leiten. [2] Daß dieser mühsame Prozeß immer noch nicht abgeschlossen ist, sieht man an der gegenwärtigen Entwicklung [3] und daran, daß dem Jubilar auch heute noch Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit notwendig erscheint, für die er sich dann auch nicht zu schade ist, mal kurzfristig in die Rolle eines Schauspielers zu schlüpfen, um am Deutschen SchauSpielHaus in Hamburg in der Spielzeit 2014-15 als Experte bei der "Welt-Klimakonferenz" von Rimini Protokoll mitzuwirken.


Wie sich die Bilder gleichen

Vor dem im Dezember dieses Jahres bevorstehenden 21. UN-Klimagipfel in Paris, auf dem für das auslaufende, für den Klimaschutz wenig ergiebige Kyoto-Protokoll eine neue und vor allem wirksamere globale Regelung abgeschlossen werden soll, an die viele vor allem seit dem Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 nicht mehr so recht glauben können, stehen die 1987 mit den katastrophalen Folgen eines Atomkriegs verglichenen Klimaveränderungen als unumstößliche Tatsache fest. Auch der Anteil menschlicher Aktivitäten daran, insbesondere der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, gelten seit dem letzten IPCC-Report mit mindestens neunzigprozentiger Sicherheit als nachweisliche Hauptursache dafür. Bei den ausstehenden Verhandlungen geht es darum, ob sich der Wandel noch soweit eingrenzen bzw. der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter unter 2°C halten läßt, um die Folgen, deren Ausmaße sich noch nicht abschätzen lassen, soweit abzumildern, daß keine Tipping points bzw. Kippunkte erreicht werden, an denen sich die Prozesse verselbständigen. Ein Beispiel dafür wäre das Auftauen von Permafrostböden, bei dem ein weiteres Treibhausgas, Methan, das darin in unschätzbar großen Mengen gespeichert ist, in die Atmosphäre entlassen würde, so daß die globalen Durchschnittstemperaturen unkontrollierbar ansteigen könnten. Es gäbe noch immer eine erhebliche Bandbreite an Unsicherheit, sowohl physikalisch als auch politisch, betonte auch Prof. Dr. Jochem Marotzke, Direktor am MPI-M, in seiner die Diskussion einleitenden Rede. Niemand wisse, wo die Kippunkte sitzen. Genauso unklar sei auch, welche Klimapolitik die 195 UN-Staaten künftig im einzelnen machen werden und welche "Risiken und Anstrengungen" die Gesellschaften akzeptieren werden. Viel ist seit den 80er Jahren geschehen, aber was hat sich eigentlich geändert? Prof. Dr. Hartmut Graßl fand sich trotz seines Ehrentags und eines strammen Terminplans bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben schon viele phantasievolle Titel erhalten: Stromrebell, Klima- und Weltenretter konnte man schon lesen. Eigentlich waren Sie aber doch im Hinblick auf Ihre quasi in den Wind geredeten Prognosen und Warnungen auch so etwas wie ein Whistleblower für den Klimawandel.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl (HG): ... dem würde ich gleich widersprechen, weil ich nicht darunter gelitten habe. Ein Whistleblower ist nach unserer VDW-Definition für die Verleihung des Whistleblowerpreises jemand, der etwas an die Öffentlichkeit bringt, was vorher unbekannt war, der aber gleichzeitig unter dieser Veröffentlichung persönlich gelitten hat, so wie bei allen bisherigen Umweltpreisträgern, die wir ausgewählt haben. Daß irgendwann mal versucht worden ist, uns Wissenschaftlern einen politischen Maulkorb umzuhängen, sind doch Harmlosigkeiten, verglichen mit dem, was bei den echten Whistleblowern geschehen ist. Der letzte Whistleblowerpreisträger 2013 zum Beispiel, Edward J. Snowden, der jetzt in Rußland Exil bekommen hat in einer nicht existierenden Demokratie und dort eigentlich nur wegen der zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West überwintern kann, hat, finde ich, enorm gelitten, und er würde selbst heute noch sofort verhaftet, wenn er nach Hause kommt.

SB: Leidet man denn nicht auch unter dem, was nicht geschieht? Wenn die eigenen schwerwiegenden Erkenntnisse nicht recht ernst genommen und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Ärgern Sie sich über die verschwendete Zeit?

HG: Ich habe in einem Buch, das die Europäische Umweltagentur (EEA) vor etwa zwei Jahren als EEA-Report veröffentlicht hat, ein Kapitel zu diesem Thema geschrieben. Das Buch heißt "Late lessons from early warnings - science, precaution, innovation" [4] und ist jetzt schon der zweite Band in Folge gewesen, nachdem das erste, "Late lessons from early warnings: the precautionary principle 1896-2000" bereits sehr erfolgreich war, in dem es um die Krankheiten durch Quecksilbervergiftungen, Asbest, PCBs und so weiter ging. Diesmal haben die Herausgeber das Thema "Klima" darin mit aufgenommen. Das Kapitel dazu habe ich geschrieben, worin ich dann dezidiert aufgezeigt habe, von welchem Zeitpunkt ab die Politiker wirklich nicht mehr hätten behaupten dürfen, 'das wissen wir nicht'. Das fällt sehr genau mit der Gründung des IPCC zusammen und mit dem dann gewählten Datum von 1990. Nach 1990 konnte sich keine Regierung mehr hinter der Behauptung verkriechen, sie wüßte nichts davon. Davor schon. Und dazu, daß diese Erkenntnisse bekannt geworden sind, habe ich in Deutschland und auch in den Nachbarländern natürlich beigetragen.

Es gab aber durchaus auch Politiker, die reagiert haben. Also, wenn ich jetzt lese, wir produzieren 27,3 Prozent des elektrischen Stroms im Netz aus erneuerbaren Energien, dann ist das dank des Einspeisegesetzes unter der Regierung Kohl und dank des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes unter der Regierung Schröder möglich geworden. Diese beiden Dinge haben aus einem umweltbewußten Bürger mit etwas Überschußgeld einen Profiteur der erneuerbaren Energieanlagen gemacht.

Ich habe einmal in Bayern, in Straubing, bei einem Vortrag, an die anwesenden Bauern gerichtet, gesagt: "Eigentlich müßtet ihr dem Herrn Trittin ein Denkmal errichten." Können Sie sich vorstellen, welche Buh-Rufe ich da bekommen habe im tiefen Bayern?

Doch Jürgen Trittin hat tatsächlich mit seinem Erneuerbaren-Energien-Gesetz, natürlich geprägt von einigen Bundestagsabgeordneten, dem Gerhard Schröder die Biogas-Anlagen schmackhaft gemacht. Und das Erneuerbaren-Energien-Gesetz hätten wir in der Tat nicht, wenn es nicht einen Abweichler bei den CDU-Ministerpräsidenten gegeben hätte. Bei der entscheidenden Abstimmung im deutschen Bundesrat büxte der Herr Vogel in Thüringen aus der Phalanx der ablehnenden CDU-Ministerpräsidenten aus und hat dafür gestimmt und war dann mit seiner Stimme genau das Zünglein an der Waage, das im Bundesrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz durchbrachte.

Das hört die SPD natürlich nicht sehr gern, aber der Ernst Ulrich [an den neben ihm sitzenden Ernst Ulrich von Weizsäcker (Mitglied der SPD) gerichtet] weiß das ja.

SB: Haben Sie sich damals vorstellen können, daß es jemals zu einem Klimawandel in diesem Ausmaß kommen würde, wie er heute schon wahrnehmbar ist? Und daß man angesichts der Fakten derart zögerlich handeln würde?

HG: Nein, ich hatte etwas raschere Reaktionen erwartet. Aber, wie ich heute schon beim Senatsempfang sagte, ist für mich der entscheidende Punkt - und das fehlte jetzt bei der eben vergangenen Podiumsdebatte [5] - der Preis für die Kilowattstunde elektrischer Energie aus der Photovoltaik. Wenn der, wie es ja heute schon der Fall ist, unter den Gestehungskosten [Aufwandskosten] für die Kilowattstunde Strom liegt, dann wird Klimaschutz zum Selbstgänger. Dann müssen wir nicht einmal mehr voll internalisieren. [6] Dieser Aspekt kam meines Erachtens in den Ausführungen von Ottmar Edenhofer zu kurz.

Man sieht das ja bereits an Deutschland: Wenn Sie hierzulande eine neue Photovoltaik-Anlage noch in diesem Jahr 2015 auf ihr Haus setzen, dann bekommen Sie 9,5 Eurocent Einspeisevergütung und haben immerhin eine kleine Rendite von zwei oder drei Prozent. Bei Kohlestrom mit Internalisierung kommt man bei 4 plus 7 auf 11 Eurocent, das heißt wir können hier jetzt schon von Grid Parity (Netzparität [7]), wie man so schön sagt, sprechen.

Einige Firmen beispielsweise im Schwarzwald machen nun folgendes: Die gehen zu den Unternehmen, die sich auf die Aufrüstung mit erneuerbaren Energieanlagen spezialisiert haben und lassen sich beraten, wieviele Windenergieanlagen und wieviele Photovoltaik-Flächen sie brauchen, um 80 Prozent ihres jährlich benötigten Strom- und Wärmebedarfs in ihrem Betrieb auf diese Weise zu bedienen. Denn sie bekommen bei größeren Anlagen 8,5 Cent Einspeisevergütung für Photovoltaik und 7,8 oder 8,0 Eurocent für die Kilowattstunde Windstrom. Aus dem Netz müssen sie sich das gleiche mit 14 oder 15 Eurocent holen. Also machen sie es selber. Das wird zum Selbstgänger und genau das fehlte bisher in der Debatte. Ernst Ulrich von Weizsäcker [an den neben ihm Sitzenden gewandt] hatte es nur angedeutet, doch die Entscheidungsfindung von der Wissenschaft über die Politik zum Beschluß ist einfach der falsche Weg. Statt dessen muß zunächst die Bevölkerung über wissenschaftliche Erkenntnisse bescheid wissen, um den entsprechenden Druck aufzubauen, damit die Politik reagiert. Also die Rolle der Zivilgesellschaft beim Klimaschutz kam ein bißchen kurz in dieser Debatte.

SB: Das stimmt. Vielleicht kommt das ja noch in der zweiten Runde des Symposiums zur Sprache, wenn es um das Sondergutachten der WBGU und die Weltbürgerbewegung geht. Immerhin ist die informierte Zivilgesellschaft, die Einfluß auf die Klimapolitik nehmen könnte, auch schon immer Ihr Thema gewesen ... [2]

HG: Ja, sicher. Ich habe mich immer eingesetzt und die Zivilgesellschaft informiert. Das mache ich jetzt seit 1981. Da bin ich zum ersten Mal in dieses Fahrwasser geraten. Also seit 34 Jahren, habe ich etwa ein Drittel meiner Zeit der Öffentlichkeitsarbeit gewidmet.

SB: Obwohl Erfolge bei der Umstellung auf erneuerbare Energien verbucht werden können und trotz einer erklärten Energiewende in Deutschland haben die CO2-Emissionen nicht in entsprechendem Maß ab-, sondern eher noch zugenommen. Wie kann man diese Diskrepanz erklären?

HG: Bei uns stimmt das nicht mehr, was Sie jetzt sagen. Im Jahr 2014 gab es eine ganz starke Kehrtwende. Wir hatten 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum, was für die EU-Länder außergewöhnlich hoch war und wir haben dennoch 3,8 Prozent CO2 eingespart.

Das heißt, die Energiewende ist nach diesem vorübergehenden Hopser mit mehr Kohlendioxidausstoß wegen des Exports von Strom in unsere Nachbarländer durchaus spürbar. Nun ist es so, die Betreiber Eon, Vattenfall und andere Stromanbieter, die natürlich unter der quasi Zwangsenteignung einiger ihrer Kernkraftwerke stark gelitten haben, die lassen alle ihre alten Kohlekraftwerke laufen und exportieren den Strom. Weil das abgeschriebene, alte Kraftwerke sind, ist dieser Strom für sie außergewöhnlich kostengünstig, was die Herstellungskosten betrifft und so machen sie immer noch Profit, auch wenn sie den Strom für 6 oder 7 Eurocent nach Frankreich schieben. Auf diese Weise sind wir zum größten Stromexporteur Europas geworden. Unser Land exportiert im Dauerstrich, über ein halbes oder ein ganzes Jahr gemittelt, 5 bis 7 Gigawatt bei einem Eigenverbrauch von 50 bis 70 Gigawatt, das heißt 10 Prozent schieben wir über die Grenze. Doch das hierbei emittierte CO2 wird uns angerechnet, denn die Kohle ist bei uns verbrannt worden. So ist es internationale Regelung.

Hätten wir diesen Überhang nicht oder, anders formuliert, hätten wir einen Masterplan, wann welche Kraftwerke abgeschaltet werden müssen, weil wir die CO2-Minderung auf der politischen Agenda haben, dann wäre nicht einmal dieser Zwischenbuckel entstanden.

SB: Gibt es auch Berechnungen darüber, welche Mengen an CO2 durch das Abschalten von Kohlekraftwerken, das heißt durch den Abbau alter Anlagen und den Ausbau der neuen Infrastruktur für Erneuerbare-Energien-Anlagen zusätzlich freigesetzt werden?

HG: Das sind tatsächlich harmlos wenig CO2-Emissionen verglichen mit den Emissionen, die während der Lebenszeit dieser Anlagen und während ihres Aufbaus in die Atmosphäre entlassen werden. Also, das ist harmlos. Bei Kernkraftwerken ist das allerdings eine völlig andere Geschichte. Das wird sehr teuer!

SB: Nochmal alles Gute zum Geburtstag und vielen Dank für dieses Gespräch.


Prof. Dr. Graßl mit einer von drei Stipendiatinnen und Stipendiaten auf dem Podium über die 'Zukunft in unserer Verantwortung'. - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wichtige Karrieretips für Stipendiaten und Pragmatisches zum persönlichen Klimaschutzbeitrag: Der eigene CO2-Fußabdruck kann bei "atmosfair" kompensiert werden.
Foto: © 2015 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] http://www.dpg-physik.de/dpg/gliederung/ak/ake/studien/dpgaufruf1987.pdf

[2] Dies erläuterte Prof. Graßl, der sich als sachverständiges Mitglied zweier Enquete-Kommissionen des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre, als Berater der Bundesregierung im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) und als Direktor des Weltklimaforschungsprogramms bei der Weltorganisation für Meteorologie in Genf lange Zeit an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft bewegte, dem Schattenblick im Rahmen der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" im August 2011 in Hamburg:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0008.html

[3] Mehr zur gegenwärtigen Lage und über Problemlösungs-Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), der im vergangenen Jahr ein Sondergutachten mit dem Titel "Klimaschutz als Weltbürgerbewegung" vorlegte, findet sich in dem bereits erschienenen Interview mit dem Vorsitzenden des WBGU, Prof. Dr. Dirk Messner:
INTERVIEW/174: Die Uhr tickt - Solidarintervention Klimarettung ... Prof. Dirk Messner im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0174.html

[4] Das Buch, e-Book, sowie einzelne Kapitel sind kostenlos über die European Environment Agency (EEA) erhältlich, Hartmut Graßl hat das 14. Kapitel "Climate change: science and the precautionary principle" verfaßt.
http://www.eea.europa.eu/publications/late-lessons-2

[5] Vor dem Interview hatte eine Podiumsdiskussion zum Thema "Welche Forschung brauchen wir für den Klimaschutz?" stattgefunden, an der Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Stellv. Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Dr. Guy Brasseur, MPI-M / Vorsitzender des Gemeinsamen wissenschaftlichen Ausschusses (JSC) des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) und Dr. habil. Ulrich Hoffmann, Chefökonom nachhaltige Entwicklung, Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Frick, Schweiz teilnahmen, moderiert von Prof. Dr. Ernst U. von Weizsäcker, Beiratsmitglied VDW / Co-Präsident des Club of Rome.

[6] Internalisierung ist die Einbeziehung sozialer Zusatzkosten/-nutzen (Kostenrechnung), die durch externe Effekte (auch Externalitäten) verursacht werden, in das Wirtschaftlichkeitskalkül des Verursachers. Ziel der Internalisierung ist es, die durch Marktversagen entstandenen Ineffizienzen zu minimieren und so das Wohlfahrtsoptimum zu erreichen.

[7] Netzparität (engl. grid parity) ist der Zustand gleicher Stromgestehungskosten erneuerbarer Energieträger im Vergleich zum Strompreis konventioneller elektrischer Energie.

Netzparität gilt üblicherweise dann als erreicht, wenn aus Sicht der Endverbraucher selbst produzierter Strom dieselben Kosten je Kilowattstunde verursacht wie der Kauf von einem Stromanbieter, also der Strombezug über das Netz. Bei diesem Vergleich ist zu beachten, daß die Kosten des Strombezugs Vollkosten darstellen (also neben den Kosten der Stromerzeugung die Kosten des Stromnetzes und der Steuern beinhalten), während die Kosten des Endverbrauchers lediglich Teilkosten darstellen.

24. März 2015


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