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INTERVIEW/176: Trümmertief - Widerstand auf gutem Grund ...  Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)


Das Märchen vom Fracking

Vorstellung der neuen Studie "Fracking - eine Zwischenbilanz" von Dr. Werner Zittel im Auftrag der Energy Watch Group am 19. März 2015 in Berlin

Andy Gheorghiu über behördliche Unzulänglichkeiten und Erfolge, einen Gesetzentwurf, der Fracking großflächig erlaubt, die Frage der Lebensführung und vieles mehr


Andy Gheorghiu ist Mitglied der Bürgerinitiative Fracking freies Hessen, die sich im Juni 2012 gegründet hat, nachdem bekannt wurde, daß die Firma BNK Deutschland GmbH die großflächige Erkundung von Gaslagerstätten in Nordhessen (Aufsuchungsfeld "Adler-South APP") beantragt hat und daß die Landesregierung diesem Antrag vermutlich stattgeben würde. Nur durch die riskante Technologie des Frackings hätten die dort vorliegenden unkonventionellen Gaslagerstätten erschlossen werden können. Nach einer breiten Kampagne unter Beteiligung der Bürgerinitiative, die großen Zuspruch erfuhr, und zahlreicher Kommunen hat das Regierungspräsidium Darmstadt den Aufsuchungsantrag abgelehnt.


Hinter einem langen Tisch sitzend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Von links nach rechts: Dr. Werner Zittel (Ludwig-Bölkow Systemtechnik), Hans Josef Fell (Energy Watch Group) und Andy Gheorghiu bei der Pressekonferenz am 19. März 2015 in Berlin
Foto: © 2015 by Schattenblick

Nachdem er zwanzig Jahre lang im Rathaus von Korbach gearbeitet hatte, hängte Andy Gheorghiu seinen sicheren Job an den Nagel und widmet sich seitdem ganz dem Kampf gegen Fracking. Im September 2013 verlas er im Namen der Bürgerinitiativen als Mitinitiator die "Korbacher Resolution" [1] im Europäischen Parlament und ist inzwischen ein gefragter Experte für Fragen zum Fracking. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, weswegen die Energy Watch Group ihn am 19. März 2015 zur Vorstellung der neuen Studie "Fracking - eine Zwischenbilanz" von Dr. Werner Zittel [2] nach Berlin eingeladen hat, damit er dort von seinen Erfahrungen berichtet. Das folgende Interview mit Andy Gheorghiu wurde im Anschluß an die Pressekonferenz im Hotel Albrechtshof, Berlin, geführt.

Schattenblick (SB): Vor kurzem hat das Unternehmen Central European Petroleum, CEP, Abstand von der weiteren Erdölexploration in Mecklenburg-Vorpommern genommen. Du stehst mit der dortigen Protestbewegung gegen Fracking in Kontakt, hast selbst bei einer Demonstration in Saal gesprochen. [3] Wie schätzt du das ein, wird ausgerechnet der niedrige Ölpreis der Anti-Fracking-Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen?

Andy Gheorghiu (AG): Das ist schwer zu sagen, ich denke aber, daß bei dem Rückzug des Unternehmens verschiedene Faktoren eine Rolle spielten. Wir haben das ja heute mehrfach gehört, es gibt eine ökonomische Wirklichkeit. [4] Außerdem finde ich, hier sollte man noch etwas anderes in den Vordergrund rücken: Wir brauchen in Deutschland keine neuen Gesetze, um Fracking zu verhindern, die haben wir schon. Diese Gesetze oder Regularien setzen entweder gewisse Hürden oder sie verbieten bestimmte Eingriffe in bestimmten Gebieten. Ganz unabhängig vom Thema Fracking an sich: Der Standort, an dem CEP die Bohrstelle realisiert hat, grenzt unmittelbar an den Nationalpark Darst-Zingst. Ich bin da den Weg zur Bohrstelle entlanggegangen und fand es interessant, daß man auf der einen Seite des Ortes den Bohrturm sieht und auf der anderen einige Windräder am Horizont. Hier stehen sich zwei Energietechnologien gegenüber.

Darüber hinaus wird an diesem Beispiel klar, und das wurde heute ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß CEP nach und nach in diesem Feld mehrere Bohrstellen wird realisieren müssen, damit es perspektivisch die Mengen, die es zu fördern hofft, tatsächlich auch fördern kann. Solche kumulativen Effekte hätten von den Behörden von Anfang an geprüft werden müssen.

Darst ist FFH-Gebiet, also ein Flora-Fauna-Habitat, und es besteht die Verpflichtung, bei solchen Vorhaben eine FFH-Verträglichkeitsprüfung auch hinsichtlich der Folgewirkungen durchzuführen. Erst danach wäre zu entscheiden gewesen, ob ein solches Bauvorhaben an dieser sensiblen Stelle realisiert werden darf. Es gibt also jetzt schon einen Rechtsrahmen, der bestimmte Vorhaben entweder ganz und gar verbietet oder sie zumindest erschwert. Leider ist die Praxis der Behörden in Deutschland nicht so stringent, wie sie sein müßte, auch wenn man sich das vielleicht anders vorstellt. Andernfalls würden solche Projekte vorher schon durch die bestehende Rechtsordnung verhindert. In diesem Fall kann es jedoch durchaus sein, daß das durch die ökonomische Wirklichkeit geschieht. Aber ganz unabhängig von den Gründen des CEP-Rückzugs zeigt das Beispiel, daß die Argumente, die wir seit Jahren vorbringen, in der Summe letztendlich wahr sind.

SB: Gibt es eine Zwangsläufigkeit, daß aus einem Aufsuchungsgebiet irgendwann auch ein Fördergebiet wird?

AG: Das ist eben das Problem. Man spricht im deutschen Bergrecht von der sogenannten gebundenen Entscheidung. Deswegen haben wir bei uns in Nordhessen so stark dafür gekämpft, daß dieser erste Schritt nicht gegangen und keine Aufsuchungslizenz erteilt wird. Wir haben argumentiert, daß laut Bundesberggesetz Paragraph 11, Nummer 10 die Erlaubnis zu versagen ist, wenn die öffentlichen Interessen im Aufsuchungsfeld überwiegen. Hinter "öffentliche Interessen" verbergen sich die Erfordernisse des Natur- und Landschaftsschutzes, des Gewässerschutzes, der Raumordnung und des Verkehrs.

Im Bundesberggesetz steht nicht, "die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn ...", sondern es wird darin bereits negativ formuliert. Das widerspricht der Behauptung der Bergbehörden, die immer sagen, sie müßten eine Aufsuchungsgenehmigung erteilen, sie könnten gar nicht anders. Nein, das müssen sie nicht, sondern sie müssen eine Genehmigung versagen, wenn bestimmte Dinge eintreten. Diese Pflicht zur Prüfung wurde von vielen Behörden gar nicht wahrgenommen. Man hat mehr oder weniger jedem, der "Hier!" geschrien hat, eine Aufsuchungslizenz erteilt. Da brauchte einer beinahe nur irgendwo auf einer Karte ein Feld einzeichnen und schon hatte er die Lizenz dafür in der Tasche.

Das Problem entsteht in den nachfolgenden Schritten. Die Bergbehörden erklären: "Regt euch mal nicht so auf, hier geht es ja nur darum, daß ein Claim gesichert wird." Alleine sprachlich ist das totaler Kokolores. Das Bundesberggesetz kennt solche Begriffe wie Claims nicht. Zweck des Bundesberggesetzes ist die Sicherung der Rohstoffversorgung bei gleichzeitig "sparsamem Umgang mit Grund und Boden". Das steht bereits in Paragraph 1 des Bundesberggesetzes und bedeutet Rohstoffversorgung, nicht jedoch "Claims auf Vorrat".

Wurde dagegen die Aufsuchungserlaubnis erteilt, dann wird es schwierig für die Behörde, die nachfolgende Bewilligung zu untersagen, und zwar aus folgendem Grund: Sie weiß von vornherein, das Unternehmen will einen bestimmten Bodenschatz in dem Aufsuchungsfeld heben und kann dafür nur bestimmte Verfahren einsetzen, die entsprechende Auswirkungen haben. Darüber hinaus weiß sie, daß in dem betreffenden Feld bereits bestimmte Flächennutzungen vorhanden sind, zum Beispiel Vorrang- und Vorbehaltsgebiete wegen irgendwelcher sensiblen Gebiete oder Wohnsiedlungen. Wenn die Behörde also von vornherein weiß, daß die angestrebten Vorhaben rein räumlich gesprochen eigentlich gar keinen Platz in diesem Feld haben, dann macht es wenig Sinn, jemandem eine Lizenz zu erteilen, also hoheitlich einen Titel zu verleihen, und dadurch letztendlich Erwartungen zu wecken.

Laut Bundesberggesetz darf die Bewilligung der Förderung nur noch versagt werden, wenn im nachhinein Fakten aufgetreten sind, die vorher nicht bekannt waren. Doch all das war ja vorher schon bekannt! Deshalb halte ich es für sträflich, den ersten Schritt in dem Wissen zu übergehen, daß der Unternehmer Schadenersatzansprüche generieren und - berechtigterweise, wie ich meine - sagen kann: "Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle auf der Pfanne, ihr wußtet von Anfang an, was ich machen will und was ich dafür brauche. Es war eure Verpflichtung zu gucken, ob das paßt oder nicht. Jetzt habt ihr mir diesen Titel verliehen, und ich habe Geld in die Hand genommen und die Erwartung, später in diesem Feld zu produzieren." Wegen dieses fast schon vorhandenen Automatismus' im Bundesberggesetz ist das Erteilen von Aufsuchungslizenzen so problematisch.

SB: Bedeutet das, daß es nicht einmal einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit bedarf, über die aktuell im Zusammenhang mit den von der EU angestrebten Freihandelsabkommen CETA und TTIP diskutiert wird? Bietet das deutsche Bergrecht bereits den Brückenkopf für die Unternehmen, hier nach unkonventionellem Erdgas und Erdöl zu bohren?

AG: Ich würde nicht das Bergrecht dafür verantwortlich machen, sondern den Umstand, daß eine Behörde noch nicht einmal die Vorgaben des vorhandenen Bundesberggesetzes berücksichtigt und die Anträge nicht vernünftig prüft. Aber richtig ist, daß schon auf dem Weg der nationalen Gerichtsbarkeit Schadenersatzansprüche generiert werden können. Natürlich kommt erschwerend hinzu, wenn dieser Status quo aufrechterhalten bleibt, daß wir zusätzlich diese Sonderklagerechte bekommen, so daß dann die Unternehmen tatsächlich reklamieren könnten, wenn im nachhinein die Lizenzen widerrufen werden. Das wäre ein klassischer Fall für eine indirekte Enteignung. So etwas hatte in Kanada dazu geführt, daß das Unternehmen Lone Pine Klage eingereicht hat, nachdem die Provinz Quebec ein Frackingmoratorium erlassen hatte.

Die Investorschutzrechte sind auch deshalb fatal, weil durch die Entscheidungen auf regionaler Ebene - im Falle Deutschlands wären das die Bundesländer - die gesamte Volkswirtschaft zur Rechenschaft gezogen werden kann. Der Staat haftet als Einheit, auch für das Handeln seiner Verwaltungseinheiten. Wenn eine Bergbehörde ihre Arbeit nicht vernünftig macht, könnte das zu Schadenersatzklagen führen, die dann wiederum volkswirtschaftlich von allen zu tragen wären.

SB: Du hast bei der Pressekonferenz davon gesprochen, daß man etwas gegen die Behördendominanz machen kann. Ist das für dich eine wichtige Botschaft?

AG: Definitiv! Ich habe 20 Jahre lang im öffentlichen Dienst gearbeitet, ich weiß, wie eine Behörde im Inneren tickt. Ich kenne ihre Vor- und Nachteile. Das heißt nicht, daß alle Behörden schlecht arbeiten, und das heißt ebenfalls nicht, daß in den Behörden überall nur diese typischen Beamten sitzen. Ganz im Gegenteil. Das heißt aber, daß die Menschen nicht das Alibi für sich reklamieren sollten, sie könnten nichts machen und bräuchten sich deshalb gar nicht erst zu regen. Mir wäre es wichtig, das auch den jungen Menschen klarzumachen und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie etwas unternehmen. Das ist natürlich ein Traum für die Zukunft.

Das kann sich um so kleine, einfache Dinge handeln wie zum Beispiel das Recht, auf der Grundlage der Umweltinformationsgesetze von der Behörde bestimmte Informationen zu fordern oder, wie auch immer, darum zu bitten, und diese Behörde muß dann diese Unterlagen aushändigen. Das könnten beispielsweise Bescheide sein. Erst wenn ich die habe, kann ich in einen Kommunikationsprozeß eintreten, dann kann ich den Finger in die Wunde legen. Natürlich heißt es auch, daß ich de facto die Arbeit von denjenigen machen muß, die sie eigentlich machen müßten. Das ist dafür notwendig. Es reicht nicht, gerade mal eben so zu sagen, Fracking ist doof. Ich brauche schon eine andere Ebene, und selbst wenn ich diese Ebene eingenommen habe, bedeutet das nicht, daß die Leute von der Behörde dann quasi in Wohlgefallen dahinsinken, weil ich so tolle Argumente habe und denen auch noch aufzeige, daß sie schlecht arbeiten. Sondern es kann sogar dazu führen, daß sie dann erst recht ihr schlechtes Arbeiten verteidigen.

Aber im großen und ganzen heißt es, daß zu jeder Zeit, wenn sich Menschen zusammenfinden, die gute Argumente haben und für das Richtige - was immer das auch ist, das ist eigentlich ein nebulöser Begriff -, aber für eine Sache gemeinschaftlich kämpfen, sie zu jeder Zeit Dinge verändern können. Dinge, die heute noch so sind, wie sie sind, können morgen komplett anders sein. Wir befinden uns hier in Berlin - es gab in dieser Stadt einmal politische Realitäten, da hatte vielleicht auch der eine oder andere gesagt, daran könne man nichts ändern. Heute aber ist diese Realität komplett verändert.


Andy Gheorghiu hält eine Ansprache - Foto: © 2014 by Schattenblick

Man kann immer etwas machen ...
(Andy Gheorghiu am 24. Mai 2014 bei einer Demonstration gegen eine Erdölprobebohrung bei Saal in Vorpommern.)
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Weißt du, ob es auch innerbehördliche Ablehnungen gegen den Gesetzentwurf [5] gibt, über den das Bundeskabinett beraten will?

AG: Bei "innerbehördlich" müßte man unterscheiden, in welchen Behörden oder in welchen Ministerien. Nach Aussagen von Frau Hendricks ist das Bundesumweltministerium nicht gerade dafür, die vorgelegten Entwürfe sind mehr als defizitär, gerade auch im Bereich Bundesnaturschutzgesetz. Darin werden eine Menge sensibler Gebiete aufgezählt. Naturschutzgebiete gehören zusammen mit den Nationalparken und den Natura-2000-Gebieten zu den sogenannten Biotopverbünden. Die Natura-2000-Gebiete, die EU-weit geschützte Gebiete sind, sollen innerhalb Europas vor allen Dingen für ein ökologisches Netzwerk sorgen, was bedeutet, daß deren Unzerschnittenheit besonders wichtig ist.

Wenn man jetzt gerade für diese Gebiete zusammen mit den Naturschutzgebieten und Nationalparken eine Sonderformulierung wählt, indem man bewußt die Errichtung von Anlagen nur für Schiefer- und Kohleflözgase verbietet, aber sie letztendlich öffnet für "Tight Gas", "Tight Oil" und Schieferöl, dann stellt das meiner Meinung nach einen Bruch mit den Schutzbestimmungen dieser sensiblen Gebiete dar. Daran merkt man, daß selbst aus dem Bundesumweltministerium eine defizitäre Handlung hervorgeht, sobald es konkret wird.

Ansonsten kann ich natürlich nicht für die Behörden sprechen. Ich lese aber aus den Stellungnahmen der Länder NRW, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine ablehnende Haltung heraus, und es gibt eine eigene Bundesratsinitiative der Bundesländer Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Außerdem weiß ich aus persönlicher Erfahrung, daß in den Behörden Deutschlands, vor allem in den Landesbehörden, Menschen aus der Behörde heraus versuchen, Klartext zu reden. Natürlich sind die in einen gewissen Kontext eingebunden, und in einer Behörde zählt leider nicht nur der Gesetzestext, sondern manchmal auch die politische Ebene.

Summa summarum würde ich die Frage mit einem ganz klaren Ja beantworten, aber ganz allgemein kann ich die Ablehnung schlecht verorten. Ich kann nur für Nordhessen sprechen. Dort hat der kommunale Widerstand, der Widerstand auf der Landkreisebene und auf der Regionalversammlungsebene zusammen mit dem der Bürgerinitiativen und verschiedenen Akteuren wie den Umweltverbänden dazu geführt, daß es zu der Entscheidung gekommen ist, bereits die Erkundung zu verhindern.

SB: Es gab einmal eine Kontroverse zwischen Umweltbundesamt und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, die das "Fracking-Potential" sehr unterschiedlich bewertet haben. Weißt du, wie die Kontroverse ausgegangen ist?

AG: Die Kontroverse läuft noch, würde ich sagen. In der Studie des Bundesumweltamtes [6] wurde ja nicht gesagt, daß Fracking zu verbieten sei, sondern darin wurde ganz klar festgestellt, daß es in bestimmten Gebieten auf jeden Fall ausgeschlossen werden muß. Es gibt in Kapitel 7 der Studie eine hervorragende Tabelle, die sich vor allem mit der Raumwidrigkeit dieser Vorhaben beschäftigt. Dort ist unter Angabe der Gesetzesparagraphen aufgeführt, welche sensiblen Gebiete nach Auffassung des Umweltbundesamts - und das ist auch meine Auffassung - von solchen Vorhaben ausgeschlossen werden müßten. Das wäre für mich eigentlich das Minimum.

Ich halte es schon für ein Unding, daß wir überhaupt darüber sprechen, daß in solchen Gebieten derartige Dinge passieren könnten. Wenn ich dann noch die energiepolitische Dimension dazunehme, die uns ja längst verpflichtet, ganz anders zu handeln! Und der Herr Kümpel vom BGR [7] hat vor einigen Tagen im Deutschlandfunk wieder einmal darauf beharrt und erklärt - ich sage es jetzt mal mit meinen Worten -, daß sich niemand herausnehmen kann, etwas zu der Sache zu sagen, der nicht Geologe ist. Das ist einfach viel zu kurz gegriffen, denn damit sagt man letztendlich: Überlaßt uns das Feld, wir werden euch durch "try and error" zeigen, daß es geht.

Das geht natürlich nicht, das darf man nicht allein aus der geologischen Sicht abhandeln und gleichzeitig auch noch den Menschen suggerieren, es würde in Deutschland seit den fünfziger Jahren gefrackt und dabei sei auch noch nie etwas passiert. Weder kann man für diese Behauptung ein komplettes Monitoring nachweisen, noch wird diffenziert, daß wir jetzt über eine ganz andere Dimension des Frackings sprechen als damals.

Ich rechne damit, daß die Kontroverse weitergeführt wird, allein schon deshalb, weil ich glaube, daß die BGR auch einen Markt dafür sieht, für den sie ihren Mitarbeitern entweder durch die Möglichkeit zur Publikation oder zum Beispiel durch die Entsendung eines Vertreters zu der neu zu bildenden Expertenkommission eine Berufsperspektive bieten kann.

SB: Das BGR schätzt das Potential unkonventioneller Erdgaslagerstätten so ein, daß es voraussichtlich den derzeitigen Verbrauch der Bundesrepublik zehn, elf Jahre komplett abdecken würde. Ist es nicht so, daß die Lagerstätten noch ermittelt werden, und wie schätzt du die Chance ein, daß noch weitere Vorkommen entdeckt werden?

AG: Zum einen muß man ganz klar herausheben, es gibt im norddeutschen Bereich durch die vielen Bohrungen der dort etablierten Erdgas- und Erdölindustrie eine bessere Kenntnis des Untergrundes. Aber der Untergrund in bestimmten Tiefen, gerade auch in Tiefen, die hier notwendig wären, ist teilweise noch "terra incognita". Man hat zwar entsprechende 3-D-Aufnahmen gemacht, und es gibt auch Prognosen, aber letztendlich muß man bohren, um den Untergrund kennenzulernen. Zudem muß man fracken, um zu sehen, ob und in welchen Mengen dort Gas herauskommt.

Demgegenüber wird sehr selbstbewußt so getan, als kenne man den Untergrund komplett. Man verschweigt auch gerne, daß die Geologie hier in Europa, insbesondere in Deutschland, nicht so homogen ist wie teilweise in den "Shale places", dem Schiefergestein, in den USA. In Deutschland haben wir Stauchungen, Versetzungen und Verwerfungen. Das sieht man sehr schön am Schiefer in Nordhessen, der dort teilweise senkrecht aus der Erde ragt. Wenn ich da bohre, kann ich mir ja fast schon prozentual ausrechnen, wie häufig es dort zu Schadensfällen wie zum Beispiel einer Kontamination des Grundwassers kommen wird. Deshalb halte ich es nicht für seriös, so zu tun, als wüßte man tatsächlich, wie der Untergrund aussieht. Das wird man erst wissen, wenn man tatsächlich abgeteuft hat.

Dabei ist jede einzelne Bohrung ein Forschungsvorhaben. Die Erkenntnisse, die ich über die Geologie in Niedersachsen an einem bestimmten Punkt sammle, nützen mir gar nichts für andere geologische Verhältnisse oder für den durch Bergbau völlig zerlöcherten Untergrund in NRW. Auch das ist ein Grund, weswegen ich es für unseriös halte, den Menschen zu suggerieren, man wisse, was uns erwartet.

Eigentlich hat man es in Deutschland mit einem großflächigen Experiment zu tun. Zudem zeigt sich nicht nur in den USA, sondern auch schon in Polen, daß die vermuteten förderbaren Volumina bei weitem nicht das hergeben, was man vermutet hat, rausholen zu können. Das heißt, ich erwarte, daß man durch weitere Bohrungen nicht auf größere, sondern auf weitaus geringere Gasmengen kommen wird, als sie prognostiziert wurden.

SB: Wenn jede Bohrung eigentlich ein eigenes Forschungsvorhaben darstellt, wird denn dann auch an jeder Bohrung ein begleitendes Monitoring durchgeführt?

AG: Nein, das wird es nicht. Deshalb finde ich es unglaublich, daß man diesen Punkt nicht längst beseitigt hat.

SB: Um das noch einmal zusammenzufassen: Zum einen kann man die Ergebnisse von einer Bohrstelle nicht auf die andere übertragen, und zum anderen gibt es auch gar keine zuverlässigen Ergebnisse?

AG: Es gibt momentan kein durchgehendes Monitoring, keine durchgehende Dokumentation, keine wissenschaftliche Begleitung, und wenn jetzt behauptet wird, wir bräuchten die Forschungsvorhaben, um Wissenslücken auszugleichen, dann halte ich dem entgegen, daß wir hier in Deutschland "Global Player" haben, die momentan woanders im Echtbetrieb fracken. Sollte es ihnen wirklich darum gehen, in Deutschland umweltverträglicher zu hantieren, dann haben sie doch die Chance, das jetzt überall auf der Welt zu beweisen! Sie können gerne die deutschen Wissenschaftler einladen, und die können dann vor Ort im Echtbetrieb dieses Monitoring und diese Forschungen betreiben.

Gleichzeitig halte ich es für wichtig, daß auch in der konventionellen Erdöl- und Erdgasförderung Dinge abgestellt werden, die defizitär sind. Eine Sache, die strukturell die gesamte Erdöl- und Erdgasförderung begleitet, ist das Thema "Flaring", das Abfackeln des Begleitgases sowohl in der Erdöl- als auch Erdgasförderung. Wir sprechen von rund 150 Milliarden Kubikmetern, die weltweit jährlich abgefackelt werden. Solange diese Energiemengen nutzlos und klimaschädlich verbrannt werden von denselben Unternehmen, die meinen, wir bräuchten hier Fracking, um energieunabhängig zu werden, solange brauche ich eigentlich nicht weiter zu debattieren. Zumal die Techniken, die man anwenden könnte, um das Flaring abzumildern, weitgehend vorliegen. Ich würde durchaus mit der Industrie ernsthaft reden wollen, wenn die durch glaubwürdige Schritte zeigt, daß sie gewillt ist, gewisse Dinge umzusetzen.

Bei einer Anhörung in Berlin haben ja manche Vertreter so getan, als würde eine Umweltverträglichkeitsprüfung schon den Bankrott bedeuten. Dabei wäre das doch eine Selbstverständlichkeit!

SB: Wie zuverlässig sind die Methoden für Umweltverträglichkeitsprüfungen?

AG: Die Umweltverträglichkeitsprüfung sieht bestimmte Punkte vor, die abgearbeitet werden, um die Auswirkungen eines Fördervorhabens - ich vereinfache das mal - auf Mensch, Umwelt und Gesundheit zu eruieren. Natürlich werden die Gutachten meist von den Unternehmen bezahlt. Das ist ein Problem. Ich mache mir nicht vor, daß eine solche UVP ein Vorhaben grundsätzlich verhindert. Wenn man sie ernsthaft betriebe, würde sie schon ziemlich hohe Hürden setzen, bzw. auch Vorhaben verhindern können, aber die Realität der durchgeführten UVPs sieht anders aus.

Die EU-Kommission hat als Mindestgrundsatz empfohlen, daß nicht nur eine Einzel-UVP für den jeweiligen Bohrstandort durchgeführt wird, sondern daß man eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen muß, was ich für sehr sinnvoll halte. Ein Feld wird ja perspektivisch erschlossen, also muß ich die kumulativen Aspekte berücksichtigen. Das ist im deutschen Rechtsrahmen, so wie er momentan in diesem Zusammenhang vorgeschlagen wird, nicht vorgesehen.

SB: In Nordamerika sind in letzter Zeit eine Reihe von Tankwaggons, mit denen unter anderem Erdöl aus Frackinggebieten transportiert wurde, entgleist und explodiert. Wäre in Deutschland bei einer vermehrten Fördertätigkeit auch mit einem größeren Transportaufkommen von Erdöl oder Erdgas per Bahn zu rechnen? Und ist die Deutsche Bahn sicherer oder muß man demnächst auch hierzulande mit brennenden Zügen, die ganze Kleinstädte verwüsten [8], rechnen?

AG: (lacht) Ich werde jetzt hier kein apokalyptisches Szenario aufbauen, sonst wirft man mir vor, daß ich polemisiere und Angst schüre. Um aber den Kern der Frage zu erfassen: Bei allem, was wir machen, sind immer auch Menschen am Werk, und wir sind nicht perfekt. Es kann immer zu irgendwelchen Fehlern kommen. Punkt Nummer eins.

Punkt Nummer zwei: Wir leben in einer Welt, die uns gerade im beruflichen Alltag immer mehr aufbürdet, immer mehr Druck erzeugt. Es soll alles immer schneller gehen und immer billiger sein. Das führt zu noch mehr Fehlern. Und wenn ich dann etwas im industriellen Maßstab durchführen muß - denn nur dieser industrielle Maßstab garantiert mir überhaupt, daß ich irgend etwas Nennenswertes aus dem Boden hole -, dann könnte ich fast schon vorab berechnen, wie hoch die Unfallrate wahrscheinlich sein wird. Und dann stellen sich eine Reihe von Fragen: Ist es mir das wert? Hat die Gemeinschaft insgesamt etwas davon? Was hat sie davon und was muß sie dafür in Kauf nehmen?

Wären wir in unserer Gesellschaft an einem Punkt angelangt, an dem es keine Alternativen mehr gibt, so daß wir Angst haben müßten, daß alles, was wir kennen, in sich zusammenklappt. Dann würde man mit Sicherheit auch mit einer anderen Perspektive an die Frage der Erdöl- und Erdgasförderung rangehen müssen. Selbst dann hätte für mich das risikoarme Umsetzen oberste Priorität. Hier haben wir jedoch längst Alternativen, und die sind wettbewerbsfähig.

Das alles führt somit zu der Frage zurück, wie wir leben. Dieser ganze Raum hier, das Ding, das da aufnimmt, die Kamera, das Wissen, was ich mir hier über diesen Laptop "reinziehe", das ist alles auf der fossilen Welt aufgebaut. Das muß uns bewußt sein, auch bei der Frage, daß es nicht darum geht zu sagen: Wenn die Erneuerbaren kommen, garantieren sie eine "noch unendlichere" Energie als die Fossilen, weil die ja endlich sind. Es muß uns klar sein, daß alles einen Preis hat, und in diesem Fall, wenn man etwas industriell betreibt und dieses Etwas schon mit negativen Auswirkungen behaftet ist, noch zusätzliche Risiken entstehen. Dann ist es eine Frage der Wahrscheinlichkeit, ob etwas passiert oder nicht und wo es passiert.

SB: Ein passendes Schlußwort, vielen Dank, Andy, daß du dir die Zeit genommen hast.


Links aus rund einem Kilometer Entfernung der hinter Bäumen verborgene Ort Saal mit Bohrturm, rechts mehrere Windräder - Foto: © 2014 by Schattenblick

Saal am 24. Mai 2014 - Fossile Energie vs. Windenergie
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.resolution-korbach.org/

[2] Die Vorstellung der Studie samt Interview mit Dr. Zittel folgen in Kürze.

[3] Ein Bericht und mehrere Interviews zu der Demonstration am 24. Mai 2014 gegen die Förderung von Erdöl in der vorpommernschen Ortschaft Saal sind im Schattenblick mit dem kategorischen Titel "Fracking nein Danke" unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen.

[4] Dr. Werner Zittel macht in seiner Studie unter anderem darauf aufmerksam, daß mit dem Einbrechen des Erdgaspreises im Sommer 2008 die Ausgaben für Frackingvorhaben nicht mehr durch den Erlös für das geförderte Gas gedeckt werden und somit eine riskante ökonomische Blase entstanden ist.

[5] http://www.bmub.bund.de/service/buergerforum/haeufige-fragen-faq/faq-fracking/

[6] Studie vom Juni 2014:
http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_53_2014_umweltauswirkungen_von_fracking_0.pdf

[7] Hans-Joachim Kümpel, Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), gab Deutschlandradio Kultur am 16.03.2015 ein Interview.
http://www.deutschlandradiokultur.de/umstrittene-energiegewinnung-keine-angst-vor-fracking.1008.de.html?dram:article_id=314405

[8] Im Jahr 2013 explodierte ein Zug mit 77 Waggons voll Erdöl aus dem per Fracking erschlossenen Bakken-Erdölfeld im Stadtzentrum von Lac-Mégantic in der ostkanadischen Provinz Quebec. Dabei wurden 30 Gebäude zerstört und 47 Personen getötet. Näheres zu den Zugunglücken in jüngster Zeit im Schattenblick unter:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-169.html


27. März 2015


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