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INTERVIEW/179: Der Blick aus dem All - lernen von anderen Planeten ...    ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst im Gespräch (SB)


Back on Earth

Pressegespräch mit dem ESA-Astronauten Dr. Alexander Gerst am 8. Mai 2015 im Deutschen Klimarechenzentrum der Universität Hamburg


Wenn man im Weltraum war, betrachtet man irgendwann den gesamten Planeten als Heimat, aber Hamburg ist nochmal ein ganz besonderer Ort, erklärte der ESA-Astronaut Alexander Gerst am 8. Mai bei einem Pressegespräch im Deutschen Klimarechenzentrum der Hansestadt. Vor fünf Jahren hatte er am Institut für Geophysik der Universität Hamburg über "die erste Sekunde einer strombolianischen Vulkaneruption" promoviert. Sein Doktorvater, zu dem er auch während seines Aufenthalts auf der Internationalen Raumstation ISS Kontakt gehalten hatte, saß bei dem Gespräch mit den Pressevertretern neben ihm. Als dritter Gast stellte der ESA-Pressesprecher Bernhard L. von Weyhe das nicht zuletzt auf Klima- und Umweltfragen, bzw. allgemein auf die Erdsystembeobachtung ausgerichtete Programm der Europäischen Raumfahrtagentur vor.


Die vier genannten Personen sitzen nebeneinander hinter einem Tisch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Moderiert von CliSAP/CEN-Pressesprecherin Ute Kreis beantworten Prof. Matthias Hort, Dr. Alexander Gerst und Bernhard von Weyhe Fragen der Medienvertreter.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Im Mai 2009 und damit noch während der Zeit, in der er seine Doktorarbeit schrieb, wurde Alexander Gerst für das ESA-Astronautenkorps ausgewählt. Im September jenes Jahres begann seine Ausbildung im Europäischen Astronautenzentrum EAC in Köln, die er im Jahr darauf mit dem offiziellen Astronauten-Zertifikat abschloß. Am 28. Mai 2014 wurden er, der russische Kosmonaut Maxim Surajew und der US-Astronaut Gregory Wiseman an Bord einer Sojus-Kapsel zur ISS hinaufgeschossen. Während der "Blue Dot"-Mission, die so genannt wurde, um auf die Verletzbarkeit des kleinen blauen Planeten Erde aufmerksam zu machen, war Gerst in der Funktion eines Bordingenieurs auf der ISS an über 100 Experimenten beteiligt. Am 10. November 2014 erfolgte der kontrollierte Rücksturz der Sojus an Fallschirmen, wobei der Aufprall einen knappen Meter über dem Boden durch Bremsraketen gemildert wurde. "Die Russen nennen das eine weiche Landung", schmunzelte Gerst. [1]

Er betonte zum einen die Wichtigkeit der Erdbeobachtung aus dem All, beispielsweise durch die Umweltsatelliten des Copernicus-Programms der ESA, und zum anderen die Grundlagenforschung im Weltraum, aus der nach einiger Zeit für Menschen "wirklich wichtige Dinge" entstehen könnten. So hatte er seinem ehemaligen Doktorvater von der ISS aus bei dessen Forschung geholfen, indem er Fotos von einem Vulkan auf der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka schoß, damit anhand der Bilder eine neue Methode zur Vorhersage der Ausbreitung von Vulkanaschewolken überprüft werden konnte. Etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung leben in der Nähe von Vulkanen und sind durch die Ausbrüche potentiell gefährdet, berichtete Gerst, um an diesem Beispiel zu verdeutlichen, daß Grundlagenforschung manchmal "Menschenleben retten" kann.

Beim Pressegespräch ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, Alexander Gerst einige Fragen zu stellen.


Schattenblick (SB): In den neunziger Jahren besaßen Speicherchips eine sehr viel geringere Leistungsfähigkeit als heute. Treten dadurch bei der Computerisierung der ISS Integrationsprobleme mit den modernen Geräten auf oder ist das kein Problem?

Dr. Alexander Gerst (AG): Das ist an sich kein Problem, denn man tauscht ja nicht einfach nur einen Speicherchip aus. Wenn, dann tauscht man einen kompletten Computer aus, der hat dann die gleichen kompatiblen Schnittstellen. Das ist also kein Problem.

Das ISS-Computersystem ist generell sehr stabil. So liegt das Steuerungssystem - das Datenmanagementsystem für die Kernsysteme der ISS - redundant vor. Jeder Computer existiert dort dreifach, und wenn einer ausfällt, schaltet der nächste an. Da haben wir eigentlich relativ wenig Probleme. Das ist so robust gebaut, daß es ausfallsicher ist.

Außerdem haben wir ein zweites Computersystem für Experimente, und damit wird quasi ein entgegengesetztes Konzept verfolgt. Da setzt man auf Off-the-shelf-Komponenten, das heißt, man setzt auf Dinge, die man einfach im Laden kaufen kann wie zum Beispiel Laptops und ganz normale Festplatten, die wir dann hochfliegen. Die haben natürlich eine häufigere Ausfallwahrscheinlichkeit. Wenn da ein kosmisches Teilchen auf einen Chip trifft, ist er kaputt und dann tauscht man ihn einfach aus. Bei einer bemannten Plattform wie der ISS ist das einfach. Dann wird der ganze Laptop ersetzt und die Festplatte kommt in das nächste Gerät. So geht die Arbeit direkt weiter.

An einigen Stellen sind dort von vornherein mehrere Computer angeschlossen. Wenn der eine ausfällt, schaltet man auf den nächsten um. Das ist eigentlich ein sehr gutes System, weil man immer die neuesten Laptops hat und wenn die defekt sind, ist das relativ einfach zu reparieren.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie hatten 2006 gemeinsam mit Kollegen ein Konzept vorgeschlagen, um ein Satellitensystem zur Überwachung von Vulkanaktivitäten einzurichten ... [2]

AG: Ah ja, in der Sommerschule Alpbach.

SB: Wird das Konzept mit dem ESA-Programm Copernicus verwirklicht? Sind Sie damit zufrieden oder könnte das noch erweitert werden?

AG: Um ehrlich zu sein, Copernicus ist nochmal ein Stückchen besser. Das haben wir uns damals nicht zu träumen gewagt, daß dabei so ein tolles System herauskommt. Weil Copernicus natürlich nicht nur Vulkanausbrüche abdeckt, sondern alle möglichen Naturkatastrophen, von Überschwemmungen bis zu Erdbeben. Gerade jetzt in Nepal ist so ein System extrem wichtig, weil es Daten aus den Katastrophengebieten liefern kann, bevor überhaupt Nachrichten herausdringen, da dort die Infrastruktur zerstört wurde. Aus manchen Gebieten hört man manchmal tagelang gar nichts, aber mit so einem System können Sie innerhalb von wenigen Minuten sehen, welche Bereiche zerstört sind und wo sie Rettungsmannschaften hinschicken müssen. Das ist extrem wichtig.

Das gilt selbst für uns hier in Norddeutschland. Wenn wir mal Hochwasser haben, kann so ein System uns auch bei schlechtem Wetter durch die Wolkendecken hindurch Bilder von den Deichen liefern. Wir sehen genau, wo sie gebrochen sind, wo sie eventuell durchfeuchten und als nächstes brechen werden und wohin man Rettungsmannschaften schicken muß. Das ist für uns ein überlebenswichtiges System.

SB: Sie hatten Ihrer Dissertation [3] das Motto von Alfred Lord Tennyson vorangestellt: To strive, to seek, to find ...

AG: ... and not to yield.

SB: and not to yield. [4] Was bedeutet das für Sie?

AG: Für mich bedeutet es, daß man, wenn man einen Traum oder ein Projekt hat, diese nicht so leicht aufgeben soll. Wenn mal eine schwierige Zeit kommt, dann soll man nicht gleich alles hinwerfen und sagen, okay, das hat nicht funktioniert, sondern man muß eben genau dann weiterkämpfen. Die jungen Menschen hier sind dafür ein gutes Beispiel. Die Kinder aus der Schulklasse, die heute zum Pressegespräch kamen, haben mir berichtet, daß sie sich für ein Projekt bei der ESA beworben hatten, um mit ihr zusammenzuarbeiten. Nun hatte es noch nicht geklappt, weil sie die Kriterien nicht genau genug erfüllt hatten. Doch sie haben sich noch einmal beworben, und heute sind sie hier und haben ihre tollen Ideen präsentiert. Jetzt hat es geklappt! Deswegen habe ich diesen jungen Leuten gesagt: Es lohnt sich, an seinen Träumen festzuhalten und denen mehr als nur einmal eine Chance zu geben. Das spiegelt dieses Zitat von Tennyson sehr gut wider.

SB: Auf dem Mars gibt es aktiven Vulkanismus. Wäre das für Sie eine reizvolle Forschungsreise: Langzeitflug zum Mars, und dort den Vulkanismus erforschen?

AG: Ja, selbstverständlich, aber nicht nur wegen der Vulkane. Der Mars kann uns noch interessantere und wichtigere Fragen beantworten, wie zum Beispiel: Gibt es Leben außerhalb der Erde im Universum? Woher kommen wir? Wo ist unser Leben entstanden - auf der Erde oder vielleicht irgendwo da draußen? Wenn wir auf dem Mars fossiles oder noch existierendes Leben finden, könnte das einen großen Teil dieser Frage schon beantworten. Das fände ich faszinierend.

Hinzu kommt noch, daß der Mars früher einmal ein potentiell bewohnbarer Planet war. Der hatte Wasser auf der Oberfläche und eine dichte Atmosphäre, dichter noch als die der Erde. Wenn man ihn sich heute anschaut: Der Mars ist wüst, leer und unbewohnbar.

Stellen Sie sich vor, mit der Erde würde dasselbe passieren! Wie vermeiden wir das? Das sind Fragen, die sich bei der Erkundung des Mars stellen, und da gehört natürlich die Forschung über Vulkane und Klima dazu. Aber sie geht noch darüber hinaus, der Mars kann uns sehr interessante Fragen beantworten.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Wüstenartige Felslandschaft - Foto: NASA/JPL-Caltech/Cornell Univ./Arizona State Univ

Der staubtrockene und von seiner Atmosphäre weitgehend befreite Mars, aufgenommen am 26. April 2015 mit dem Mars Exploration Rover "Opportunity" der NASA.
Foto: NASA/JPL-Caltech/Cornell Univ./Arizona State Univ


Fußnoten:

[1] Darüber berichtete Alexander Gerst am Nachmittag des 8. Mai 2015 in seinem Vortrag "Back on Earth" im Audimax der Universität Hamburg. Lesen Sie dazu einen Bericht der Schattenblick-Redaktion unter:
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BERICHT/100: Der Blick aus dem All - ein Hauch Atmosphäre ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0100.html

[2] http://planet3.de/geo/publications/Volcano_HaSAT_FFG_Space_Day_Presentation.pdf

[3] http://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2010/4251/

[4] "To strive, to seek, to find, and not to yield" (z. Dt.: Zu streben, zu suchen, zu finden und nicht zu weichen) lautet die Schlußzeile des Gedichts "Ulysses" von Alfred Lord Tennyson.
http://www.poetryfoundation.org/poem/174659

14. Mai 2015


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