Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/222: Ende Gelände - funktionsambivalent ...    Georg Kössler im Gespräch (SB)


Ende Gelände 2016 - Kohle stoppen, Klima schützen!

Pressekonferenz des Bündnisses Ende Gelände am 11. Mai 2016 in Berlin im Vorfeld der angekündigten Aktionen zivilen Ungehorsams am Tagebau Welzow

Georg Kössler über den Kohleausstieg in Berlin, Kompromisse in der Politik und die hohen Kosten durch die Folgeschäden des Braunkohletagebaus


Wofür die Anti-Braunkohle-Bewegung in der Lausitz und außerhalb seit Jahren gerungen hat, tritt endlich ein: Der schwedische Staatskonzern Vattenfall gibt auf, er will seine Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue nicht weiterbetreiben. Aber anstatt die Phase der Sanierung und Rekultivierung einzuleiten, verkauft er seine gesamte ostdeutsche Braunkohlesparte an den tschechischen Konzern EPH. Formal fehlt nur noch die Zustimmung der schwedischen Regierung zu dem Transfer. Damit würde die emissionsreiche Verbrennung von Braunkohle und der Tagebau fortgesetzt. Der Kampf gegen die Kohleverstromung geht somit weiter.


Schaufelradbagger auf Tagebausohle, zahlreiche in weiße Überziehanzüge gekleidete Personen auf und neben dem Bagger - Foto: © 350.org/Tim Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

13. Mai 2016: Besetzung eines Braunkohlebaggers im Tagebau Welzow-Süd
Foto: © 350.org/Tim Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Für den 13. bis 16. Mai 2016 hatte das Bündnis Ende Gelände Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Braunkohleförderung und -verstromung in der Lausitz angekündigt und sowohl den Tagebau Welzow Süd lahmgelegt als auch die Kohlelieferung an das Kraftwerk Schwarze Pumpe blockiert. Die aus dem In- und Ausland angereisten und im 6. Lausitzer Klima- und Energiecamp in Proschim untergekommenen, rund 2000 Menschen des "Kohlewiderstands" wollen mit solchen Aktionen ihren Forderungen Nachdruck verleihen: Kein Verkauf der Braunkohlesparte an EPH, keine neuen Tagebaue, rascher Ausstieg aus der Kohleverstromung und kein Ausbremsen der Energiewende.

Nachdem Ende Gelände auch das Kraftwerk Schwarze Pumpe besetzt hatte, es dort zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei kam und die Lausitz von schweren Unwettern heimgesucht wurde, wurden die Aktionen am Sonntag abgebrochen.

Ende Gelände versteht sich als Mitglied des breit aufgestellten globalen Bündnisses "Break Free from Fossil Fuels", das eine zweiwöchige Kampagne in zwölf Ländern zum Schutz des Klimas durch den Ausstieg aus der fossilen Energie betreibt. Im Rahmen dessen haben vor kurzem australische Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Hafen Newcastle, über den große Mengen an Kohle verschifft werden, blockiert.

Im Vorfeld der Aktionen, am Mittwoch, den 11. Mai, hatte Ende Gelände in Berlin eine Pressekonferenz organisiert, auf dem sowohl das Lausitz-Camp als auch die geplanten Maßnahmen vorgestellt und der übergreifende Kontext - Gefahr eines raschen Klimawandels als Folge der CO2-Emissionen nicht zuletzt von Kohlekraftwerken - erläutert wurden. Unter der Moderation von Mona Bricke (Ende Gelände, 350.org) legten Annika Hagberg (schwedische Klimaaktivistin), Hannah Eichberger (Pressesprecherin Ende Gelände), Marvin Kracheel (Pressesprecher des 6. Lausitzer Klima- und Energiecamps) und Georg Kössler (junge Grüne, Berlin) ihre Standpunkte dar.

Im Anschluß an die Pressekonferenz sprach der Schattenblick mit Georg Kössler. Er ist passionierter Radfahrer, Klimaschützer und Energieexperte. Im vergangenen Jahr war er bei der Besetzung des Braunkohletagebaus Garzweiler durch Ende Gelände dabei und nahm auch in diesem Jahr an den Aktionen gegen Braunkohle teil. Seit 2012 ist er Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie der Grünen, seit 2016 Direktkandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 3 (Neukölln) und auf Platz 12 der Grünen Landesliste.


Kössler bei der Pressekonferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Die Bagger werden stehen."
(Georg Kössler, 11. Mai 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Die polnische Regierung hat den Abbau von Braunkohle in Gubin-Brody, südöstlich vom Tagebau Jänschwalde, begonnen. Wissen Sie, ob die Unternehmen dies- und jenseits der Grenze zusammenarbeiten, um sich gegenseitig darin zu stärken, weiterhin Braunkohle abbauen zu können?

Georg Kössler (GK): Soweit ich weiß, sind bisher keine Kooperationen bekannt, auch wenn man natürlich davon ausgehen kann, daß die Unternehmen im Austausch miteinander stehen. Unsere große Sorge ist, daß die Tagebaue, selbst wenn es irgendwann einen Kohleausstieg in Deutschland gibt, für den Export weiterbetrieben werden könnten. Vom Mitteldeutschen Braunkohlegebiet weiß man, daß da schon einiges in Richtung Tschechien wandert, auch wenn sich das bislang für das Unternehmen EPH noch nicht so richtig rechnet. Deswegen genügt es uns nicht, nur gegen Kohlekraftwerke vorzugehen, sondern man muß vor allem Tagebaue ins Visier nehmen.

SB: Gibt es in Polen eine Anti-Kohle-Bewegung?

GK: Ja, die gibt es, und es kommen auch aus Polen Leute zum Lausitz-Camp. Wir stehen seit Jahren mit der dortigen Anti-Kohle-Bewegung im Austausch. Die Bewegung ist allerdings noch sehr klein, was sicherlich auch strukturell bedingt ist. Wir haben auf deutscher Seite gleich Berlin, wo der Widerstand gut vernetzt ist. Großstädte sind ja traditionell eher Orte, an denen beispielsweise Studierende Widerstand leisten. Auf polnischer Seite dagegen liegen zunächst einmal keine Großstädte in der Nähe, der Widerstand geht somit eher von den Menschen vor Ort aus.

SB: Hätte beispielsweise die brandenburgische Landesregierung die rechtliche Möglichkeit gehabt, den Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall an EPH zu unterbinden?

GK: Laut dem Bundesberggesetz muß eine Regierung zustimmen, wenn Bergbauminen verkauft werden. Von der Opposition im Sächsischen Landtag wurde eine Anfrage gestellt, warum die Regierung das nicht gemacht hat. Darauf hat die Regierung erklärt, das sei gar kein Verkauf eines Bergbau-Tagebaus. Deshalb wundern wir uns, was denn da gerade verkauft wird. Zu dieser Frage arbeiten Linke und Grüne in Sachsen zusammen und recherchieren, inwiefern sich die Politik mit so einem Standpunkt aus der Verantwortung zieht.

SB: Inwiefern könnte das Unternehmen Vattenfall versuchen, die für das Wochenende angekündigten direkten Aktionen, beispielsweise einen Braunkohlebagger lahmzulegen, zu einem rein symbolischen Akt werden zu lassen, indem es den Betrieb über Pfingsten einstellt?

GK: Am Ende werden die Bagger stehen, und wenn Vattenfall sie vorher wegen uns abstellt, dann sind sie eben auch wegen uns abgestellt worden. Für den Fall, daß hinterher Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden, ist die Frage natürlich interessant, wer sie warum abgestellt hat. Vielleicht wartet Vattenfall allein deswegen mit dem Abschalten, bis die erste Person drin ist, um dann sagen zu können, die Protestierenden seien schuld.

SB: In den Jahren 2018, 2019 werden zwei Kraftwerksblöcke von Jänschwalde abgeschaltet und als sogenannte Sicherheitsreserve weitergeführt. Hat das irgendwelche nennenswerten Auswirkungen auf die Menge an Braunkohle, die jetzt noch aus der Lausitz gefördert wird?

GK: Entscheidend wird sein, wie lange die Kraftwerke noch laufen. Denn wenn die verbleibenden vier Blöcke von Jänschwalde weiterlaufen, wird auch irgendwann die ganze Kohle aus den Tagebauen benutzt. Zwei Blöcke herauszunehmen, bezeichne ich als Stillhaltepolitik, das reicht nicht, um die Klimaziele zu erreichen. Das ist weder warm noch kalt, sondern lauwarm. Das ist keine richtige Politik, uns genügt das nicht.

SB: In Berlin wird noch das Braunkohlekraftwerk Klingenberg betrieben. Wie schätzen Sie die Chancen ein, den Senat dazu zu bewegen, das Kraftwerk abzuschalten?

GK: Der Senat verweist genau wie Vattenfall auf eine Klimaschutzvereinbarung, wonach das Kraftwerk von Kohle auf einen anderen Energieträger umgerüstet werden soll. Allerdings sollte das bis 2016 geschehen sein. Die Frist mußte verlängert werden. Ursprünglich sollte Biomasse verfeuert werden, woraufhin die Grünen gefragt haben, ob die Biomasse importiert werden soll und ob sie nachhaltig angebaut wird. Damit war das Thema erstmal vom Tisch. Klingenberg kann man aber zu einem Gaskraftwerk umrüsten. Dazu müßten die Investitionen jetzt getätigt werden, denn der nächste Stichtag ist 2020. Bis dahin, so steht es auch im Enquete-Bericht des Berliner Abgeordnetenhauses, will man sich verbindlich von der Braunkohle verabschieden.

Das ist auch die Forderung des zivilgesellschaftlichen Bündnisses "Kohleausstieg Berlin", bei dem wir mitmachen: Bis 2020 Braunkohleausstieg Berlin ohne Wenn und Aber - das wird garantiert in diesem Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen, egal wer im Endeffekt triumphiert, eine Rolle spielen. Klingenberg darf in vier Jahren so nicht mehr weiterbetrieben werden. Sonst gibt es hier Aktionen.

SB: Dürfen wir das schon verraten?

GK: (lacht) Aktionen wird es in diesem Sommer sowieso geben!


Aktivistinnen und Aktivisten innerhalb des Geländes des Kraftwerks Schwarze Pumpe - Foto: © Fabian Melber, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Ende Gelände in Aktion
Foto: © Fabian Melber, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

SB: Die Grünen in Berlin plädieren für einen Kohleausstieg spätestens bis 2030. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen dagegen tragen die Braunkohlepolitik ihres Koalitionspartners SPD mit. Wie sehen Sie als Mitglied der jungen Grünen diese widersprüchlichen Herangehensweisen?

GK: Zunächst einmal finde ich es richtig, daß man in der Opposition eine Maximalforderung aufstellt. Es gibt ja Leute, die sagen, man darf nur versprechen, was man auch halten kann. Das wäre aber vorauseilender Gehorsam einem potentiellen Koalitionspartner gegenüber, und heutzutage weiß man ja nie, wer mit wem koaliert - Stichwort Kenia [1]. So geht Politik nicht. Man muß sagen, wofür man selber steht und dann muß man schauen, wieviel man davon durchgesetzt bekommt. Und die Grünen in Nordrhein-Westfalen haben als erste Landesregierung überhaupt einen genehmigten Tagebau wieder zurückgenommen.

Das ist viel zu wenig für den Klimaschutz, viel zu wenig für die grüne Jugend, viel zu wenig für Ende Gelände, viel zu wenig für alle - aber es ist ein Anfang und man hofft natürlich, daß nach der Wahl 2017 im Rahmen neuer Koalitionsverhandlungen mehr möglich sein wird. Deshalb will die SPD vor den Wahlen noch eine Grundsatzentscheidung fällen und den Braunkohletagebau möglichst lange festschreiben.

Übrigens ist die Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030 auch nicht so radikal, wie sie klingt. Die grüne Jugend hatte als Termin das Jahr 2025 beantragt und für Berlin einen Kohleausstieg bis 2020 gefordert. In Berlin besteht das Problem, daß die Wärmeversorgung an die Stromproduktion gekoppelt ist, deswegen kann man ein Kraftwerk nicht von heute auf morgen abschalten, sonst würde es kalt in den Häusern. Auch deshalb fordern die Grünen und andere Parteien, daß die Stadt Berlin endlich einmal ein richtiges Wärmekonzept aufstellt.

SB: Könnte der Berliner Senat Einfluß auf die brandenburgische Landesregierung nehmen, damit diese schneller aus der Braunkohle aussteigt?

GK: Das ist rechtlich kompliziert und es gibt unterschiedliche Interpretationen, was möglich ist. Der Senat könnte mehr Druck machen, sagen die Initiative Kohleausstieg Berlin, Klimaaktivisten, auch die Grünen und Linke. Berlin kann den Aufschluß neuer Tagebaue verhindern, doch bereits durch eine Landesplanung genehmigte Tagebaue zurückzunehmen ist schwierig wegen des Konsensprinzips. Man kann nicht etwas ändern, denn man wird mit den Brandenburgern keinen Konsens darüber schließen können.

Generell ist eine abgestimmte Energiepolitik von Berlin und Brandenburg erforderlich. Die Energiesysteme müssen miteinander vernetzt werden, und das ist derzeit nicht der Fall. Die Abstimmung findet zur Zeit vor allem auf dem Papier statt, aber in der Praxis noch wenig. Da hat jedes Bundesland sein eigenes Klimaschutzkonzept.

SB: Wie stark wirkt sich jetzt schon die Sulfatbelastung und Verockerung der Spree durch den Braunkohletagebau auf die Wasserversorgung von Berlin aus?

GK: Die Verockerung ist vor allem ein lokales Problem, wo sich Sedimente absetzen, die Flora und Fauna zerstören. Das bekommen wir als Berlinerinnen und Berliner vor allem mit, wenn wir in den Spreewald fahren. Der sieht nicht mehr so schön aus, was für die Menschen dort eine wirtschaftliche Katastrophe ist. Die Sulfatbelastung kommt in der Tat hier an und wird auch noch in hundert Jahren hier ankommen. Je früher wir aufhören, desto früher ist es zu Ende - dennoch wird es ein langer Zeitraum werden. Das Wasserwerk Friedrichshagen, das größte in Berlin, hat schon gesagt, es müsse wegen der Sulfatbelastung aufrüsten. Man kann die Substanzen filtern, das ist eine Frage des Geldes. Die Kosten werden dann wahrscheinlich, da müssen wir uns nichts vormachen, auf die Wasserpreise aufgeschlagen. Wir fordern, daß Vattenfall dafür aufkommt.

SB: Halten Sie die Rekultivierung oder das Auffüllen der Tagebaulöcher mit Wasser überhaupt für eine geeignete Maßnahme zur Sanierung?

GK: Dadurch kommt es ja geradezu zur Verockerung und zur Sulfatbelastung: die Substanzen werden aus dem Erdreich ausgespült. Außerdem kommt es zu Rutschungen, weil der Untergrund nicht fest ist. Es gibt ganze Dörfer, die dachten, sie seien gerettet, dann rutschen auf einmal doch noch Häuser ab. Das ist alles möglich. Irgendwann ist Vattenfall oder EPH weg, und dann sitzen wir mit den Schäden da. Das ist eine heikle Geschichte. Wasser in den Tagebau zu leiten oder es von unten aufsteigen zu lassen ist die billigste Form von Rekultivierung. Da kann man auch ganz viel verstecken. Es gibt eine eigene Abteilung im Bundesumweltministerium, die nur zum Thema Tagebausanierung arbeitet. Das ist ein riesiges Feld mit wahnsinnig vielen Geldern, die hin und her bewegt werden.

SB: Herr Kössler, vielen Dank für das Gespräch.


Zwei bis drei Meter breite, braune Flußstelle - Foto: Nightflyer, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:CC-BY-SA-4.0] via Wikimedia Commons

Deutlich erkennbare Verockerung an der Spreefurt von Ruhlmühle, einem Dorfteil von Trebendorf an der Spree
Foto: Nightflyer, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:CC-BY-SA-4.0] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] In Sachsen-Anhalt hat sich in diesem Jahr erstmals eine Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen gebildet. Die Parteifarben schwarz, rot und grün sind die Farben in der Flagge Kenias.


Bisher zu den Aktionen von Ende Gelände und dem 6. Lausitzer Klima- und Energiecamp im Schattenblick unter INFOPOOL → REPORT erschienen:

INTERVIEW/219: Ende Gelände - konzertiert marschiert ...    Hannah Eichberger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0219.html

INTERVIEW/220: Ende Gelände - Wendehände ...    Marvin Kracheel im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0220.html

15. Mai 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang