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INTERVIEW/232: Vielfaltig nachhaltig - Webfehler ...    Dr. Edgar Göll im Gespräch (SB)


Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung - ein Beitrag zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele

Life Science Forschungskolloquium 2016 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) am 13. Juni 2016

Dr. Edgar Göll über interessengelenkte UN-Nachhaltigkeitsziele und seine Hoffnung, daß sie wenigstens teilweise erfüllt werden


Die internationale Staatengemeinschaft hat beschlossen, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Bildlich gesprochen. Man will die Widersprüche und Schadensfolgen, die sich aus der vorherrschenden Produktionsweise ergeben, mit den Mitteln und Methoden eben dieser Produktionsweise beheben. Innerhalb der nächsten 15 Jahre sollen Armut und Hunger beendet, Klimawandel, Artensterben und die weltweit sich zuspitzenden ökologischen Katastrophen ernsthaft in Angriff genommen sowie die Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden, um nur einige der 17 sogenannten Nachhaltigkeitsziele (SDGs - Sustainable Development Goals) zu nennen. Diese wurden im vergangenen Jahr von der UN-Generalversammlung beschlossen und traten zum 1. Januar 2016 in Kraft. Jetzt ist es Aufgabe der Einzelstaaten, die 17 SDGs, die 169 Unterpunkte umfassen, umzusetzen. [1]


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Edgar Göll
Foto: © 2016 by Schattenblick

Zu einem kleinen Einblick in dieses Thema verhalf der Soziologe Dr. Edgar Göll am 13. Juni 2016 auf dem Life Science Forschungskolloquium "Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung - ein Beitrag zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele" an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dr. Göll, der am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin arbeitet, berichtete in seinem Vortrag über "Sustainable Governance für die SDGs. Institutionelle Innovationen für die Große Transformation" zunächst, daß die 17 SDGs die Nachfolge der im Jahr 2000 beschlossenen Millennium-Entwicklungsziele (MDGs - Millennium Development Goals) angetreten haben, die zum Teil erfüllt wurden, zum Teil unerfüllt geblieben seien. Demnach waren im Zeitraum 2000 bis 2016 gute Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut, HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose sowie der Slum-Bildung erzielt worden, wohingegen die Ziele Halbierung der Zahl der Hungernden, Stopp des Artensterbens und Verbesserung der sanitären Verhältnisse nicht erreicht wurden.

Die Bundesregierung habe Institutionen wie beispielsweise den Rat für Nachhaltige Entwicklung geschaffen, die auf verschiedenen administrativen Ebenen eine beratende Funktion ausüben, und sie arbeite am Aufbau von vier Zentren für Nachhaltige Entwicklung, von denen er sich viel erhoffe, so Göll. Diese Zentren würden versuchen, die vorhandenen Ansätze der nachhaltigen Entwicklung in den verschiedenen Städten zu bündeln und zu koordinieren. Auf Zuspruch bei dem Referenten stießen Basisinitiativen, bei denen Lokale-Agenda21-Prozesse [2] in Gang gesetzt, Ökodörfer (eco villages) gegründet oder auch Ansätze für "transition towns" [3] umgesetzt werden, "um die Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu verbessern".

Kein Thema des Vortrags war die Möglichkeit, daß mit der Institutionalisierung von angestrebten oder bereits verwirklichten Konzepten auf dem breiten Feld der Nachhaltigkeitsthematik vermeintliche Sachzwänge geschaffen, bzw. Anpassungsmanöver abgefordert und auch vollzogen werden, die zur Verwässerung der ursprünglichen Ansätze und Ausgrenzung radikalerer Herangehensweisen führen könnten.

Am Rande des Forschungskolloquiums stellte sich Dr. Göll dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Im Jahr 2000, dem Beschlußjahr der MDGs, hungerten weltweit mehr als 700 Millionen Menschen. Heute hungern nach UN-Angaben rund 800 Millionen. Würden Sie sagen, daß man sich das damals so vorgestellt hat, als man erklärte, die Zahl der Hungernden halbieren zu wollen?

Dr. Edgar Göll (EG): Es ist ein grundsätzliches Problem, daß die Vereinten Nationen, die sich diese Ziele gesetzt haben, nicht festgelegt haben, wer sie auf welche Weise erreicht. Das ist letzten Endes ein Problem von Komplexität, internationaler Zusammenarbeit und Verantwortung, das auch mit den Sustainable Development Goals nicht wirklich gelöst ist. Aber es ist ein Schritt in diese Richtung gemacht worden, indem eine Berichtspflicht eingeführt wurde. In Ansätzen gab es so etwas zwar bei den MDGs auch, aber letztlich war es kaum zu Überprüfungen gekommen. Deswegen würde ich sagen, daß man in den internationalen Zusammenhängen lernt, aber sehr langsam, eigentlich zu langsam.

Wie Jean Ziegler [4] gesagt hat: Daß heutzutage noch Kinder sterben, ist ein Verbrechen. Aber um Mechanismen zu finden, das Problem ernsthaft anzugehen, muß jeder bei sich selbst anfangen, beziehungsweise wir müssen unseren eigenen Regierungen auf die Füße treten, damit sie mehr unternehmen. Zumal sie bei der sogenannten Bankenkrise, die eher eine Systemkrise ist, bewiesen haben, daß sie innerhalb kürzester Zeit handeln können.

Deshalb sehe ich das im Prinzip auch als ein Problem der Prioritätensetzung an: Was ist der Politik wirklich wichtig? Wo tut es selber weh, wenn irgend etwas nicht klappt? Leider sind es nicht die Armen und die verhungernden Kinder, sondern ganz andere Parameter, die für politische Entscheidungen ein Rolle spielen.

SB: Der Philosoph Thomas Pogge [5] kritisiert an den MDGs, daß deren Erfolgsgeschichten, insbesondere was Hunger und Armut betrifft, durch bestimmte mathematische Verfahren beschönigt worden sind. Wie sehen Sie das?

EG: Die Messung von irgendwelchen Zielen ist natürlich immer wichtig. Dazu stellen sich Fragen wie: Wie definiert man ein spezielles Ziel? Und wie ist die Meßmethode? Das mit der UN kann ich jetzt konkret nicht nachvollziehen, aber es gibt ähnliche Beispiele. So hatte die ehemalige britische Premierministerin Maggie Thatcher im Laufe ihrer Amtszeit die Berechnungsformel für die Zahl der Arbeitslosen etliche Male verändert. Wenn am Ende ihrer Amtszeit die Zahl mit der ursprünglichen Methode gemessen worden wäre, wäre die Arbeitslosenzahl um ein Mehrfaches höher gewesen.

Das heißt, wo es um Ziele geht, die vielleicht als wichtig anerkannt sind, ist das fast sogar ein gutes Zeichen, wenn zu manipulieren versucht wird. So etwas muß natürlich unterbunden werden, aber es zeigt, daß die Entscheidungsträger merken, das es Ziele sind, mit denen viele Menschen einverstanden sind und von denen sie wollen, daß sie erreicht werden.

Ein weiteres Beispiel ist die ODA, die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit. Auch bei der Anerkennung von Entwicklungshilfezahlungen wird manipuliert. Da kann man alles mögliche mit einberechnen, nur damit der Anteil der Entwicklungshilfezahlungen an die Staaten des globalen Südens oder an die UN möglichst hoch erscheint. Da sind Wissenschaftler, Journalisten und die Medien allgemein gefragt, genau solche Manipulationsversuche aufzudecken und die verantwortlichen Leute zu entlarven, sie lächerlich zu machen, sie notfalls aus dem Amt zu jagen.

SB: Sind die Berichte, die Sie vorhin ansprachen, das zentrale Kontrollorgan über mögliche Erfolge der SDGs? Und wer überprüft diese?

EG: Die Berichte sind das zentrale Instrument in diesem Kontext. Es sollen aber auch alle zwei oder drei Jahre Konferenzen stattfinden, auf denen - so meine Vermutung und Hoffnung - intensiver darüber diskutiert wird als bisher. Hinzu kommt, daß die NGOs von ihrem Ansehen und Einfluß her stärker werden, so daß ich hoffe, daß sich mit den SDGs nicht das wiederholt, was bei den MDGs gelaufen ist, nämlich daß sich einige Regierungen große Mühe geben, aber sich viele andere nicht darum scheren, sondern nur irgend etwas schönfärberisch in dem Bericht formulieren.

SB: Treten bei den SDGs Zielkonflikte auf, beispielsweise zwischen Wirtschaftswachstum und Armutsverringerung oder zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz?

EG: Ja, absolut. Selbst wenn Sie vielleicht die Bibel oder den Koran anschauen, sind darin Zielformulierungen enthalten, die einander teilweise widersprechen oder deren konkrete Umsetzung problematisch wird. Von daher ist es natürlich auch bei diesen Zielen der Fall. Es ist ganz wichtig, daß NGOs, Wissenschaft, fortschrittliche Parteien und Gruppierungen darauf einwirken, daß die Konflikte ausbalanciert werden. Zum Beispiel haben wir hier in der Bundesrepublik Deutschland andere Prioritäten als in den Ländern des globalen Südens. Wir würden uns lächerlich machen, wenn wir diesen Staaten verbieten wollten, wirtschaftlich zu wachsen. In diesem Zusammenhang lautet dann die Frage, was denn wachsen soll. Sollen die Autos immer größer werden und die Straßen immer breiter? Oder brauchen sie in jenen Ländern überhaupt erstmal Straßen und einen öffentlichen Nahverkehr oder Fernverkehr? Brauchen die nicht Busse und Lkws, die ökologisch möglichst nicht so viel Schaden anrichten wie die Busse und Lkws, die wir in den ersten hundert Jahren unserer industriellen Entwicklung hatten? Es geht also darum zu schauen, was man vor Ort am besten zu Nachhaltigkeit beitragen kann.

SB: Würden Sie sagen, daß die SDGs die erforderliche Durchsetzungskraft haben, eine nachholende Entwicklung einzuleiten, ohne daß die gleichen Fehler begangen werden, wie sie in den entwickelten Ländern gemacht wurden?

EG: Das Potential ist vorhanden. Weil zum ersten Mal in den 17 SDGs und den 169 konkreteren Zielen genauer formuliert wird, was Nachhaltigkeit eigentlich ist. Natürlich könnte auch das noch weiter manipuliert werden, aber die Chancen sind geringer. Und immer mehr Länder, Wissenschaftler, NGOs und andere Akteure kümmern sich darum. Das heißt, es wird den Leuten, die sich um die Umsetzung herummogeln wollen, immer schwerer gemacht, uns anzulügen, weiterhin Dreck zu produzieren und zu behaupten, es sei Gold.

SB: Einige SDGs sind mit attraktiven Gewinnaussichten für Investoren verbunden, beispielsweise Maßnahmen gegen Aids, Malaria oder Tuberkulose. Auf die Umsetzung dürften sich die Pharmaunternehmen freuen. So wird für jeden Euro, der in die Bekämpfung von Malaria investiert wird, ein Rückfluß von 43 Euro erwartet. Wenn etwas Gewinn verspricht, warum braucht es in einer Welt, die von der Ökonomie beherrscht wird, dann noch eigens die SDGs zur Abschaffung jener Krankheiten?

EG: Die Pharmaindustrie interpretiert diese Ziele natürlich auf ihre Art und Weise und wird versuchen, diese für ihre eigenen Ziele - Profitmaximierung, Kapitalakkumulation, Markteroberung und so weiter - zu nutzen. In den Ländern des Südens besteht ein Bedarf an Medikamenten. Da werden gerade auch westliche kapitalistische Pharmakonzerne versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. So etwas wird permanent gemacht. Auf der anderen Seite gibt es aber in China, Südafrika, insbesondere auch Kuba Medizin- oder Medikamentenproduktionen, die sehr gut und erfolgreich sind und auch zu anderen Preisen liefern. Es liegt letzten Endes an den einzelnen Ländern, ob sie die Pharmakonzerne hereinlassen oder ob sie darauf achten, daß Länder und Firmen, teilweise auch staatlichen Firmen wie in Kuba, Produkte vertreiben, die erfolgreicher und günstiger sind.

Die SDGs sind Wünsche, Vorstellungen und Hoffnungen. Ob die erfüllt werden, hängt natürlich von den Mächtigen ab, aber letzten Endes auch von den nicht ganz so Mächtigen, indem sich diese wie in vielen anderen Bereichen auch zusammentun und versuchen, für diese Ziele zu kämpfen, so daß zumindest einige davon umgesetzt werden.

SB: Gibt es Ziele, die für Investoren zu unattraktiv sind, weil sie keine Gewinnaussichten versprechen? Und besteht dann die Gefahr, daß sie vernachlässigt werden?

EG: Die Gefahr besteht eigentlich immer bei solchen Zielen. Jeder Entscheidungsträger, jeder, der irgendwas unterschreiben muß, und jeder, der für irgendwas bezahlen oder investieren muß, wird sich die Frage stellen: Was bringt mir das? Dann gibt es Entwicklungs- beziehungsweise Nachhaltigkeitsziele wie zum Beispiel die Abschaffung der Armut, bei denen sich die Frage stellt: Wen interessiert das? Die großen Konzerne vermutlich eher nicht, die Banken ebenfalls eher nicht. Obwohl letztere aufgrund der Zunahme der Mittelschicht beispielsweise in China langfristig etwas mehr gewinnen würden.

Aber letzten Endes kommt es auf die unmittelbare Zukunft an und was hier und heute an Entscheidungen getroffen wird. Da gibt es natürlich die Akteure, die erstmal ihr eigenes Wohl im Auge haben. Es sei denn, es gäbe Regelsetzungen, Gesetze und Standards, die hinreichend überprüft und mit dem entsprechenden Druck dahinter eingefordert werden. Da sind die SDGs definitiv noch zu schwach.

SB: Zwei Themen, die sehr die Lebensqualität beeinträchtigen, sind in den SDGs nicht oder nur marginal enthalten: Aufrüstung und Waffenexporte. Letzteres wird lediglich in SDG 16 erwähnt. Sind Sie darüber informiert, ob es bei der Beschlußfassung der SDGs Bestrebungen gab, Rüstungen und Waffenexporte mit reinzunehmen und wenn ja, woran sind diese Bestrebungen gescheitert?

EG: Da ich die Verhandlungen nicht sehr eng verfolgt habe, kann ich das nicht beantworten. Aber es würde mich wundern, wenn es im Laufe des jahrelangen Verhandlungsprozesses nicht Kämpfe um die Frage gegeben hätte: Was wollen wir eigentlich erreichen? Das war bei den MDGs ähnlich, auch bei der Agenda 21. Dabei handelt es sich um Kämpfe, das wurde von Gramsci [6], Marx mit seinen 18 Brumaire [7] und anderen untersucht. Da wurde genau geschaut, welche gesellschaftlichen Kräfte mit welchen Interessen sich mit welchen Ressourcen für welche Entwicklungen einsetzen und welche Medien und Begriffe sie verwenden.

Selbstverständlich sind das permanente Kämpfe. Und wenn man aktuell schaut, wie das jetzt mit TTIP [8] und vielen anderen Dingen läuft, so stößt man auf ganz starke Kräfte. Ich denke da beispielsweise an den militärisch-industriellen Komplex der USA, der mitnichten daran interessiert ist, daß Kriege oder Waffenexporte sanktioniert oder als großes Problem definiert werden. Das wird natürlich nicht so gesagt.

SB: Halten Sie die Armutsgrenze von 1,25 Dollar pro Tag und Person für ausreichend oder müßte die Größe verändert werden?

EG: Vor kurzem lag der Wert noch bei einem Dollar, das ist somit ein Anfang. Aber einen Wert zu finden, der weltweit sowohl beispielsweise für Norwegen als auch für Malawi gilt, ist schwierig. Das ist somit eine relative Größe, und ich denke, auch da wiederum ist es wichtig zu schauen, was in den einzelnen Ländern geschieht. Wenn man zum Beispiel hier in der Bundesrepublik sagen würde, der Mindestlohn sollte auf 1,25 Euro reduziert werden, dann wäre das zu wenig. Es ist wichtig, daß die SDGs verwirklicht werden, deshalb kann die Armutsgrenze bei 1,25 oder bei 1,50 Dollar liegen - relevant ist es, wie stark sich die einzelnen Länder engagieren.

SB: Laut der Nichtregierungsorganisation Oxfam schleusen ausländische Unternehmen in den Entwicklungsländern rund 100 Milliarden Dollar jährlich am Fiskus vorbei. Inwiefern können die SDGs da eingreifen und das verhindern?

EG: Das wird relativ schwer möglich sein. Weil da häufig auch Korruption mit im Spiel ist. Oder andere Mechanismen, mit denen weltweit agierende Konzerne auch zum Beispiel in der Bundesrepublik am Fiskus vorbei agieren. Ich vermute mal, daß da die SDGs vielleicht ein Faktor sein können, das voranzutreiben, aber genau für diese Steuerhintergehung braucht es wahrscheinlich ganz spezifische, andere Gesetze oder Regularien.

SB: Die 17 Nachhaltigkeitsziele erwecken den Eindruck wie ein rundum allumfängliches Totalversprechen zur Rettung der Menschheit und Aufhebung sämtlicher gesellschaftlicher Widersprüche. Aber eine wichtige Voraussetzung bleibt unangetastet: die Profitmaximierung von Unternehmen. Wie bewerten Sie diesen Widerspruch?

EG: Wenn Sie sich offizielle Papiere insbesondere aus den westlichen kapitalistischen Gesellschaften anschauen, werden Sie feststellen, daß darin selten von Profit oder Kapital gesprochen wird, geschweige denn von Kapitalismus. Zweifellos hat die Formulierung der SDGs weitgehend unter der Hegemonie westlicher Staaten gestanden, und die haben kein Interesse daran, daß Kapitalakkumulation und Kapitalverwertung überhaupt thematisiert werden. Dazu ist der Antikommunismus und Antisozialismus in diesen Ländern viel zu stark entwickelt. Die politischen Entscheidungsträger wissen, was wirklich das zentrale Problem ist, sie ahnen das intuitiv. Von daher ist das Thema tabu.

Das bedeutet jedoch nicht, daß man sagt, es kann so weiterlaufen. Auch da sind wieder gesellschaftliche Kräfte, Medien wie der Schattenblick, die Wissenschaft und andere gefordert, offenzulegen, weswegen viele der in den SDGs festgelegten oder formulierten Ziele systemisch oder strukturell scheitern müssen. Oder weswegen es so schwer ist, gegen die Konzerne oder gegen solche mächtigen Instrumente anzugehen.

Ich möchte noch einmal auf Kuba eingehen, wo ich sehr viele Vorträge halte. Mein Eindruck ist, daß sie in Kuba sehr viele, große Probleme, aber auch einen großen Vorteil haben: Es gibt dort keine Konzerne. Natürlich haben sie große Firmen, die befinden sich in Staatseigentum, und darin werden sicherlich auch eigene Interessen verfolgt. Es gibt auch Korruption. Aber es gibt nicht die wahnsinnige, ökonomische oder politische Macht, die in westlichen kapitalistischen Ländern herrscht, und das ist ein großer, großer Vorteil für Kuba. Deshalb können die Kubaner bei allen Problemen, die auch sie haben, ganz anders steuern. Von daher denke ich, ist es wichtig, immer wieder zu thematisieren, daß die SDGs womöglich an der Strukturlogik des Kapitalismus scheitern könnten.

SB: Herr Göll, herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

1.) Weltweite Beendigung der Armut in allen ihren Formen.

2.) Beendigung von Hunger, Erreichung von Ernährungssicherheit und verbesserter Ernährung und Förderung nachhaltiger Landwirtschaft.

3.) Sicherstellung von gesundem Leben und Förderung des Wohlbefindens aller Menschen jeder Altersgruppe.

4.) Sicherstellung einer inklusiven und gerechten Bildung von hoher Qualität und Förderung der Möglichkeit des lebenslangen Lernens für alle.

5.) Erreichen der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung aller Frauen und Mädchen.

6.) Sicherstellen der Verfügbarkeit und des nachhaltigen Managements von Wasser und sanitärer Einrichtungen für alle.

7.) Sicherstellung des Zugangs zu erschwinglicher, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle.

8.) Förderung von kontinuierlichem, inklusivem und nachhaltigem Wirtschaftswachstum, produktiver Vollbeschäftigung und menschenwürdiger Arbeit für alle.

9.) Aufbau von belastbarer Infrastruktur, Förderung von inklusiver und nachhaltiger Industrialisierung und Innovation.

10.) Reduzierung der Ungleichheiten in und zwischen Ländern.

11.) Inklusive, sichere, belastbare und nachhaltige Städte und Siedlungen.

12.) Sicherstellen nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen.

13.) Ergreifen dringender Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandel und seiner Folgen.

14.) Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen für eine nachhaltige Entwicklung.

15.) Schutz, Wiederherstellung und Förderung der nachhaltigen Nutzung der terrestrischen Ökosysteme, nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder, Bekämpfung der Wüstenbildung, Stopp und Umkehrung der Landdegradierung und Stopp des Verlustes an biologischer Vielfalt.

16.) Förderung friedlicher und inklusiver Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung, Ermöglichen des Zugangs zu Rechtsmitteln für alle und Aufbau von effektiven, rechenschaftspflichtigen und inklusiven Institutionen auf allen Ebenen.

17.) Stärkung der Umsetzungsmittel und Wiederbelebung der globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung.

http://www.welthungerhilfe.de/nachhaltigkeitsziele.html

[2] Agenda 21 ist ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das auf dem sogenannten Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro beschlossen wurde.

[3] Seit rund zehn Jahren wird von der Transition-Town-Bewegung in vielen Städten und Gemeinden ein Übergang von der fossilen, globalisierten Wirtschaft auf die postfossile, lokale Wirtschaft angestrebt.

[4] Der Schweizer Soziologe und Autor Jean Ziegler war von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Der bekannte Globalisierungskritiker hat in zahlreichen Interviews, Aufsätzen und auch Büchern dargelegt, daß Hunger gemacht wird und somit Folge einer bestimmten Politik ist.

[5] https://campuspress.yale.edu/thomaspogge/files/2015/10/Die-MDGs-sind- moralisch-ein-Skandal-2dphmu7.pdf

[6] Antonio Gramsci (1891-1937) war ein italienischer Politiker und marxistischer Philosoph. Er gehört zu den Begründern der Kommunistischen Partei Italiens.

[7] Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte ist eine im Mai 1852 veröffentlichte Schrift von Karl Marx (1818-1883).

[8] TTIP ist die Abkürzung des Transatlantischen Freihandelsabkommen, über das derzeit die EU und die USA verhandeln.



Die bisherige Berichterstattung im Schattenblick zu dieser Veranstaltung finden Sie unter: INFOPOOL → UMWELT → Report:

BERICHT/119: Vielfaltig nachhaltig - ohne Konsequenzen ... (SB)
INTERVIEW/231: Vielfaltig nachhaltig - kleidsam umweltgerecht ...    Prof. Walter Leal Filho im Gespräch (SB)


3. Juli 2016


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