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INTERVIEW/263: Die Säge und der eigene Ast - teilen ja, bewahren nein ...     Prof. Dr. Marian Paschke im Gespräch (SB)



Nach Angaben der FAO der Vereinten Nationen sind 30 Prozent der weltweiten Fischarten überfischt. Seit vielen Jahren findet die Überfischung auf diesem hohen Niveau statt. Zwar werden die Fangquoten für die globalen Fischbestände aufgeteilt, aber das bedeutet noch lange nicht, daß diese auch bewahrt werden. Möglicherweise nicht einmal in der Europäischen Union, auch wenn diese in den letzten zehn Jahren im Kampf gegen Überfischung bedeutende Fortschritte erzielt hat, wie Dr. Gerd Kraus, Direktor des Thünen-Instituts für Seefischerei in Hamburg, bei einer Podiumsdiskussion am 5. Oktober in der Hansestadt berichtete.

Da kannte Kraus wohl die jüngsten Beschlüsse der Europäischen Union für die Gesamtfangmengen der unterschiedlichen Fischbestände in der Ostsee noch nicht. Wie aktuell berichtet wird, haben die zuständigen Minister der EU-Mitgliedsländer zwar die Fangquoten für Hering, Dorsch und andere Fischarten reduziert, aber in mehreren Bereichen sind sie nicht den Empfehlungen der EU-Kommission gefolgt. So wurde beschlossen, daß die Fangmenge für den Dorsch in der östlichen Ostsee nicht um 28 Prozent, sondern nur um acht Prozent reduziert wird. Außerdem wurde das von der EU-Kommission geforderte Aalfangverbot für die Ostsee gestrichen, obschon Aale zu den gefährdeten Arten zählen. [1]


Bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Marian Paschke
Foto: © 2017 by Schattenblick

Nicht ganz so rosig wie Kraus sah Prof. Dr. Marian Paschke die gegenwärtige Entwicklung. Der Direktor des Instituts für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg nahm ebenfalls an der Podiumsdiskussion teil, zu der die Union der Akademie der Wissenschaften als Dritte in der Runde die Sozialwissenschaftlerin Dr. Gesche Krause vom AWI, dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, in Bremerhaven geladen hatte. Moderiert wurde die Veranstaltung zum Thema "Nahrungsquelle Meer - Entwicklungen, Gefährdungen, Prognosen" von der Wissenschaftsjournalistin Angela Grosse.

Prof. Paschke kommt aus dem Wirtschaftsrecht. Er hat Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert und dort 1982 promoviert. 1989 wurde er an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel habilitiert. 1996 übernahm er die Leitung des Instituts für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg. Paschke ist Mitglied des Gemeinschaftsprojektes "Energiesysteme der Zukunft (ESYS)" der acatech, der Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Außerdem sitzt er im Lenkungsausschuß des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums. Im Anschluß an die Podiumsdiskussion stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Sie hatten beim Podiumsgespräch die umstrittene Grundschleppnetzfischerei angesprochen, durch die kilometerlange Sedimentfahnen produziert werden. Was könnte man dagegen unternehmen? Gibt es dazu schon konkretere Vorschläge?

Prof. Dr. Marian Paschke (MP): Diese Art des Fischfangs ist wirtschaftlich sehr interessant, weil dabei enorme Mengen an Fischen ins Netz gehen. Gleichzeitig werden damit riesige Probleme in Flora und Fauna geschaffen; die Natur wird über Jahre geschädigt. Das ist kein leichter Eingriff.

Das praktische Thema lautet im Moment Transparenz. Es muß dokumentiert werden, woher die Fischfänge kommen. Mit dem MSC-Zertifikat werden entsprechende Ansätze verfolgt, aber das MSC hat keine Bedeutung. Liegt doch die gesamtzertifizierte Fischmenge bei unter zehn Prozent, wenn ich das richtig erinnere. Noch ist das MSC leider komplett unerheblich. Es wäre jedoch eine Möglichkeit, daß wir weiter daran arbeiten.

Im übrigen kann man derzeit dem Fischer nicht vorschreiben, welche Fangmethode er einsetzt. Ob das jetzt die einzelne Angelrute oder ein Trawler mit industrieartigen Dimensionen ist, das ist im Moment unreguliert. Davon müssen wir wegkommen, das geht so nicht weiter.


Satellitenaufnahme von acht Fischerbooten, die lange und breite Sedimentfahnen im Meer hinterlassen - Foto: © DigitalGlobe/Marine Photobank

Grundschleppnetzfischerei vor der Küste der ecuadorianischen Provinz Guayas
Foto: © DigitalGlobe/Marine Photobank

SB: Was halten Sie von dem Vorstoß der Bundesregierung [2], eine weltweite Meeresumwelt- bzw. Weltozeanbehörde zu schaffen, was allerdings mit einem Eingriff in die nationale Souveränität verbunden wäre?

MP: Wie ich vorhin sagte, haben wir auf nationaler Ebene über das Bundesamt für Naturschutz, wie ich finde, schon ganz ordentlich was geschafft. Die brauchen Zeit, um sich zu etablieren, und sicherlich brauchen auch die Interessengruppen Zeit, um sich auf diese neue Situation einzustellen. International haben wir eine Meeresbodenbehörde, die für die Schürfrechte am Meeresgrund verantwortlich ist. Ansonsten haben wir leider keine globale Meeresumweltbehörde.

Bei der Verabschiedung des Seerechtsübereinkommens 1982 war es nicht gelungen, den Artikel 116 so aufzurüsten, daß eine Behörde eingerichtet wird, die die Artikel des Abkommens überwacht. Ich sehe keine Chance, daß wir in absehbarer Zeit zu etwas Ähnlichem kommen. Das halte ich für völlig unrealistisch. Der Druck müßte noch viel größer werden und wir müßten im Bereich der Überfischung noch viel stärker in Kalamitäten geraten, damit sich da politisch etwas bewegt.

Die USA sind ja noch nicht mal dem Seerechtsübereinkommen beigetreten. Wie wollen Sie da erreichen, daß sie der Gründung einer Meeresschutzbehörde zustimmen, die beispielsweise die Ausbeutung der Gas- und Ölreserven im Golf von Mexiko reguliert? Es ist völlig unrealistisch, daß wir die Player im Moment an die Kandare nehmen können. Wir können dafür nur politisch kämpfen.

SB: Könnte denn dafür das deutsche Modell als Vorbild dienen?

MP: Ja, denn wir brauchen eine Behörde, die das Thema Meeresschutz als ein Gesamtphänomen ansieht. Im Moment haben wir verteilte Zuständigkeiten für Fischerei, Bodenschätze, Umweltschutz, Klimaschutz, etc. Es fehlt eine internationale Behörde, die das alles zusammenfaßt. Das wurde auch in Deutschland noch nicht unbedingt bei allen Dingen geschafft.

Wenigstens in Europa sollten wir versuchen, das hinzubekommen. Deshalb brauchen wir einen europäischen Kommissar, der sich nicht um die vielen Themen, die er heute hat - unter anderem Fischerei - kümmert. Und für Meeresschutz ist schon wieder jemand anderes zuständig. Das geht so nicht. Das Thema ist zu wichtig, als daß wir das in dieser Zuständigkeitszersplitterung behalten sollten.

SB: Die von Ihnen angesprochene Internationale Meeresbodenbehörde in Jamaika reguliert zur Zeit nur die Exploration von Rohstoffen, wird aber voraussichtlich Ende dieses Jahres dazu übergehen, Regeln für die Exploitation, also die Ausbeutung, herauszugeben. Man versucht zwar zu verhindern, daß beim Abbau beispielsweise von Manganknollen Sedimentfahnen entstehen, aber das wird sich nicht vermeiden lassen. Zieht da eine neue Gefahr für die Meeresumwelt herauf, ohne daß sie ausreichend geregelt ist?

MP: Ich bin kein Experte für die ökologischen Auswirkungen in diesem Bereich, aber was ich von GEOMAR-Forschern höre, die das sehr intensiv für die potentiellen deutschen Lizenznehmer untersuchen, werden die Sedimentfahnen ein großes Problem sein. Denn sie bleiben über Jahre, ich will nicht sagen, stabil, aber sie werden über Jahre als Fahnen erkennbar bleiben und die ökologische Struktur der Region komplett verändern. Das ist ein ganz großes Thema, das auch sehr ernst genommen wird.

Die Umweltschutzauflagen, die man von der Behörde in Jamaika erwarten kann, sprechen eine, wie ich finde, richtige Sprache. Wie das später im Detail umgesetzt wird, muß man dann sehen. Natürlich besteht immer die Frage, ob sich an die Auflagen gehalten wird, wie diese überwacht werden und was mögliche Sanktionen sind. Das alles ist noch Zukunftsmusik.

SB: Recht ist ja nicht unbedingt identisch mit dem, was man als Gerechtigkeit empfindet. Wenn es nun eine Regelung zum Fischfang von einer Weltozeanbehörde mit globaler Befugnis gäbe, bestünde da nicht die Gefahr, daß dann die großen Player ihre Interessen durchsetzen und kleinere Länder ins Hintertreffen geraten?

MP: Wir reden von einem Regulierungsregime, das dann natürlich transparent und diskriminierungsfrei sein muß. Diesen Ansatz haben wir heute schon, denn die Verteilung der Fischereiquoten, die am Ende national erfolgt, nimmt Rücksicht auf die entsprechenden historisch gewachsenen Fänge. Das Modell ist natürlich ein bißchen einfach, weil es kaum eine Entwicklung zuläßt. Aber den Grundsatz der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit, der gleichsam selbstverständlich ist bei der Vergabe von hoheitlichen Befugnissen, würde ich mir auch gerne für solch eine Behörde wünschen.

Freilich sehen wir im Moment noch das Problem, daß Handel mit Zertifikaten für Fangrechte getrieben wird. Wenn beispielsweise ein afrikanischer Staat seine Zertifikate zum Billigtarif verkauft und dafür der spanische Megatrawler seine Küste leerfischt, dann ist uns mit einer transparenten und diskriminierungsfreien Vergabe gar nicht geholfen. Wir müssen auch auf der Handelsebene dafür sorgen, daß das Ganze nicht zu einem Nachhaltigkeitsproblem führt. Dieses Thema ist überhaupt noch nicht adressiert.

SB: Stichwort Westsaharakonflikt. Marokko vergibt vor der Küste der Westsahara Fangrechte, ohne daß die Bevölkerung ein Einspruchsrecht besitzt. Kommen zu der ganzen Problematik dann auch noch solche Völkerrechtsfragen hinzu?

MP: Ja, der lokale Fischer geht am Ende leer aus. Er hat ein Fischereirecht in einem Bereich, in dem es keine Fische mehr gibt! Es ist ja nicht so, daß diese Staaten keine Fangquoten haben. Die haben sie. Aber sie verkaufen sie. Das hat mit den korrupten Verhältnissen im innerstaatlichen Bereich, vielleicht auch mit dem fehlenden Verantwortungsbewußtsein für die Infrastruktur in diesen Ländern zu tun, von den Unternehmen und Staatsunternehmen, die dort unterwegs sind. Deswegen brauchen wir genau da eine Draufsicht. Wir brauchen eine Kontrolle über den Handel, so wie wir mit unserem Zertifikatehandel im Bereich des Klimaschutzes versuchen, durch intelligente Vorschriften allmählich aufzurüsten. So müssen wir das auch im Bereich der maritimen Industrie machen.

SB: Wobei das Europäische Emissionshandelssystem mit seinen CO2-Zertifikaten bis jetzt grandios gescheitert ist.

MP: Ja, einverstanden. Deswegen sage ich "allmählich aufrüsten". Jedenfalls ist das Problem erkannt. Auch im Bereich der Fischerei ist es natürlich erkannt. Dennoch gibt es im Grunde momentan noch keine Handlungsansätze, um im Bereich eines "responsible trading" den Zertifikatehandel für maritime Rechte ordentlich zu organisieren. Das wäre eigentlich das entscheidende Stichwort.

SB: Herr Paschke, vielen Dank für das Gespräch.


Satellitenaufnahme eines Windparks mit mehreren Dutzend Windrädern, von denen jeweils lange Sedimentfahnen ausgehen - Foto: USGS

Auch Offshore-Windradanlagen wie hier in der Nordsee südöstlich von England können lange Sedimentfahnen erzeugen. Zudem wechseln sie mit der Strömung ihre Richtung, wie diese Aufnahmen der Satelliten Landsat 8 und Sentinel-2A vom 30. Juni 2015 (links) und 23. Juli 2016 (rechts) zeigen.
Foto: USGS


Fußnoten:


[1] http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-10/fischfangquoten-2018-ostsee-lachs-hering

[2] Die Rede ist vom Hauptgutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU) aus dem Jahr 2013.
http://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu.de/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf


Bisher zu der Veranstaltung "Nahrungsquelle Meer" am 5. Oktober 2017 im Infopool des Schattenblick unter UMWELT → REPORT → BERICHT erschienen:

BERICHT/130: Die Säge und der eigene Ast - eine verschenkte Gelegenheit ... (SB)


10. Oktober 2017


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