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INTERVIEW/277: Meeresnutzung - Recycling und andere Auswege ...    Marie-Luise Abshagen im Gespräch (SB)



Marie-Luise Abshagen beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Nein zum Raubbau an der Tiefsee!
Foto: © 2018 by Schattenblick

Wer am "Tag der Ozeane" der Vereinten Nationen eine thematisch dazu passende Konferenz abhält, kann heutzutage nicht mehr darauf verzichten, den Rohstoffabbau in der Tiefsee zu behandeln. Das ist dem zivilgesellschaftlichen Bündnis aus Fair Oceans, Brot für die Welt und Forum Umwelt & Entwicklung, die sich jeweils auf ihre Weise mit dem Meer als Problemfeld befassen, klar. Folgerichtig haben die drei Organisationen bei ihrer Konferenz am 8. Juni in der Landesvertretung Bremen in Berlin einen von insgesamt drei Schwerpunkten dem potentiellen Abbau von Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfiden vom Tiefseeboden gewidmet.

Obgleich bislang weltweit kein einziges Vorhaben dieser Art begonnen wurde, bereiten sich zahlreiche Unternehmen und Länder darauf vor, loszulegen, sobald die rechtlichen und technologischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Außerdem muß es sich ökonomisch rechnen, denn solange beispielsweise die Weltmarktpreise für Rohstoffe aus landgebundenen Lagerstätten vergleichsweise niedrig sind, bleibt Meeresbodenbergbau unattraktiv. Wohingegen es kein prinzipielles Hindernis mehr zu sein scheint, daß massive ökologische Verluste entstehen, wenn einzigartige, teils unerforschte Habitate endgültig vernichtet, riesige Sedimentwolken aufgewirbelt und enorme Mengen an Abraum aus den Bergbauaktivitäten wieder zurück an den Meeresboden geleitet werden.

Die bekannten Reserven einiger Rohstoffe werden irgendwann ausgeschöpft sein oder aber es werden plötzlich große Mengen an bestimmten Rohstoffen benötigt, weil weltweite technologische Umwälzungen stattfinden. Die rohstoffhungrige Bundesrepublik Deutschland engagiert sich deshalb sehr für Tiefseebergbau und hat von der für das Gebiet außerhalb der nationalen Jurisdiktion zuständigen Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) Explorationsclaims im zentralen Ostpazifik und Indischen Ozean zugewiesen bekommen.

"Nein zum Raubbau an der Tiefsee!" sagt dagegen Marie-Luise Abshagen, die im Forum Umwelt & Entwicklung für Meerespolitik zuständig ist und am Erstellen eines "Positionspapiers zivilgesellschaftlicher Akteure zum Tiefseebergbau" beteiligt war. Auf der Konferenz zum "Tag der Ozeane 2018 - Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung" erläuterte Abshagen ihre Position. Im Anschluß an Vortrag und Podiumsdiskussion stellte sich die Referentin dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Vor kurzem hat sich die Bank Anglo American [1] von der Finanzierung des Meeresbodenbergbaus der Firma Nautilus Minerals in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea zurückgezogen. Wie schätzt du das ein, könnte ein Divestment, ähnlich dem in der Klimaschutzbewegung, ein schlagkräftiges Mittel werden, um zu verhindern, daß Tiefseebergbau betrieben wird?

Marie-Luise Abshagen (MLA): Im Prinzip schon, aber es ist nicht klar, wer Nautilus finanziert. Das Unternehmen ist so oft pleite gegangen, und trotzdem gab es immer wieder frisches Geld. Was wir mit dem Divestment adressieren, sind nicht die klassischen Investitionsakteure, sondern vor allen Dingen Unternehmen und Banken, von denen wir sagen, daß sie sich von der Beteiligung an klimaschädlichen Projekten oder Firmen verabschieden sollen. Das sind wahrscheinlich nicht dieselben, die hinter Nautilus stehen. Idealerweise könnte man natürlich anstreben, daß niemand Geld in solche Projekte steckt, aber wie gesagt, es ist komplett intransparent, wer eigentlich dahintersteckt.

SB: Könnte eine Abkehr vom Meeresbodenbergbau deshalb schwieriger werden, weil Politik und Wirtschaft schon viel Zeit und Geld in Forschung und Entwicklung investiert haben und positive Ergebnisse sehen wollen?

MLA: Ja, vielleicht, aber vor allen Dingen ist es eine politische Entscheidung, daß man diese Verfahren zu Ende bringen will. Deutschland wird sich nicht aus dem Verhandlungsprozeß herausziehen, zumal es an den politischen Prozeß glaubt und denkt, daß man die Regeln, nach denen Tiefseebergbau betrieben wird, so aufstellen kann, daß dieser umweltfreundlich vonstatten geht. Insofern verlegen wir den Schwerpunkt unserer Argumentation darauf zu sagen, daß wir die Rohstoffe nicht brauchen und Menschenrechte verletzt werden. Im übrigen würde damit Tiefseebergbau dort beflügelt, wo die Regeln nicht gelten. Insofern liegt das auch in unserer Verantwortung, das nicht machen zu wollen.

SB: Vorhin nach deinem Vortrag hatte sich der Seerechtsexperte Uwe Jenisch [2] aus dem Publikum gemeldet und behauptet, die Rohstoffe vom Meeresboden würden gebraucht, weil die Digitalisierung weiter voranschreitet. Was sagst du zu seinem Argument?

MLA: So etwas kann man natürlich sagen, doch in denke, es sollte eine Entscheidung der Gesellschaft sein, wie sie sich entwickeln will, und nicht der Wirtschaftspolitik. Schaut man in den Koalitionsvertrag, stößt man über einhundert Mal auf den Begriff "Digitalisierung". Ich frage mich jedoch: Ist das etwas, das mich bewegt? Oder das dich bewegt?

Ich glaube nicht, daß unser aller Leben besser wird, wenn jetzt alle Leute noch mehr IT haben, alle unsere Gegenstände vernetzt sind und wir selbstfahrende Autos haben. Sondern das, was Menschen auf der ganzen Welt bewegt, ist Ungleichheit. Und Ungleichheit kann nicht mit Digitalisierung oder Technologie besiegt werden. Insofern entspringt für mich die Aussage, "das kommt auf jeden Fall", einer Industrielogik. Selbstverständlich geht die Industrie davon aus, daß die Digitalisierung kommt, ist sie es doch, die darin investiert und diese damit finanziert.

SB: Du hast das Positionspapier der Zivilgesellschaft zum Meeresbodenbergbau vorgestellt und dabei eine Reihe von Kritikpunkten angeführt. Könntest du dir vorstellen, daß Meeresbodenbergbau auch so betrieben werden kann, daß er erstens den Menschen vor Ort zugute kommt und zweitens nachhaltig betrieben wird?

MLA: Nein.


Großaufnahme einer kugeligen, roten Kröte mit ausgesprochen breitem Maul - Foto: NOAA Ocean Exploration & Research, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Seamounts (Tiefseebergrücken) werden auf ihr Lagerstättenpotential hin erforscht.
Hier wartet eine Seekröte in 2240 Meter Tiefe an einem Seamount bei Wake Island im Pazifik, daß ihre nächste Mahlzeit vorbeischwimmt. Sollte der Startschuß zum Meeresbodenbergbau fallen, werden viele Meeresbewohner vernichtet.
Foto: NOAA Ocean Exploration & Research, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

SB: Gibt es irgendwo Bergbauprojekte an Land, die akzeptabel sind und als Vorbild für Tiefseebergbau gelten könnten?

MLA: Dafür bin ich keine Expertin. Ich kenne jedoch die rohstoffkritische Szene, und die sagt, daß die meisten Bergbauprojekte an Land die Umwelt zerstören, schon allein dadurch, daß sie ihr etwas entnehmen. Auch werden in der Regel Menschenrechte verletzt, entweder weil Land enteignet wird oder Arbeitsverträge ausbeuterisch abgefaßt sind, oder ähnliches. Inwieweit nachhaltiger Bergbau überhaupt möglich ist, hängt dann von der Frage ab, wieviel Naturzerstörung man hinzunehmen bereit ist.

Wir dagegen fragen, ob wir überhaupt soviel Bergbau brauchen. Wäre es nicht besser, die Rohstoffe, die wir schon gefördert und verarbeitet haben und nun überall verstreut herumliegen, vernünftig zu recyceln? Es wird viel zu wenig in neue Recyclingtechnologien, Kreislaufwirtschaft oder einfach in Dinge, die keine neuen Rohstoffe brauchen, investiert. Wir dagegen bevorzugen ein Gesellschaftsmodell, in dem nicht immer neue Rohstoffe gebraucht werden. Das wäre eigentlich der richtige Schritt. Insofern ist nachhaltiger Bergbau nur ein Element. Der Schwerpunkt müßte auf Kreislaufwirtschaft und Recycling liegen.

SB: Auf der heutigen Veranstaltung waren mehrere Ministerien vertreten. Weißt du, wie das bei der Planung dieses Treffen war, sind die Regierungsmitglieder sofort auf die Einladung eingestiegen oder mußten sie gezogen und geschoben werden?

MLA: Ich bin nicht direkt an der Planung dieser Veranstaltung beteiligt, aber wir machen das schon das dritte oder vierte Mal. Dabei hat es sich inzwischen etabliert, daß wir die Ministerien einladen. Ich muß dazu nochmals meinem Kollegen Kai Kaschinski von Fair Oceans großen Dank aussprechen, der das auf beeindruckende Weise hinbekommt. Ich glaube, bei der letzten Veranstaltung im Winter waren sieben Ministerien vertreten. Ich kenne keine Veranstaltung der Zivilgesellschaft, die da herankommt.

Abgesehen davon könnte die Beteiligung der verschiedenen Ministerien Ausdruck unserer zersplitterten Meerespolitik sein. Ich glaube, für Meeresschutz oder Meerespolitik sind sieben oder acht Ministerien zuständig. Indem wir sie zusammenbringen, können sie sich untereinander nochmal austauschen. Insofern wird die Konferenz meiner Meinung nach von beiden Seiten geschätzt.

SB: Wie werden die westlichen NGOs, die einen kritischen Standpunkt zum Meeresbodenbergbau einnehmen, von den lokalen Organisationen oder Initiativen des Pazifikraums wahrgenommen? Stoßen die NGOs immer auf Zuspruch wie bei der Bismarck Ramu Group und PANG oder gibt es auch Gruppen, die eine Zusammenarbeit mit allem, was "aus dem Westen" kommt, ablehnen?

MLA: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Man muß natürlich schon schauen, wie man dort auftritt. Wir haben aber eine sehr gute Strategie, gemeinsam mit Brot für die Welt und Misereor, die dort Partner haben, den Menschen mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Wenn sie erklären, daß sie aus diesen oder jenen Gründen Tiefseebergbau ablehnen, dann unterstützen wir das auch.

Wenn man aber Stimmen aus dem Pazifikraum hierzulande für die Öffentlichkeitsarbeit benutzt, so wurde das kontrovers diskutiert und es wurde gefragt, inwieweit man dann doch wieder Menschen instrumentalisiert in ihrem Leid, in ihren Problemen, um darauf aufmerksam zu machen. Das wäre vielleicht ein Beispiel dafür, wo man auch kultursensibel auftreten muß und wie stark man dann ein Kulturspektakel aus dem macht, was die Menschen im Pazifik bewegt. Aber wie gesagt, wir treten da gemeinsam mit Brot für die Welt und Misereor als sehr starke Partner auf und das ist ja auch das Konzept der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, die diese ihrerseits vertreten. Insofern funktioniert das eigentlich auch ganz gut.

SB: Marie-Luise, vielen Dank für das Gespräch.


Rund ein halbes Dutzende hydrothermale Schlote, aus mindestens einem von ihnen steigt eine schwarze Wolke auf - Foto: NOAA Ocean Exploration & Research, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Inaktive hydrothermale Schlote zählen zu den ersten sogenannten Lagerstätten am Tiefseeboden, die ausgebeutet werden sollen.
Von Krabben und Shrimps besiedelte hydrothermale Schlote in der Marianen-Region, 2. Mai 2016.
Foto: NOAA Ocean Exploration & Research, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


Fußnoten:


[1] http://www.deepseaminingoutofourdepth.org/anglo-american-divests-from-nautilus-over-risks-of-deep-sea-mining/

[2] Auf der Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" 2014 in Bremen hat der Schattenblick ein Interview mit Prof. Dr. Uwe Jenisch geführt:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0109.html

Bisher im Schattenblick zur Konferenz anläßlich des "Tags der Ozeane 2018" erschienen:

BERICHT/140: Meeresnutzung - Schutzaufwände ungenügend ... (SB)


22. Juni 2018


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