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INTERVIEW/296: Klima auf der Kippe - Smart Cities und 5G-Netze ...    Anja Schmidt im Gespräch (SB)



Scheuer sitzt in der Bahn, das Gesicht vier großen Bildschirmen an der Seite zugewandt; davor spricht ein Mann in ein Handy - Foto: BMVI, CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/]

"Das Ziel der Bundesregierung ist ein flächendeckender Mobilfunk in hoher Geschwindigkeit und mit vielen Anwendungsmöglichkeiten, damit wir in die nächste Wohlstandsgeneration durchstarten." [1]
(Der Bundesminister für Verkehr und Digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer, am 8. Febraur 2019 bei einer 5G-Testfahrt mit dem Advanced TrainLab, einem ICE-Schnellzug der Deutschen Bundesbahn)
Foto: BMVI, CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/]

Ein Abgleich der weltweiten Temperaturmessungen zeigt, daß sich die Erde insgesamt erwärmt. Für diese Entwicklung gelten die menschengemachten Treibhausgasemissionen als hauptverantwortlich, insbesondere die CO₂-haltigen Abgase aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Da die globale Erwärmung schwerwiegende Umwälzungen innerhalb der Natursysteme auslöst, was wiederum menschliche Lebens- und Überlebensvoraussetzungen beeinträchtigen bis vernichten kann, hat die internationale Staatengemeinschaft vereinbart, einen gemeinsamen Gegenkurs zu dieser Entwicklung einzuschlagen.

Doch Papier ist geduldig. Beispielsweise will die Europäische Union ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Mitte des Jahrhunderts soll die EU vollständig "dekarbonisiert" sein, das heißt, rechnerisch keinerlei Treibhausgase mehr emittieren. Abgesehen davon, daß dieser Zeitpunkt viel zu spät angesetzt ist, um das Risiko gravierender Folgen zu minimieren, läßt die EU die Öffentlichkeit im Unklaren darüber, wie dieses Ziel mit einem anderen Ziel der EU unter einen Hut zu bringen ist, nämlich mit dem flächendeckenden Aufbau des Mobilfunkstandards der nächsten Generation. Der Ressourcen- und Stromverbrauch dieses sogenannten 5G-Netzes wird gewaltig wachsen und damit absehbar auch genau jene Emissionen steigern, die eigentlich drastisch verringert werden sollen. Auch wenn der neue 5G-Funkstandard nur rund ein Tausendstel an Energie früherer Funkstandards verbraucht, wird dieser theoretische Vorteil durch die mehr als tausendfachen Datenströme und die Herstellung von Myriaden Sensoren, Antennen, Funkmasten, Endgeräten, Glasfasernetzen und vielem, vielem mehr wieder zunichte gemacht.

Auf diese weithin vernachlässigte Problematik machte Anja Schmidt, Mitglied des Arbeitskreises Elektrosmog beim BUND, auf der Veranstaltung "Klima auf der Kippe - Welchen Preis braucht CO₂?" am 21. August 2019 in der Freien Akademie der Künste in Hamburg aufmerksam. Die studierte Biologin hatte sich im Anschluß an das Podiumsgespräch zu Wort gemeldet und erklärt, daß die von der Politik gepriesene vollumfänglich digitalisierte Smart City als Lösungsansatz für den Klimawandel gepriesen werde, die Digitalisierung aber faktisch auf Konsum und Profit ausgerichtet ist und folglich zu einer extremen Erhöhung des Energieverbrauchs und der Ressourcenverschwendung führen wird.

Schmidt bezeichnete die Smart City, wie sie geplant sei, als "extremen Beschleunigungsmotor des Klimawandels", und berief sich dabei auf den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Dieser fordere deshalb eine strenge Regulierung der Digitalisierung [2]. Warum sei das in der Politik kein Thema, fragte Schmidt. Höre die Regierung nicht auf ihren wissenschaftlichen Beirat?

Neben den bisher kaum ausgeloteten klimarelevanten Folgen der 5G-Welt von morgen, an deren Verwirklichung schon jetzt ohne Technikfolgenabschätzung gearbeitet wird, weiß man noch nicht sicher, inwieweit sich die exorbitante Zunahme des höherfrequenten Funkverkehrs (Mikrowellenstrahlung) gesundheitlich in der Bevölkerung niederschlägt. Außerdem wird mit den Smart Cities und den 5G-Netzen einem unvergleichlich weit entwickelten Überwachungsstaat zugearbeitet. Wie sagte es im vergangenen Jahr die Datenschutzaktivistin Rena Tangens so treffend, als sie in ihrer Laudatio zur Verleihung des BigBrotherAward 2018 an das Konzept der Smart City die Schreckensentwicklungen zweier Science-fiction-Dystopien miteinander verband: "Eine 'Smart City' ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells '1984' und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys 'Schöne Neue Welt'." [3]

Im Anschluß an die Veranstaltung zur CO₂-Bepreisung stellte sich Anja Schmidt dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Du hast auf der heutigen Veranstaltung davor gewarnt, daß der 5G-Funkstandard, der zur Zeit eingeführt wird, den Klimawandel beschleunigt. Könntest du das näher erläutern?

Anja Schmidt (AS): Der 5G-Funkstandard bildet die Infrastruktur letztendlich für das Internet der Dinge und die Smart City, wie sie in Zukunft geplant ist. Alles soll miteinander vernetzt werden - alle Autos, alle Haushaltsgeräte, das ganze Verkehrssystem, einfach alles. Dafür brauchen wir einen Mobilfunkstandard, der in Echtzeit die ganzen Daten verarbeitet. Dazu ist 5G entwickelt worden, denn für dieses Datenvolumen reichen die älteren Funkstandards nicht mehr aus. Dafür sind auch hohe Frequenzen nötig, besonders diese sind dann auch ein potentielles Gesundheitsproblem. Der Ausbau der Smart City läuft auf eine so gewaltige Infrastruktur hinaus, daß deswegen der Energieverbrauch und die Zahl der Strahlungsquellen explodieren werden. Die riesige Ressourcenverschwendung wird daran deutlich, daß auf einen Quadratkilometer eine Million Geräte miteinander vernetzt werden. Dazu müssen sich alle Menschen neue Geräte kaufen, die 5G-fähig sind.

SB: Rechnest du in diesem Zusammenhang mit ähnlichen Effekten wie beispielsweise bei Smartphones, bei denen der Verbrauch allein deswegen gesteigert wird, weil laufend Modifikationen oder sogar ganz neue Generationen erfunden werden?

AS: Ja, damit würde ich rechnen. Der Funkstandard 6G ist schon in Arbeit, und ich weiß nicht, ob noch weitere Funkstandards in Planung sind. In der Vergangenheit war es auch schon so, daß sich die Menschen neue Geräte gekauft haben, wenn ein neuer Funkstandard eingeführt wurde. Deshalb nehme ich an, daß sich der Trend fortsetzt, häufiger Aktualisierungen auf den Markt kommen und auf diese Weise der Konsum befeuert wird.

SB: Wer braucht das?

AS: Den Konsum braucht die Wirtschaft. Die Mobilfunk- und die IT-Industrie machen damit Geld und forcieren die Entwicklung auch. Ich sehe es als ein großes Problem an, daß bereits ein Hype um die Smart Cities und den 5G-Standard entstanden ist, aber der Trend nicht so reguliert wird, wie er reguliert werden müßte. Das läuft aus dem Ruder und wird den Klimawandel ungeheuer beschleunigen. Eine solche Energieverschwendung können wir uns überhaupt nicht leisten. Wir können so nicht weiterleben und den Standard immer weiter hochschrauben. Auch wenn wir in Zukunft noch mehr Windräder und Solarparks haben, wird die dort produzierte Energie für 5G verschwendet. Zudem nehmen solche Anlagen große Flächen ins Anspruch, und die vielen Windräder werden ihrerseits zu einem Problem für Vögel, Insekten und andere Tiere.

SB: Die Bundesregierung sagt, daß Deutschland den Anschluß an die Weltspitze verliert, wenn es beim Aufbau von 5G nicht kräftig mitmischt. Was sind das für Zwänge? Warum beschreitet die Politik nicht einen ganz anderen Weg, der dann als "fortschrittlich" definiert würde, weil er genau nicht auf so eine umstrittene Technologie hinausliefe?

AS: Das frage ich mich auch. Ich glaube, das liegt daran, daß wir nicht über den Tellerrand hinausschauen. Denn es wäre klüger zu sagen, Moment mal, wir denken erst mal gründlich nach, bevor es zu spät ist, denn wir wollen unsere Zukunft wirklich nachhaltig gestalten. Mit dem gegenwärtigen Hype werden wir auf die Nase fallen, und zwar so richtig. Statt dessen sollten wir unseren Lebensstandard senken, die ökologische Energiewende verwirklichen und auf die Appelle aus der Wissenschaft hören. Wir dürfen diese Funkstrahlung nicht so ausbauen, wie es geplant ist.

Es gibt schätzungsweise zehn Prozent elektrohypersensible Menschen in Deutschland, wahrscheinlich sogar weltweit. Das kann jeden treffen. Auf diese Menschen muß Rücksicht genommen werden. Je mehr Strahlung wir abbekommen, desto mehr Leute werden elektrosensibel. Das wird ebenfalls ein Problem werden.

Jetzt wird ja auch die Bildung digitalisiert. Es wächst eine Generation heran, die sich von der Grundschule oder sogar schon vom Kindergarten an digital "bildet". Dadurch entwickelt sich das Gehirn anders, als die Evolution es vorgesehen hat, wodurch es zu Fehlentwicklungen kommt. Es werden bestimmte Vernetzungen nicht gebildet, auf denen die Gehirnentwicklung aufbaut. Und wenn die Grundlage fehlt oder sich nicht richtig gebildet hat, dann kann das Gehirn sich insgesamt nicht richtig entwickeln. Ich habe die Sorge, daß das die Fähigkeit der Menschen beeinträchtigt, Dinge reflektieren, kritisch reflektieren zu können, und daß, sollte ein Großteil der Bevölkerung gar nicht mehr kritisch reflektieren können, auch keine Lösungsansätze für bedeutende Probleme mehr gefunden werden. Gut, das ist jetzt weit in die Zukunft geschaut, aber vielleicht doch gar nicht so weit. Ist es nicht so, daß heutzutage bereits viele Menschen nicht mehr so aufmerksam lesen können wie einst? Das hat Einfluß auf die kritische Reflektionsfähigkeit.

SB: Du bist beim BUND in einem Arbeitskreis aktiv, der sich mit Elektrosmog befaßt. Wie kann man sich das vorstellen, inwiefern wird eure Arbeit vom Gesamtverband unterstützt?

AS: Wir werden sehr unterstützt und machen auch Veranstaltungen zum Thema. So haben wir im Januar, ebenfalls in der Hamburger Innenstadt, einen Vortrag zu 5G organisiert. Das wurde natürlich vom BUND gefördert. Dann haben wir vor kurzem vom BUND Hamburg eine Online-Petition gegen den Mobilfunkstandard 5G auf den Weg gebracht, weil er ohne Technikfolgenabschätzung ausgebaut wird [4]. Und noch vieles mehr. Also, die Unterstützung ist groß.

SB: Anja, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/y6hvvwqm

[2] tinyurl.com/y2k4yj3w

[3] https://bigbrotherawards.de/2018/pr-marketing-smart-city

[4] https://www.openpetition.de/petition/online/ausbau-des-5g-mobilfunknetzes-in-hamburg-stoppen


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28. August 2018


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