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ATOM/262: Halbwertzeit - angetäuscht, verkürzt und ungenau ... (BBU)


-Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen
- Arbeitskreis Umwelt (AKU) Schüttorf
- SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster
- Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)
Schüttorf/Gronau/Münster, 07.05.2020

Freitag, 15.30 Uhr Protest vor AKW Lingen:
- Revision in Corona-Zeiten unverantwortlich
- weniger Personal, zu wenig Zeit = weniger Prüfungen?

"Alterndes AKW Lingen vom Netz nehmen"


Das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen, der Arbeitskreis Umwelt (AKU) Schüttorf die Initiative SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster sowie der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) haben gemeinsam mit den örtlichen Anti-Atomkraft-Initiativen aus dem Emsland für Freitag, den 8. Mai, um 15.30 Uhr zu einer Mahnwache vor dem AKW Lingen (Emsland) aufgerufen.

Anlass ist der Beginn der diesjährigen Revision des AKWs Lingen. Dabei werden u. a. der Reaktordeckel geöffnet und 44 Brennelemente ausgetauscht, was zu erhöhter Radioaktivität führt. Auch neue Risse in den Dampferzeugerrohren sollen erkundet werden. Zudem kommen mehrere hundert Fachleute auf das AKW-Gelände, was in Corona-Zeiten sehr bedenklich ist. Allerdings zeichnet sich nach den Auskünften von AKW-Betreiber RWE und des niedersächischen Umweltministeriums ab, dass es nur eine "Revision light" geben wird:

So wurde anscheinend die Anzahl der 700 Fachleute, die von außen kommen, um ca. die Hälfte reduziert. Zugleich wurde die Revisionsdauer trotz der erhöhten Infektionsschutzmaßnahmen und der sicherheitstechnisch brisanten Prüfaufträge auf nur drei Wochen begrenzt. Im AKW Grohnde wurde die "Corona-Revision" hingegen auf sechs Wochen verlängert. Und schon im letzten Jahr musste RWE in Lingen die Revision aufgrund der vielen altersbedingten Mängel im AKW auch ohne Corona auf sechs Wochen verlängern.

"Wir haben den Eindruck, dass RWE hier sehr starken Druck aufbaut, um die enorm wichtige AKW-Revision mit allen Mitteln über die Bühne zu bekommen. Weniger Fachpersonal und ein zu enger Zeitrahmen lassen befürchten, dass die Qualität und der Umfang der Überprüfungen leiden werden. Wenn für RWE wirklich die Sicherheit oberste Priorität hätte, würde das Konzept ganz anders aussehen. Ein 32 Jahre alter Reaktor mit ersten Risse-Erscheinungen lässt sich nicht mehr im Schnelldurchlauf mit halbem Fachpersonal mal eben durchchecken - das ist unverantwortlich. Deshalb fordern wir nochmals dringend die Absage der Revision. Der alternde Reaktor muss endgültig vom Netz - das würde auch den Erneuerbaren Energien freie Bahn verschaffen," erklärte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.

Weitere Infos:
https://atomstadt-lingen.de
www.bbu-online.de
www.sofa-ms.de

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Bündnis AgiEL - Atomkraftgegner*innen im Emsland
Elternverein Restrisiko Emsland e.V.
Pressemitteilung vom 7. Mai 2020

Umweltgruppen kritisieren anstehende Revision im AKW Lingen II:

- Großveranstaltung in Lingen trotz Corona
- Strahlungsspitzenwerte während der Revisionsarbeiten
- Ausweitung gefährlicher Risse in Dampferzeugerrohren zu erwarten

Mahnwache Freitag, 8. Mai, 15.30 Uhr vor AKW:
"Atomstrom ist nicht systemrelevant - AKW sofort abschalten!"


Lingen - Am Freitag, 8.5.2020, soll gemäß den Plänen von RWE das AKW Lingen II (KKE Emsland) in die Revision gehen. Dazu wird das Atomkraftwerk zeitweise abgeschaltet, auf Schäden überprüft und mit neuen Brennelementen bestückt. Das Bündnis AgiEL und der Elternverein Restrisiko Emsland kritisieren das jetzt bekannt gewordene Vorgehen der Betreiberin scharf und rufen für morgen um 15.30 Uhr zu einer Mahnwache vor der Einfahrt zum AKW auf.

"Zur Revision kommen hunderte Facharbeiter aus Deutschland und dem benachbarten Ausland in die Stadt und bleiben für mehrere Wochen hier. "Eine Großveranstaltung während der Corona-Pandemie, mitten in Lingen, während ansonsten überall weitreichende Kontaktbeschränkungen gelten - das ist höchst fahrlässig und für die Einwohner der Stadt nicht nachvollziehbar", so Gerd Otten vom Elternverein Restrisiko Emsland.

"Mit seiner sehr kurzfristigen und nicht sehr aussagekräftigen Informationspolitik verspielt RWE das Vertrauen der Bevölkerung!", so Alexander Vent vom Bündnis AgiEL. "Sämtliche Sachanfragen, die das Bündnis in den vergangenen Wochen an RWE gerichtet hat, blieben unbeantwortet. Dass der Kraftwerksleiter sich jetzt schmunzelnd der Öffentlichkeit präsentiert zeigt doch nur, wie ernst er die Interessen der Bevölkerung tatsächlich nimmt."

Die Umweltschützer*innen kritisieren weiter:

Etwa die Hälfte der gesamten Jahresstrahlung fällt auf die Tage der Revision, weil der Reaktordeckel geöffnet wird. Die Höhe dieser Strahlungsspitzen gilt als Betriebsgeheimnis. Veröffentlicht werden später nur Mittelwerte aus längeren Zeiträumen. "Wozu diese Geheimniskrämerei?" fragt Margret Greving vom Bündnis AgiEL. "Wäre die Strahlung wirklich ungefährlich, so könnte RWE die Spitzenwerte doch auch veröffentlichen und damit das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Aber dazu schweigt man lieber. "

Laut Ärzteverband IPPNW können diese erhöhten Strahlungsemissionen als Ursache für das vermehrte Auftreten von Leukämie bei Kindern, die im Umkreis von 5 km um ein Atomkraftwerk leben, in Betracht gezogen werden (Quelle: IPPNW factsheet, März 2011, siehe Anhang).

"Revision Light" trotz zu erwartender Risse im Dampferzeugersystem?

Besonders große Sorge bereitet den Umweltschützern, dass es aufgrund der Corona-Pandemie zu einer "Revision Light" kommen könnte, um den Aufwand angesichts der gestiegenen Gesundheitsvorkehrungen so niedrig wie möglich zu halten.

Bereits im letzten Jahr wurden bei den Revisionsarbeiten gefährliche "Wanddickenschwächungen", ausgelöst durch Spannungsrisskorrosion, an den Rohren des Dampferzeugersystems festgestellt. Die Dampferzeugerrohre bilden die Schnittstelle zwischen dem Primär- und dem Sekundärkreislauf des Kraftwerks. Kommt es hier zu Undichtigkeiten kann das katastrophale Folgen haben, die bis hin zur Freisetzung großer Mengen an Radioaktivität reichen können. (Quelle: "Risiken betrieblich bedingter Brüche von Dampferzeuger-Heizrohren infolge von Spannungsrisskorrosion", im Anhang).

Solche Risse traten bereits vor 3 Jahren im baugleichen AKW Neckarwestheim II auf und haben sich von Jahr zu Jahr massiv ausgeweitet. (2018: 101 Fälle, 2019: 209 Fälle).

Anstatt 2019 alle rund 16.000 dieser Rohre im AKW Lingen genauestens auf Schäden zu überprüfen, begnügten die Betreiber sich damit, die betroffenen Rohre einfach zu verschließen. Eine Prüfung aller Rohre auf die komplette Länge fand nicht statt!

Hier geht es aber nicht um harmlose Bagatellschäden, sondern um höchst gefährliche Alterungserscheinungen der Atomanlage, die bis zu einem GAU führen und damit die Bevölkerung der gesamten Region hochgradig gefährden können.

Nach Abschluss der Revisionsarbeiten soll das AKW für weitere zweieinhalb Jahre in Betrieb gehen.In dieser Zeit wird neuer Atommüll erzeugt, von dem bis heute niemand weiß, wie er sicher und dauerhaft aufbewahrt werden kann.

"Dabei könnte RWE uns all diese Zumutungen ganz einfach ersparen, denn Atomstrom ist nicht systemrelevant und wir brauchen ihn deshalb schlichtweg nicht. Es sind allein wirtschaftliche Interessen, aus denen heraus die Atomkraftwerke weiter betrieben werden und damit sogar den Ausbau alternativer, moderner und sicherer Energieerzeugung blockieren.

Wir fordern daher die sofortige und endgültige Abschaltung aller Atomkraftwerke, der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen!", so Heide Maria Kuhnert vom Bündnis AgiEL.


Dokument "Risiken betrieblich bedingter Brüche von Dampferzeuger-Heizrohren infolge Spannungsrisskorrosion":
https://www.ausgestrahlt.de/media/filer_public/ab/3e/ab3ed378-6f2e-4736-8487-3fef1a8ed9b0/risiken_betrieblich_bedingter_bruche_von_dampferzeuger-heizrohren_infolge_spannungsrisskorrosion.pdf

IPPNW: "Kinderkrebs um Atomkraftwerke" und weitere Infos:
https://www.ippnw.de/atomenergie/gesundheit/artikel/de/kinderkrebs-um-atomkraftwerke.html

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Quelle:
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) e.V.
Prinz-Albert-Str. 55, 53113 Bonn
Telefon: 0228/21 40 32, Fax: 0228/21 40 33
Internet: www.bbu-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2020

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