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WALD/036: Hambacher Forst - grüßt Berlin, Germany, und Bexhill, England (Hambacher Forst)


Hambacher Forst - 10. Januar 2013

Solidaritätserklärung mit Baumbesetzungen gegen Autobahn-Wahn



In den letzten Wochen wurden gleich an zwei verschiedenen Orten in Europa Bäume besetzt, die dem Bau von Autobahnen zum Opfer fallen sollen. Am 22. Dezember besetzten Aktivist_innen in Bexhill, England Bäume gegen den Bau der Bexhill-Hastings Link Road und haben nun schon ein ganzes Camp errichtet. In Berlin besetzten Freiraumaktivist_innen gemeinsam mit Umweltaktivist_innen Bäume gegen die A100, die mitten durch Berlin gebaut werden soll. Wir, die Besetzer_innen vom Hambacher Forst, solidarisieren uns mit diesen Kämpfen und rufen zu einer praktischen Unterstützung auf, zu einer Vernetzung der entstehenden Widerstandsorte untereinander und dazu, viele neue solcher Orte zu schaffen.

Die Anti-Road-Bewegung in Großbritannien in den 90er Jahren, die als Antwort auf die neoliberale Infrastruktur-Politik von Margaret Thatcher ("there is no alternative") folgte, war eine der stärksten sozialen Umweltbewegungen der letzten Jahrzehnte in Europa. Aus ihr heraus entwickelten sich viele neue Aktionsformen: Die Baumhausdörfer, mit spezialisierten Blockadetechniken an den Orten, wo die Straßen gebaut werden sollten, die "critical masses" und "reclaim the streets"-Partys als Rückeroberung der Städte gegen den Autowahn, und generell ein Politikverständnis der "direct action" als selbstermächtigende, dynamische Politikform von unten. Auch die radikale Klimabewegung in Großbritanien, die sich nach der Jahrtausendwende ausbreitete und Klimabewegungen in ganz Europa inspirierte, hatte ihre Wurzeln in dieser Anti-Road-Bewegung.

Nun, über 20 Jahre später, plant die Regierung in Großbritannien ein neues umfassendes Straßenbauprogramm (während gleichzeitig massive Sozialkürzungen durchgepeitscht wurden). 1244 Kilometer neue Straßen sind geplant. Durch die Bauaufträge sowie die verbesserte Infrastruktur wird erhofft, die Wirtschaft aus der Krise zu stoßen. Gleichzeitig bringen neue Straßen aber auch immer mehr Autoverkehr mit sich, und so sind es Projekte wie dieses, die auch das globale Klima immer näher an die "tipping points" stoßen. Aus diesem Grunde haben Aktivist_innen am 22. Dezember Plattformen in Bäume gehängt, die für die Bexhill-Hastings Link Road gerodet werden sollen. Bexhill befindet sich zwischen Dover und Brighton. Inzwischen gibt es sogar einen "fully operational" Blockadetunnel!

Zwei Wochen später machten es Aktivist_innen in Berlin nach und besetzten Bäume in Neukölln, um Widerstand gegen den Bau der A100 zu leisten. Interessant an dieser Aktion finden wir, dass sie von Freiraumaktivist_innen zusammen mit Umweltaktivist_innen durchgeführt wurde. Viel zu selten verbindet sich der Widerstand gegen die verschiedenen Antagonismen des Kapitalismus - den sozialen und den ökologischen - in gemeinsamen Aktionen. Wobei genau das dringend notwendig wäre: Der herrschende Diskurs will uns weismachen, dass Klima- oder Umweltschutz nur mit Verzicht zu haben sei. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsweise würde gleichzeitig sehr viel unsinniger Ressourcenverbrauch wegfallen, während ein selbstbestimmtes Leben und eine freie Entfaltung erst möglich würde. Nehmen wir nur einmal den Fordismus als Siegeszug des Autos in den Städten: Nicht ein Bedürfnis nach Automobilen war der Beginn des Massenkonsums dergleichen, sondern eine Auto-ritäre Stadtplanung, die nach den Konzepten des Hitler-Freundes Ford bewusst die verschiedenen Bereiche Arbeit, Wohnen und Konsum so weit auseinanderlegte, dass ein Leben ohne Auto immer schwerer wurde. So wurde zwar nicht die Zeit kürzer, die Menschen täglich für Ortswechsel aufbringen mussten, aber die Städte waren auf einmal voll mit diesen stinkenden Blechkisten und beeinträchtigten das Leben in der Stadt fundamental - eine Beeinträchtigung des Lebens bei höherem Energieverbrauch war das Ergebnis. Eine entgegengesetzte Entwicklung muss das Ziel emanzipatorischer Umweltkämpfe sein, genauso wie dasjenige sozialer Kämpfe, die das akute Klimaproblem, vor dem wir stehen, nicht einfach ausblenden.

Wir brauchen dringend eine radikale und schlagkräftige Klimabewegung und zwar weltweit. Wir sehen dabei einige positive Ansätze. So zum Beispiel die Auseinandersetzungen der letzten Monate in La ZAD gegen einen "grünen" Flughafen, der gebaut werden soll. An den Mobilisierungen beteiligten sich zeitweise 40 000 Aktive. Wir brauchen solche Kristallisationsorte, an denen erfahrbar wird, was alles möglich ist - und dann muss dieser Widerstand in die Fläche getragen werden und hunderte weitere Kristallisationsorte müssen aus dem Boden sprießen, die wiederum andere inspirieren u.s.w.

Wir rufen dazu auf, diese neuen Besetzungen in Bexhill und Berlin mit praktischer Hilfe zu unterstützen, genauso wie wir dazu aufrufen, unsere Besetzung am Rande des Hambacher Forstes mit praktischer Hilfe zu unterstützen. Wir rufen aber auch dazu auf, selber viele neue solcher Orte zu schaffen, die es braucht als Kristallisationsorte des Widerstandes. Orte an denen Menschen zusammenkommen können, Dinge planen können, aber auch schon in der Art und Weise des Lebens und der neuen Organisierung erahnen können, was für eine Welt möglich wäre jenseits von Kapitalismus und Herrschaftssystemen.

Und wir rufen dazu auf sich unter diesen Orten stärker zu vernetzen - denn die Strohfeuer, die derzeit hier und dort auflodern, müssen sich verbinden zu einem Flächenbrand - ein Flächenbrand der Undurchsetzbarkeit all dieser Projekte.

Waldbesetzung - links Baumhaus und Zelte, rechts aufgehängte Wäsche - Foto: © 2012 by Schattenblick

Einblick in die - inzwischen von der Polizei geräumte - Waldbesetzung im Hambacher Forst im Sommer 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/

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Quelle:
Artikel vom 10.1.2013
Hambacher Forst
E-Mail: hambacherforst@riseup.net
Internet: http://hambacherforst.blogsport.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2013