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WALD/048: Hambacher Forst - Innenansichten (Hubert Perschke)


Hambacher Forst - 18. März 2013

Warum wehren sich die Menschen nicht gegen ihre Umsiedlung durch RWE??

Versuch einer Analyse

von Hubert Perschke



Umgesiedelt wird im Rheinischen Braunkohlerevier seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Menschen müssen ihre Heimat, ihre Dörfer und Häuser verlassen und an anderer Stelle eine neue Existenz beginnen. Nichts mehr wird sein, nichts ist mehr so, wie es einmal war. Umgesiedelt wird auf die grüne Wiese, ohne Strauch, ohne Baum. Die Parzellierung des Ackers entspricht den aktuellen Bauvorschriften. Die gewachsene Struktur des alten Dorfes ist passé und nicht mehr erkennbar. So haben bisher in diesem Revier 35.000 Menschen ihre Heimat verloren. An das alte Dorf erinnern wird viele Jahre später ein Gedenkstein auf den renaturierten oder rekultivierten Abbauflächen.

Nach dem Willen von RWE sollen in den nächsten Jahren zwei weitere Dörfer verschwinden - nach der Terminologie von RWE "zurückgebaut werden" - und 2.200 Menschen sollen diese Orte verlassen. Die Bürger der beiden Orte, Manheim und Morschenich, haben bereits vor mehreren Jahren einen Umsiedlungsbeirat gewählt, der mit der jeweiligen Kommune und RWE verhandelt hat. Die Standorte für die neuen Dörfer sind gefunden. Der Standort von Manheim-neu ist bereits erschlossen, es wird unermüdlich gebaut, und in diesem Jahr erfolgt die erste große Umsiedlungswelle. Morschenich soll ab 2014 folgen.

Links und recht der Straße Häuserreihen mit parkenden Autos - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Straßenzug in dem zur Umsiedlung vorgesehenen Dorf Morschenich
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Aber kein Mensch aus Manheim oder Morschenich scheint zu wissen, dass die rechtliche Grundlage für die Umsiedlung noch nicht vorliegt. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde zwar ein Braunkohleplan erstellt, der die Grenzen des gesamten Tagebaus Hambach festlegt. Innerhalb dieser Grenzen liegen Manheim und Morschenich, und so gehen die Menschen davon aus: "Wir werden abgebaggert." Doch dieser Braunkohleplan bietet noch nicht die Grundlage dafür, dass RWE hingehen kann, um die Dörfer abzubaggern. Dafür bedarf es eines weiteren Schrittes. Ein spezifizierter Rahmenbetriebsplan muss vorgelegt und dann genehmigt werden. Und dieser Plan, der sogenannte 3. Rahmenbetriebsplan, ist zwar beantragt, aber noch nicht beschlossen worden.

Viele Manheimer und Morschenicher Bürger sind über dieses Verfahren und dessen Sachstand nicht informiert. "Man kann sich doch nicht wehren", "Man kann doch nichts machen", "Was sollen wir tun? RWE behält doch recht", sind Äußerungen der Bevölkerung. Dahinter steht eine über Generationen gewachsene Erfahrung, da bereits die Großelterngeneration umsiedeln musste.

Das Bergrecht stammt von seinem Ursprung her aus dem Jahr 1865, aus preußischen Zeiten, und half den Unternehmern, mit feudalen Rechtsansichten in der aufstrebenden Industrie ihre Interessen vor die der betroffenen Menschen zu stellen. In der Nazizeit, mit der Wiederbewaffnung und Aufrüstung der Armee, wurde der Energiebedarf der Rüstungsindustrie darüber gedeckt, dass die Menschen in den betroffenen Gebieten keinerlei Anspruch auf ihren Grund und Boden hatten.

Bis zum Jahr 1980 wurde im Rheinischen Braunkohlerevier das feudale preußische Recht angewandt. Und auch das Bundesbergbaugesetz hat als oberste Priorität, den Abbau u. a. von Braunkohle zu sichern. Eine Bürgerbeteiligung in Genehmigungsverfahren sieht das Gesetz nicht vor. Die Menschen sind weiterhin Objekte, nicht mehr als Spielbälle der Bergbaubehörde und von RWE. Sie haben nicht gelernt, sich zu wehren und ergeben sich passiv in ihr Schicksal. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit der größte Teil aller Schulabgänger eine Ausbildung bei Rheinbraun absolvierte und hier Zeit seines Lebens beschäftigt war. Sie wurden besser bezahlt als andere Arbeitnehmer. Die Umsiedlung war der Preis für den höheren Verdienst und den sicheren Arbeitsplatz. Wenn ein Dorf abgebaggert werden soll, spürt jeder in den umliegenden Orten, dass auch er betroffen sein könnte. Jeder Mensch im Tagebaubereich weiß, dass er irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls von einer Umsiedlung betroffen sein kann. Das macht Angst und bis dahin denken viele: "Gott sei Dank, wir nicht!" Es fehlt die Solidarität unter den Menschen, sich dagegen aufzulehnen.

Durch die Wiesenbesetzung wurden viele Bürger in Morschenich zum ersten Mal über das rechtliche Verfahren und den Sachstand informiert. Widerstand keimte auf, und es wurden Stimmen laut: "Wir wollen bleiben! Hier ist unsere Heimat. Hier wollen wir sterben." Die Waldbesetzer wurden Vorbilder für den eigenen Widerstand. Und auch bei den Waldbesetzern keimte die Hoffnung auf, in der Morschenicher Bevölkerung Verbündete gegen RWE zu finden. Es war ein kurzer Moment der Euphorie. Dann erschien der Umsiedlungsbeirat und erklärte, dass er als gewähltes Organ die Interessen der Morschenicher Bürger vertritt und im Prozess der Umsiedlung die Richtung bestimmt. Die Waldbesetzer würden unterstützt, soweit sie globale Klimaprobleme anprangerten. Aber sobald sie die Bewohner gegen die Umsiedlung "aufhetzen" würden, wäre der soziale Frieden in Morschenich gefährdet und das würde er nicht zulassen, so der Umsiedlungsbeirat. Aber was heißt sozialer Frieden?

Wer durch Morschenich geht, sieht ein altes Dorf mit Fachwerk- und Backsteinhäusern, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Mit seinem Ober- und Unterdorf ist es ein typisches rheinisches Straßendorf, das erzählen kann, wie die Menschen früher hier gelebt haben: zur Straße ein Wohnhaus mit einem großen Tor und dahinter ein Hof mit Stall, Scheune und Schuppen. Die Häuser stehen wie Reihenhäuser aneinander. Der Standard dieser Häuser ist niedrig. Zum großen Teil sind sie renovierungsbedürftig. Und jetzt kommt RWE und muss auf der Grundlage des Bergrechts die alten renovierungsbedürftigen Hofanlagen und Häuser zum Zeitwert aufkaufen. Keimt da nicht die Hoffnung auf, durch den Verkauf an ein schönes, schmuckes, neues Haus zu kommen, wärmegedämmt, mit neuen Bädern, trockenen Räumen usw.? Hat der Umsiedlungsbeirat nicht plötzlich Angst, dass durch den Protest der eigenen Bürger im Kanon mit den Waldbesetzern der Deal mit RWE flach fällt und man auf seiner alten Hütte sitzen bleibt?

Das kleine Pflänzchen des Aufbäumens scheint in Morschenich verwelkt zu sein. Misstrauen untereinander ist eingezogen. Man beäugt sich und guckt, wo der einzelne steht. Die einen wollen sich durch die Umsiedlung verbessern oder Geschäfte machen. RWE-Mitarbeiter gefährden nicht ihren Arbeitsplatz. Andere meinen, sowieso nichts tun zu können. Und die wenigen, die bleiben wollen, getrauen sich nicht, ihre Position offen zu vertreten. Die Waldbesetzer bleiben in Sichtweite zu Morschenich. Daraus ergeben sich Möglichkeiten der Kommunikation. Und vielleicht sind einige Morschenicher doch bereit, ihre Position - "Wir wollen bleiben" - nach außen klar zu vertreten.

Gesprächssituation in einem Restaurant - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Der Funke springt über - Ein Aktivist im Gespräch mit Morschenicher Bürgern
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

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Quelle:
© 2013 für Text und Fotos by Hubert Perschke, Kerpen
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2013