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WALD/056: Hambacher Forst - Tango der Entscheidungsträger (SB)


Hambacher Forst - 24. April 2013

Proteste gegen den Braunkohle-Filz


Demonstrantengruppe mit Musikinstrumenten und Transparenten - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Mit Samba-Musik gegen den Braunkohle-Filz im Hambacher Forst
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

In Nordrhein-Westfalen, von kritischen Stimmen häufig kurz "RWE-Land" genannt, um die Symbiose zwischen Politik und Wirtschaft auf den kürzesten Nenner zu bringen, ist die Annahme, hier werde auf verschlungenen Pfaden Interessendurchsetzung betrieben, weit verbreitet und durch zahlreiche Vorfälle leicht zu begründen. Sie geht allerdings von einem Politikverständnis aus, das auf dem Konstrukt einer wertneutralen Landesregierung und ihren gesetzlichen Aufträgen verpflichteten kommunalen Behörden beruht, denen ihrer Natur und Zweckgebung nach ausschließlich profitorientierte Unternehmen gegenüberstünden, was zu einem Interessenkonflikt führe, da erstere die Belange der gesamten Bevölkerung zu vertreten hätten und sich dem Gemeinwohl verpflichtet sähen. Eine solche Front wohlanständiger Regierungsverantwortung zu überwinden oder auch nur zu perforieren, um spezifischen Unternehmensinteressen zum Vorzug zu verhelfen, bedürfte in einem solchen Denkmodell erheblicher Lockmittel, für deren Darbietung auf der einen und Annahme auf der anderen Seite sich der Begriff "Korruption" längst eingebürgert hat.

Ob und inwiefern sich - wenn überhaupt - eine solche, sehr wohl kritische Position tatsächlich mit der Realität in Deckung bringen ließe, ist eine offene Frage. Immerhin wäre auch vorstellbar, daß zwischen Politik und Wirtschaft ein so fundamentaler Grundkonsens besteht, daß es solcher Prozesse der Beeinflussung politischer und administrativer Entscheidungen überhaupt nicht bedarf, zumal in von neoliberalen Vorstellungen geprägten Zeiten gern geglaubt bzw. behauptet wird, der reibungslose und von staatlichen Eingriffen weitmöglichst freigehaltene Ablauf unternehmerischer Tätigkeiten würde sozusagen von allein den größtmöglichen Nutzen für alle abwerfen.

Aktivisten und Aktivistinnen mit Transparent 'Viele Kohlmeisen gegen Kohle' - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Braunkohlewiderstand ungebrochen und unermüdlich - 'Viele Kohlmeisen gegen Kohle'
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Im Hambacher Forst stehen die Interessen eines Teils der Bevölkerung, wie die seit mindestens einem Jahr aufrechterhaltenen Proteste gegen die Rodungspläne zum Zwecke des weiteren Ausbaus des Braunkohletagebaus beweisen, offenbar nicht im Einklang mit den Entscheidungen und Interessen von Wirtschaft und Politik. Am vergangenen Montag fand ein Besuch bzw. eine Sitzung des Braunkohleausschusses der Bezirksregierung in Buir statt. Bei diesem Ausschuß handelt es sich um ein Gremium, das über Anträge des großen Braunkohletagebau-Betreibers abzustimmen hat. Nach Angaben des Kölner Stadtanzeigers wollte sich der Ausschuß "im Baubüro von RWE und dem Landesbetrieb Straßen treffen, um von da aus mit geländegängigen RWE-Bussen verschiedene Projekte zu besichtigen, die im Zusammenhang mit dem Tagebau Hambach stehen - etwa die neue Trasse der Autobahn 4, die neue Hambachbahn, Artenschutzflächen oder den Umsiedlungsort Manheim". [1]

Polizeikräfte, Ausschußmitglieder und Aktivisten auf dem Fußweg zum Tourbus - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Parkplatzblockade mit Folgen - zu Fuß vom Baubüro zum Tourbus
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Dieses Vorhaben hatte allerdings rund 20 Braunkohlegegnerinnen und -gegner auf den Plan gerufen, die ihrem Protest nicht nur laut und vernehmlich Ausdruck verliehen, sondern den Ausschußmitgliedern gezielt den Weg versperrten. So hatten die Aktivistinnen und Aktivisten unter dem Motto "RWE die Tour vermiesen" beispielsweise den Zugang zum Parkplatz des Baubüros blockiert mit der Folge, daß die Politiker weiter entfernt parken und dann zu Fuß gehen mußten. Danach blieb ihnen ein weiterer Fußweg, diesmal über rund 200 Meter vom Baubüro zum Tourbus, nicht erspart. Zu ihnen hatten sich nicht nur die rund 20 Tagebaugegnerinnen und -gegner gesellt, um ihren Protest mit Sprechchören wie "RWE find ich nicht o.k." und "Hambacher Forst bleibt" kundzutun, sondern auch rund 50 Polizeikräfte, die offenbar vorsorglich zugegen waren, um Zwischenfälle welcher Art auch immer zu unterbinden.

Bei der Polizei sei dem Kölner Stadtanzeiger zufolge von einer "friedlichen, spontanen Versammlung von rund 10 bis 14 Leuten" die Rede gewesen, die man gebeten habe, aus dem Weg zu gehen, damit es zu keinen Störungen komme. Zu Anzeigen sei es nicht gekommen. Die Mitglieder des Braunkohleausschusses reagierten auf die an sie gerichteten Proteste gelassen, aber auch wegen der ihnen zugemuteten Fußmärsche durchaus empört. Wie der Ausschußvorsitzende Stefan Götz (CDU) erklärte, gehöre es zur Demokratie dazu, daß jeder seine Meinung äußern dürfe [1], was auf dem Blog der Waldbesetzerinnen und -besetzer des Hambacher Forstes mit dem Zusatz versehen wurde: "Aber durchsetzen tun wir trotzdem, wovon nur wir profitieren!" [2] Die Braunkohlegegnerinnen und -gegner führten in ihrem Bericht über die Protestaktion zur Begründung aus:

Die Politiker_innen des Ausschusses scheinen es ganz normal zu finden, sich durch genau jenen Akteur informieren zu lassen, über dessen Anträge sie abstimmen sollen. Sich einmal von der Gegenseite informieren zu lassen - von jenen, die durch die Belastungen durch die Braunkohle geschädigt sind oder gegen deren globale Auswirkungen kämpfen - kommt ihnen nicht in den Sinn. Besuche der Besetzungen im Wald oder auf der Wiese oder der Bürger_inneninitiativen hat es - mit wenigen Ausnahmen der üblichen Verdächtigen - nicht gegeben. [2]

Was aber, wenn die Ausschußmitglieder, die bei dieser Aktion einmal auf einer ihnen unvertrauten und friedfertigen Weise mit konträren Positionen konfrontiert wurden, gar kein Informationsdefizit haben, sondern sehr genau wissen, was sie tun und auf welcher Seite sie in diesem Konflikt, aber auch grundsätzlich stehen?

Demonstranten mit Transparenten beim Tourbus - Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Unerwünschte Proteste beim Tête-a-Tête zwischen Betreiber und Braunkohleausschuß
Foto: © 2013 by Hubert Perschke

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/


Fußnoten:

[1] http://www.ksta.de/kerpen/braunkohle-kohlegegner-blockieren-rwe-buero,15189188,22552700.html

[2] http://hambacherforst.blogsport.de/2013/04/23/rwe-und- plitiker_innen-die-tour-vermiesst-2/

24. April 2013