Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → TICKER

WALD/059: Hambacher Forst - totgeschwiegen (Hubert Perschke)


RWE Braunkohlekraftwerk Niederaußem

Herzlichen Glückwunsch zu 50 Jahren Umweltverschmutzung, Zwangsumsiedlung und Heimatvernichtung

von Hubert Perschke, 26. Mai 2013


Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Die Hauptstraße von Niederaußem mit dem RWE Braunkohlekraftwerk
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Niederaußem, ein Stadtteil von Bergheim, liegt 16 km westlich von Köln auf einem kleinen Höhenzug. Bei klarem Wetter ist der Ort von weit her durch die in den Himmel steigenden, weißen, kondensierten Wolken des Braunkohlekraftwerks zu sehen. Seit 50 Jahren liefert es nun Braunkohlestrom und ist zum Wahrzeichen des Ortes geworden. Die weißen Wolken haben von je her fasziniert und als wir Kinder waren, haben uns die Erwachsenen erzählt, was aus den Kühltürmen kommt, ist nur Wasserdampf. Und wir Kinder haben es geglaubt.

Heute wissen wir, dass dieses ein Märchen ist und das RWE Kraftwerk Niederaußem unsere nahe und ferne Umwelt verpestet. Die jährliche Bilanz ist erschreckend: 386.000 kg Grobstaub und Feinstaub, Schwermetalle wie Arsen mit 50,9 kg, Zink mit 285 kg, Quecksilber mit 509 kg, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen ist der Ausstoß von CO² mit 28,6 Millionen Tonnen. Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie kommt aktuell zu dem Ergebnis, 209 Todesfälle pro Jahr werden durch das Kohlekraftwerk Niederaußem verursacht. Die HEAL Gesundheitsstudie hat ein vergleichbares Ergebnis.

Trotz dieser erschreckenden Bilanz wurde das Jubiläum mit einem Festakt für geladene Gäste und einem Tag der offenen Tür bejubelt. Mit Rundfahrten durchs Werksgelände, Besichtigungen, einem Musik- und Bühnenprogramm und vielen Angeboten für Kinder sollten die Besucher bei Laune gehalten werden - ein bunt gemischter Eintopf für alle, die weiter an Märchen glauben.

Die Bergheimer Grünen wollten RWE die Suppe versalzen und die Jubelgäste mit einem extra gedruckten Flyer und ihren kritischen Anmerkungen zum Nachdenken anregen. Aber wer will an solch einem Jubeltag schon kritische Worte hören und sich in die Suppe spucken lassen? RWE nicht und auch nicht die von nah und fern angereisten Politiker und Honoratioren. Nur wie macht man das, wo doch das Demonstrationsrecht ein Grundrecht ist? Die Lösung ist einfach. Die Bergheimer Polizei wies den Demonstranten einen Ort am Rande des Werksgelände zu, schön weit weg von den Menschen und unbeachtet aller Öffentlichkeit, bis auf zwei Polizeiautos, deren Besatzung keine Erklärung für diesen Standort hatte bzw. abgab. Angemeldet war die Demonstration laut Oliver Hemmelmann, von den Bergheimer Grünen, für den Bereich des Hauteinganges, dem Zugang zum Fest.

Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Die Grünen abseits auf verlorenem Posten
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Ein großer Karton voller Flyer stand zum Verteilen bereit, die man an diesem Ort keinem in die Hand geben kann? Dieses ist mehr als ein Affront. Abgespeist und abgewiesen entschieden sich die Grünen, ihre, soweit man es überhaupt Demonstration nennen kann, abzubrechen und als Einzelpersonen Flyer vor dem Haupttor des RWE Kohlekraftwerks Niederaußen zu verteilen. Ein Infostand, Banner usw. waren polizeilich untersagt, aber, wie die Fotos zeigen, der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt.

Wer sich im Rheinischen Braunkohlerevier gegenüber RWE kritisch positioniert, hat häufig das Gefühl, ausgegrenzt zu werden, anders zu sein, nicht dazuzugehören. Es wird häufig schwarz und weiß gemalt. Wer sich gegen RWE positioniert, vernichtet Arbeitsplätze usw. Das ist genau so ein Märchen wie die Mär vom harmlosen, weißen Wasserdampf.

Sich vor das Haupttor des Braunkohlekraftwerks zu stellen und Flyer zu verteilen, provoziert viele Menschen und neben sachlichen Gesprächen werden Demonstranten einfach beschimpft. Was geht in diesen Menschen vor, wovor haben sie Angst, dass sie den Respekt vor Demonstranten verlieren und nur ausfallend werden? Neben den verbalen Missfallensäußerungen haben einige Autofahrer ihre Meinung durch Gesten und durch Hupen kundgetan. Das kalkuliert jeder Demonstrant ein. Aber wenn, wie geschehen, ein Autofahrer laut hupend beschleunigt und auf eine Demonstrantin zufährt und sich diese nur durch einen Sprung zur Seite vor dem Zusammenprall retten kann, ist das ein eindeutiger, krimineller Akt.

Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Kreativer Protest der Grünen im Bereich des Haupttores
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Der Versuch, Kritiker des RWE Braunkohlekraftwerks Niederaußem mundtot zu machen, hat nicht ganz geklappt. Ihre Kritik wurde durch Besucher und die örtliche Presse wahrgenommen. Aber von meiner Seite aus kann ich den Grünen aus Bergheim nur wünschen, die Situation nicht auf sich beruhen zu lassen und die Zusammenhänge zu klären.

Auch ist die Beantwortung der Frage wichtig, warum die Demonstranten an einen unbedeutenden Ort verbannt wurden, warum sie keiner wahrnehmen sollte. In der Antwort kann man zu dem Schluss kommen, dass es ein schönes, harmonisches Jubelfest mit begeisterten Besuchern ohne bitteren Beigeschmack geben sollte. Eine andere Antwort lautet, dass die Fakten, die mit der Braunkohleverfeuerung in Niederaußem verbunden sind, durch ihre Eindeutigkeit Menschen aufmüpfig werden lassen, und sie keine Märchen mehr hören wollen. Und das stellt die Planungen von RWE, ein weiteres Braunkohlekraftwerk an diesem Standort zu bauen, infrage.

*

Quelle:
© 2013 für Text und Fotos by Hubert Perschke, Kerpen
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2013