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WALD/081: Hambacher Forst - Waldfrieden gebrochen (SB)


Hambacher Forst - 27. März 2014
Stand 14.30 Uhr

Zwei aktuelle Stimmen zur Räumung



Anläßlich der Räumung der Waldbesetzung im Hambacher Forst fragte der Schattenblick telefonisch zwei Aktivisten nach dem aktuellen Stand und ihrer Einschätzung der Gründe für diese polizeiliche Maßnahme.

Interview mit Thomas vom Rechtshilfebüro, das mit den Waldbesetzern zusammenarbeitet.

Schattenblick: Thomas, könntest du etwas zum aktuellen Stand der Räumung sagen?

Thomas: Seit heute morgen um ca. 8 Uhr läuft der Einsatz hier am Hambacher Forst. Wir sind gerufen worden, in den Wald geeilt und nicht direkt an den besetzten Platz herangekommen, weil das Waldgebiet zweireihig weiträumig abgesperrt ist. Auch die Autobahnabfahrt Buir ist abgesperrt, ebenso eine Landstraße, die hierher führt. Wir befinden uns in einem inneren Kreis und sind relativ nahe herangekommen. Das Rechtshilfebüro unterstützt die Menschen oben in den Plattformen in juristischer Hinsicht. Die Räumung selbst ist seit ca. 12 Uhr im Gange. Die Polizei ist mit mehreren Hubsteigern und Hebebühnen an die Plattformen herangegangen. Sie haben zuerst alle Banner und dann nach und nach die Seile zwischen den Bäumen gekappt.

SB: Wie groß ist das Polizeiaufgebot?

T: Ich kann es relativ schlecht abschätzen. Ich gehe von etwa 200 Polizisten oder mehr aus, es sind sehr viele Spezialeinheiten wie Fälltrupps und Kletterer beteiligt. Wir haben mindestens 30 Kletterer gezählt. Wir verlassen unsere Position nicht, da wir andernfalls nicht mehr hierher zurückkommen könnten. Wir bekommen aber mit, daß alles weiträumig abgesperrt ist, wozu man mindestens zwei bis drei Hundertschaften braucht.

SB: Ist auch die Wiese von der Räumung betroffen?

T: Nur der besetzte Wald ist betroffen. Als wir heute morgen gegen 8.30 Uhr eintrafen, standen auf der Wiese 20 Polizeitransporter. Wir vermuten, daß sie dort Leute abfangen wollten, die zur Unterstützung der Waldbesetzer kommen. Wir haben die Information, daß es auf der Wiese inzwischen ruhig ist. Der Besitzer des Grundstücks sei erschienen und habe den Polizisten keinen Zugang gewährt, da es sich um ein Privatgrundstück handelt.

SB: Zur aktuellen Begründung der Räumung wird angeführt, daß die Baumhäuser eine Gefährdung darstellten. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, hätte doch die Stadt Kerpen schon sehr viel früher tätig werden müssen. Warum erfolgt die Räumung gerade jetzt?

T: Der Bauamtsrat der Stadt Kerpen hat die Polizei um Amtshilfe gebeten. Deswegen ist es zu diesem Einsatz gekommen. Der Pressesprecher der Polizei führte vorhin zur Begründung an, daß von den Baumhäusern eine Gefährdung für Fußgänger ausgehen könnte, wenn Gehölz vom Baum herunterfällt. Das ist der offizielle Grund für die Räumung und natürlich ein lächerlicher Vorwand.

SB: Besteht ein Zusammenhang zur der Beschlagnahmung elektronischer Geräte auf der Wiese in der vergangenen Woche?

T: Ich bin viel in sozialen Bewegungen aktiv und kenne solche Situationen als vorbereitende Maßnahmen. Die Polizei will für solche Einsätze wie den heutigen eine relative Planungssicherheit haben. Sie wollte mit der Beschlagnahmung offenbar Informationen über die Strukturen des Widerstands beschaffen.

SB: Wie sieht die aktuelle Lage vor Ort aus? Gibt es noch Aktivistinnen und Aktivisten, die sich dem Zugriff entziehen?

T: Die Polizei ist inzwischen an die meisten Plattformen herangekommen. Inwieweit der Zugriff schon stattgefunden hat, kann ich von hier aus nicht sagen. Ich weiß aber, daß die Polizei an mindestens zwei Plattformen noch nicht herangekommen ist. Von oben wird noch Musik gespielt. Es gibt auch immer wieder Durchsagen und Begründungen, warum die Waldbesetzung durchgeführt wird. Auch hörte man die Erklärung aus den Baumhäusern, daß wir ungeachtet der heutigen Räumung jederzeit bereit sind, den Wald wieder zu besetzen.

SB: Thomas, vielen Dank für diese Informationen und viel Glück weiterhin!

*

Interview mit dem Waldbesetzer Elmo, der sich zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht im Hambacher Forst befand.

Schattenblick: Handelt es sich deiner Einschätzung nach bei der heutigen Räumung um eine Art finale Offensive gegen die Waldbesetzung oder eher um einen weiteren Versuch der Einschüchterung?

Elmo: Ich kann mir schon vorstellen, daß es sich um den Versuch handelt, den Widerstand endgültig zu zermürben. Neben der Beschlagnahmung von Geräten und persönlichen Gegenständen auf der Wiese kam es an mehreren Orten zu Hausdurchsuchungen bei Unterstützernetzwerken. Da die Polizei heute mit einem großen Aufgebot zur Räumung in den Hambacher Forst eingerückt ist, sehe ich darin einen Versuch, die Besetzung als solche zu beenden. Offenbar befürchtet man, daß durch das Skill-Sharing-Camp, das vom 12. bis 25. April stattfindet, die Besetzung noch einmal großen Zulauf erfährt.

SB: Ihr seht also einen direkten Zusammenhang zum Skill-Sharing-Camp, von dem eine weitere Stärkung der Besetzung ausgehen könnte?

E: Ja. Man muß von einem Versuch ausgehen, den Widerstand gerade zu diesem Zeitpunkt gezielt zu schwächen. Aber unter dem Strich wird uns auch diese Räumung nur stärken.

SB: Welche offiziellen Gründe wurden für die jüngsten
Hausdurchsuchungen angegeben?

E: Als offizieller Grund wurde eine angebliche Beschädigung eines Baggers angeführt, bei der ein Sachschaden von 250.000 Euro entstanden ist. Laut dem Durchsuchungsbefehl wurden ein Feuerlöscher, ein Bildschirm, eine Fernbedienung und einige weitere Kleinigkeiten entwendet, Sand in den Tank gefüllt und Kabel besprüht. Dieser Vorwurf richtete sich nicht direkt gegen uns, denn es hieß explizit, daß die Waldbesetzer nicht verdächtigt würden. Aber es wurde auf Sympathien verwiesen, da sich die unbekannten Täter und die Besetzer gleichermaßen im Streit mit RWE befänden. Es wurde dann so formuliert, daß durch die Beschlagnahmung von Beweismaterialien vielleicht sogar eine Entlastung der Besetzer erreicht werden könnte.

SB: Wie habt ihr das Vorgehen der Polizei bei der Beschlagnahmung auf der Wiese und den Hausdurchsuchungen erlebt?

E: Ich selbst habe davon nicht sehr viel miterlebt, weil ich mich zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes im Baumhaus befand und erst auf die Wiese kam, als die Polizei bereits wieder abgerückt war. Ich habe den Eindruck, daß sie versuchen, das ganze zu schädigen, indem sie viel Material beschlagnahmen, darunter teilweise auch Dinge wie Keyboards für Computer, von denen ich mir nicht vorstellen kann, daß sie relevant sind. Es handelt sich also einfach nur um Schikane, wenn Arbeitsmaterial, das man braucht, plötzlich weg ist. Ich habe schon das Gefühl, daß das die Polizei teilweise provoziert. Neulich fuhr ein Polizeifahrzeug voll auf das Wiesengelände, obwohl klar kommuniziert ist, das es sich um ein Privatgrundstück handelt und wir Polizei und RWE-Mitarbeiter nicht auf dem Grundstück wünschen. Sie blieben trotz mehrfacher freundlicher Aufforderung, das Gelände zu verlassen, darauf stehen. Das hat sich schlagartig geändert, als Aktivisten eine Videokamera herausholten und das Geschehen filmten. Da waren sie plötzlich weg. Ich bin jetzt gut zwei Jahre politisch aktiv und hatte viel mit der Polizei zu tun und bisher immer ein recht gutes Verhältnis mit ihr. Hier im Kerpener Gebiet erlebe ich die Polizisten jedoch als sehr ruppig und provozierend, so daß sich mein persönliches Bild gewandelt hat und ich nicht mehr mit ihnen kooperieren möchte. Mich schikanieren zu lassen, das muß ich mir nicht antun.

SB: Gibt es auch Unterstützung seitens der Bevölkerung aus dem Umfeld der Gegner des Braunkohletagebaus?

E: Die gibt es auf jeden Fall. Es gab kürzlich Demonstrationen für die Energiewende in verschiedenen Städten, bei denen Redner auf die Waldbesetzung und die Vorkommnisse verwiesen, ohne daß wir direkt dazu aufgerufen hätten. Die Vermittlung in die Öffentlichkeit und Solidarität finden also statt. Darüber hinaus kamen in der letzten Zeit viele Besucher auf die Wiese, die sich erkundigten, wie sie uns mit Sachspenden unterstützen könnten. Zum anderen kamen auch Menschen, die in der Politik aktiv sind und wissen wollten, wie sie sich einbringen und uns unterstützen können.

SB: Könntest du ein Beispiel geben, aus welchem politischen Spektrum sie kamen?

E: In dem Fall war es die Piratenpartei.

SB: Ihr kündigt in einer Pressemittelung an, daß es am 26. April eine Wiederbesetzung geben soll. Ist es aus eurer Sicht sinnvoll, dieses Datum vorab bekanntzugeben, da die Behörden natürlich entsprechende Vorkehrungen treffen werden?

E: Das wird sich dann zeigen. Wenn man es offiziell macht und es in die Medien bringt, erreicht man natürlich auch viele Leute, die sich vorstellen können, sich daran zu beteiligen. Warum dann nicht mit offenen Karten spielen?

SB: Elmo, vielen Dank für das Gespräch.

27. März 2014