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EUROPA/162: Änderung der Trinkwasserverordnung weiterer Schritt Richtung Privatisierung? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1076, vom 15. Nov. 2015 - 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Trinkwasserverordnung: Weniger Analysen - mehr Risikogutachten?


Die Privatisierung von Wasser- und Abwasserbetrieben sorgt immer für große Aufregung. Aber unterhalb der offenkundigen Privatisierung von Wasser- und Abwasserdienstleistungen gibt es untergründig Bestrebungen, "randständige" Dienstleistungen im Wasser- und Abwassersektor in private Hände zu übergeben - ohne dass das in Parlamenten oder in der breiten Öffentlichkeit zum Thema wird. Hier ein aktuelles Beispiel für kryptische Privatisierungsbemühungen: Ein wissenschaftlicher Fachausschuss der EU ist zur Erkenntnis gekommen, dass die EG-Trinkwasserrichtlinie dazu führt, dass unsinnigerweise viel zu viel Trinkwasseranalysen durchgeführt werden. Demgegenüber würde es ein Zuwenig an Risikoanalysen geben: Welche Gefahren lauern im Einzugsgebiet, bei der Förderung, der Aufbereitung und im Trinkwasserversorgungsnetz? Wenn man diese Risikoanalysen entsprechend einem Water Savety Plans (WSP; siehe RUNDBR. 1041/2, 1032/2, 1003/1, 710/1, 699/1) durchführen würde, könnte man zielgerichteter als bisher überlegen, welche Analysen in welcher Häufigkeit überhaupt sinnvoll sind. Letztlich könnten die Wasserversorger damit auch überflüssige Analysekosten einsparen. Die EU-Kommission hat deshalb im sogenannten Komitologieverfahren (s. Kasten auf S. 2) auf Druck der Mitgliedsstaaten eine Änderung von Anhang II der EG-Trinkwasserrichtlinie beschlossen. Durch die Änderungen im Anhang II wird den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eingeräumt, von den in Anhang II festgelegten Untersuchungsparametern und der Analysefrequenz abzuweichen. Eine Ausdünnung der Parameter und der Untersuchungshäufigkeit kommt allerdings nur in Frage, wenn ersatzweise eine erweiterte Risikobewertung durchgeführt wird - so dass basierend auf dieser Risikobewertung nur noch die tatsächlich relevanten Parameter untersucht werden müssen. Die Änderungen im Anhang II der Trinkwasserrichtlinie sind am 27.10.2015 in Kraft getreten (siehe EU-Amtsblatt L260/6). Den EU-Mitgliedsstaaten bleibt jetzt eine Frist von 24 Monaten, die Änderungen in ihre nationalen Gesetze bzw. Verordnungen zu übernehmen.


Änderung der TVO - ein weiterer Schritt in Richtung Privatisierung?

In Deutschland wird in Fachkreisen derzeit diskutiert, welche Modifikationen in der Trinkwasserverordnung opportun sind, um dem neuen, risikobasierten Ansatz Genüge zu tun. Im Gespräch ist, mit der erweiterten Risikobewertung nach dem Konzept des Water Savety Plans (WSP) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) externe GutachterInnen zu beauftragen. Wir haben in einem Schreiben vom 26.10.15 an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und das Umweltbundesamt (UBA) an diesem Vorschlag Kritik geübt. In unserem Brief heißt es u.a.:

"Für uns ist nicht nachgewiesen, ob der Ersatz von Analysen durch die Vergabe von WSP-Gutachten an externe Fachleute tatsächlich zu signifikanten Kosteneinsparungen führen wird. Kritisch stehen wir einer Übertragung an externe WSP-Gutachter auch deshalb gegenüber, weil dies ein weiterer Schritt in Richtung der Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge wäre. Falls man sich tatsächlich zur Substitution von Analysen durch WSP-Gutachten entschließen sollte, regen wir an, diese Aufgabe nicht auf externe Gutachten zu verlagern, sondern die Erstellung von WSP-Gutachten auf die - mit der Überwachung der WVU ohnehin beauftragten - Gesundheitsämter zu übertragen. Ferner sollte man eruieren, inwieweit die BürgerInnen stärker in die Diskussion um eine Gewährleistung einer nachhaltigen Trinkwasserförderung und -aufbereitung einbezogen werden können."

Interessierte können unseren vierseitigen Brief an das BMG und an das UBA kostenlos als pdf via nik@akwasser.de anfordern.


Was ist ein Komitologieverfahren?

Im Rahmen der Diskussion um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) ist auch der "regulatorische Ausschuss" in Verruf gekommen. Dieser Ausschuss soll im Vorfeld von Parlamentsentscheidungen beiderseits des Atlantiks dafür sorgen, dass regulatorische Vorschriften (beispielsweise im Umweltsektor) möglichst angeglichen werden. Befürchtet wird, dass der regulatorische Ausschuss an den Parlamenten vorbei entscheidende Weichenstellungen vornehmen könnte, die die Parlamente allenfalls im Nachhinein noch abnicken können. Was bei den Debatten über den regulatorischen Ausschuss oft übersehen wird: In vielen EG- bzw. EU-Richtlinien ist auf EU-Ebene eine Art regulatorischer Ausschuss schon fest eingebaut. Es geht dabei um das sogenannte Komitologieverfahren. Mit vordergründig nur unwesentlichen Änderungen einer EU-Richtlinie muss sich nicht das EU-Parlament befassen, sondern ein Fachausschuss. So ist auch der mögliche Ersatz von Analysen durch eine erweiterte Risikobewertung in Anhang II der EG-Trinkwasserrichtlinie nicht vom EU-Parlament, sondern von der EU-Kommission entsprechen einer "Stellungnahme" eines Fachausschuss beschlossen worden. Was zunächst als unwesentliche Änderung erscheinen mag, kann aber doch auf einen entscheidenden Kurswechsel hinauslaufen - wenn nämlich die erweiterte Risikobewertung nicht von den eigentlich zuständigen Gesundheitsämtern, sondern von externen Dienstleistern durchgeführt wird, die im Wettbewerb stehen. In der Trinkwasserrichtlinie ist das Ausschussverfahren in Art. 12 festgelegt. Dort heißt es, dass der Ausschuss von einem Vertreter der Kommission geführt wird. Der Vertreter der Kommission ist dazu beauftragt, "dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen" vorzulegen. Die Mitgliedsstaaten entsenden ihre Vertreter in den Ausschuss, wo dann mit einfacher Mehrheit (entsprechend dem Stimmengewicht der Mitgliedsstaaten) über eine "Stellungnahme" zu den Vorschlägen des Kommissionsvertreters abgestimmt wird. Basierend auf dieser "Stellungnahme" kann dann die Kommission Maßnahmen erlassen, "die unmittelbar gelten" - ohne dass sich die nationalen Parlamente oder das EU-Parlament mit diesen "Maßnahmen" zuvor befasst hätten.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1076
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2015

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