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FORSCHUNG/433: Die Bedeutung der Verdunstung für die Verfügbarkeit von Wasser (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
8. Jahrgang. Ausgabe 1. November 2012

Aufwärts in die Atmosphäre
Die Bedeutung der Verdunstung für die Verfügbarkeit von Wasser

von Thomas Foken



Der Klimawandel und die damit häufiger auftretenden Trockenperioden, wie etwa die Frühjahrstrockenheit in Mitteleuropa, führt dazu, dass die Rolle der Verdunstung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wenn die zum Wasserkreislauf gehörende Verdunstung ermittelt wird, sollten dabei auch sie steuernden Faktoren beachtet werden. Diese bleiben meist unbeachtet, wenn - wie bei rein hydrologischen Untersuchungen üblich - die Wasserverfügbarkeit im Wesentlichen als Differenz aus Niederschlag und Abfluss aufgefasst wird.

Dabei muss man sich beim Wasserkreislauf vergegenwärtigen, dass im weltweiten Durchschnitt jährlich über dem Festland 111·103 km3 Niederschlag fallen. Davon stammen 71·103 km3 aus der Verdunstung und nur 40·103 km3 aus dem Transport feuchter Luft von den Ozeanen auf das Festland (Daten: Houghton, 1997). Damit wird klar, dass Niederschlag ein "hausgemachtes" Produkt ist. Je weiter man vom Meer entfernt ist, umso größer ist der Verdunstungsanteil am Niederschlagswasser. Somit ist die Wasserverfügbarkeit aus dem Niederschlag auch in den küstenfernen Gebieten Deutschlands unmittelbar an die Verdunstung über dem Land gebunden.

Dabei muss man berücksichtigen, dass im weltweiten Durchschnitt etwa 48% der Verdunstung aus der Transpiration der Pflanzen stammen. 36% stammen aus der Verdunstung vom Boden und weitere 16% aus der Interzeptionsverdunstung, das heißt aus verdunstetem Niederschlagswasser, das an Pflanzenteilen abgelagert war (Daten: Dirmeyer et al., 2006). Somit spielt die Funktionalität der Ökosysteme eine ausschlaggebende Rolle im Verdunstungsprozess. Denn versiegelte Flächen liefern nur einen geringen Anteil aus der Verdunstung der feuchten Oberfläche; der größere Anteil geht in den Abfluss.

Damit stellt sich sofort die Frage, welche Faktoren die Verdunstung steuern können. Dies sind im Wesentlichen zwei: die Bodenfeuchte und die Fähigkeit der Atmosphäre, den Verdunstungsprozess überhaupt zu ermöglichen. Weltweite Modellrechnungen haben gezeigt, dass nur in ariden und Monsungebieten die Bodenfeuchte eine steuernde Wirkung hat. In ganz Europa - mit Ausnahme des Südens der Iberischen Halbinsel - hat die Atmosphäre die steuernde Wirkung (s. Seneviratne et al., 2010). Wesentliche Faktoren sind dabei die verfügbare Energie aus der Strahlung (abzüglich der Wärmeleitung in den Boden und des fühlbaren Wärmestroms, der die Erwärmung der Luft verursacht) und die Effizienz des turbulenten Wasserdampftransportes - im Wesentlichen abhängig von der Windgeschwindigkeit und der Struktur des Ökosystems.

Weiterhin spielt das Wasserdampfsättigungsdefizit eine große Rolle: Trockenere und wärmere Luft kann deutlich mehr Wasser aufnehmen als feuchte und kühle Luft. Dass in unseren Breiten die Bodenfeuchte keine maßgebliche Rolle spielt, hat auch der heiße Sommer 2003 gezeigt. Der trockene Juni brachte faktisch keine Einschränkungen in den ökosystemaren Flüssen, erst der ebenfalls trockene August führte zu entsprechenden Einschränkungen (s. Spektrum (2011) Nr. 1, 50-53). Auf Grund der Wasserverfügbarkeit im Boden kann man in unseren Breiten davon ausgehen, dass ein Ökosystem eine Trockenperiode bis zu einem Monat überstehen kann.

Die Messung der Verdunstung ist ein bislang ausserordentlich stiefmütterlich behandeltes Problem.

Die Steuerungsfunktion der Atmosphäre für den Verdunstungsprozess ist der Menschheit seit langem bekannt. Abb. 1 zeigt eine Anpflanzung auf Lanza rote, die durch einen nach Südwesten offenen Steinwall gegen den Nordostpassat geschützt ist. Damit bleibt das geringe Wasserangebot aus Taufall und Nebel für die Pflanze erhalten. Die Reduktion der Windgeschwindigkeit ist ein wirksames Mittel, um die Verdunstung zu reduzieren, denn hohe Windgeschwindigkeiten trocknen Oberflächen durch verstärkte Verdunstung besonders schnell aus.

Die Messung der Verdunstung ist ein bislang außerordentlich stiefmütterlich behandeltes Problem. Die Wetterdienste messen an einigen Stationen die sogenannte potenzielle Verdunstung mit wassergefüllten Kesseln. Dies ist aber nur das maximal mögliche Verdunstungspotenzial. Es kann von der wirklichen Verdunstung deutlich abweichen. Verdunstungsangaben entstammen im Wesentlichen Modellrechnungen. Dabei gibt es seit 15 bis 20 Jahren das internationale Kohlendioxidaustausch-Messprogramm FLUXNET für viele Ökosysteme, zu dem auch die Messstation am Waldstein im Fichtelgebirge gehört (Eingangsbild). Hier lag das Schwergewicht bei der Auswertung der gemessenen Daten aber auf der Kohlenstoffaufnahme von Ökosystemen. Teilweise wurde noch die Wassernutzungseffizienz von Ökosystemen ermittelt, also das Verhältnis aus Verdunstung und Kohlenstoffaufnahme. Verdunstungsdaten liegen zwar als Energiegehalt des verdunsteten Wassers vor, doch erfolgte kaum ihre hydrologische Auswertung.

Kürzlich ist ein erster Artikel erschienen (Williams et al., 2012), bei dem die Universität Bayreuth vor allem methodische Zuarbeit leistete. Darin wird die Verdunstung in Abhängigkeit von Klimazonen und Ökosystemen untersucht. Die Bedeutung der Arbeit liegt in der Möglichkeit, Abschätzungen über Verdunstungspotenziale nach Veränderungen in Ökosystemen - sei es durch Klimawandel oder Landnutzungsänderungen - treffen zu können. Hier soll nur vereinfacht in Abb. 2 ein schematischer Auszug gegeben werden. Dabei zeigt sich, dass Laubwälder über einem sehr weiten Bereich des Verhältnisses aus Verdunstung und Niederschlag existieren. Sie befinden sich aber alle in Klimazonen, in denen die potenzielle Verdunstung niedriger als der Niederschlag ist, d.h. es ist auch in trockenen Jahren ein Wasserüberschuss vorhanden. Nadelwälder verdunsten im Verhältnis zum Niederschlag mehr als Laubwälder - allerdings ist in diesen Klimazonen der absolute Niederschlag häufig geringer - und auch die potenzielle Verdunstung ist meist höher als der Niederschlag, d.h. ein zusätzlicher Niederschlag könnte auch noch verdunstet werden.

Die zunehmende Wasserknappheit, die auch den Osten Deutschlands betrifft und in einzelnen Jahreszeiten deutschlandweit zutrifft, fordert detaillierte Kenntnisse zum Verdunstungsprozess und seiner verbesserten Modellierung. Das Problem stellt sich zunehmend komplexer dar und betrifft neben Meteorologen und Hydrologen in hohem Maße auch Ökosystemforscher. Eines kann aber bereits eindeutig gesagt werden: Die Versiegelung von Flächen, die in Deutschland nicht unerheblich ist, und die Zersiedelung, die große Flächen mit hohem Verdunstungspotential in ihrer Effizienz einschränkt, ist schon heute nicht ohne Auswirkung auf die Wasserverfügbarkeit.


AUTOR

Prof. Dr. Thomas Foken leitet die Abteilung Mikrometeorologie des BayCEER. Seit fast 40 Jahren befasst er sich mit Fragen des Energie- und Stoffaustausches zwischen der Atmosphäre und der Unterlage - vorrangig Ökosysteme aber auch Wasserflächen. Schwerpunkt liegt dabei auf experimenteller Seite, gerade in den letzten Jahren entstanden aber auch einige Arbeiten zur Modellierung. Die Forschung ist eingebettet in nationale und internationale Projekte und Forschungsverbünde. Seit 15 Jahren ist er auch an europäischen Forschungsinitiativen beteiligt und hier seit fünf Jahren in Tibet.


LITERATUR

Dirmeyer PA, Gao X, Zhao M, Guo Z, Oki T and Hanasaki N (2006) GSWP-2: Multimodel Analysis and Implications for Our Perception of the Land Surface. Bull Amer Meteorol Soc. 87(10):1381-1397.

Houghton JT (1997): Global warming, 2nd edition. Cambridge University Press, Cambridge, 251 pp.

Seneviratne SI, Corti T, Davin EL, Hirschi M, Jaeger EB, Lehner I, Orlowsky B and Teuling AJ (2010): Investigating soil moisture-climate interactions in a changing climate: A review. Earth-Science Reviews. 99(3-4):125-161.

Williams CA, et al. (2012): Climate and vegetation controls on the surface water balance: Synthesis of evapotranspiration measured across a global network of flux towers Water Resources Res. 48:W06523.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Messturm des BayCEER am Waldstein. Hier wird seit ca. 15 Jahren auch die Verdunstung über einem Fichtenbestand gemessen.

Abb. 1: Obstbaum auf Lanzarote, der durch einen Steinwall gegen den Nordostpassat geschützt ist.

Abb. 2 (rechts): Abhängigkeit des Verhältnisses aus Verdunstung und Niederschlag (Ordinate) zum Verhältnis aus potenzieller Verdunstung und Niederschlag (Abszisse) nach Williams et al. (2012). Die gestrichelten Geraden geben die natürlichen Grenzen nicht bewässerter Ökosysteme an. Die Kurven geben die mittleren Verhältnisse dieser beiden Quotienten an - gestrichelt: klassische Abhängigkeit nach Budyko; durchgezogen: Analyse nach der von Williams gefundenen Abhängigkeit. Die Punkte geben Mittelwerte zu einzelnen Ökosystemmessungen an (für Details s. Williams et al., 2012). Dunkelblau hervorgehoben sind Laubwälder, und hellblau Nadelwälder.

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Quelle:
spektrum, Ausgabe 1, November 2012, S. 60 - 62
Herausgeber: Universität Bayreuth
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2013