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FORSCHUNG/472: Mehr Wasser - ein neuer Ansatz zur Meerwasserentsalzung (Leibniz)


Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 3/2014

Mehr Wasser

von Julia Ucsnay



Die Hälfte der Weltbevölkerung wird 2030 unter Trinkwassermangel leiden, fürchten die Vereinten Nationen. Schon heute entsalzen die meisten Länder Meerwasser. Doch die gängigen Verfahren sind teuer und energieintensiv. Ein neuer Ansatz versucht, das zu ändern.

Auf den ersten Blick scheint es paradox: Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt - dennoch haben Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der scheinbare Widerspruch ist schnell geklärt: 97,5 Prozent der Wasservorräte unseres "blauen" Planeten bestehen aus Meerwasser, nur 2,5 Prozent aus Süßwasser. Davon wiederum sind gut zwei Drittel als Eis in den Gletschern gebunden. Süßwasser ist also knapp; Salzwasser gibt es in Hülle und Fülle.

Für einige Lebewesen ist das kein Problem: Seevögel wie Möwen oder Pinguine decken ihren Flüssigkeitsbedarf über das Meerwasser, da sie das überschüssige Salz mit Hilfe spezieller Drüsen ausscheiden können. Für den Menschen dagegen ist Salzwasser nur in kleinen Dosen unschädlich. Salz entzieht dem Körper Wasser. Die Folge: Er trocknet aus.

Destillation auf See

Schon seit der Antike beschäftigen sich die Menschen deshalb mit der Herausforderung, Salz- in Süßwasser zu verwandeln. Aristoteles soll im vierten Jahrhundert vor Christus als einer der ersten beschrieben haben, wie durch Verdampfen von Salzwasser Trinkwasser entsteht. Dieses Grundprinzip der Destillation, also der Verdampfung und Kondensation, war lange Zeit vor allem für Schiffsbesatzungen von großer Bedeutung. Einige Jahrhunderte nach Aristoteles berichtete der Philosoph Alexandros von Phrodisias von Seefahrern, die Meerwasser in Bronzegefäßen aufkochten und den Dampf mit Schwämmen auffingen. Wrangen sie diese aus, erhielten sie Süßwasser.

Längst ist das Thema nicht mehr nur für die Seefahrt relevant. In den vergangenen 50 Jahren ist der weltweite Wasserverbrauch doppelt so schnell gestiegen wie die Weltbevölkerung. Nach Uno-Schätzungen wird der Bedarf an Süßwasser bis 2030 die vorhandenen Ressourcen um 40 Prozent übersteigen. Fast die Hälfte der Menschen könnten dann unter Wassermangel leiden. Angesichts der überwältigenden Menge an Meerwasser liegt es zumindest in Küstenzonen nahe, daraus Trinkwasser zu gewinnen. Derzeit wird bereits in 150 Ländern entsalzt. 12.000 bis 14.500 Entsalzungsanlagen sind Schätzungen zufolge momentan in Betrieb, die meisten in Saudi-Arabien, den Arabischen Emiraten, den USA und Spanien.

Teuer und umweltschädlich

Die bis vor wenigen Jahren dominierende Technologie zur Entsalzung von Wasser ist die Entspannungsverdampfung. Hierbei wird Meerwasser erhitzt, bis es verdampft und das Salz sich vom Wasserdampf trennt. Die momentan gängigste Methode ist die Umkehrosmose. Unter hohem Druck von 60 bis 80 bar wird Meerwasser durch eine feine Membran gepresst, die das Salz zurückhält.

Beide Methoden teilen jedoch ein Problem: die Kosten. Große Anlagen verbrauchen extrem viel Energie, sie benötigen ein eigenes Kraftwerk für den Betrieb. Meerwasserentsalzung ist bislang also vor allem etwas für reiche Länder oder Touristenregionen. Zudem wird die benötigte Energie oft aus fossilen Brennstoffen bezogen - zum Schaden der Umwelt.

Matthias Wessling vom Leibniz-Institut für Interaktive Materialien (DWI) in Aachen setzt auf ein neues Verfahren der Meerwasserentsalzung. Er forscht mit seinem Team im Bereich der "Kapazitiven Deionisierung". Mit Hilfe von neuartigen Elektroden aus Kohlenstoffpartikeln entwickelten die Wissenschaftler einen kontinuierlichen elektrochemischen Entsalzungsprozess. Die Bestandteile des Salzes, Anionen und Kationen, werden von den Elektroden an einer internen Oberfläche wie in einem elektrischen Kondensator aufgenommen und auf diese Weise aus dem Wasser entfernt.

Kontinuierliche Entsalzung

Gegenüber älteren Ansätzen hat die Methode den Vorteil, dass die Elektroden fortlaufend regeneriert werden, so dass ein kontinuierlicher Betrieb möglich ist. Matthias Wessling: "Im ersten Modul unserer Apparatur binden die kohlenstoffbasierten Elektroden Salz aus dem Wasser. In einem zweiten Modul werden die Elektroden- Partikel fortwährend regeneriert. Sie gelangen anschließend wieder in das erste Modul, wo sie erneut Salz-Ionen aus dem Meerwasser aufnehmen." Bei einer Ausgangskonzentration von einem Gramm Salz pro Liter konnte das Forscherteam auf diese Weise in 90 Prozent des zufließenden Wassers 99 Prozent des enthaltenen Salzes entfernen. Die restlichen zehn Prozent des Wassers dienen der Regeneration der Elektroden-Partikel.

Ein weiteres Plus liegt laut Wessling in der Kapazität der Elektroden: "Die Kohlenstoff-Partikel der Elektroden binden das im Wasser vorhandene Salz extrem gut, mindestens um den Faktor Zehn höher als bei zuvor beschriebenen Prozessen dieser Art."

Anfragen aus der Industrie

Die neue Methode ist zudem sehr energieeffizient und kommt ohne umweltschädliche chemische Reaktionen aus. Momentan ist das Verfahren allerdings vor allem für niedrige Salzkonzentrationen geeignet - also für Brackwasser. Geht es um sehr salziges Meerwasser, muss das Potential noch erforscht werden. Ein Industriekonsortium hat dennoch bereits Interesse an der Technologie angemeldet und ein Vorhaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beantragt. "Wenn die Finanzierung steht", sagt Matthias Wessling, "kann ein Prototyp, der den Prozess demonstriert, innerhalb von drei Jahren realisiert werden."

Für besonders schwer von Wassermangel betroffene Länder dürfte das eine gute Nachricht sein. Trotzdem kann die Meerwasserentsalzung allein ihr Problem nicht lösen. In vielen Regionen der Welt ist die Trinkwasserknappheit ein hausgemachtes Problem, das mit Verschwendung im großen Stil zu tun hat. In Spanien, das Europa ganzjährig mit Obst und Gemüse versorgt, versickern riesige Wassermassen aus maroden Leitungen ungenutzt in Äckern. In den Touristenregionen am Mittelmeer werden unzählige Golfplätze bewässert. Aber auch der Fleischkonsum des Menschen trägt zum Trinkwassermangel bei: Um ein Kilo Rindfleisch zu erzeugen, werden 15.000 Liter Wasser verbraucht.

Die Lösung heißt also zuallererst: Wasser sparen.

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Quelle:
Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft
Nr. 3/2014, Oktober 2014, Seite 44-45
Herausgeber: Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2015


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