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MELDUNG/042: Zum "Wohl der Allgemeinheit" - Querbauwerke zu Sohlgleiten! (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1012, vom 01. April 2013, 32. Jahrgang

Zum "Wohl der Allgemeinheit": Querbauwerke zu Sohlgleiten!



Wo an Bächen und Flüssen noch alte Wehranlagen existieren, gibt es in der Regel massive Bestrebungen, dort eine Wasserkraftanlage zu errichten. Wasserkraftinteressenten berufen sich dabei gerne auf § 35 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG): Danach haben die zuständigen Behörden zu prüfen, "ob an Staustufen und sonstigen Querverbauungen (...) eine Wasserkraftnutzung nach den Standortgegebenheiten möglich ist" (siehe RUNDBR. 930/1) Allerdings enthält § 35 die Einschränkung, dass die Behörden bei dieser Abwägung die "Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31" zu beachten hätten. Dabei geht es darum, dass die Wasserkraftnutzung die Erreichung des "guten ökologische Zustand" à la EG-Wasserrahmenrichtlinie nicht verunmöglichen darf.

An der bayerischen Ammer ist die Prüfung jetzt zu Lasten einer beantragten Wasserkraftnutzung ausgefallen. Das zuständige Landratsamt hat nämlich Anfang Febr. 2013 die Pläne des Wasserwirtschaftsamtes zum Abriss des baufälligen Grundwehrs III in Weilheim-Unterhausen und den Bau einer so genannten Sohlgleite genehmigt. Damit erteilte das Landratsamt allen Bestrebungen eine Absage, die einen Teil des Flusswassers per Kraftwerk zur Stromgewinnung nutzen wollten. Entsprechende Vorschläge hatten zuletzt die Gemeinde Wielenbach und der Freie Wähler-Kreisverband gemacht. Ein privater Unternehmer hatte zudem einen Antrag zum Bau eines Wasserkraftwerks gestellt. Seine Entscheidung pro Wasserwirtschaftsamt-Plan begründet das Landratsamt so: Der Umbau der alten Wehranlage zu einer Sohlgleite ("Raue Rampe") entspreche "unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Auswirkungen am meisten dem Wohl der Allgemeinheit".

Dass der regenerativen Stromerzeugung "heute ein anderer Stellenwert als in der Vergangenheit zukommt", sei unbestritten. Das bedeute jedoch nicht, dass einem Kleinkraftwerk, das ein festes Wehr voraussetze, "gegenüber den Zielen von Wasserwirtschaft, Naturschutz und Fischerei der Vorrang ein-zuräumen ist". Für ein Kraftwerk müsste aber zumindest zum Teil ein neues Wehrbauwerk errichtet werden, so das Landratsamt. Zudem müsste, um ein Gefälle zu erzeugen, ein Unterwasserkanal mit einer Länge von bis zu 220 Metern angelegt werden. "Dadurch würde die Sohlgleite zur Ausleitungsstrecke werden". Die Sohlgleite brauche aber "eine hohe Wasserführung" (siehe die übernächsten Notizen). Darüber hinaus würden auch die Turbinen eine Gefahr für die Fische darstellen, war im WEILHEIMER TAGBLATT vom 25.02.13 zu lesen. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass es dem "Wohl der Allgemeinheit" mehr entspricht, durch den Abriss der Wehranlage an diesem Ammerabschnitt wieder die Längsdurchgängigkeit herzustellen. Demgegenüber habe die Erzeugung von regenerativem Wasserkraftstrom hintanzustehen.


Große Wasserkrafteuphorie im Bodenseekreis

Während der zuvor genannte Plan für eine Wasserkraftanlage an der Ammer mit dem Wohl der Allgemeinheit nicht in Übereinstimmung zu bringen war, sieht es an der Seefelder Aach - einem Bodensee-Zufluss - ganz anders aus: Dort gibt es fast schon eine Volksbewegung, die zum Wohl der Allgemeinheit eine alte Wasserkraftanlage reaktivieren will. In der Bodenseegemeinde Uhldingen-Mühlhofen haben sich 187 EinwohnerInnen an einer Bürger-Energiegenossenschaft beteiligt, um das stillgelegte Wasserkraftwerk am "Spek'schen Wehr" an der Seefelder Aach wieder zum Laufen zum bringen. Dazu haben die Genossenschaftsmitglieder 1702 Anteile in einer Gesamthöhe von 425 500 Euro gezeichnet. "Das ist eine Sensation. Damit haben wir wirklich nicht gerechnet." Begeistert zeigte sich Bürgermeister EDGAR LAMM zum Abschluss der Gründungsversammlung der Bürger-Energiegenossenschaft Uhldingen-Mühlhofen eG am 19.02.2013. Und auch BRUNO WERNER, Leiter des Bereichs Kommunale Dienstleistungs- und Netzkunden bei der EnBW, zeigte sich beeindruckt: "So ein Interesse hatten wir noch nie." Für die Einwohner der kleinen Gemeinde, den Bürgermeister und den EnBW-Mann sei mit der Gründung der Bürger-Energiegenossenschaft "ein Traum in Erfüllung" gegangen. Die Energiewende in Uhldingen-Mühlhofen sei Realität geworden, "neben Bürgerdächern mit Fotovoltaikanlagen nun die Wiederinbetriebnahme der Spek'schen Wasserkraftanlage - besser geht es nicht", wurde Bürgermeister LAMM im SÜDKURIER vom 21.02.2013 zitiert.

WERNER informierte die Versammlung über eine erwartete jährliche Stromproduktion des Wehrs von rund 420.000 Kilowattstunden. Hiermit könnten rechnerisch um die 120 Haushalte mit elektrischer Energie versorgt werden. Die Genossenschaft könne mit einer Einspeisevergütung von jährlich rund 57.000 Euro rechnen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die Anlage komplett erneuert beziehungsweise saniert werden. Vor allem die Wehranlage war bei einem Hochwasser im Jahr 2000 schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. WERNER schätzte die Kosten für die Sanierung auf netto 565.000 Euro. Für den Bau einer Fischaufstiegsanlage seien weitere 60.000 Euro erforderlich. Die Wiederinbetriebnahme des Wasserkraftwerkes solle noch im Jahr 2013 erfolgen. Die EnBW trete in Vorleistung und saniere die Anlage auf ihre Kosten, um diese dann mit Beginn der Stromerzeugung der Energiegenossenschaft zur Übertragung anzubieten. Die Mitglieder der Energiegenossenschaft könnten mit einer Rendite von 3,7 Prozent rechnen. (Mehr Infos zum Wasserkraft-Hype auf Seite 3.)


Wasserkraftlobbyisten total begeistert

Schon bei einem Vororttermin im April 2012 hatte sich eine euphorische Stimmung bei den Wasserkraftenthusiasten in der Bodenseegemeinde breit gemacht. Für die Reaktivierung der Anlage war auch der CDU-Landtagsabgeordnete und ehemalige baden-württembergische Umweltminister, ULRICH MÜLLER, eingetreten. MÜLLER, der dieser Tage wegen seiner Kungeleien mit STEFAN MAPPUS sowohl Vorsitz wie Mitgliedschaft im EnBW-Untersuchungsausschuss niederlegen musste, war bei dem Vororttermin im April 2012 für die Vereinbarkeit von Wasserkraftverstromung und Naturschutz eingetreten. Wenn dies gelinge, könne eine Vielzahl von stillgelegten Wasserkraftanlagen im Bodenseekreis wieder reaktiviert werden. Derzeit decken die dortigen Wasserkraftanlagen nur 0,1 Prozent des Stromverbrauches im Bodenseekreis. Auch ELMAR REITTER, Vorsitzender der baden-württembergischen Aktionsgemeinschaft Wasserkraft war bei dem Ortorttermin hellauf begeistert von der Pro-Wasserkraftstimmung in Uhldingen-Mühlhofen. Dass von der Veranstaltung Impulse ausgehen werden, davon war auch KARL-WILHELM RÖHM, Präsident der Aktionsgemeinschaft Wasserkraft Baden-Württemberg, überzeugt: "Sowas wie heute habe ich noch nicht erlebt." Bei einer weiteren Informationsveranstaltung zur Reaktivierung der Wasserkraftanlage war am 24. Jan. 2013 der Veranstaltungssaal der Gemeinde nach einem Bericht der SCHWÄBISCHEN ZEITUNG "aus allen Nähten geplatzt". Vor 180 Bürgern hatte Bürgermeister LAMM erklärt, dass die Wiederinbetriebnahme von Wehr und Wasserkraftanlage "einen Glücksfall in der Gemeinde" darstellen würde. Gemeinderat und Bürgermeister stünden geschlossen und einstimmig hinter diesem Projekt, mit dem die Energiewende in der Gemeinde vorbildlich umgesetzt würde. Die vorgesehene Stückelung der Genossenschaftsanteile zu 250 Euro ermögliche jedem Interessierten eine Beteiligung an diesem Bürgerprojekt.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1012
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2013