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POLITIK/423: Mehr Tempo beim Hochwasserschutz (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1087 vom 22. Juli 2016 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Mehr Tempo beim Hochwasserschutz


Wie die Extremhochwasser von 2002 und vom Mai/Juni 2013 sowie die Sturzfluten im Juni 2016 gezeigt haben, scheint der Klimawandel die Abfolge von Hochwasserkatastrophen zu beschleunigen. Demgegenüber kommen Genehmigung und Bau von Hochwasserrückhalte- und -schutzmaßnahmen oft nur sehr schleppend voran. Darum will die Bundesregierung jetzt aufs Tempo drücken. Die Genehmigungsverfahren für den Bau von Hochwasserschutzmaßnahmen sollen deutlich beschleunigt werden. Wie die Bundesregierung mehr Drive in die Genehmigungsverfahren bringen will, hat sie im Juni 2016 in einem Entwurf für ein "Gesetz zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes" beschrieben. Der Entwurf sieht u.a. vor, dass der Instanzenweg verkürzt wird: Wer gegen einen Planfeststellungsbeschluss für einen Hochwasserdeich oder ein Hochwasserrückhaltebecken klagen will, braucht sich erst gar nicht mehr an sein örtliches Verwaltungsgericht wenden. Erste Instanz sollen künftig die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe der Bundesländer sein (§ 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 10 (neu) VwGO). Anschließend können die KlägerInnen dann - wie bisher auch schon - vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig letztinstanzlich weiterprozessieren. Weitere ausgewählte Aspekte des Gesetzentwurfs werden in den folgenden Notizen vorgestellt.

Hochwasserrückhalt: Vorkaufsrecht für potenzielle Überflutungsareale

Mit einem neu eingefügten § 99a soll im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) den Bundesländern ein Vorkaufsrecht für Grundstücke eingeräumt werden, die für den Hochwasserrückhalt bzw. den Hochwasserschutz benötigt werden. Das Vorkaufsrecht soll auch von Stiftungen und anerkannten Naturschutzverbänden wahrgenommen werden. In § 71 a (WHG) soll zudem klar gestellt, dass auch Enteignungen möglich sein können, wenn jemand sein

Die Chronologie der Gesetzgebung zur Hochwasservorsorge

Mit dem Entwurf für ein "Hochwasserschutzgesetz II" vom Juni 2016 knüpft das Bundesumweltministerium an das im Jahr 2005 beschlossenen Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes vom 3. Mai 2005 (BGBl. I S. 1224, "Hochwasserschutzgesetz I") an. Damals waren lt. jetzigem Gesetzentwurf "erstmals weitgehende bundesrechtliche Vorgaben zur Vorbeugung gegen Hochwasserschäden verbindlich geregelt" worden. Allerdings hatte damals der destruktive Kurs der Bundesländer ein tatsächlich wirkungsvolles Hochwasservorsorgegesetz torpediert. Der Bund war damals deutlich fortschrittlicher als die zögerlichen Bundesländer aufgetreten. Bereits in der Debatte um das "Hochwasserschutzgesetz I" war von Umweltverbandsseite und aus Kreisen der Wissenschaft kritisiert worden, dass im Hochwasservorsorgegesetz der naturnahe Hochwasserrückhalt sträflich vernachlässigt worden war - siehe RUNDBR. 828/4, 766/1-2, 761/1, 732/1-2, 688/3, 686/2). Mit der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) im Jahr 2009 waren die EU-rechtlichen Vorgaben aus der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie in das WHG eingepflegt worden. Beim jetzt vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich wie im Jahr 2005 wiederum um Artikelgesetz, das nicht nur Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz (WHG), sondern auch in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und im Baugesetz vornimmt. Interessierte LeserInnen des RUNDBRIEFS können den Gesetzentwurf samt Begründung bei uns anfordern (nik[at]akwasser.de). Grundstück für den Hochwasserschutz nicht freiwillig verkaufen will.

Jetzt neu: "Überschwemmungsgefährdete Gebiete"

Neben den jetzt schon im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) festgelegten Überschwemmungsgebieten ist im Gesetzentwurf vorgesehen, in § 78 b als neue Kategorie "überschwemmungsgefährdete Gebiete" einzuführen. Dabei handelt es sich um Areale, die binnenseitig vom Deich liegen oder um Gebiete, die bei einem Extremhochwasser (größer als HQ100) geflutet werden könnten. Auch in diesen Arealen sollen künftig Restriktionen für bauliche Erweiterungen möglich sein. Dies soll insbesondere für ein hochwasserangebautes Bauen gelten. In der Begründung zu einem entsprechenden Aufbohren von § 78 b WHG heißt es u.a., dass "in Zeiten des forcierten Klimawandels, in denen auch großzügig bemessene Hochwasserschutzanlagen versagen können", die Durchsetzbarkeit von Anpassungsmaßnahmen "von gesteigerter Bedeutung" sei. Aus unserer Sicht ist zu kritisieren, dass sich die vorgesehenen Regulierungen nicht auch auf Industrie- und Infrastrukturanlagen erstrecken. Das ist deshalb verwunderlich, weil seit Jahren entsprechende Maßnahmenkataloge in der "Technischen Regel zu Vorkehrungen und Maßnahmen wegen der Gefahrenquellen Hochwasser und Niederschläge" der Kommission für Anlagensicherheit sowie der "Leitfaden für Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen bei Industrie- und Gewerbeunternehmen" des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (s. RUNDBR. 966/3-4) vorliegen.

Hochwasser schon in den Entstehungsgebieten minimieren

Nach dem Vorbild des Landeswassergesetzes in Sachsen soll jetzt auch im Wasserhaushaltsgesetz eine Kategorie der "Hochwasserentstehungsgebiete" in § 78d eingeführt werden. Damit soll in Regionen, die für die Ausbildung von Hochwasserabflüssen prädestiniert sind, die Wasserversickerungs- und Wasserrückhaltefähigkeit gestärkt werden. § 78 d WHG wird künftig die Möglichkeit schaffen, "die Eigentümer und Nutzungsberechtigten in den Hochwasserentstehungsgebieten zu bestimmten Maßnahmen zu verpflichten, das Wasserversickerungs- und Wasserrückhaltevermögen zu erhalten oder zu verbessern (z. B. Maßnahmen der Bodenentsiegelung und der Aufforstung)".

Hochwasserentstehungsgebiete können nur durch eine individuelle Rechtsverordnung (ähnlich wie beispielsweise Wasserschutzgebiete) ausgewiesen werden. Für hochwasserforcierende Vorhaben ist in Hochwasserentstehungsgebieten eine zusätzliche Vorkontrolle in Form einer Genehmigungspflicht vorgesehen.

Punkte sammeln: Einführung von Hochwasserökokonten

Im Rahmen von Hochwasserrückhaltemaßnahmen entstehen vielerorts ökologisch wertvolle Biotope. Diese konnte man sich nach § 16 (1) Bundesnaturschutzgesetz bisher aber nicht auf den Ökokonten gutschreiben lassen. Denn auf dem Ökokonto kann man nur Maßnahmen gutbuchen, die ohne öffentliche Förderung durchgeführt worden sind. Hochwasserrückhaltemaßnahmen werden aber in aller Regel vom jeweiligen Bundesland bezuschusst. Um das rechtliche Hemmnis beim Punktesammeln zu beseitigen, soll durch eine Änderung des § 16 BNatSchG "eine Erleichterung zur Schaffung von eigenen 'Hochwasserökokonten'" ermöglicht werden. Ein positiver Überschuss auf dem "Hochwasserökokonto" kann damit künftig für spätere Maßnahmen in Ansatz gebracht werden - beispielsweise wenn ein neuer Deich sensible Biotope beeinträchtigt. [Im nächsten RUNDBR. stellen wir im Hinblick auf das künftig mögliche "Hochwasserökokonto" unsere weiterreichenden Vorschläge vor.]

Keine neuen Heizöltanks in Überschwemmungsgebiete

Beim Vollzug des "Hochwasserschutzgesetzes I" von 2005 hat es sich gezeigt, dass sich bei dem damals eingeführten Verbot von Bebauungen in Überschwemmungsgebieten "Lücken" und "Unklarheiten" ergeben haben. Diese Defizite sollen mit dem jetzt vorliegenden Entwurf zum "Hochwasserschutzgesetz II" beseitigt werden - was aus Sicht der Umweltverbände zu begrüßen ist. Beispielsweise wird klargestellt, dass auch Nachverdichtungen in Überschwemmungsgebieten nur vorgenommen werden dürfen, wenn der Hochwasserabfluss nicht beschleunigt wird. Auf Zustimmung der Umweltverbände dürfte ebenfalls stoßen, dass in § 78c WHG ein Verbot von neuen Heizölverbraucheranlagen in Überschwemmungsgebieten aufgenommen werden soll. Dazu heißt es in der Begründung zum Entwurf des "Hochwasserschutzgesetzes II":
"Vergangene Hochwasserereignisse haben gezeigt, dass bis zu 70% der Sachschäden an Gebäuden durch ausgetretenes Heizöl verursacht wurden. Zielsetzung ist es, diese immensen Schäden zu verringern."
Bereits vorhandene Heizöltanks in Überschwemmungsgebieten müssen künftig hochwassersicher nachgerüstet werden.

Torpedos und Rammböcke

Bei den Wolkenbrüchen im Juni 2016 und den sich dadurch ergebenden Sturzfluten haben sich Baumstämme, Baumaterial und andere in Gewässernähe gelagerte Gegenstände als regelrechte Torpedos erwiesen. Das fortgeschwemmte Material hat wie Rammböcke Hauswände zum Einsturz gebracht (siehe auch Kasten). Der Gesetzentwurf ist zwar schon vor den Sturzfluten von Juni 2016 formuliert worden, nimmt aber aus diese Gefahren Bezug: Die Erfahrung aus zahlreichen Hochwasserlagen habe gezeigt, "dass bereits die kurzfristige Lagerung von bestimmten Gegenständen an ungünstigen Stellen im Überschwemmungsgebiet zu erheblichen Gefahren und Schäden führen kann". Deshalb soll jetzt in § 78 a auch die nur kurzfristige Lagerung von Materialien in Gewässernähe verboten werden. Dazu können die Kommunen entsprechende Allgemeinverfügungen erlassen - anstatt entsprechende Verbote im Einzelfall kompliziert durch Rechtsverordnungen durchzusetzen.

Keine Bachschauen: Vollzugsdefizit hemmt Hochwasservorsorge

Die (illegale) Lagerung von Holzbeugen und anderem Material entlang von Bächen und Flüssen lässt sich am besten durch regelmäßige Bachbegehungen feststellen. "Bachschauen" im Fünfjahresturnus sind in zahlreichen Landeswassergesetzen vorgeschrieben - finden aber tatsächlich nicht statt. Nachdem man in fast allen Bundesländern die - ehemals personell gut ausgestatten - Wasserwirtschaftsämter abgeschafft hat, sind jetzt die Landratsämter für die Bachbegehungen zuständig. Die Landratsämter haben für die Inspektion der Bäche und der Gewässerrandstreifen keine Personalreserven. Wir gehen deshalb davon aus, dass das Verbot der Ablagerung von Materialien in Bachnähe auch per Allgemeinverfügung faktisch nicht durchgesetzt wird. Anzumerken wäre noch, dass die unterschiedlich formulierten Gewässerrandstreifenregelungen in den Landeswassergesetzen teilweise schon jetzt die Ablagerung von Holzbeugen usw. im Bereich des Gewässerrandstreifens untersagen. Vielfach wird dies bei den Anliegern als behördliche Schikane empfunden - bis dann die fortgeschwemmten Holzscheite die Einläufe von verdohlten Bächen verstopfen und ganze Ortschaften überflutet werden.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1087
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2016

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