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RECHT/057: Lässt das Wasserhaushaltsgesetz die kleinen Bäche über den Jordan gehen? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1079 vom 15. Dez. 2015, 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Lässt das WHG die kleinen Bäche über den Jordan gehen?


Könnte es sein, dass das im Jahr 2009 novellierte Wasserhaushaltsgesetz (WHG) - aus der Sicht der Ökologen - einen "Geburtsfehler" im Hinblick auf den Schutz der kleineren Bäche enthält? Könnte es sein, dass das WHG in der Sichtweise einiger juristisch versierte Wasserkraftbetreiber eine Lücke enthält, die man prima ausnutzen kann, um die Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) auszuhebeln? Immer mehr spricht sich nämlich in der Szene der Wasserkraftbetreiber herum, dass die Bäche vom Anwendungsbereich der EG-Wasserrahmenrichtlinie de facto ausgenommen sind (siehe Kasten). Die Exegese des WHG durch Wasserkraft affine Juristen macht zunehmende Schwierigkeiten, wenn es gilt, an den gefällereichen Bächen im Bergland Anforderungen an die ökologische Ertüchtigung von Kleinwasserkraftanlagen durchzusetzen. Entsprechende Anordnungen seitens der Behörden zur Durchsetzung des »guten ökologischen Zustandes« können sich nämlich nicht auf einen Bewirtschaftungsplan - und damit auch nicht auf ein Maßnahmenprogramm - abstützen. Dies betrifft insbesondere die WHG-Paragrafen 33 zur "Mindestwasserführung" und 34 zur "Durchgängigkeit oberirdische Gewässer". Nach § 34 dürfen Stauanlagen nur zugelassen werden, wenn "durch geeignete Einrichtungen und Betriebsweisen die Durchgängigkeit des Gewässers erhalten oder wiederhergestellt wird" - allerdings nur in so weit, wie "dies erforderlich ist, um die Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 zu erreichen". Die §§ 27 bis 31 dienen im WHG der Umsetzung der WRRL. Auf diese "WRRL-Umsetzungsparagrafen" wird auch in Abs. 2 Bezug genommen:

"(2) Entsprechen vorhandene Stauanlagen nicht den Anforderungen nach Absatz 1, so hat die zuständige Behörde die Anordnungen zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit zu treffen, die erforderlich sind, um die Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 zu erreichen."


Die Rechtslage: Fallen Bäche aus den WRRL-Anforderungen tatsächlich heraus?

Nach § 2 (1), Zi. 1 werden als "Anwendungsbereich" des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) u.a. die "oberirdische(n) Gewässer" angegeben. Nach Abs. 2 können die Bundesländer nur "kleine Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung, insbesondere Straßenseitengräben als Bestandteil von Straßen, Be- und Entwässerungsgräben (...) von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausnehmen". Somit unterliegen im ersten Ansatz auch Bäche den Bewirtschaftungszielen für oberirdische Gewässer. Nach § 27 (1), Zi. 2, sind Oberflächengewässer "so zu bewirtschaften, dass (...) ein guter ökologischer (...) Zustand erhalten oder erreicht" wird. Jetzt kommt aber eine wichtige Einschränkung: Die Anforderung »guter ökologischer Zustand« wird über die Bewirtschaftungspläne entsprechend der Vorgaben der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) operationalisiert. Hierzu heißt es beispielsweise in den Entwürfen für die Bewirtschaftungspläne für die baden-württembergischen Bearbeitungsgebiete:
"Die Bearbeitungsgebiete in Baden-Württemberg sind in 30 Teilbearbeitungsgebiete (TBG) unterteilt. Diese umfassen insgesamt 164 Flusswasserkörper, die als kleinste zu bewirtschaftende Einheiten abgegrenzt sind. Innerhalb dieser Flusswasserkörper werden alle Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet von mehr als 10 km² betrachtet und bilden das Teilnetz WRRL."
Die Bäche mit einem Einzugsgebiet von kleiner als 10 Quadratkilometer fallen damit in der Regel aus der Bewirtschaftung nach den Anforderungen aus der WRRL heraus. Für Bäche, die nicht im "Teilnetz WRRL" liegen, gibt es keine Bewirtschaftungspläne und demzufolge auch keine Maßnahmenprogramme.

Da es aber für die Bäche außerhalb des WRRL-Fließgewässernetzes keine Bewirtschaftungspläne - und damit auch keine definierten Bewirtschaftungsziele zur Durchgängigmachung gibt - läuft man rechtlich gegen eine Wand. Die Durchsetzung der Durchgängigmachung lässt sich juristisch gegenüber Kleinwasserkraftbetreibern zumindest mit den Anforderungen aus den WRRL-Umsetzungsparagrafen im WHG nur schwerlich begründen, meinen zumindest die Rechtsanwälte, die den Wasserkraftbetreibern assistieren.


Mindestwasserführung im Abwägungsprozess

Etwas besser sieht es mit dem § 33 aus, der die Anforderungen an die Mindestwasserführung regelt. Nach § 33 ist die Entnahme von Wasser aus Gewässern (beispielsweise zum Betrieb eines Ausleitungskraftwerkes) "nur zulässig", wenn im Bach eine so große Abflussmenge verbleibt, damit "den Zielen des § 6 Absatz 1 und der §§ 27 bis 31" entsprochen werden kann. Im Hinblick auf die Gewährleistung einer ökologisch notwendigen Mindestwasserführung gelten also nicht nur die Bewirtschaftungsziele nach der WRRL, sondern auch der "WHG-Abwägungsparagraf" 6: Nach Abs. 1, Zi. 3 sind Gewässer so zu bewirtschaften, dass zum einen das "Wohl der Allgemeinheit" gewährleistet werden kann und zum anderen "im Einklang" mit dem Wohl der Allgemeinheit auch dem "Interesse Einzelner" entsprochen werden kann. Die in § 6 (1) erwähnten "Öko-Kriterien" gelten somit auch außerhalb des WRRL-Fließgewässernetzes, wenn es gilt, in einer Abwägung zwischen dem Interesse eines Kleinwasserkraftbetreibers und dem Wohl der Allgemeinheit - zu dem auch der aquatische Naturschutz zählt - eine adäquate Mindestwasserführung auszuhandeln. Allerdings tun sich die - personell eh ausgehungerten - Behörden sehr schwer damit, außerhalb des WRRL-Fließgewässernetzes die Anforderungen an eine adäquate Mindestwasserführung durchzusetzen - zumal dies selbst im WRRL-Fließgewässernetz gegenüber den "robust" auftretenden Wasserkraftbetreibern ein harter Job ist.


Bekommen die Kleinstwasserkraftbetreiber Oberwasser?

Inzwischen haben auch die Verbände der Kleinwasserbetreiber Wind davon bekommen, dass die Anordnungen der Behörden zur Durchgängigmachung und Mindestwasserführung außerhalb des WRRL-Fließgewässernetzes auf rechtlich wackeligen Füßen stehen könnten. Dem Vernehmen nach wird sowohl bei den Behörden als auch bei den Kleinstwasserbetreibern spekuliert, ob - je nach Standpunkt - Schadenersatzklagen drohen oder mit Aussicht auf Erfolg gestellt werden können. Die Kleinstwasserkraftanlagen an den Bächen im Bergland haben in der Regel nur eine Leistung im niedrigen zweistelligen Kilowattbereich. Die Anlagen sind zwar von Bedeutung für die Technikbegeisterung der Betreiber und oft auch für die Identität der Familien, in denen die Anlagen teilweise schon seit dem vorletzten Jahrhundert betrieben werden. Für die Strombereitstellung sind die Anlagen aber praktisch bedeutungslos: Gemessen an der Nettostromerzeugung in Deutschland liegt der Beitrag der Kleinstwasserkraftanlagen nicht einmal im Promillebereich. Wegen der hohen Fluktuation des Abflusses in den Bergbächen liegen die Anlagen auf Grund von Hochwasser und Niedrigwasser sowie wegen der Vereisung zudem oft für Monate still. Die ökologischen Schäden durch den Kraftwerksbetrieb in den Bergbächen sind demgegenüber gravierend. Da für Abhilfe zu sorgen, könnte umso schwieriger werden, je mehr sich in der Szene der Kleinstwasserkraftbetreiber die vermeintliche Gewissheit herumspricht, dass die Anforderungen der WRRL außerhalb des WRRL-Fließgewässernetzes rechtlich gar keinen Bestand haben. Erste Dienstleister im Genehmigungsmanagement nutzen bereits die Nische - und bieten den Wasserkraftbetreibern juristische Hilfe bei der Aushebelung der WRRL-Anforderungen an.


Kein Maßnahmenplan? Auch auf die Bewirtschaftungsziele kommt es an!

Wir haben mit erfahrenen Wasserrechtlern in und außerhalb des Bundesumweltministeriums (BMU) diskutiert, was von der krassen WHG-Auslegung durch die Wasserkraftbetreiber zu halten ist. Erörtert wurde die Frage, ob Behörden auch ohne Festlegungen im Maßnahmenprogramm Anordnungen treffen können. Zu dieser Frage hatte sich bereits der Ausschuss Wasserrecht der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) hinsichtlich von § 34 WHG geäußert (siehe Kasten). Hintergrund der Positionierung des LAWA-Rechtsausschusses war insbesondere die Entstehungsgeschichte des § 34 WHG.

In der Debatte um die Novelle des WHG im Jahr 2009 hatte der Bundesrat gefordert, in § 34 Abs. 1 und 2 zur Schaffung der Durchgängigkeit ausdrücklich die Maßgeblichkeit der Maßnahmenprogramme vorzugeben ("...Bewirtschaftungsziele der §§ 27 bis 31 nach Maßgabe der Maßnahmenprogramme nach § 82"). RALF WESSELS, Mitarbeiter im Referat WR I2 (Recht der Wasserwirtschaft) führte hierzu uns gegenüber u.a. aus, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung das damalige Ansinnen des Bundesrates abgelehnt habe; auch der Bundestag sei Vorschlag der Länderkammer nicht gefolgt.

"Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis auf die Bewirtschaftungsziele in § 34 WHG so zu verstehen, dass immer dann, wenn zu einer bestimmten Stauanlage im Maßnahmenprogramm Festsetzungen erfolgt sind, diese auch im Rahmen von § 34 WHG maßgeblich sind (s. Gesetzesbegründung). Enthält das Maßnahmenprogramm jedoch zu einer Stauanlage keine Festsetzungen, hat die Wasserbehörde unabhängig hiervon eigenständig zu prüfen, ob zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele Maßnahmen nach § 34 erforderlich sind. Dieses Verständnis lag auch dem seinerzeitigen Regierungsentwurf zugrunde. (...). Der Gesetzgeber ist also davon ausgegangen, dass (sofern das Maßnahmenprogramm keine Festsetzungen enthält) die Wasserbehörde im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 eigenständig zu prüfen hat. Dies ist auch sachgerecht, da das Maßnahmenprogramm oftmals nur eine grobmaschige Priorisierung der zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele erforderlichen Maßnahmen enthält, insoweit aber keinen abschließenden Charakter hat."


Anordnungen sind auch ohne Maßnahmenprogramm zulässig!

Auf seiner Sitzung am 27. und 28. Juni 2013 in Dresden hat der LAWA-Rechtsauschuss - basierend auf einer Berichterstattung durch das Land Baden-Württemberg - unter dem Tagesordnungspunkt 5.1 "Wasserkraft - Herstellung der Durchgängigkeit nach § 34 WHG und Bewirtschaftungsziele" einstimmig die Auffassung vertreten,
"dass keine Sperrwirkung in Bezug auf die Forderung nach Herstellung der Durchgängigkeit aus Lücken oder fehlenden Aussagen in den Maßnahmenprogrammen abzuleiten ist."
Ferner heißt es in dem LAWA-Beschluss: "Auch ohne ausdrückliche Festlegung im Maßnahmenprogramm ist es zulässig, dass die zuständige Wasserbehörde die erforderlichen Anordnungen im Sinne von § 34, Abs. 2 WHG trifft."


Anordnungen im »Nicht-WRRL-Fließgewässernetz« bleiben möglich!

Für die Interpretation des LAWA-Rechtsausschusses spricht auch Folgendes: Schon vor der Implementierung der Anforderungen der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in das Wasserhaushaltsgesetz im Rahmen der 7ten WHG-Novelle konnten die Behörden im Rahmen ihres Bewirtschaftungsermessens Anordnungen gegenüber Gewässerbenutzern treffen. Die Anforderungen nach der WRRL haben dieses Bewirtschaftungsermessen nicht ersatzlos ersetzt. Die Anforderungen der WRRL sind additiv hinzugekommen. Insofern gilt auch unter diesem Aspekt, dass die Behörden - wie auch schon "im Vor-WRRL-Zeitalter" - berechtigt sind, Anordnungen an Gewässern zu treffen, die nicht zum WRRL-Netz gehören - wobei die Anordnungen gegenüber Wasserkraftbetreibern selbstverständlich inhaltlich und sachlich wohl begründet sein müssen.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1079
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2016

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