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SCHADSTOFFE/137: Antwort auf Kleine Anfrage zu Nitrat-, Chlorid- und Pestizidkonzentrationen (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1069, vom 16. Sept. 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Alles halb so schlimm mit dem Sulfat im Trinkwasser?


Zwischen Berlin und Brandenburg herrscht im Hinblick auf die Wahrung der Trinkwassergüte zunehmend dicke Luft. Der Aufregungspegel steigt, weil die zunehmenden Sulfat-Konzentrationen in der Spree mehr und mehr auf die Güte des Berliner Trinkwassers durchschlagen. Berlins größtes Wasserwerk in Friedrichshagen hat zunehmend Probleme mit der Sulfatbelastung aus dem Lausitzer Braunkohlebergbau in Brandenburg.

In einer aktuellen Antwort vom 26.08.15 auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN zu Nitrat-, Chlorid- und Pestizidkonzentrationen in Oberflächen-, Grund- und Trinkwässern nimmt die Bundesregierung auch Stellung zur gesundheitlichen Relevanz von Sulfat im Trinkwasser. In der BT-Drs. 1805856 heißt es im Hinblick auf die Häufigkeit der Überschreitung des Sulfat-Grenzwertes von 250 mg/l in der Trinkwasserverordnung u.a., dass in deutschen Trinkwasserversorgungen "nur in Ausnahmefällen und über kurze Zeit (...) Konzentrationen von mehr als 500 mg/l Sulfat erreicht" worden seien. Bei der Mehrzahl der Grenzwertüberschreitungen hätten die Höchstkonzentrationen zwischen 250 und 500 mg/l Sulfat gelegen. "Im Wesentlichen" könne man die erhöhten Sulfatkonzentrationen im Roh- und Trinkwasser auf "eine geogene Ursache" zurückführen. Gemäß den "Leitlinien zum Vollzug der §§ 9 und 10 der Trinkwasserverordnung (TrinkwV 2001)" seien "Überschreitungen des Grenzwertes bis zu einer Höhe von 500 mg/l Sulfat für einen Zeitraum von maximal 10 Jahren zulässig und gesundheitlich akzeptabel". Auch international würden Sulfatgehalte "erst oberhalb von 500 mg/l als gesundheitlich bedenklich angesehen". Und weiter heißt es:

"Die WHO verzichtet sogar auf die Festsetzung eines Leitwertes für Sulfat im Trinkwasser. Nationale Gesundheitsbehörden wie Health Canada oder das australische National Health and Research Council geben ähnliche Empfehlungen. Aus geschmacklichen Gründen empfehlen beide Behörden Werte von 500 mg/l (Kanada) bzw. 250 mg/l (Australien)."

Allerdings würden auch in diesen Staaten Konzentrationen von mehr als 500 mg/l "als möglicherweise laxierend [abführend] angesehen". Zu hohe Sulfatgehalte des Trinkwassers würden osmotische Durchfälle auslösen. Die Bundesregierung setzt jedoch beschwichtigend hinzu, dass diese Durchfälle bei Erwachsenen erst bei Trinkwasserkonzentration von "weit über 1200 mg/l Sulfat" auftreten würden. Bei Säuglingen kämen sie bereits oberhalb einer Konzentration von 500 mg/l bzw. bei einer Zufuhr von 66 mg/kg/Tag vor.


Wann geht es einem Grundwasserkörper chemisch ganz schlecht?

In der zuvor erwähnten BT-Drs. legt die Bundesregierung zudem umfangreiches statistisches Material der Bundesländer zu den Nitratkonzentrationen in den Grundwasserkörpern vor. Dabei erläutert die Regierung auch, wann ein Grundwasserkörper in einen chemisch schlechten Zustand eingestuft wird: Dies ist erst dann der Fall,

"wenn eine signifikante Fläche - in der Regel mehr als 20 Prozent der Fläche des Grundwasserkörpers - einen Nitratwert von 50 mg/l oder mehr aufweist. Wird der Schwellenwert von 50 mg/l Nitrat an lediglich einer Messstelle überschritten, reicht dies in der Regel nicht aus, um den Grundwasserkörper in einen schlechten chemischen Zustand einzustufen."


Korreliert die Viehbestandsdichte mit dem Nitrat im Grundwasser?

In ihrer zuvor erwähnten Antwort auf die Anfrage der Grünen gibt die Bundesregierung auch eine Hitliste der viehreichsten Landkreise an. Bundesweit liege bei nutztierhaltenden Betrieben die mittlere Viehbestandsdichte bei 1,05 Großvieheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (GV/ha NF). In 31 Landkreisen sei ein Wert von 1,5 GV/ha NF überschritten worden. Die höchsten Werte hätten die Kreise Vechta (2,96), Cloppenburg (2,64), Borken (2,52), Grafschaft Bentheim (2,18) und Coesfeld (1,97) aufgewiesen. Ob die hohen Viehbestandsdichten mit hohen Stickstoffkonzentrationen in Grund- und Oberflächengewässern einhergehen, könne man nicht unbedingt behaupten - denn: "Ergebnisse entsprechender systematischer Untersuchungen liegen der Bundesregierung nicht vor." Allerdings könne man im Allgemeinen davon ausgehen, dass als Nitratschwerpunktregionen "Gebiete mit hoher Viehbesatzdichte und Gebiete mit Sonderkulturen ausgemacht werden" könnten.


Rasterfahndung nach Güllesündern (theoretisch) jetzt schon möglich

Zur Forderung, den schwarzen Schafen unter den Güllebauern künftig mit einer Rasterfahndung auf die Schliche zu kommen, entgegnet die Bundesregierung in der BT-Drs., dass auf der Basis der "Verordnung über das Inverkehrbringen und Befördern von Wirtschaftsdüngern" (WDüngV) vom 21. Juli 2010 die Zusammenführung der erforderlichen Daten bereits derzeit möglich wäre:

"Die Verordnung ermöglicht den zuständigen Landesbehörden schon jetzt die vollständige Erfassung der Abgabe von Wirtschaftsdünger, wie etwa Gülle, auch durch flächenlose Betriebe, um deren sachgerechte Verwertung im aufnehmenden Betrieb überwachen zu können. Zudem wird ermöglicht, den Verbleib der hier in Rede stehenden Düngemittel zu kontrollieren. Hierzu sind Regelungen zu Aufzeichnungs-, Melde- und Mitteilungspflichten in der WDüngV enthalten, die durch Landesrecht ergänzt werden können."

Die Bundesregierung räumt allerdings ein, dass die Verordnung auf Grund der Länderzuständigkeiten keine Vorschriften enthalten würde, "wie diese Daten seitens der Bundesländer zu erfassen oder zwischen diesen ggf. abzugleichen sind (Lieferscheine, elektronische Verfahren, etc.)". Im Rahmen der Novelle der Düngeverordnung sei jedoch vorgesehen, die Vorschriften zu präzisieren und zu erweitern: "So soll den Ländern die Befugnis übertragen werden, durch Rechtsverordnung Regelungen über Vorlage-, Melde- oder Mitteilungspflichten im Zusammenhang mit den Aufzeichnungen der Nährstoffvergleiche und der Düngebedarfsermittlung zu erlassen (...)."


Vom Verschwinden des Nitrats aus der Oberflächengewässerverordnung

Gewässerschützern, die sich der Mühsal unterwerfen, Gesetzes- und Verordnungsnovellen zu lesen, war es im Mai 2015 merkwürdig vorgekommen, dass im Novellenentwurf der Oberflächengewässerverordnung (siehe Kasten) die Umweltqualitätsnorm für Nitrat verschwunden war. Auf Nachfrage der Grünen nimmt die Bundesregierung in der oben genannten BR-Drs. auch hierzu Stellung - und schreibt, dass die Regelung für Nitrat aus der Oberflächengewässerverordnung 2011 deshalb nicht übernommen wurde,

"weil der Aktionswert der EG-Nitratrichtlinie in Höhe von 50 mg/L bei Überschreitung Maßnahmen erfordert, aber nicht zwingend die Einhaltung dieses Wertes. [!] Der Aktionswert ist somit keine Umweltqualitätsnorm des chemischen Zustands nach WRRL. Die WRRL sieht keine Übernahme von Werten aus anderen EU-Richtlinien als Umweltqualitätsnorm vor."

Weil in der Verbändeanhörung zur Novelle der Oberflächengewässerverordnung das Verschwinden der Umweltqualitätsnorm für Nitrat - und die äußerst formalistische Begründung - auf breites Unverständnis gestoßen ist, gesteht die Regierung in der BT-Drs. jetzt zu, dass derzeit "auf Grundlage der Anhörung der beteiligten Kreise geprüft" würde, "ob der Nitratwert wieder in den Novellierungsentwurf aufgenommen wird".


Oberflächengewässerverordnung heizt den Kaltwasserfischen ein

Die zuvor genannte Oberflächengewässerverordnung (OGewV) dient der deutschlandweiten Operationalisierung der Umsetzung der Anforderungen aus der EG-Wasserrahmenrichtlinie. So enthält die derzeit noch gültige Oberflächengewässerverordnung u.a. 162 Umweltqualitätsnormen - also Grenzwerte für diverse Schadstoffe, die im Gewässer nicht überschritten werden sollten (Immissionswerte). U.a. finden sich in der Oberflächengewässerverordnung auch Temperaturlimits für unsere Fließgewässer. Diese Temperaturbegrenzungen müssen zu Grunde gelegt werden, wenn große Industrieunternehmen oder Kraftwerksbetreiber um eine wasserrechtliche Erlaubnis für die Einleitung von Abwärme in ein Gewässer nachsuchen. In einer Stellungnahme vom 16.06.15 zum Novellenentwurf haben wir kritisiert, dass in der OGewV teilweise zu hohe Temperaturlimits enthalten sind. Der Verordnungsentwurf differenziert in Anlehnnung an die inzwischen außer Kraft gesetzte Uralt-Fischgewässerverordnung der EG aus dem Jahr 1978 zwischen wärmeren Cyprinidengewässern und kühleren Salmonidengewässern. Für die Cyprinidengewässer - dazu zählen die Unter- und Mittelläufe unserer großen Flüsse - werden besonders hohe Temperaturlimits zugelassen. Das ist misslich für die kaltwassergeprägten Lachse, die auf dem Weg vom Meer zu ihren Laichrefugien in den kühlen Mittelgebirgsregionen zunächst einmal die aufgewärmten Cyprinidengewässer durchwandern müssen. In unserer Stellungnahme heißt es deshalb u.a.:
"Insbesondere sollte die obsolet gewordene Unterscheidung zwischen Cypriniden- und Salmonidengewässern in den Fällen gelockert werden, in denen die Durchwanderung von Cyprinidengewässern durch Wandersalomoniden zwingend erforderlich ist, damit die Salmoniden ihre Laichrefugien in den Flussoberläufen erreichen können. Die auf dieser Unterscheidung beruhenden wasserrechtlichen Erlaubnisse sind entsprechend anzupassen."
Wer an unserer Stellungnahme interessiert ist, kann diese kostenfrei via nik@akwasser.de anfordern.


Die Stickstoffeinträge in Nord- und Ostsee sind immer noch zu hoch

Die Grünen wollten u.a. auch wissen, welche Kenntnisse die Bundesregierung hinsichtlich der Belastungssituation von Oberflächengewässern durch Nitrat habe? Dazu führte die Regierung aus, dass "mit rund 50 Prozent des Gesamteintrags" das Grundwasser der bedeutendste Eintragspfad für Nitrat in die Oberflächengewässer sei. Die Gesamt-Stickstoff-Emissionen hätten "gegenüber Mitte der 80er Jahre um knapp die Hälfte, gegenüber Mitte der 90er Jahre um etwa 20 Prozent abgenommen". Aus den Entwürfen für der Bewirtschaftungspläne für die Periode 2016 bis 2021 könne man nicht entnehmen, welche Gewässer nur aufgrund der Nitratbelastung nicht in einem guten chemischen Zustand sind. Von den Bundesländern seien auch nicht alle Wasserkörper hinsichtlich ihrer Nitratbelastung bewertet worden. 190 Fließgewässerkörper seien allerdings mit einem Nitratgehalt von über 50 mg/l erfasst worden. Dem würden 6.100 Wasserkörper gegenüberstehen, in den die Nitratkonzentrationen unterhalb von 50 mg/l liegen. Im Allgemeinen würden in unbelasteten Fließgewässern Nitrat-Stickstoffkonzentrationen in der Größenordnung von 1 mg/l vorliegen. An Nord-und Ostsee würden die Gesamtstickstoff-Orientierungswerte der vorgesehenen Novelle der Oberflächengewässerverordnung von 0,2 - 0,53 mg/l (Ostsee) bzw. 0,32 - 1,00 mg/l (Nordsee, jeweils Wintermittel) "meistens deutlich überschritten". Damit würden von den 71 deutschen Übergangs- und Küstengewässerkörpern alle aufgrund von Eutrophierungseffekten den guten ökologischen Zustand entsprechend der EG-Wasserrahmenrichtlinie verfehlen. Nach einem Rückgang der Nitratkonzentrationen in den 90er Jahren sei im Vergleich der Zeiträume 2003 bis 2006 und 2007 bis 2010 "insbesondere an vielen küstennahen Stationen der Nordsee wieder eine Zunahme zu verzeichnen".


Ist der Rhein stickstoffmäßig über dem Berg?

Deutlich positiver als in der zuvor genannten Antwort der Bundesregierung klingt es im Entwurf zum Bewirtschaftungsplan 2016-2021 für das internationale Rheineinzugsgebiet. In dem Planentwurf der Internationalen Rheinschutz-Kommission (IKSR) wird nämlich postuliert, dass man beim Stickstoff den Zielwert von 2,8 mg/l am Übergabepunkt (also an der dt./niederländischen Grenze) "fast erreicht" habe. Anschließend wird ausgeführt:

"Der Befund korreliert damit, dass das Phytoplankton in den Küstengewässern und im Wattenmeer einen guten Zustand erreicht hat. Für die Wattenmeerküste und das Wattenmeer ist dieser Zustand jedoch noch nicht so stabil wie an der holländischen Küste. Der Zustand im östlichen Bereich des Wattenmeers ist schlechter als im westlichen Bereich."

Der Befund erscheint uns zu optimistisch. Deshalb haben wir uns mit Schreiben vom 16.09.15 an die IKSR gewandt und darauf hingewiesen, dass lt. der zuvor genannten BT-Drs. "von den 71 deutschen Übergangs- und Küstengewässerkörpern alle [!] aufgrund von Eutrophierungseffekten den guten ökologischen Zustand nach WRRL" verfehlen würden. Zudem haben wir darauf hingewiesen, dass die Drehrichtung der Meeresströmungen in der Nordsee generell entgegen des Uhrzeigersinns gerichtet ist. Die über den Rhein eingetragenen Nährstofffrachten führen deshalb in Richtung Osten entlang der niederländischen und deutschen Küste. Man kann somit annehmen, dass der schlechte Zustand der deutschen Küstengewässerkörper nicht alleine durch die Nährstofffrachten aus Ems, Weser und Elbe bedingt ist. Wir vermuten, dass die Stickstoffeinträge aus dem Rhein in die Nordsee am schlechten Zustand der küstennahen Wasserkörper in der deutschen Nordsee beteiligt sind. Auf diese Annahme deutet auch hin, dass lt. dem Entwurf zum Bewirtschaftungsplan der Zustand der Wasserkörper im östlichen Teil des niederländischen Wattenmeers schlechter sein soll als im westlichen Teil. In dem Schreiben an die IKSR plädieren wir deshalb dafür, dass die oben zitierten optimistischen Ausführungen im Bewirtschaftungsplan-Entwurf stärker relativiert werden sollten, als dies auf S. 47 im Planentwurf vorgenommen wurde. In dem Brief an die IKSR gaben wir unserer Befürchtung Ausdruck, dass die allzu optimistischen Aussagen im Plan-Entwurf über die "Fast-Ziel-Erreichung" bei der Minimierung des Stickstoff-Eintrags über den Rhein von interessierten Kreisen dazu missbraucht werden könnten, weitere Anstrengungen zur Stickstoffminderung im Rheineinzugsgebiet auf die lange Bank zu schieben oder ganz entfallen zu lassen.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1069
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2015

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