Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → FREIDENKER

BERICHT/066: Zur Strategie der Einkreisung Rußlands (Freidenker)


Freidenker Nr. 2-07 Juli 2007
Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.

Zur Strategie der Einkreisung Russlands

Von Klaus Eichner


I. Geostrategische Grundgedanken

In seinem Werk von 1997 "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft" beschwört Zbiginiev Brzezinski, einer der intelligentesten strategischen Vordenker des USA-Imperialismus, die Notwendigkeit einer speziellen Beachtung der Rolle Russlands:

"Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird - und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann." (S. 15) "... das Gebot [lautet], keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte." (S. 16) "Zunächst besteht die Aufgabe darin sicherzustellen, dass kein Staat oder keine Gruppe von Staaten die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen." (S. 283)

In Fortsetzung dieser Orientierungen aus dem Jahre 1997 ist einer der strategischen Kerngedanken der aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik eine Korrektur der Politik gegenüber Russland. Die Senatoren John Edwards (Democrats) und Jack Kemp (Republicans) legten dem einflussreichen "Council on Foreign Relations" einen Bericht unter dem Titel: "Russlands falsche Richtung: Was die Vereinigten Staaten tun können und sollten" vor. Darin wird die bisherige Russland-Politik einer strategischen Partnerschaft abgelehnt und eine Politik der "selektiven Partnerschaft" und "selektiven Opposition" gefordert. Dieser strategische Wandel vollziehe sich vor dem Hintergrund zunehmender Konflikte zwischen westlich orientierten und pro-russischen Kräften und Staaten im postsowjetischen Raum. Die Autoren warnen insbesondere vor dem "Energieimperium" Russland und befürchten, dass Russland mit seinen Energieressourcen ein großes Erpressungspotential gegenüber dem Westen aufbauen könnte. Diesen Gedanken greift der Hauptsponsor der "friedlichen Revolutionen", der Milliardär George Soros, in der Financial Times auf, indem er den russischen Energiekonzern Gasprom als ein "machtvolles Instrument großmachtorientierter russischer Außenpolitik" charakterisiert.(1)

Auf der Prager Konferenz "Initiativen gegen Militarisierung" am 5. Mai 2007 charakterisierte der Direktor des Moskauer Instituts für USA und Kanada, Sergej Rogow, die aktuellen Auseinandersetzungen als einen neuen Kalten Krieg mit Russland, bei dem es aber nicht mehr um den Kampf verschiedener Gesellschaftssysteme gehe, sondern um "Einflusssphären im postsowjetischen Raum" (junge Welt vom 7.5.07). (Es gibt übrigens eine "Prager Deklaration" dieser Konferenz; sie ist im Internet nachzulesen: http://www.prague-declaration.org/index_de.php)


II. Strategische Leitlinien

Die Strategie zur Einkreisung Russlands bewegt sich auf verschiedenen Ebenen:

1. Über die Strategie der "bunten Revolutionen", mit der westlich orientierte und vom Westen abhängige Oligarchen an die Macht geputscht werden: Das begann in Jugoslawien und setzte sich fort über die Ukraine. Georgien, Kirgisien und andere postsowjetische Republiken. Die Bush-Administration hat in ihrer zweiten Amtszeit die Einsetzung "demokratischer Regierungen" in der ganzen Welt zum zentralen Thema ihrer Außenpolitik gemacht.

Für dieses Ziel haben die USA seit 2001 mehr als 4,6 Milliarden Dollar ausgegeben, für 2006 waren weitere 1,3 Milliarden US-Dollar vorgesehen.(2) Das zentrale Ziel ist die endgültige Abwicklung des sozialistischen Gesellschaftssystems in Europa, die Vernichtung eines jeden Gedankens an eine sozialistische Zukunft der Menschen. Für dieses Ziel müssen selbst Rudimente der früheren Machtstrukturen und der sozialen Beziehungen der gnadenlosen Logik des Neoliberalismus untergeordnet, besser beseitigt werden.

Damit einher geht die Absicherung der unipolaren Herrschaftsposition der Vereinigten Staaten.

2. Über Militärstützpunkte und militärische Bündnispartner (NATO-Beitritte), aktuell die Auseinandersetzungen zum Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien: Russland hegt berechtigtes Misstrauen an den Begründungen für das System; die Radaranlagen in Tschechien können mit hoher Präzision große Teile Russlands überwachen. Nun hat sich auch noch Georgien als Stationierungsort für das Raketensystem angeboten. Das heißt: Rings um Russland werden zunehmend Kurz- und Mittelstreckenraketen in Stellung gebracht. Damit minimieren sich für Russland die Vorwarnzeiten auf ein Maß, das militärisch nicht mehr vertretbar ist. Das ist schon eine ernsthafte Entwicklung, bei der die russischen Befürchtungen nicht als "einfach lächerlich" (US-Außenministerin Condoleezza Rice) abgetan werden können.

3. Über die Auseinandersetzungen zur Energiepolitik, zum Zugang zu Energieressourcen und Kontrolle der Versorgungslinien: Im Januar 2007 legte der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses eine interne Studie zur russischen Energiepolitik vor und warnte vor der politischen und wirtschaftlichen Erpressbarkeit der von russischen Energielieferungen abhängigen Länder. Kanzlerin Angela Merkel nutzt die EU-Ratspräsidentschaft der BRD, um von Russland bessere Konditionen für eine engere "Energiezusammenarbeit" - das heißt für den Zugriff westlicher Konzerne auf die russischen Ressourcen - zu fordern.(3)

4. Durch eine Massierung der ideologischen Angriffe im Stile einer psychologischen Kriegsführung (Mordvorwürfe zu kritischen Journalisten - Politkowskaja; der angebliche Giftmord an Litwinenko; Aufruf von Beresowski zum Sturz von Putin mit Gewalt). Peter Scholl-Latour klärt die Massenmediale Schelte auf: Die europäischen Zeitungen werden von den Desinformationszentralen der USA mit Geschichten über Russland gefüttert, und da sie ihre eigenen Auslandskorrespondenten eingespart haben, können sie den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten nicht mehr überprüfen. - Das ist der neue Kalte Krieg. Ein ehemaliger Putin-Berater, Andrej Illarionow, beschwört im SPIEGEL (Nr. 17/2007, S. 121) in Russland eine "Atmosphäre der Angst". Eine Autorin von Polit-Bestsellern über die Kremlpolitik, Jelena Tregubowa, bittet um Asyl in Großbritannien, und die Medien melden, dass sie nach Erscheinen ihres Buches im Februar 2003 nur knapp einem Sprengstoffanschlag auf ihre Wohnung entgangen sei (Berliner Zeitung vom 25.4.07).


III. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf Russland: EU, NATO und USA

Die EU erklärte die Region Kaspisches Meer und Zentralasien zu "eine[r] Region von strategischer Wichtigkeit für Europas langfristige Energieversorgung", darauf orientiert auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft.

Das Auswärtige Amt erarbeitete ein Strategiepapier für eine europäische Ostpolitik, das für Russland das Konzept einer "Annäherung durch Verflechtung" enthält und durch Vorschläge für eine "Modernisierungspartnerschaft" mit Osteuropa und dem südlichen Kaukasus sowie noch durch Konzepte für Zentralasien ergänzt werden soll. (In der Zwischenzeit - zwischen November 2006 und März 2007 - war Außenminister Steinmeier zu Gesprächen in den fünf Staaten Zentralasiens.) Ziel dieser neuen Ostpolitik sei die "friedliche, stabile, rechtsstaatliche und demokratische Entwicklung des postsowjetischen Raumes." Die Autoren verstehen ihren Ansatz als "moderne Interpretation des bewährten Konzepts 'Wandel durch Annäherung'". (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.9.2006)

Joschka Fischer beklagt in der Süddeutschen Zeitung vom 31.3.2007 im Zusammenhang mit den Disputen zum Raketenabwehrsystem, dass die EU von den beiden "Großmächten des Kalten Krieges" nicht ernst genommen werde, weil auch die Russland-Politik der EU ernsthafte Schwächen zeige und keine einheitlichen Interessen vertreten werden (z.B. Blockierung durch Polen). Fischer fordert eine gemeinsame Energiepolitik, die eine weitere Spaltung Europas verhindern könne.

Noch 1990, im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, versicherte der damalige NATO-Generalsekretär Wörner, dass die Grenzen der NATO nicht nach Osten ausgedehnt werden.

Am 29. November 2006 fand ein NATO-Gipfel in Riga statt; im Zentrum der Debatte über Sicherheits- und Außenpolitik stand die Energie und Energiesicherheit. Der Tagungsort Riga war als bewusste Provokation Russlands gewählt worden. Die NATO symbolisiert damit, dass sie das 1990er Versprechen, die Grenzen der NATO nicht ostwärts zu verschieben (eine der Vorbedingungen für den Abzug der russischen Truppen aus der DDR), nicht einhalten will.

Februar 2007: Verteidigungsminister der USA Robert Gates rechtfertigt vor dem Haushaltsausschuss des US-Kongresses die gigantische Aufstockung der Rüstungsausgaben damit, auch auf einen Krieg mit Russland vorbereitet zu sein. Im Klartext: "Um den zukünftigen Bedrohungen zu begegnen, brauchen wir das ganze Spektrum von Maßnahmen, um Krieg zu führen, sowohl Spezialeinheiten gegen den Terrorismus als auch Infanterieeinheiten, die dazu fähig sind, große reguläre Armeen zu bekämpfen. Wir wissen nicht, welche Veränderungen es in Ländern wie Russland, China, Nordkorea, Iran und anderen geben wird." (Damit ordnet Gates Russland und China der Achse des Bösen zu).

Hier werden alte Strategien des Kalten Krieges wieder neu belebt. Es gab immer wieder Versuche des US-Imperialismus, das atomare Patt, das Gleichgewicht des Schreckens zu unterlaufen, um einen atomaren Enthauptungsschlag realisierbar zu machen und vernichtende Gegenschläge zu verhindern. (Beispiel: Canopy Wing) Nach Ansicht des Vizepräsidenten des Ausschusses russischer Militärexperten, General Alexander Wladimirow, dient das aktuelle Star-Wars-System dazu, die USA für Gegenschläge unverwundbar zu machen. Dadurch würde das Prinzip der nuklearen Abschreckung wegfallen und die USA hätten freie Hand. Russische Militärexperten gehen davon aus, dass die USA bewusst ein neues Wettrüsten provozieren wollen, um Russland zu exzessiven Rüstungsausgaben zu veranlassen - ein Weg, der schon einmal für die Sowjetunion tödlich war. Deshalb die häufigen lakonischen Äußerungen führender russischer Politiker, dass man - einen asymmetrischen - und damit billigeren - Weg der Antwort auf die amerikanischen Vorstöße finden wird.

April 2007: US-Präsident Bush unterzeichnet ein Gesetzespaket des Repräsentantenhauses, das den "zeitigen" Beitritt von fünf Ländern zur NATO befürwortet. Darunter auch die Ukraine und Georgien, zum "Zwecke der Festigung der Freiheit im Rahmen der NATO". Das Gesetz sieht ebenso eine stärkere finanzielle und militärpolitische Unterstützung der Beitrittsaspiranten durch die USA vor.

Bezüglich des Raketensystems setzen die USA auf eine Beschwichtigung Russlands, bieten Transparenz an. Möglicherweise hat Putins Rede in München doch mehr bewirkt als zugegeben! Wie in Zeiten des Kalten Krieges oder in Vorbereitung auf den Überfall auf den Irak malen führende Vertreter der USA (z.B. Rice und Gates in der SZ vom 26.4.07 unter der Überschrift: "Wir wollen kein neues Wettrüsten") ein düsteres Bild einer angeblich realen Bedrohung durch iranische Raketen, bestückt mit Massenvernichtungswaffen, als "reale Herausforderung" und Bedrohung auch für Europa und Russland.

Dazu noch folgende Einschätzung: "Raketenabwehrsysteme sind Teil einer zeitgemäßen Abschreckung, und sie dienen der Förderung von Stabilität." (a.a.O.)


IV. Gegenstrategien

Rede Putins auf der 43. Konferenz für Sicherheitspolitik: Kommentatoren sprachen von einer wieder auferstandenen Supermacht, die nicht länger vor den USA kuschen muss, sondern wieder auf gleicher Augenhöhe mit ihnen ist. Kerngedanken dieser Rede waren die folgenden:

Ablehnung eines unipolaren Modells der Weltpolitik - mit diesem Modell sind lokale Kriege und Konflikte zahlreicher geworden;

Völkerrecht wird außer Kraft gesetzt;

Raketenabwehrsystem soll den USA die Hände frei machen für die Drohung mit einem atomaren Erstschlag - Russland wird asymmetrisch, aber in geeigneter Form darauf reagieren;

Situation auf dem Gebiet der Nuklearrüstung ist eine potentielle Bedrohung der internationalen Sicherheit;

Osterweiterung der NATO widerspricht früheren Erklärungen (von 1990) und ist ein stark provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens verringert. Russland hat das Recht zu fragen: Gegen wen ist diese Erweiterung gerichtet?

Scharfe Kritik an der OSZE, die in ein Instrument der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder umgewandelt wurde.

Russland baut seine strategischen Partnerschaften mit China und Indien im Rahmen der Shanghai-Kooperationsorganisation (SCO) aus. Russland modernisiert seine Streitkräfte und erarbeitet eine neue Militärdoktrin im russischen Sicherheitsrat. Zitat: "Es sind wesentliche Veränderungen der geopolitischen und militärpolitischen Situation eingetreten." Russland ist bereit, auf diese Veränderungen zu reagieren.

Westliche Medien kolportieren, Russland lehne eine weitere Abrüstung ab, aber Putin hat lediglich erklärt, Russland werde die Erfüllung des KSE-Vertrages aussetzen, wenn die NATO diesen nicht ratifiziert. Putin erklärte in seiner jährlichen Rede vor der Duma dazu u.a. unmissverständlich: "Wie Sie wissen, haben die Staaten des Warschauer Vertrages und die NATO 1990 den Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa unterzeichnet. Wenn der Warschauer Vertrag noch bestehen würde, wäre der Sinn dieses Dokumentes verständlich. Heute bedeutet es nur, dass wir auf dem Territorium unseres eigenen Landes in Fragen der Standortverteilung unserer konventionellen Streitkräfte Beschränkungen unterworfen sind. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die USA z.B. auf einer derartigen Grundlage in der Bewegung ihrer Streitkräfte auf eigenem Territorium beschränken würden..."

In seiner Rede beschreibt Putin im Einzelnen diese Beschränkungen und verweist darauf, dass die Partner (also die NATO) noch nicht einmal den veränderten Vertrag ratifiziert haben. "Das gibt uns allen Grund zu behaupten, dass sich unsere Partner im gegebenen Fall zumindest nicht korrekt verhalten, indem sie einseitige Vorteile anstreben. Unter fadenscheinigen Vorwänden ratifizieren sie den KSE-Vertrag nicht und nutzen die entstandene Lage aus, um in der Nähe unserer Grenzen immer mehr Militärbasen zu errichten." (Unsere Zeit vom 4.5.07)


Klaus Eichner ist Publizist und lebt in Berlin.


Anmerkungen:

(1) Vgl. junge Welt vom 27.04.2006: Kommentar "Haltet den Dieb".

(2) Anmerkung: So neu ist dieses Programm nicht. Präsident Reagan hat in seiner berüchtigten "Kreuzzugsrede" am 8. Mai 1982 vor dem britischen Parlament eine "globale Kampagne für Demokratie" verkündet. Der Nationale Sicherheitsrat der USA nahm diesen Auftrag an und entwickelte das "project democracy".

(3) Vgl. junge Welt vom 20./21.01.2007: Rainer Rupp: "Kalter Energiekrieg".


*


Quelle:
Freidenker - Nr. 2-07 Juli 2007, Seite 11-14, 66. Jahrgang
Herausgeber:
Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.
Schillstraße 7, 63067 Offenbach
E-Mail: vorstand@freidenker.de
Internet: www.freidenker.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Bezugspreis jährlich Euro 10,- plus Versand.
Einzelheft Euro 2,50 plus Versand.
(Für die Mitglieder des DFV ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.)


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010