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BERICHT/085: Was sind Ratingagenturen? (Freidenker)


Freidenker Nr. 1-12 März 2012 - 71. Jahrgang

Was sind Ratingagenturen?

Von Jan Bretschneider



Gleich mehrere "Aufschreie" gingen durch die Medien und manche Politiker- und Finanzkreise, als eine Ratingagentur sowohl einzelne Banken als auch Staaten in ihrer Kreditwürdigkeit herabstuften. Im Zusammenhang mit Finanz- und Wirtschaftskrisen seit Ende des 1. Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts gewinnen offenbar Arbeitsergebnisse von Ratingagenturen an Bedeutung.

Rating kommt aus dem Englischen und bedeutet Schätzung, Steuersatz, aber auch Schelte.

Eine Ratingagentur ist ein privates Unternehmen. Es bewertet als Dienstleistender nach Auftrag die Sicherheit von Wertpapieren und die Kreditwürdigkeit von Unternehmen, Banken und Staaten. Der Vorgang und sein Ergebnis werden jeweils als Rating bezeichnet.

Das Rating soll es Investoren ermöglichen, die Höhe des Risikos zu kalkulieren, das bei Investition in eine Aktie oder Staatsanleihe entsteht. Insofern stellt ein Rating eine Entscheidungshilfe in der Finanzpolitik dar. Das setzt eine entsprechende Seriosität des Ratings voraus. Diese wird jedoch von Teilen der Bürgerschaft, von politischen und finanziellen Entscheidungsträgern im Zusammenhang mit finanzpolitischen Problemen in Frage gestellt.

So werden z. B. die Ratingagenturen für die Insolvenz der USA-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 mit verantwortlich gemacht. Ihnen wurde vorgeworfen, dass die Ratings eine bessere Situation der Bank vorgetäuscht haben, als es in der Praxis tatsächlich der Fall war. Es wird ihnen zur Last gelegt, dass sie weder die 2007 beginnende Finanzkrise vorhersahen noch die Bankenpleite von Lehman Brothers 2008. Kritiker der Ratingagenturen sind weiterhin der Auffassung, dass diese durch die Absenkung der Kreditwürdigkeit mehrerer Euro-Länder an der Krise in der Euro-Zone 2011 eine Mitschuld tragen. Dem wird jedoch entgegen gehalten, dass eine solche Agentur lediglich einen Bewertungsauftrag ausführt und nicht für die Verwendung und Interpretation ihrer Ergebnisse verantwortlich zeichnet. Allerdings schweigen sich die Medien darüber aus, wer in diesen Fällen als Auftraggeber fungiert.

Nach Oliver Holtemöller, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle, berechnen Ratingagenturen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Schuldner seine Schulden vollständig bedient. Eine dafür wesentliche Kennziffer ist der Verschuldungsgrad. Je höher dieser ausfällt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit der Tilgung.

Das Resultat ihrer Recherchen bringt eine Ratingagentur als "Rating-Note" zum Ausdruck, die einer Schätzskala entnommen wird. Hierfür verwenden alle Ratingagenturen einen einheitlichen Buchstaben-Code. Dieser umfasst eine 21-stufige Skalierung. Er reicht von AAA oder Dreifach-A (beste Einstufung) bis zu D (schlechteste Einstufung). Dazwischen liegen folgende Skalenstufen:

AA+, AA, AA- (hohe Qualität), A+, A, A- (durchschnittliche Qualität), BBB+, BBB, BBB- (bedingte durchschnittliche Qualität), BB+, BB, BB- (spekulativ), B+, B, B- (sehr spekulativ), CCC+, CCC, CCC- (deutliches Ausfallrisiko); CC (Ausfall wahrscheinlich).

In der Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Staates bedeutet Kategorie AAA beispielsweise nur ein minimales Ausfallsrisiko für eine Investition. Über dieses Rating verfügten 2011 z. B. Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Niederlande und Schweiz. Das 2011 von einem Staatsbankrott bedrohte Griechenland erhielt dagegen von der USA-Ratingagentur Standard & Poor's die Stufe CC. Das bedeutet schlechte Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen mit wenig Chancen auf Veränderung. Daraus folgt, dass eine Abstufung von Ländern weitreichende Folgen haben kann. Sie verteuert zunächst die Aufnahme von Krediten für das betreffende Land oder der Kredit wird völlig verweigert. Es kommt zu einem Vertrauensverlust an den Finanzmärkten, der wiederum Kursverluste nach sich ziehen kann. Bereits die Androhung einer Herabstufung eines Landes durch eine Ratingagentur verstärkt den Entscheidungsdruck in der Finanzpolitik von Regierungen und anderen politischen Gremien.


Wer sind die großen Ratingagenturen?

Der Markt wird von 3 US-Unternehmen dominiert:

  • Moody's, ein börsennotierter Konzern, dominiert vom Großaktionär Warren Buffett;
  • Standard & Poor's, ein Konzern des US-Medienunternehmers McGraw-Hill;
  • Fitch Ratings, eine Tochtergesellschaft der Fimalac Holding und des US-Medienkonzerns Hearst.

Auch die Geschichte der Ratingagenturen liegt in den USA begründet. Sie begann mit dem Eisenbahnbau um 1900. Damals sollten unabhängige Dritte die Aktien der eben gegründeten Einsenbahngesellschaften bewerten. In der folgenden Zeit sind die Ratingagenturen immer eng mit der Entwicklung der Finanzmärkte verbunden geblieben.

Eine europäische Ratingagentur gab es bis 2011 nicht, sehr wohl aber die Forderung nach einer solchen. Der Unternehmer Markus Krall strebt an, 2012 das Projekt einer privatwirtschaftlich finanzierten europäischen Ratinagentur auf den Weg zu bringen.

Ratingagenturen haben in der finanzpolitischen Sphäre einen solchen Stellenwert erreicht, dass sie als ein Machtfaktor in dieser und darüber hinaus in der Innen- und Außenpolitik sowie bei globalen gesellschaftlichen Prozessen berücksichtigt werden müssen. Zu dieser Macht verhalf ihnen die Politik selbst. In vielen Ländern hat die Regelung Gesetzeskraft erlangt, welche den Versicherern und Pensionsfonds bestimmte "Noten" für das Anlegen der Kundengelder vorschreibt. Dabei wäre allerdings auch zu beachten, dass eine Ratingagentur nur der Überbringer einer guten oder schlechten Nachricht ist und nicht deren Verursacher. Zudem stößt man in der Arbeit einer solchen Agentur mindestens auf drei Probleme: Erstens wird sie von der Politik zum eigenen Instrument gemacht. Es bestehen also sehr enge Abhängigkeiten zwischen beiden. Zweitens arbeiten Ratingagenturen nicht umsonst. Sie bewerten auch Konzerne, die dafür bezahlen. Die auf einer solchen Basis entstehenden Bewertungen sind dadurch fragwürdig. Drittens können auch Ratingagenturen irren und ihre Fehlentscheidungen zu weitreichenden Konsequenzen führen.

Es besteht die Gefahr, dass durch diese eingeräumte und beanspruchte Machtposition Entscheidungskonzentrationen - von wenigen Institutionen und Personen getroffen - stattfinden, die der parlamentarischen und außerparlamentarischen Demokratie entgegen stehen. Oliver Holtemöller vertritt die Auffassung, dass beim Vorliegen solider Staatsfinanzen die Macht der Ratingagenturen keine Rolle mehr spielt.


Literatur:

Brendel, Sabine:
Rating-Keule für die Euro-Zone. - In: Thüringer Allgemeine 7.12.2011.

Die Macht der Ratingagenturen. - In: Thüringer Allgemeine 15.10.2011.

Grosser, Dietmar:
Wozu braucht man Rating-Agenturen? - In: Thüringer Allgemeine 21.11.2011.

Pfeiffer, Hermannus:
Politische Urteile. - In: neues deutschland 9.12.2011. - S. 10.

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Quelle:
Freidenker - Nr. 1-12 März 2012, 71. Jahrgang, S. 13-15
Herausgeber: Deutscher Freidenker-Verband
Schillstr. 7, 63067 Offenbach
Tel./Fax: 069-83 58 50
Redaktion: Monique Broquard, Am Friedhof 10, 66280 Sulzbach
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012