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BERICHT/183: Freigeistige Bewegungen in der Bundesrepublik 1945 bis 1990 (ha)


humanismus aktuell - Hefte für Kultur und Weltanschauung - Nr. 20 - Frühjahr 2007

FREIGEISTIGE BEWEGUNGEN IN DER BUNDESREPUBLIK 1945 BIS 1990
Ein Überblick

Von Manfred Isemeyer


Ausgangslage

Die Frage, wie viele freigeistige Organisationen es im Augenblick in der Bundesrepublik gibt, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Das Spektrum der sich humanistisch, freidenkerisch, freigeistig oder säkular nennenden Gruppen ist vielfältig. Es hat sich in den letzten Jahren ein tief greifender Wandel vollzogen. Die Verbände stellen sich im weltanschaulichen und politischen Raum neu auf. Ihre Gemeinsamkeiten erschöpfen sich allerdings in dem Ziel, für Toleranz und die Trennung von Staat und Kirche eintreten zu wollen, und der bitteren Erkenntnis, dass sie allesamt nicht über allzu viel Rückhalt in der konfessionslosen Bevölkerung verfügen.

Vor 62 Jahren war das nicht anders. Das politische Klima nach dem Ende des Faschismus 1945 war nicht günstig für die freigeistigen Organisationen: Der bundesrepublikanische Staat unter Adenauer stützte wieder die Kirchen und in der DDR vollzog sich die Säkularisierung ohne die nicht zugelassenen freidenkerischen Organisationen. Freigeistige Organisationen fielen, oftmals auch selbstverschuldet, als Lieferanten von weltanschaulichen Positionen und Lebenshilfe aus.

Dies ist sicherlich auch ein Grund, warum ein erhebliches Forschungsdefizit für die freigeistige Bewegung seit 1945 zu konstatieren ist. Zwar existieren einige wenige Gesamtdarstellungen der freireligiösen und freidenkerischen Verbände bis 1933, eine ausführliche geistes- und sozialgeschichtliche Einordnung der freigeistigen Bewegung in einen größeren Kontext bis in die Gegenwart aber fehlt. Die Materiallage ist daher das eigentliche Problem dieses Aufsatzes.

Die Schwierigkeit, die Historie wissenschaftlich zu rekonstruieren, verdeutlicht ein Beispiel. Als vier Autoren, alle namhafte Personen aus dem freigeistigen Spektrum, 2001 daran gingen, ein Handbuch der freigeistigen Organisationen und Personen in Deutschland zu konzipieren und dafür bei 95 Gruppierungen im deutschsprachigen Raum um Mitarbeit warben, war die Resonanz so gering, dass das Projekt eingestellt werden musste. Offensichtlich war man nicht bereit, Auskünfte über Organisationsstruktur, Mitgliederzahlen, Finanzierung, weltanschauliche Grundsätze usw. zu geben. Auch die Archive blieben den Forschern verschlossen.

Angesichts der Lückenhaftigkeit des empirisch-statistischen Quellenmaterials und der Sekundärliteratur bildet die Eigenliteratur der religiös-weltanschaulichen Dissidentengruppen die Grundlage der Betrachtung. Die Darstellung der Fakten vor dem allgemeinen zeitgeschichtlichen Hintergrund muss deshalb kursorisch bleiben, aus Gründen der Lesbarkeit wird auf das Zitieren der Fundstellen verzichtet. Die historische Skizze muss sich zudem auf die organisations- und ideengeschichtlichen Entwicklungsstränge der freigeistigen Organisationen und ihrer Verflechtungen untereinander beschränken. Volkskundliche Fragestellungen zu Bräuchen oder Festkultur, etwa der Jugendweihe, bleiben außer Betracht. Hierzu gibt es mittlerweile einige wissenschaftliche Untersuchungen.

Nicht geklärt werden soll hier auch die Frage, ob es sich bei Teilen der freigeistigen Verbändelandschaft wie den Freireligiösen um Religions- oder aber um Weltanschauungsgemeinschaften handelt.

Dieses Thema ist so alt wie die Bewegung selbst und bis in die Gegenwart nicht entschieden. Die schlüssige Beantwortung dieser Frage gehört in den Arbeitsbereich der vergleichenden Religionswissenschaft.

Im ersten Teil des Beitrages werden drei freigeistige Strömungen im Zeitraum 1945 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands untersucht: Die freireligiöse Bewegung, verwandte Organisationen wie Unitarier und Monisten und die Freidenkerbewegung. Als vierter Aspekt wird die Entwicklung der freigeistigen Dachverbände vorgestellt. Im zweiten Teil werden thesenartig die Entfaltungs- und Wirkungsfaktoren der freigeistigen Bewegung im Kontext der Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik zusammengefasst.


Die freireligiöse Bewegung

Der Wiederaufbau der freireligiösen Bewegung nach dem Ende des 2. Weltkrieges stieß zunächst auf eine Reihe objektiver Hemmnisse: Die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen sowie Flucht und Vertreibung ließen die Kommunikation zwischen örtlichen Gruppen und Funktionären abbrechen, Gebäude und Einrichtungen der Freireligiösen waren zerstört, Papierkontingentierungen der Alliierten erschwerten den Druck von Publikationen. Zudem kam, dass einige freireligiöse Gemeinden, wie die in Mainz, sich mit dem NS-Regime arrangiert hatten und die Besatzungsmächte daher skeptisch bis ablehnend die Wiedergründungen betrachteten.

Dennoch begann bereits 1945 in verschiedenen Städten und Regionen die Reorganisation der Gruppen, anfänglich auch in der Sowjetischen Besatzungszone. Während jedoch die Ansätze einer Wiederbelebung durch die Politik der Sowjetunion bzw. später der SED rasch gestoppt wurden, konnten sich in den Westzonen nach und nach neue Orts- und Landesgemeinschaften bilden. Schon vor der offiziellen Zulassung freireligiöser Gemeinden durften diese Feierstunden und Jugendweihen durchführen. Über verschiedenen Zwischenstufen schlossen sich die Freireligiösen am 8./9. Oktober 1949 in Wiesbaden zum Bund freireligiöser Gemeinden Deutschlands (Westgruppe) zusammen.

In der dort verabschiedeten Verfassung bekannte sich der BFGD zur Geistes-, Religions- und Gewissensfreiheit und lehnte es entsprechend der seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden dogmenkritisch-rationalistischen Tradition ab, "unveränderliche Glaubensregeln und menschlich unvollkommene Vorstellungen über letzte Wahrheiten zu Leitsätzen des Glaubens zu erheben und zur Grundlage der Lebensführung zu machen." Als Praxisfelder des Gemeindelebens wurden definiert. "1. Freireligiöse Feier- und Weihestunden, 2. Freireligiöser Unterricht und Sicherung der Ausbildung freireligiöser Lehrer, 3. Gemeinschafts- und Familienfeiern, 4. Bildung und Vertiefung durch freireligiöses Schrifttum, 5. Fürsorgetätigkeit innerhalb der Gemeinden und Schaffung eines Wohlfahrtsverbandes."

Die Organisationsstruktur war föderalistisch. Dem Bund sollten nur noch in Einzelfällen örtliche Gemeinden und stattdessen Landesgemeinschaften als Dachorganisationen der regionalen Gruppen angehören. Am 10. Juni 1950 fusionierte der BFGD mit der aus der NS-Zeit weiterexistierenden, 1934 gebildeten Freien Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands. Freie Religionsgemeinschaft. Die im Jahr zuvor verabschiedete BFGD-Satzung behielt Gültigkeit. Damit war zumindest vorläufig die seit 1924 andauernde Spaltung der Freireligiösen überwunden.

Nach der Vereinigung mit der FRD umfasste der Bund die folgenden regionalen und autonomen örtlichen Gemeinden: Freireligiöse Landesgemeinde Bayern K.d.Ö.R., Freireligiöse Landesgemeinde der Pfalz K.d.Ö.R., Freie Religionsgemeinschaft Mainz K.d.Ö.R., Freireligiöse Gemeinde Offenbach/Main K.d.Ö.R., Freireligiöse Gemeinde Wiesbaden K.d.Ö.R., Freireligiöse Landesgemeinde Hessen, Freireligiöse Landesgemeinschaft Niedersachsen, Freireligiöse Landesgemeinde Nordrhein-Westfalen und Freireligiöse Gemeinde Hamburg.

Auf örtlicher Ebene bestanden innerhalb bzw. in Kooperation mit diesen Gemeinschaften 230 Zusammenschlüsse von Freireligiösen. In den nächsten Jahren erhielten diejenigen Landesgemeinschaften, die 1950 noch keine Körperschaftsrechte besessen hatten, diese von den zuständigen Landesregierungen verliehen. 1951 traten dem BFGD auch die Landesgemeinden Baden und Württemberg bei. Am 14. Oktober 1951, nach dem auch die Freireligiösen in NRW als letzte die Körperschaftsrechte erhalten hatten, erklärte sich der BFGD selbst zur Körperschaft öffentlichen Rechts auf Bundesebene.

Zu dieser Zeit umfasste der Bund etwa 70.000 Anhänger. Doch bald schon setzte im BFGD ein Mitgliederrückgang ein, der bis heute anhält. Er war in den einzelnen Landesgemeinschaften zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, wurde aber überall beklagt. Seit den sechziger Jahren entwickelten sich die Mitgliederzahlen auf Bundesebene noch dramatischer zurück. Waren es 1967 noch 55.000 Mitglieder, so zählte der BFGD 1979 nur noch 39.500 Mitglieder. Neuere Zahlen konnten nicht ermittelt werden, doch ist davon auszugehen, dass die Mitgliederentwicklung bis 1990 weiterhin rückläufig war.

Für die Freireligiösen in der Pfalz lässt sich der Mitgliederverlust bis 1989 dokumentieren. Zählte die Gemeinschaft 1960 noch 2.400 Mitglieder, so waren es 29 Jahre später noch 1.760 Personen.

Nach Einschätzung der Landesgemeinde selbst waren das keine realen Mitgliederzahlen, sondern beruhten auf veränderten Zähl- und Erfassungsweisen. In der Gemeinde Ludwigshafen wurden Anfang 1989 genau 508 Mitglieder gezählt, was gegenüber 1959 einen Rückgang um mehr als die Hälfte bedeutete. Für die negative Mitgliederentwicklung spricht auch die ständig sinkende Auflagenzahl der seit 1973 erscheinenden BFGD-Monatszeitschrift Der Humanist. Während die Auflage 1975 noch bei durchschnittlich 19.300 Exemplaren lag, fiel sie bis 1985 auf 13.000 ab.

Die Stärkeverhältnisse der einzelnen Landesgemeinschaften innerhalb des BFGD ergaben für das Jahr 1967 folgendes Bild: Die stärkste Landesgemeinschaft bestand in NRW mit 10.800 "Zahlern" und beitragsfreien "erwachsenen Mitgliedern". Die zweitstärkste Gruppierung existierte in Niedersachsen (einschließlich Bremen) mit 9.600 Mitgliedern. Die drei im Bundesland Rheinland-Pfalz bestehenden Landesgemeinschaften umfassten 9.840 Mitglieder. Die Landesgemeinde Hessen (ohne Offenbach und drei zur Freien Religionsgemeinschaft Rheinland gehörenden Gemeinden) hatte 7.583 Mitglieder. Mittelgroße Landesgemeinschaften bestanden in Bayern (4.450 Mitglieder) und Württemberg (4.000 Mitglieder). Kaum vertreten waren die Freireligiösen in Schleswig-Holstein (160 Mitglieder), Berlin (80 Mitglieder) und Hamburg (65 Mitglieder).

Außerhalb des BFGD bestanden noch die unabhängigen Gruppen: Freireligiöse Landesgemeinde Baden mit 3.600 Mitgliedern, Freireligiöse Gemeinde Offenbach mit ca. 4.000 Mitgliedern und Unitarische Freie Religionsgemeinschaft Frankfurt/M.

Innerhalb des BFGD waren die Differenzen zwischen der freireligiös und der atheistisch geprägten Strömung Dauerthema. Dies hatte wiederholt organisatorische Konsequenzen, z.B. im zeitweiligen Ausscheiden der Landesgemeinde Baden und der Gemeinde Offenbach. Beide schlossen sich am 1. Februar 1968 mit der Unitarischen Freien Religionsgemeinde Frankfurt/M. zum Verband freier Religionsgemeinschaften zusammen.

Mit der Rückkehr von Offenbach und Baden in den BFGD Anfang der 1970er Jahre wurde die Gefahr der parallelen Existenz zweier freireligiöser Dachorganisationen zwar gebannt, die Auseinandersetzungen um das freireligiöse Selbstverständnis dafür umso stärker in den Bund hineingetragen. Den betont religiösen Gemeinden Badens, des Rheinlands, Rheinhessens und Offenbachs standen die stark freidenkerisch ausgerichteten Landesgemeinschaften Bayerns, Nordrhein-Westfalens und Berlins sowie einer starken Strömung in Niedersachsen gegenüber. Die weltanschaulichen Divergenzen zwischen den beiden Richtungen hatten u.a. zur Folge, dass es in der Nachkriegsgeschichte des BFGD nicht gelang, eine gemeinsame Bundeszeitschrift zu kreieren. So erschienen bis zur Gründung der Monatszeitschrift Der Humanist im Jahre 1973 acht verschiedene Publikationen innerhalb des freireligiösen Spektrums gleichzeitig.

Die freidenkerische Strömung im BFGB unternahm wiederholt den Versuch, ihre Vorstellungen auch bei der Namensgebung des Bundes durchzusetzen. Die Bezeichnung "freireligiös" wurde in diesen Kreisen allenfalls als vorübergehende Kompromissformel akzeptiert. So führten die Berliner Freireligiösen nach 1945 zeitweise den Namen Bund für Geistesfreiheit, Berlin mit dem Untertitel Gemeinschaft freigeistiger und freireligiöser Sozialisten. Das führte dazu, dass sie die Zulassung durch die alliierte Kommandantur nicht als religiöse, sondern als politische Organisation erhielten.

Anfang der 1960er Jahre gab es in NRW Vorschläge zur Umbenennung in Ethisch-Humanistischer Freidenkerbund. Die Bayern forderten 1978 die Namensänderung in Bund Freireligiöser und Freigeistiger Gemeinschaften Deutschland. Die Bundesversammlung des BFGD lehnte dies 1980 ab. Ein erneuter Vorstoß scheiterte im Oktober 1988 in Hannover. Auf Landesebene wurden allerdings mehrfach Umbenennungen vollzogen, so in Bayern (Freigeistige Landesgemeinschaft Bayern), NRW (Freigeistige Landesgemeinschaft Nordrhein Westfalen), in Niedersachsen (Freie Humanisten).

Dass die Konsensbildung im BFGD sehr begrenzt war, zeigt wiederum die Tatsache, dass die betont religiöse Freie Religionsgemeinschaft Rheinland mit elf angeschlossenen Gemeinden am 31.12.1988 aus dem Bund austrat.

Die stark gegensätzlichen Positionen verhinderten die Erarbeitung detaillierter und verbindlicher gemeinsamer Grundsätze des BFGD. Das Neben- und Gegeneinander freireligiöser Wertvorstellungen spiegelt sich auch in der freireligiösen Publizistik ständig wieder. Als Minimalkonsens des freireligiösen Spektrums in dieser Zeit kann die Frankfurter Erklärung von 1985 gelten.

Darin heißt es: "Unter Wahrung der Freiheit der persönlichen Auffassung und der weltanschaulichen und religiösen Selbstbestimmung einigten wir uns auf die folgenden Sätze: 1. Religion und Weltanschauung sind Formen der persönlichen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Sie bedeuten uns Daseinsorientierung mit dem Ziel, dem Leben einen Sinn zu geben. Wir achten andere religiöse Überzeugungen. Glaubens- und Gewissenszwang lehnen wir ab. Wir fordern die Trennung von Staat und Kirche. 2. Wir bemühen uns um ein Verständnis der Welt im Einklang mit den Erkenntnissen der Wissenschaften."

In der Erklärung dominieren rationalistische und ethisch-humanistische Positionen. Im eigentlichen Sinne religiöse, die Dimension des Transzendenten berührende Aussagen, finden sich nicht in dem Dokument; andererseits fehlen solche Elemente, die auf säkulare atheistische Wertvorstellungen hinweisen.

Unbestritten sein dürfte, dass bis Anfang 1980 einzelne führende Funktionäre der Freireligiösen nahezu unangefochten ihre nationalreligiösen Ideen weiter verbreiten konnten. Gleichwohl leiteten die freireligiösen Vereinigungen aus ihren ethischen Überzeugungen immer wieder auch politische Positionen ab. Diese beschränkten sich nicht nur auf Fragen des Verhältnisses von Kirche/Staat, sondern nahmen auch aktuelle gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen auf. Kennzeichnend für diese Zeit ist eine Affinität des BFGD zum linksliberalen Spektrum und zu den neuen sozialen Bewegungen.

Einige Beispiele verdeutlichen dies: 1983 nahm der BFGD gegen die Benachteiligung von Kriegsdienstverweigerern Stellung. Im April 1984 trat der BFGD korporativ dem Koordinationsausschuss der Friedensbewegung bei. 1986 wandte sich der BFGD gegen jegliche Einschränkung des Grundrechts auf Asyl. Die Freigeistige Landesgemeinschaft Bayern forderte 1988 die Streichung des Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch.

Die Nähe zur politischen Linken drückte sich bereits in der Zeit nach 1945 in der Mitgliedschaft vieler führender Freireligiöser in der SPD aus. Wegen der ungünstigen Altersstruktur brachen diese personellen Verbindungen Ende der 1950er Jahre ab. Den Freireligiösen gelang es in der Folge nicht, namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft an sich zu binden und, umgekehrt, freireligiöse Funktionäre oder Autoren über das engere Umfeld hinaus bekannt zu machen. Ihre Rolle in der gesellschaftspolitischen Debatte blieb marginal.

Die Kraft, eigene Themen im politischen oder geistig-kulturellen Diskurs einzubringen, fehlte ihnen. Darüber kann auch die Bedeutung nicht hinwegtäuschen, die die Freireligiösen in einigen lokalen "Hochburgen" auf kulturellem und sozialem Gebiet durchaus noch besaßen.

Der Weg dieser Traditionsgemeinschaft schien daher Anfang der 1990er Jahre infolge der Mitgliederverluste, der Überalterung und mangelnder eigenständiger gesellschaftlicher Funktion vorgezeichnet.


Verwandte Organisationen

Im Folgenden soll auf eine Reihe von religiösen und weltanschaulichen Strömungen eingegangen werden, die seit 1945 inhaltliche organisatorische und personelle Berührungspunkte zur freireligiösen Bewegung erkennen ließen.

Der Deutsche Monisten-Bund (DMB), deren Mitglieder aus dem Bildungsbürgertum kamen, zählte bei seinem Verbot 1933 ca. 3.000 Personen. Am 11. November 1946 erfolgte in München die Neugründung des Vereins mit achtzig Mitgliedern. Als Zweck des Bundes wurde in der Satzung formuliert:

"Der Monistenbund erstrebt die Zusammenfassung aller nicht mehr auf kirchlicher Basis stehenden Vereinigungen und Personen, die ihr Leben durch logische Schlussfolgerungen aus einer auf wissenschaftlicher Forschung beruhenden einheitlichen Weltanschauung und nicht an Hand unbewiesener Dogmen, Gesetze und kirchlicher Vorschriften gestalten wollen ... Die monistische Weltanschauung hat die fortschreitende Wissenschaft und daraus die Erkenntnis der Wahrheit zur Grundlage, schlussfolgernd die heutige Einheit von Welt und Gottheit, von Kraft und Stoff und von Leib und Seele, also von Natur und Mensch sei es im physischen, psychischen und psychologischen Sinne, nach mechanischem, energetischem oder vitalistischem Prinzip, oder erkenntnistheoretisch, voluntaristisch oder biosophisch gesehen. Die monistische Weltanschauung variiert in verschiedenen Formen, ist also nicht starr und dogmatisch festgelegt, da die wissenschaftliche Forschung als ihre Grundlage fortschreitet und daher veränderlich ist."

Die Grundsätze der Monisten wurden zwar im Laufe der folgenden Jahre immer wieder verändert, letztendlich beruhten sie aber weiterhin auf der pantheistischen "Einheitslehre" von Ernst Haeckel, der Gott und die Welt als ein einziges Wesen ansah. 1949 bestanden in der Bundesrepublik lediglich fünf Ortsgruppen, hinzu kamen 14 so genannte Stützpunkte. Auf einer 1950 abgehaltenen Bundesversammlung legte sich der DMB den neuen Untertitel Bund für wissenschaftliche Weltanschauung und ethische Kultur zu. 1956 zählte der Bund 300 Mitglieder in sieben Ortsgruppen.

Im September 1956 wurde auf der Bundesversammlung der Antrag gestellt, den Monistenbund in Humanistischer Verband umzubenennen. Dies scheiterte am Widerstand der Traditionsmonisten und man einigte sich auf Freigeistige Aktion - Deutscher Monisten-Bund (FA-DMB). Eines der politischen Anliegen der Monisten war die Durchsetzung eines religionskundlichen, nicht konfessionellen Unterrichts in den Schulen. Die von ihnen 1956 gegründete Gesellschaft zur Förderung des religionskundlichen Unterrichts e.V. blieb ohne politische Bedeutung und beschränkte sich auf Eingaben an Regierungsstellen in Niedersachsen.

Die Geschichte des DMB war eng mit der der Freireligiösen verknüpft: DMB-Vorsitzender in den 1950er Jahren war Albert Heuer, der zugleich Geschäftsführer des freireligiösen Verlag für Geistesfreiheit wirkte, zum Pressereferenten der Monisten wurde 1952 Karl Becker gewählt, der zugleich Sprecher und Geschäftsführer der Freireligiösen Landesgemeinde Württemberg war. Der DMB stand nach 1945 nicht zuletzt wegen dieser personellen Abhängigkeit weitgehend im Schatten der Freireligiösen. Bis 1990 organisierten die Monisten gelegentlich Wochenend-Seminare und brachten die Vierteljahreszeitschrift Freigeistige Aktion heraus. Als weltanschauliche und kulturpolitische Strömung erlangten sie keinerlei Bedeutung mehr.

Mit der Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft entstand nach 1947 eine Gruppierung, in der Impulse aus dem völkisch-religiösen Bereich und freireligiöse Ideen eine Synthese eingingen. Die Unitarier arbeiteten eng mit dem BFGD zusammen, bewahrten jedoch stets ihre organisatorische Unabhängigkeit.

Die Deutschen Unitarier verstehen sich als eine nicht-religiöse, pantheistische Religionsgemeinschaft. Zentrale Grundsätze sind der Glaube an die Einheit allen Seins, das vom Wesen des Göttlichen durchdrungen ist, und der Glaube an die menschliche Vernunft. Unitarier glauben an ein Zusammenhang stiftendes Weltprinzip und postulieren eine "weitgehende Toleranz gegenüber den verschiedenen religiösen Ansichten und Bräuchen".

Die Neugründung unitarischer Gemeinden war insbesondere in der britischen und amerikanischen Zone erfolgreich, weil die Alliierten Unitarier aus ihren eigenen Ländern kannten. Die rheinhessische Urgemeinschaft umfasste 15 Gemeinden mit zusammen etwa tausend Mitgliedern. Nach dem Tod Rudolf Walbaums, der als Pfarrer die Gemeinschaft in Rheinhessen maßgeblich vierzig Jahre lang geführt hatte, drohten die Unitarier 1948 auseinander zu brechen. Weil auch viele ehemalige Mitglieder völkisch-religiöser Gruppen aus der NS-Zeit den Unitariern beigetreten waren, kam es teils zu offenen, teils latenten Konflikten. Hier ist insbesondere die Deutsche Glaubensbewegung um Jakob Wilhelm Hauer, einer Sammlungsbewegung heidnisch-völkischer Gruppen in der Zeit des Nationalsozialismus, zu nennen. Durch den Zustrom neuer Mitglieder wuchs die Organisation auf 6.000 Personen.

Wegen der völkisch-religiösen Ausrichtung kam es bereits 1954 zum Austritt von Gemeinden aus der unitarischen Religionsgemeinschaft. Die "rechten" Positionen konnten sich bei den Unitariern trotzdem nicht durchsetzen, sondern wurden, bedingt auch durch einen allmählichen Generationswechsel, im Laufe der Jahre an den Rand gedrängt. Dies wiederum führte 1985/86 zur Gründung einer Arbeitsgemeinschaft Europas Eigene Religion innerhalb der Religionsgemeinschaft und seit 1989 zur Verselbständigung dieser Gruppierung insbesondere in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen. Sie firmierte als Bund Deutscher Unitarier und zählte ca. 300 Mitglieder.

Im Gegensatz zu den Freireligiösen sind die Deutschen Unitarier eine reine Laienbewegung ohne hauptamtliche Prediger. Ende der 1970er Jahre zählten sie ca. 6.000 Mitglieder, die in starkem Maße aus dem Bildungsbürgertum kamen.

Organisatorisch selbständig, aber eng mit den Freireligiösen und den Unitariern verbunden sind zwei kleine Vereinigungen zu nennen: die Eekboom-Gesellschaft e.V., die sich im Untertitel Vereinigung zur Förderung freigläubiger Kultur bezeichnet und die Freie Akademie.

Die Eekboom-Gesellschaft, die 1946 gegründet wurde, heute aber nicht mehr existiert, verstand sich nicht als eine eigene Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, sondern wollte den bestehenden Gemeinschaften Anregungen und Material zur Verfügung stellen. In einer Selbstdarstellung der Gesellschaft von 1949 hieß es: "Wir dienen der Pflege und Ausbreitung einer freigläubigen Volkskultur und der Formung reinen, ungebrochenen Menschentums." Mit der Herausgabe von Broschüren, Büchern und Schallplatten diente sie den Freireligiösen als kultureller Dienstleister.

Die Freie Akademie geht auf die Nachkriegsaktivitäten des ehemaligen Leiters der Deutschen Glaubensbewegung, Jakob Wilhelm Hauer, zurück. Im Dezember 1949 rief er zur Schaffung einer Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie auf, 1957 kam es dann zur Gründung der Akademie. Zu den Mitbegründern gehörten etliche Personen mit NS-Vergangenheit. Hauer blieb bis 1981 Leiter der Freien Akademie.

In den 1980er Jahren erneuerte sich die Akademie personell und versuchte mit Tagungen und Veröffentlichungen sich als Forum eines weltanschaulich-religiösen Diskurses zu etablieren. Sie stellte in gewisser Weise ein wissenschaftliches Zentrum des freireligiös-unitarischen Spektrums dar. Die schmale finanzielle und personelle Basis setzte den Aktivitäten der Akademie allerdings relativ enge Grenzen.

Eine Sonderstellung nahmen die völkisch religiösen Gruppen ein. Einige wenige von ihnen beeinflussten zwar nach 1945 auch die Freireligiösen, Monisten und Unitarier, lassen sich jedoch nicht dem freigeistigen Spektrum zuordnen, da ihr dessen universal-emanzipatorische Dimension fehlte. Gemeinsam ist allen völkisch-religiösen Gruppierungen, dass ihre Vorstellungen (im Gegensatz zu denen der freigeistigen Strömungen) nicht auf einer säkularisierten Ethik fußten. Die geistige und politische Nähe solcher Gruppen wie Germanische Glaubensgemeinschaft und die Ludendorff-Bewegung zur NSDAP diskreditierte sie nach dem 2. Weltkrieg. So beispielsweise der Bund für Gotteserkenntnis (1951 gegründet, 1961 wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten, 1977 wegen Verfahrensfehlers wieder zugelassen) der im Norden der Bundesrepublik in den 1980er Jahren lediglich zwanzig bis dreißig Mitglieder zählte.


Die Freidenkerbewegung

Seit es organisiertes Freidenkertum in Deutschland gibt, war es personell und weltanschaulich stets mit einem Teil der Freireligiösen verflochten: Freireligiöse wirkten in Freidenkerbünden, Freidenker in nicht wenigen freireligiösen Gemeinden. Die Freidenker-Verbände, die sich als Teil der Arbeiterbewegung verstanden, erlebten trotz ihrer ideologischen und politischen Ausdifferenzierung enormes quantitatives Wachstum in der Weimarer Republik und verdrängten alle anderen weltanschaulichen Gruppen.

In der Freidenkerbewegung überwogen rationalistische bis dezidiert atheistische Positionen, die auf eine wissenschaftlich fundierte Weltanschauung als Alternative zur Religion abzielten. Nach 1945 konnte die (proletarische) Freidenkerbewegung, die 1933 von den Nationalsozialisten zerschlagen worden war, als eigenständige weltanschauliche und organisatorische Kraft nur schwer wieder Fuß fassen.

Mehrere Gründe waren hierfür maßgebend: Zum einen sperrten sich die alliierten Besatzungsmächte gegen die Lizenzierung von Freidenker-Gruppen, so dass viele ehemalige Mitglieder des bis 1933 größten Verbandes, dem Deutschen Freidenker-Verband, sich den bereits zugelassenen freireligiösen Gemeinden anschlossen. Im Zuge der kapitalistischen Neuordnung der Bundesrepublik betrachteten die Alliierten die Freidenker, die sich atheistisch und sozialistisch definierten, als überflüssig. Zum anderen zeigte sich in der politischen Linken der Nachkriegsjahre eine Tendenz zur "Rechristianisierung" und zur engeren Zusammenarbeit mit sozialreformerischen und pazifistischen Kreisen der Kirchen.

So kam es zunächst zu lokalen Neugründungen wie etwa in Hamburg, wo am 24. Dezember 1945 im Beisein eines Notars eine konstituierende Versammlung stattfand. Am 15. August 1947 legte ein vorbereitender Ausschuss eine Satzung für den Freidenker-Verband Groß-Berlin vor. An der Gründungsveranstaltung am 20. Juni 1949 nahmen Vertreter aus zwanzig Berliner Verwaltungsbezirken, also auch aus dem damaligen Sowjetsektor, teil. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die SED schon gegen einen politischen Wiederaufbau des Freidenker-Verbandes entschieden. Als Vorsitzender des Berliner Verbandes fungierte der sozialdemokratische Berliner Oberbürgermeister a.D. Dr. Otto Ostrowski.

Obwohl der Berliner Verband erst im Juni 1949 von den Alliierten zugelassen wurde, gestalteten alte Funktionäre und Mitglieder schon in den Jahren 1947/49 Jugendweihe-Feiern, die starken Zuspruch aus allen vier Sektoren Berlins fanden. Dort, wo Jugendweihen und vorbereitende Kurse von den Freidenkern, gelegentlich auch in Arbeitsgemeinschaften mit Freireligiösen, organisiert wurden, konnte auch hinsichtlich der Teilnehmerzahlen an die Zeit der Weimarer Republik angeknüpft werden, so auch in Hamburg, wo über 1952 über 3.000 Jugendliche angemeldet waren. In den traditionellen Hochburgen der Arbeitbewegung entstanden 1949 Freidenker-Landesverbände in Hessen, Niedersachsen und Bayern, 1950 in Nordrhein-Westfalen.

Nach der Rückkehr des ehemaligen Generalsekretärs des Deutschen Freidenker-Verbandes, Hermann Graul, aus dem Exil begann der Zusammenschluss der Freidenker auf nationaler Ebene. Auf der Generalversammlung am 23. März 1951 in Braunschweig kam es zur Neukonstituierung des Verbandes. Graul wurde zum Vorsitzenden des Deutschen Freidenker-Verbandes, dessen Tätigkeit sich auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkte, gewählt.

Aus der Niederlage der gespaltenen Arbeiterbewegung vor 1933 zogen die Freidenker ihre Lehren und postulierten für sich die kulturpolitische Einheit von Sozialdemokraten, Kommunisten und Parteilosen. Als Zweck des Verbandes wurde formuliert: "Verbreitung der freigeistigen Weltanschauung, die Einwirkung auf die Gesetzgebung in allen kulturpolitischen Fragen sowie das Eintreten für eine Völkergemeinschaft, die aufgebaut und durchdrungen ist von dem Gedanken des Sozialismus."

Nach dem Tode von Graul wurde der Sitz des Verbandes 1954 nach Dortmund verlegt, da sich der Landesverband NRW nach Ortsgruppen und Mitgliedern hier am stärksten entwickelt hatte. Der Verband zählte zu diesem Zeitpunkt ca. 5.500 Mitglieder. Wie die Freireligiösen kämpften auch die Freidenker mit dem Problem der Überalterung.

Auch das Konzept des Einheitsverbandes hielt den im Zeichen des Kalten Krieges stehenden ersten Nachkriegsjahren nicht lange stand. Am 17. August 1956 erklärte das Bundesverfassungsgericht die KPD für verfassungswidrig. Allein das wortradikale Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands, in dem die Partei zum "revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes" aufrief, genügte den Richtern, um der KPD eine "aktive kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" zu attestieren. Damit begann eines der dunkleren Kapitel der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So standen nunmehr offizielle Kontakte zu staatsnahen Organisationen wie dem Sportbund der DDR unter Strafe.

Dem herrschenden antikommunistischen Zeitgeist erlagen auch Teile der Freidenkerbewegung. Der Berliner Verband, dem mehrheitlich Sozialdemokraten angehörten, spaltete sich vom Dortmunder Freidenker-Verband ab. Man warf ihm vor, er unterstütze insgeheim die kommunistische Partei und sei zu einem Auffangbecken für ehemalige KPD-Funktionäre geworden. Zwar bemühte man sich noch gemeinsam um die rechtliche Wiederherstellung des 1933 von den Nazis verbotenen Verbandes und die Herausgabe des Freidenkervermögens, faktisch aber ging man getrennte Wege.

Als Fußnote der Freidenkergeschichte soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Bundesgerichtshof in den 1970er Jahren schließlich entschied, dass die Nachfolgeorganisation des Deutschen Freidenker-Verbandes von vor 1933 die IDEAL-Lebensversicherung sei, nicht der nach 1945 von Altfunktionären wieder gegründete Verband. Die Begründung des Gerichts: Die Mehrheit der Mitglieder des von den Nazis verbotenen Verbandes blieb 1933 Mitglied der gleichgeschalteten Neuen Deutschen Bestattungskasse, aus der nach 1945 die IDEAL-Versicherung hervorging - um der durch ihre Mitgliedsbeiträge erworbenen Versicherungsleistungen nicht verlustig zu gehen.

1968 durfte die DKP gegründet werden. Sie bekannte sich zwar zum Grundgesetz, stellte sich jedoch sofort in die Tradition der KPD. Finanziell blieb die DKP von Ostberlin abhängig - und im Westen weitgehend isoliert. Der Dortmunder Freidenker-Verband blieb in den folgenden Jahren DKP-nah, in den 1970er Jahren zählten einzelne Mitglieder zu den Opfern des so genannten "Radikalenerlasses". 1979 eskalierte der Streit um die parteipolitische Ausrichtung des Freidenker-Verbandes in NRW. Eine große Gruppe von Mitgliedern warf dem Bundesvorstand vor, Diskussionen über das AKW Brokdorf, die Ausbürgerung von Wolf Biermann und über die DDR zu boykottieren, der wiederum mit Ausschlussverfahren gegen "oppositionelle" Freidenker reagierte. 1981 gründeten 800 NRW-Freidenker aus zwölf Ortsgruppen einen eigenen Landesverband, der sich später dem Berliner Verband anschloss. Wie grundsätzlich unterschiedlich sich die beiden Freidenker-Verbände trotz ähnlicher weltanschaulich-kultureller Praxis politisch gegenüber standen, belegt ein anderes Beispiel: Während die Berliner Freidenker die unabhängige Friedensbewegung der DDR der Jahre 1982/83 politisch und materiell unterstützten, lehnten die Dortmunder Freidenker dies als antisozialistische Kampagne ab.

Der Berliner Verband war Ende der 1950er Jahre insofern in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit angekommen, als dass er nunmehr für seine weltanschauliche Kultur- und Bildungsarbeit Subventionen vom Land Berlin erhielt. Die Auflösung traditioneller Arbeitermilieus, aus denen sich beispielsweise die Mehrheit der Jugendweihe-Teilnehmer speiste, traf in den 1960er Jahren den Verband mit voller Wucht.

Anfang der 1980er Jahre setzte sich dann besonders bei jüngeren Mitgliedern, die aus der Friedens-, Öko- und Frauenbewegung zum Verband gestoßen waren, die Erkenntnis durch, dass die Schwäche des Freidenkertums in der Nichtprofilierung einer humanistischen Alternative begründet war. Im Verband entwickelte sich ein neuer Konsens: Wer ernsthaft den Anspruch anmeldet, die Interessen und Bedürfnisse von Konfessionsfreien realisieren zu wollen, der benötigt neben einer humanistisch fundierten Weltanschauung auch ein Konzept für Dienstleistungsangebote. Der Verband entfaltete seine Praxis insbesondere in der Berliner Schule mit dem Unterrichtsfach Lebenskunde und in der praktischen Lebenshilfe. Wichtige Impulse zur Neuorientierung der Arbeitsfelder kamen von den humanistischen Verbänden Westeuropas.

Angesichts der weitgehend säkularisierten BRD-Gesellschaft Anfang der 1990er Jahre schien die gesamte Freidenkerbewegung wegen des Verzichts auf die Entwicklung inhaltlicher Alternativen zur christlichen Ethik und praktischen Lebenshilfe zu einem Anachronismus geworden zu sein.


Freigeistige Dachverbände

In der hier gebotenen Kürze soll die Entwicklung der Dachorganisationen der freigeistigen Bewegung nach Kriegsende abschließend vorgestellt werden: Mit der Gründung des Deutschen Volksbundes für Geistesfreiheit (DVfG) 1949 wurde ein Anlauf genommen, der zwar in der Namenswahl, aber nicht in funktionaler und struktureller Hinsicht an die Vorläuferorganisation der Weimarer Republik anknüpfte. Bei der Gründung traten ihm kooperativ u.a. die folgenden Organisationen bei: Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands, Freigeistige Union München, Deutscher Freidenker-Verband, Deutscher Monisten-Bund, Deutsche Unitarier, Vereinigung für freigläubige Feiergestaltung, Unabhängige Gesellschaft zur Pflege junger Kunst und Wissenschaft, Gesellschaft für Lebenskunde Duisburg, Germanische Glaubensgemeinschaft.

Es fällt auf, dass der DVfG in seiner Anfangsphase Gruppen aus dem gesamten Spektrum freier Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (vom sozialistischen DFV bis zur völkischen GGG) vereinigen konnte. Einerseits durch Zusammenschlüsse, andererseits durch Austritte reduzierte sich die Zahl der Mitgliedsorganisationen jedoch rasch. Bereits 1957 gehörten nur noch BFGD, Unitarier, Monisten und Eekboom-Gesellschaft dem DVfG an.

Zu weltanschaulich und politisch heterogen war der Zusammenschluss, dass er auf Dauer hätte bestehen können. Als Dachorganisation, die für die Verwirklichung der in Artikel 4 des Grundgesetzes garantierten Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses eintritt, trat sie in der Vergangenheit kaum mit Stellungnahmen oder durch Aktivitäten politisch in Erscheinung, nicht zuletzt wohl auch wegen der Schwäche ihrer Mitgliedsorganisationen. Aus dem DVfG ging 1991 der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. (DFW) hervor.

Auf internationaler Ebene sind die freigeistigen Verbände in drei Dachverbänden organisiert: in der International Association for Religious Freedom (IARF), in der International Humanist and Ethical Union (IHEU) und Weltunion der Freidenker (WUF).

Das Spektrum der IARF reicht von liberalen Christen und Freireligiösen bis hin zu reformatorischen Strömungen des Buddhismus, dem Hinduismus und dem Islam, ihr gehörten bzw. gehören die Deutschen Unitarier und einzelne Freireligiöse Landesgemeinschaften an. Als einen ihrer Zwecke formuliert die IARF, "die Entwicklung des religiösen Lebens und die Brüderlichkeit der Menschheit zu fördern, wobei die Gewissensfreiheit ein wesentliches Element ist."

Der BFGD selbst ist korporatives Mitglied der IHEU, die auf der internationalen Bühne den atheistisch-humanistischen Pol verkörpert.

In ihren Leitvorstellungen betont sie einen globalen ethischen Konsens, die Menschenrechte und als einzige Quelle des Wissens und der Ethik die menschliche Erfahrung. Die IHEU, 1952 in Amsterdam gegründet, vertritt weltweit die Interessen von Humanisten, Rationalisten, Freidenkern und Atheisten in der UNO, der UNICEF, UNESCO und im Europarat.

Der WUF gehört der Deutsche Freidenker-Verband, Sitz Dortmund, seit 1952 an. Sie führt regelmäßig Kongresse in Westeuropa durch und setzt sich vor allem für eine laizistische Gesellschaft ein.


Freigeistige Bewegung und religiöser Wandel in der Bundesrepublik

Die Entfaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten der säkularen Organisationen seit Kriegsende sollen abschließend auch vor dem Hintergrund des religiösen Wandels interpretiert werden. Die soziale Bedeutung christlicher Kirchlichkeit, gemessen anhand der Kirchenmitgliedschaft und der Beteiligung am kirchlichen Leben, ist seit den 1950er Jahren rückläufig. 1950 waren 96,4% der Bevölkerung Mitglied einer der beiden Kirchen. 1970 wurden in den Altbundesländern erstmals die Anteile der Moslems (1,3%) sichtbar, während der Anteil der Konfessionsfreien noch unter 4% lag. Ganz anders bereits 1987. Hier fallen erstmals die Sonstigen mit 1,2% ins Gewicht und die Konfessionsfreien erreichten 11,4%.

Die soziale Akzeptanz christlicher Überzeugungen ging ebenfalls in der Bundesrepublik stark zurück. Der Anteil derjenigen, die an einen Gott glaubten, sank im Westen Deutschlands erheblich (1990: 20%). Andere Indikatoren bestätigen das Bild der abnehmenden Zustimmung zu christlichen Glaubensaussagen. Die Bedeutung außerkirchlicher religiöser Phänomene wie Esoterik, Okkultismus etc. hatte seit Mitte der 1970er Jahre leicht zugenommen. Obwohl das Interesse daran in den späten 1980er Jahren stieg, war ihre soziale Relevanz nur marginal. Fasst man die religiösen Entwicklungstendenzen in der Bundesrepublik bis 1990 zusammen, so ist die empirische Evidenz, die für die Gültigkeit der Säkularisierung der Gesellschaft spricht, sehr deutlich. Von diesem allgemeinen Säkularisierungstrend konnte die freigeistige Bewegung allerdings zu keiner Zeit profitieren. Dazu fünf Thesen:

These 1: Mit der Rekonstruktion der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse und des zunächst weiter bestehenden politischen Einflusses der beiden Kirchen nach 1945 veränderten sich auch die kulturell-weltanschaulichen Rahmenbedingungen für die freigeistige Bewegung. Den Kirchen gelang es, "linke" und antifaschistische Positionen positiv aufzugreifen und antireligiöse und antiklerikale "Propaganda" die politische Legitimation zu entziehen.

These 2: Die Öffnung der Sozialdemokratie zur Volkspartei und ihr weithin anerkannter Verzicht auf Weltanschauungselemente trugen zum Bedeutungsverlust der freigeistigen Bewegung, insbesondere des Deutschen Freidenker-Verbandes, bei.

These 3: Die vielfältigen Beispiele einer atheistisch inspirierten bzw. geprägten Kultus- und Kirchenpolitik der DDR, die im Westen aus ideologischen Gründen Kritik und Ablehnung hervorriefen, ließen die Freireligiösen und Freidenker heimatlos werden. Das Festhalten der Freidenker an einer "sozialistischen Weltanschauung" beförderte diesen Prozess.

These 4: Der Auflösung der soziokulturellen Milieus, insbesondere in der Arbeiterschaft, hatte die freigeistige Bewegung keine alternativen Konzepte und Strategien (Modernisierung ethischer Grundsätze, neue Zielgruppenbestimmung, veränderte Praxisfelder) entgegenzusetzen. Die Jugendweihe erfuhr wegen der 1954 auch in der DDR wieder eingeführten Veranstaltung einen Image- und Bedeutungsverlust. Neue Formen politischer Religionskritik, etwa bei der Humanistischen Union oder den Jungdemokraten in den 1970er Jahren lokalisierbar, fanden mehr Resonanz in der Öffentlichkeit als das aus der Arbeiterbewegung kommende proletarische Freidenkertum. Der Bedeutungsverlust der freigeistigen Bewegung war auch wegen der Zersplitterung der Kräfte selbst verschuldet.

These 5: Die soziale Bedeutung der Feuerbestattung, bis 1933 ein originäres Betätigungsfeld der Bewegung, schwand weiter. Als mehrheitlich in Anspruch genommene Bestattungsart hatte sie sich durchsetzen können. Ihre gesellschaftliche und kirchliche Diskriminierung ist überwunden und damit auch eine materielle Basis der freigeistigen Bewegung.


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Quelle:
humanismus aktuell, Heft 20 - Frühjahr 2007, Seite 84-95
Hefte für Kultur und Weltanschauung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2007