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BERICHT/186: Rückkehr der Religion? (ha)


humanismus aktuell - Hefte für Kultur und Weltanschauung Nr. 21 - Herbst 2007

Rückkehr der Religion?

Von Carsten Frerk


Wenn von der "Rückkehr der Religion" nach Deutschland gesprochen wird, dann werden häufig, unter anderem, zwei öffentliche Ereignisse genannt: der XX. Katholische Weltjugendtag, August 2005 in Köln, und der Papst-Besuch, September 2006 in Bayern.

Der XX. Katholische Weltjugendtag im August 2005 in Köln war ein mediales Großereignis, mit dem gezeigt werden sollte, dass die Religion die Jugend begeistert. Trotz 500.000 Ansteckern der Bild-Zeitung Wir sind Papst und einer flächendeckenden medialen Vorbereitung blieben bereits bei den Anmeldungen die Zahl der Pilger, die dem Motto folgten Wir sind gekommen, um IHN anzubeten hinter den Planungszahlen zurück. Statt der 500.000 erwarteten Besucher kamen nur 400.000. Aus Deutschland sollen es 80.000 Besucher gewesen sein, von denen jedoch 50.000 Funktionäre der katholischen Kirche und Jugendverbände gewesen seien. Mit 122 Millionen Euro wurde ein beachtliches Medien-Ereignis inszeniert - aber war das eine "Rückkehr der Religion"?

Der Papst-Besuch in Bayern, im September 2006, sollte dann diese vorgebliche Erfolgsschiene fortführen. Für den genauer hinschauenden Betrachter wurde es jedoch eher eine Blamage. In München waren von den verteilten 250.000 Teilnehmerkarten nur rund 120.000 zur Neuen Messe gekommen und das prophezeite Verkehrschaos fand nicht statt. Auf dem Islinger Feld bei Regensburg fanden sich statt der erwarteten 300.000 Besucher des Feldgottesdienstes gerade einmal rund 90.000 Menschen ein und die Fernsehkameras der Direktübertragung wurden bewusst so gefahren, dass die großen Freiflächen des vorbereitenden Feldes nicht ins Bild kamen. - Wenn es also eine "Rückkehr der Religion" gibt, dann muss sie sich woanders, im Alltag zeigen.

Betrachten wir also eine Reihe von Indikatoren. Ich werde dafür einerseits so genannte "formale" Daten verwenden, also faktische Zahlen der Kirchenmitglieder, der Teilnehmer an Kasualien, der Priesterkandidaten, etc. Sie bieten den Vorteil, dass sie in langen Zeitreihen über Jahrzehnte erfasst und aufbereitet wurden. Andererseits werde ich Ihnen "inhaltliche" Daten vortragen, also Informationen aus Umfragen und repräsentativen Forschungen, für die es jedoch nur in Ausnahmefällen Zeitreihen gibt, die uns aber mehr Inhaltliches berichten. Die meisten der beschriebenen Daten stammen aus dem Archiv der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland oder wurden anlässlich der Vorbereitung dieses Vortrages erarbeitet und dort eingebracht (http://www.fowid.de).

Da diese Daten und Informationen aber nur für benennbare Organisationsformen von Religion vorhanden sind, die zudem eine erfassbare Größenordnung haben müssen, beschränken wir das theoretisch weitere Feld - in dem man Religion beispielsweise auch als "Metaphysik" verstehen könnte - vorwiegend auf die beiden großen Amtskirchen in Deutschland.

Der Begriff der "Rückkehr" intendiert entweder die vorherige völlige Abwesenheit von Religion in Deutschland - eine Ansicht, die bei einer aktuellen Mitgliederzahl in beiden Religionsgesellschaften von rund 52 Millionen Menschen in Deutschland und in beinahe jedem Dorf steht mindestens ein Kirchengebäude - absurd wäre. Dann kann man "Rückkehr" nur als Veränderung von Trends ansehen, die sich in einer deutlichen Umkehrung der seit spätestens drei Jahrzehnten kontinuierlichen Abkehr von der organisierten Religion ausdrücken.


Religionszugehörigkeiten In Deutschland

1961 wurden in Deutschland neben 51,1% Evangelischen und 45,5% Katholiken, also 96,6% christlichen Kirchenmitgliedern, nur 3,5% "Sonstige Religions- und Weltanschauungen" gezählt. In diesen "Sonstigen" sind auch die 2,8% Konfessionslosen enthalten, die es damals gab. 1970 steigt die Zahl der Konfessionslosen auf 3,9% und 1987 sind es 11,4 % der Bevölkerung.

1990 kommt dann kräftiger Zuwachs durch die deutsche Einheit - die neuen Bundesländer sind überwiegend konfessionsfrei - und die Zahl steigt auf 22,4%. Dass sich aber auch im Westen seit den 1970er Jahren - die Verringerung der Kirchenmitglieder verstärkt, zeigt das weitere kontinuierliche Ansteigen der Anzahl der Konfessionslosen auf 32,5% der gesamtdeutschen Bevölkerung in 2005, s. rechte Abbildung.


Religionszugehörigkeit in Deutschland

1961
2005
katholisch
evangelisch
muslimisch
Sonstige
konfessionsfrei
45,5
51,1
-
3,5
-
31,0
30,8
3,9
1,8
32,2

Als Nebenentwicklung zeigt sich die stärkere Reduzierung des Anteils der evangelischen Kirchenmitglieder gegenüber dem der Katholiken, die aktuell die größte christliche Gruppierung in Deutschland stellen.

Das Beispiel Bayern zeigt andererseits, dass dort, wo 1970 noch 70% der Bevölkerung Mitglied der katholischen Kirche war, der Anteil der Katholiken sich stärker verkleinert als für die Evangelischen. Verringerte sich der katholische Bevölkerungsanteil in Bayern bis 2004 um 12 Prozentpunkte auf 58%, waren es bei den evangelischen Glaubensbrüdern nur 3 Prozentpunkte und eine Reduzierung von 25% auf 22% der Bevölkerung in Bayern.

Ebenfalls im Laufe der Jahrzehnte hat sich der Anteil der Konfessionslosen der ersten Generation - d.h. Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind - von 1982 bis 2002 von 86% der Konfessionslosen auf 70% verringert. Diese Veränderungen zeigen die sich verstärkende innere Dynamik der Konfessionslosen der zweiten und weiterer Generationen, also von Menschen, die niemals Kirchenmitglied waren. Durch die Verstärkung dieses Anteils von Nicht-Getauften entstammen die Konfessionslosen bald zu einem Drittel ihrer eigenen Provenienz.

Wie sehr sich in den vergangenen rund vierzig Jahren die Religionslandschaft in Deutschland verändert, d.h. ausdifferenziert hat, illustrieren die Daten über die Religionszugehörigkeit der Eltern und Mütter von Lebendgeborenen. 1960 gab es nur zwei etwa große religiös homogene Gruppen von evangelischen (37%) und katholischen Elternpaaren (38%).

Die Anzahl der - im katholisch variierten Sprachgebrauch - religiös "gemischten" Ehepaaren ist mit deutlichem Abstand, mit 16% Anteil, kleiner als die religiös homogenen Paare. Nur 9,2% der Eltern stellen alle anderen Merkmale von zumindest einem nicht-christlichen Elternteil oder von so genannten nicht-ehelichen Kindern.

Bis 2003 hat sich ein bunter Kreis von 12 religiös unterschiedlichen Partnerschaften / Müttern entwickelt, von denen sich der Anteil der christlichen Elternpaare - in denen beide religiös homogenen oder zumindest christlich sind - von 91% in 1960 auf nun 39%, also zwei Fünftel, reduziert. Die Religionszugehörigkeit ist offensichtlich kein Trennkriterium mehr, um die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.

Nebenaspekt ist dabei zudem, dass der Anteil der nichtehelichen Geburten von seinerzeit rund 6% auf nun 27% angestiegen ist, d.h. die Form der traditionellen Ehe - sei es mit oder ohne kirchlichen Segen - für die Kindeszeugung entsprechend unwichtiger geworden ist.


Religion in der Selbstbeschreibung

Diesen Aspekt soll eine Untersuchung von Christiane Gern abrunden[1], die zwar nur bis 1983 reicht, aber den Zeitraum seit 1953 beschreibt. Sie hat Heiratsinserate u. a. daraufhin untersucht, wie Männer und Frauen ihre "Vorzüge" bzw. Eigenarten selbst beschreiben.

Bei den Frauen ist die Nennung ihrer Religion 1953 und 1963 die am häufigsten genannte Kategorie - was immer sie auch damit ausdrücken wollten. Anfang der 1970er Jahre werden dann "häusliches Leben" und "Naturverbundenheit" bei den Frauen wichtiger. 1983 sind es dann die der Natur verbundenen Raucherinnen. Religion spielt für die Frauen in der Selbstbeschreibung keine Rolle mehr.

Bei den Männern fällt die Selbstbeschreibung zwar deutlich knapper aus, hat hinsichtlich der Angabe ihrer Religionszugehörigkeit insgesamt jedoch die gleiche Tendenz. Religion beginnt allerdings mit größerer Wichtigkeit als bei den Frauen und wird auch 1983 noch nicht vollends verschwiegen, um eigene Qualitäten ins rechte Licht zu rücken.

Will man den Unterschied über die Jahrzehnte (leicht ironisch) charakterisieren, dann veränderten sich die Heiratsanzeigen in folgender Hinsicht:

- "Typisch Frau" 1953: Katholische (Evangelische) Frau mit guter Allgemeinbildung: "Ich bevorzuge das häusliche Leben und möchte mit einem ebenfalls naturverbundenen Mann durch das Leben wandern." Dagegen 1983: "Naturverbunde Frau, Raucherin, dem häuslichen Leben zugetan, sucht Mann mit Niveau und guter Bildung, der mir meine Unabhängigkeit belässt."

- "Typisch Mann" 1953: Evangelischer (katholischer) "Mann, mit guter Gesundheit und Bildung sucht natürliche Frau fürs Leben." Dagegen 1983: "Raucher, der gern in der Natur unterwegs ist, sucht eine Frau für häusliches Leben.

Religion hat also in dieser Hinsicht, wie wir es bereits auch an dem bunten Kreis der Religionszugehörigkeiten von Elternpaaren und Müttern sehen konnten, keine große bemerkenswerte Qualität mehr.


Kirchliches Leben / Kasualien

Die Kirchen bieten ihren Mitgliedern für die "Wendepunkte des Lebens" begleitende Rituale, also Feiern für die Trauung eines Hochzeitspaares, die Taufe eines Kindes, die Konfirmation / Erstkommunion der Jugendlichen und die Beerdigung der Verstorbenen. Mit der Taufe eines Kindes ist auch seine formelle Mitgliedschaft in der Kirche begründet, die es nach Erreichen der Kirchenmündigkeit nur durch einen Austritt aus der Religionsgesellschaft beenden kann. Die zweite, natürliche Weise, der Beendigung der Kirchenmitgliedschaft ist der Tod.

Der Saldo aus der Anzahl der Taufen und der Beerdigungen befindet sich seit 1969 im negativen Bereich, d.h. es werden seitdem weniger Kinder getauft als Mitglieder beerdigt.

Die zweite Einflussgröße zur Veränderung der Mitgliederzahl ist das Verhältnis zwischen den Eintritten und den Austritten kirchenmündiger Menschen. Dieser Saldo befindet sich bereits seit 1962 im Negativbereich der höheren Austrittszahlen, mit besonderen Spitzen Anfang der 1970er sowie der 1990er Jahre. Dieser Saldo scheint sich in den Jahren 2004 und 2005 zu verringern, verbleibt aber im Negativbereich. Nach Umrechnung der absoluten Werte in die relativen Werte, bezogen auf die Anzahl der Kirchenmitglieder, lassen sich die immanenten Einflüsse von Mitgliedschaftsveränderungen bereinigen und es wird deutlicher, wie sich die vorhandenen Kirchenmitglieder verhalten.

Die Kurven der Trauungen und der Taufen der evangelischen Kirche verlaufen mit ein- bis zwei Jahren Zeitversatz ähnlich zueinander. Nach einem Gipfelpunkt Anfang/Mitte der 1960er Jahre reduzieren sie sich bis Mitte der 1970er Jahre, steigen dann wieder bis Ende der 1980er Jahre, um danach wieder abzusinken. Die kirchlichen Trauungen befinden sich dabei in einem stetigen Sinkflug - es werden nur noch 15% der Eheschließungen in Deutschland evangelisch getraut -, und in 2005 finden pro 1000 Kirchenmitglieder nur noch zwei Trauungen statt.

Bei den Geburten lässt sich ebenso der demografische Abstand von 26 bzw. 27 Jahren in der Generationsabfolge feststellen. War der erste Gipfelpunkt 1964, so lag der zweite im Jahr 1991 und der nächste wird sich im Jahr 2017 oder 2018 zeigen. Und so, wie im Jahr 1980 der Anstieg der Taufziffern begann, wird die Zahl der Täuflinge ab dem Jahr 2006 auch wieder ansteigen - aus rein demografischen Gründen der Geburtenhäufigkeit. Das hat keinerlei Bedeutung dafür, dass die Menschen etwa wieder religiöser geworden seien und bei gleich bleibender Kinderzahl wieder mehr Kinder zur Taufe und Kirchenmitgliedschaft in die Kirche tragen.

Für das evangelische Deutschland ist noch darauf hinzuweisen, dass die Zahl der Konfirmationen natürlich der Verlaufskurve der Taufen folgt, mit einem 15jährigen zeitversetzten Abstand. Entsprechend dem Anstieg der Taufen in den 1980er Jahren sind in den vergangenen Jahren seit Mitte der 1990er Jahre auch die Konfirmationen gestiegen und, da der Gipfelpunkt der Taufen 1991 war, werden die Konfirmationen in 2005/2006 ihren Gipfelpunkt erreichen und spätestens im aktuellen Jahr 2007 wieder absinken.

An den Zahlen der Kasualien für das katholische Deutschland soll diese Aspekte nun parallel und genauer betrachtet werden. Es zeigt sich sowohl der so genannte "Pillenknick" der 1960/1970er Jahre ein Ereignis, das heute noch erheblich größere Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft hat als die so genannten "68er" - wie ebenso die demografischen Taufzyklen und der Zeitversatz zwischen Taufen und Erstkommunionen. Ebenso verringert sich die Anzahl der katholischen Trauungen. Nur noch 14% der Eheschließungen in Deutschland werden katholisch kirchlich eingesegnet. Ein Trend der positiven Veränderung ist nicht zu erkennen.

Zu den "katholischen" Geburten werden alle Geburten gerechnet, bei denen zumindest einer der Zeugungspartner katholisch ist, und in diesem Fall auch die nicht-ehelichen Geburten katholischer Mütter. Es zeigt sich, dass die beiden Zahlenreihen der Geburten und Taufen auf den ersten Blick parallel verlaufen. Eine genauere Berechnung zeigt jedoch, dass die Anteile der katholischen Taufen an den "katholischen" Geburten sich seit ihrem besten Anteil 1957 (89,7%) langsam aber stetig verringern und seit 1985 sehr gleich bleibend einen Anteil zwischen 73 bis 76% aufweisen, mal mehr, mal weniger, mit einer insgesamt leicht absinkenden Tendenz.

Was also keineswegs nach einer Trendumkehr sondern wie einer gewisse Stabilität aussieht, verflüchtigt sich dann jedoch wieder, wenn man sich diese katholischen Zahlen mit der Zahl aller Geburten in Deutschland in direkte Beziehung bringt. In einer Übersicht des Zeitraumes von 1991 bis 2005 wird der längerfristige Trend des Absinkens der Geburtenzahl nur in den Jahren 1996 und 1997 leicht positiv unterbrochen. Die Zahl der "katholischen" Geburten und Taufen scheint dem - optisch - parallel zu entsprechen.

Erst eine genauere Berechnung der katholischen "Taufquote", d.h. der Anteil der katholisch getauften Kinder an allen Geburten in Deutschen, zeigt, dass diese Taufquote sich für den betrachteten Zeitraum kontinuierlich reduziert. Waren es 1991 noch 36,08% aller in Deutschland geborenen Kinder, die katholisch getauft wurden, so sind es im Jahr 2005 nur noch 28,63% aller Geborenen. Es waren zwar im Jahr 2004 noch weniger (28,43%), aber aus dem Unterschied von 0,2% eine Tendenzwende abzuleiten, das wäre wohl etwas voreilig.


Kirchenaustritte

Bei einem weiteren Aspekt der "gelebten organisierten Religion", den Kirchenein- und -austritten, müssten sich bei einer Rückkehr der organisierten Religion deutliche Veränderungen bemerkbar machen, s. Abbildung S. 23.

Ein erster Blick auf die Gesamtentwicklung seit 1953 erbringt den Eindruck, dass die Zeit der hohen Austrittszahlen für die Kirchen - die Evangelischen waren davon stets beinahe doppelt so stark betroffen wie die katholische Kirche sich wieder verringern. Das ist soweit richtig, denn in 2005 sinken die katholischen Austritte wieder unter 100.000 auf rund 90.000 Austritte und die Evangelischen Zahlen reduzieren sich ebenfalls auf rund 120.000 Austritte. Zusammen sind das wiederum rund 210.000 Austritte in 2005.

Um es mit einem maritimen Beispiel zu vergleichen: Sinkt ein Schiff nicht, wenn sich nur die Sinkgeschwindigkeit verringert, aber es weiter untergeht? Nein, eigentlich nicht, das langsamere Absinken ist noch kein Auftrieb - in unserem Fall die Kehrtwende einer Rückkehr des Aufsteigens. Das müsste sich, zurück zu den Religionsgesellschaften, in deutlich steigenden Eintritten und Rückkehrern der Wiederaufnahmen darstellen.

Eine Übersicht der Wiederaufnahmen, Ein- und Austritte aus der katholischen Kirche in Deutschland veranschaulicht sehr deutlich, wie sehr sich die jeweiligen Größenordnungen voneinander unterscheiden. Den 90.000 Austritten in 2005 stehen 5.000 Eintritte und 11.000 Wiederaufnahmen gegenüber. Für die katholische Kirche gegenüber 2004 (101.000 Austritte, 4.000 Eintritte und 9.000 Wiederaufnahmen) eine positive Entwicklung.

Aber: Auch wenn man die Aufnahmen und Eintritte zusammenfasst, wird die Optik nicht überzeugender. Zwar zeigt sich wiederum die Verringerung der Austrittszahlen und ein leichter Anstieg der Aufnahmen, doch ist das eine Kehrtwende? Wenn man jetzt "mit Statistik lügen wollte", könnte man die Unterschiede von 2004 auf 2005 so ausdrücken: "Die katholischen Kirchenaustrittszahlen sind um 12% gesunken, während die Aufnahmen und Eintritte um 25% gestiegen sind." Wenn das keine Rückkehr der organisierten Religion ist!

Das wäre sogar richtig, wenn man nicht die völlig unterschiedlichen Größenordnungen verschwiegen hätte, und, wenn man so rechnen und argumentieren würde, dann wäre die "Rückkehr der Religion" nur ein schlechter statistischer Trick - um nicht "Lüge" zu sagen - und eine Augenwischerei, die Realitäten falsch darstellt. Das Ansteigen der Wiederaufnahmen könnte seinen Grund eher im Alterwerden der Kirchenmitglieder haben, wobei - wie es eine Studie der Landeskirche Baden differenziert ausweist insbesondere ältere allein stehende Männer in die Kirche zurückkehren, um "wieder zu einer Gemeinschaft zu gehören". Eine Hypothese, die sich auch für die Anteile der Gottesdienstbesucher anbietet.


Gottesdienstbesucher

In einer Zusammenstellung der katholischen Gottesdienstbesucher in absoluten Zahlen erscheint es so, dass die Zahlen bis 1966 mit rund 11,8 Millionen Gottesdienstbesuchern recht stabil sind und erst danach stetig abnehmen. Berücksichtigt man jedoch gleichzeitig, dass in den Jahren bis 1975 die Zahl der Katholiken in Deutschland ansteigt, dann wird klar, dass diese vermeintliche Stabilität bereits eine relative Verringerung der katholischen Gottesdienstbesucher bedeutet, da sich die Gesamtzahl vergrößert.

Waren es 1950 noch genau 50,4% der Katholiken, also jeder Zweite, der am Zählsonntag in die Kirche ging, so sind es 2005 nur noch 14,2%, mit anderen Worten, nur noch jeder Siebte. Eine Veränderung zur häufigeren Teilnahme ist nicht zu erkennen und, falls diese Entwicklung sich so fortsetzt, werden die Katholiken etwa 2011 die 10%-Marke unterschreiten und - wenn man an Prognosen glaubt - werden sie sich etwa im Jahr 2020 bei den evangelischen 4% Gottesdienstbesuchern wieder finden. Auch eine genaue Aufschlüsselung der Zahlen der Gottesdienstbesucher für die verschiedenen Bistümer zeigt keine merklichen Unterschiede - die Zahlen der Teilnehmer werden in allen Bistümern geringer.

Allerdings sind dabei zwei Aspekte zu bemerken. Zum einen: Die Spannweite der Unterschiede zwischen den Bistümern verringert sich. Gab es 1960 noch einen Unterschied von 27 Prozentpunkten zwischen Regensburg (57%) und Berlin (30%), so gibt es 2005 nur noch eine Differenz von 10 Prozentpunkten zwischen Regensburg (21%) und Essen (11%). - Zum anderen: 11% Gottesdienstbesucher scheint bisher eine stabile "Untergrenze" zu sein. Diese Zahl haben zwar Aachen (11,57%), Berlin (11,83%), Essen (11,17%), Hildesheim (11,20%) und Mainz (11,88%) annähernd erreicht, aber bisher noch nicht unterschritten.

Eine Zeitreihe über den regelmäßigen Gottesdienstbesuch von 1952 bis 1999, wobei jeweils nach Altersgruppen unterschieden wird, zeigt 1952 und 1963 einen mehrheitlichen Gottesdienstbesuch, wobei die Unterschiede zwischen den Altersgruppen nicht sehr gravierend sind. Ab Ende der 1960er Jahre tritt dann jedoch eine Entwicklung auf, die sich bis 1999 nachweisen lässt - und wie wir aufgrund der offiziellen Teilnehmerzahlen annehmen dürfen, nicht umgekehrt hat - dass die nachwachsenden Jüngeren immer weniger am Gottesdienst teilnehmen und nur die Gruppe der Alteren über 60 jährigen - zwar auch langsam weniger häufig - ein auffallend unterschiedliches Verhalten gegenüber den Jüngeren beibehalten. Betrugen die Anteile der Gottesdienstbesucher in den Altersgruppen, in der Reihenfolge des Älterseins, 1967/1969 noch 40, 42, 53, 62%, so sind es 1999 jeweils 10, 15, 24, 50%.

Da eine langfristige Trendwende zumindest von den Jüngeren mitgetragen werden müsste, damit sie sich verstetigt, ist aufgrund dieser Verteilungen nicht anzunehmen, dass die Kirchen wieder voller werden und in dieser Hinsicht Religion "zurückkehrt". Eine solche Rückkehr müsste sich auch darin zeigen, dass wieder mehr Menschen sich für die Verkündigung ihrer Religion engagieren.


Kirchliche Beerdigung

Dass die kirchlichen Lebensbegleitungen geringer nachgefragt werden, hatten wir eingangs bereits festgestellt. Dass dieser Erosionsprozess in der selbstverständlichen Inanspruchnahme durch die Kirchenmitglieder sich abschwächt, zeigen auch die Antworten auf die Frage (ausschließlich an Kirchenmitglieder): "Wünschen Sie sich eine Beerdigung durch ihre Kirche bzw. Religionsgemeinschaft?" 1982 von 86% mit "Ja" beantwortet wird, 1992 nur von 68% und 2002 von 65%. Mit anderen Worten: nur noch zwei Drittel der Kirchenmitglieder wünschen einen Seelsorger am Grab.


Priesterkandidaten

Eine Darstellung der neu aufgenommenen Priesterkandidaten der katholischen Kirche im Zeitraum 1972 bis 2005 zeigt bis 1983 eine insgesamt ansteigende Zahl von neuen Priesterkandidaten, danach verringert sich die Zahl der Kandidaten, die danach seit 1997 mit leichten Verringerungen mit mal mehr und mal weniger Kandidaten insgesamt stagniert.

Nun kann man einwenden, dass der Priestermangel vorwiegend durch das Zölibat verursacht werde, was intern allerdings nicht bestätigt wird - das Schwierigste sei der unbedingte Gehorsam -, also schauen wir, wie sich das akademische Interesse am Studium und Berufsbild des Theologen und Religionslehrers entwickelt.

Der Gipfelpunkt des Interesses an Religion Mitte der 1980er Jahre zeigt sich auch bei den Studierenden der evangelischen und katholischen Theologie. Danach sinken die Zahlen der "evangelischen" Studierenden - mit einem Anstieg im Zeitraum der deutschen Wiedervereinigung - um sich dann weiter zu verringern. Von insgesamt 17.250 Studenten in 1984 hat sich die Zahl der evangelischen Studierenden in 2004 auf 8.290 reduziert. Dabei zeigt der im Unterschied zu den Theologen andere Verlauf der ReligionslehrerInnen - der Mitte der 1980er Jahre seinen Tiefpunkt hat - andere auch äußere Einwirkungen der Berufsaussichten.

Für die Studierenden der katholischen Theologie und Religionskunde zeigt sich ein im Prinzip gleichartiger Verlauf, allerdings sind wohl die Anzahl und die Veränderungen geringer als bei den evangelischen. 1982 gab es insgesamt 12.782 Studierende im katholischen Segment, 2004 sind es 7.639. Tendenz ebenfalls sinkend.


Wissen um Religion / Religiosität

Zu diesen Verringerungen der Ausbildung professioneller Vermittler von Religion gesellt sich nun eine immer schwächer werdendes Wissen um religiöse Ereignisse, eine Auflösung der Gottesbilder und ein Abschwächen von selbst erlebter Religiosität.

Pfingsten ist ein wesentliches religiöses Ereignis des Christentums - der so genannte "Heilige Geist" kommt zu den Aposteln herab - was bei einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung (59%) unbekannt ist, s. Abbildung 3, unten.

Bei der offen gestellten Frage, bei der keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben wurden, wissen nur 23% der Befragten die richtige Antwort. 17% nennen die "Auferstehung" (Ostern) oder die Geburt des Jesus (Weihnachten) oder eine andere biblische Geschichte. Von den Jüngeren wissen nur 11% die richtige Antwort, 78% wissen sie nicht. Mit steigender Altersgruppe, d.h. den Menschen, deren religiöse Bildung bereits vor ein oder zwei Generationen erfolgte -, steigt das religiöse Wissen an. Bei den Alteren über 60jährigen wissen 35% über Pfingsten Bescheid, 44 wissen es nicht.

Nun kann man dagegen einwenden, dass doch die meisten Menschen an "Gott" glauben würden. Das lässt sich mit diversen Umfragen bestätigen und gilt europaweit. Von den Spitzenwerten in Polen (97% glauben an "Gott") liegt Deutschland (61%) bereits unter dem europäischen Durchschnitt (von 71%) und sogar im Land der geringsten Gottesgläubigkeit, den Niederlanden, ist es noch eine knappe Mehrheit (51%) die an einen "Gott" glaubt.

Eine Nachfrage bezüglich der individuellen Gottesvorstellung der Befragten bringt dann das zumindest für viele überraschende Ergebnis, dass der christlich eindeutige Glaube an einen "persönlichen" Gott noch nicht einmal von der Mehrheit der christlichen Kirchenmitglieder geteilt wird, Abbildung 4, unten. Es sind nur 23% der Evangelischen und 36% der Katholiken, aber auch 4% der Konfessionslosen, die an einen "persönlichen Gott" glauben. Die jeweilige größte Gruppe der Kirchenmitglieder glaubt dagegen eher an ein "höheres Wesen" (40% der Evangelischen und 42% der Katholiken) während die große Mehrheit der Konfessionslosen (61%) sich dazu bekennt: "Ich glaube nicht an Gott". Die Unentschiedenen, die zwar an "Gott" glauben, bei Nachfrage dann aber doch nicht so genau wissen, was sie glauben sollen, ist mit 14 bis 17% in allen drei Gruppen vergleichbar groß.

Abseits der äußerlichen Zuordnungen nach dem Kriterium formaler Mitgliedschaften haben die Menschen auch selber eine Vorstellung von ihrer eigenen "Religiosität". Zu drei Messpunkten (1982, 1992 und 2002) zeigt sich, dass die Feststellung, die Jüngeren entfernen sich von religiösen Weltbildern, im Zeitverlauf bestätigt wird. Die drei Verlaufskurven, die alle drei insgesamt parallel verlaufen, "verschieben" sich über die Jahre mit den Altersgruppen, d.h. es ist ein so genannter "Kohorteneffekt", indem bestimmte Einstellungen im Zeitverlauf "mitgenommen" werden und erhalten bleiben.


Altersaufbau

Wie bereits früher erwähnt, wird eine Umkehr der Trends ohne die Jüngeren kaum gehen, da diese Veränderungen von Jüngeren dann ja weiter getragen werden müssen, um Bestand zu haben. In dieser Hinsicht haben sich die Rahmenbedingungen der Religionsgesellschaften jedoch verschlechtert.

Aus den ALLBUS-Daten wird aufgrund der zweijährlich erhobenen Daten von 1980 bis 2000 deutlich, wie sich der Anteil der Jüngeren unter den Evangelischen reduziert. Gab es 1980 noch 21% Mitglieder in der Altersgruppe der 18-29jährigen, so sind es nach einem Anstieg durch die Geburtsstarken Jahrgänge eine Reduzierung, so dass in 2000 der Anteil dieser damals jüngsten Altersgruppe in den ALLBUS-Umfragen nur noch bei 16%. Der Anteil der über 60jährigen hat sich entsprechend vergrößert (1980: 28%) und beträgt in 2000 ziemlich genau ein Drittel der Kirchenmitglieder (33,2%).

Diese Entwicklung lässt sich bis 2005 aufgrund amtlicher Daten der kommunalen Statistik von Stuttgart und Wiesbaden noch aktueller präzisieren. In allen Städten und Gemeinden in Deutschland werden für die beiden großen Kirchensteuer erhebenden Religionsgesellschaften die Mitgliedschaftsdaten der Bewohner erhoben, d.h. die Zugehörigkeit zur evangelisch-lutherischen wie der römisch-katholischen Kirche. Alle anderen Bekenntnisse oder Weltanschauungen werden amtlich nicht erfasst.

In Stuttgart hat das Amt für Statistik für die beiden Jahre 1975 und 2005 die Daten über Religionszugehörigkeit und Altersaufbau der Bevölkerung veröffentlicht. Daraus lassen sich zwei Feststellungen ableiten. Zum einen ist 1975 der Anteil der "Sonstigen / Keine Religion" ein Randphänomen, das sich allerdings durch alle Altersgruppen zieht. Zum anderen kann man für die Zahlen aus 2005 drei große Bereiche unterscheiden, die mit den Altersgruppen verbunden sind. Bei der über 60jährigen sind die Christen in der Mehrheit. In der mittleren Altersgruppe der 30-60jährigen besteht in etwa ein Verhältnis 50 zu 50 zwischen "Amts-Christen" und Sonstigen und bei den bis zu 30jährigen geraten die Christen immer mehr in eine Minderheitsposition sowohl in absoluten Zahlen, wie in relativen Anteilen.

In Wiesbaden sind die Zahlen für 1970 und 2005 darstellbar. Die Verteilungen für 1970 zeigen noch geringere Anteile der "Sonstigen" und für 2005 sind die drei Altersgruppen und Mehrheitsverteilungen ähnlich wie in Stuttgart - mit der gleichen Tendenz, dass die ganz Jungen immer weniger christliche Kirchenmitglieder sind.


Werte und Orientierungen (insbesondere bei Jugendlichen)

Im dritten Teil der Ausführungen wird eine Reihe von großen Studien der vergangenen Jahre befragt, vor allem danach: "Gibt es eine Rückkehr der Religion?" In der 15. Shell-Jugendstudie (2006) wurden zum ersten Mal in den Shell-Jugendstudien auch genauere Fragen zu "Jugend und Religiosität" aufgenommen. Das Ergebnis ist für die Altersgruppe der 12-25jährigen Befragten sehr eindeutig und wird so auch formuliert: "Keine Renaissance der Religion", Abbildung 5, unten. Gegenüber den rund 60% der Bevölkerung sind es nur 49%, die an eine überirdische Macht glauben: 30% an einen "persönlichen Gott" und 19% an eine "überirdische Macht".


Keine Renaissance der Religion

Weltanschaulicher Pluralismus - Wertesystem der Jugendlichen
entwickelt sich zunehmend unabhängig von Religion und Glauben

"Es gibt einen persönlichen Gott" ································ 30 %
"Es gibt eine überirdische Macht" ······························· 19 %
"Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen
Gott oder eine überirdische Macht gibt ····················· 28 %
"Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll" ··········· 23 %

Quelle: 15. Shell Jugendstudie, Stand: 2006


In der "Werte-Studie" des Magazins 'Stern' (Oktober 2005) wurde zur Vermittlung der persönlichen Werte einerseits gefragt, wer diese Werte maßgeblich vermitteln soll, und andererseits, wer sie tatsächlich hauptsächlich vermittelt hat. Als wichtigste Vermittlungsagenturen auf der Soll-Seite werden Eltern und Familie (95%) und die Lehrer (84%) angesehen. Parteien und Politiker (62%) sowie Medien (59%) und Kirchen (59%) wird auch ein vergleichsweise hoher Soll-Wert beigemessen.

In der zweiten Frage, wer die Werte denn tatsächlich vermittelt habe, bleiben die Eltern unangefochten auf dem ersten Platz der Wichtigkeit, die Schulen folgen auf Platz zwei aber mit deutlich geringer Nennung. Die Parteien und Politiker verlieren in der Realität und werden ihrem Soll-Anspruch in keiner Weise gerecht. Auch den Kirchen - denen ja von 59% der Befragten diese Aufgabe zugesprochen worden war, wird nur von 28% der Menschen zugesprochen, dass sie diesem Anspruch entsprechen würden.

Für die "Sinus-Milieus" wurden 2005 im Auftrag der katholischen Kirche Religiöse und kirchliche Orientierungen untersucht. Die für unsere Frage wichtigsten Milieus sind dabei die "Postmateriellen", die "Modern Performer" und die "Experimentalisten", da diese drei Milieus den deutlichsten Schwerpunkt bei den Jüngeren haben, also am stärksten die Zukunft mitbestimmen.

Für die postmodernen der "Modern Performer" und der "Experimentalisten" heißt es in der Zusammenfassung: "Im Alltag der so genannten postmodernen Milieus kommen Religion allgemein und die katholische Kirche kaum vor." "Diese Milieus haben Probleme mit Sprache und Ästhetik der katholischen Kirche." Und: "Kirchen werden als funktionales Angebot betrachtet, das im Wettbewerb mit anderen Weltanschauungen, Philosophien etc. steht."

Für die "Postmateriellen" gilt: "Es findet eine ausgeprägte emotionale Auseinandersetzung mit der Kirche statt. ... Sinn und Moral werden aus katholischen Angeboten, aber auch aus anderen Quellen gespeist. ... Kirche wird zum Teil als menschliches Mach(t)werk angesehen." - In der Öffentlichkeit wurden die Ergebnisse in der Schlagzeile zusammengefasst: "Rückständig: Kirche verliert die Jugend". (Münchner Merkur, 12.03.2006)

Im Ethik-Monitor 2006 der Stiftung Wert(e)volle Zukunft wurde danach gefragt, "Inwieweit fühlen Sie sich eingebunden ...", mit der Vorgabe von fünf Zusammenhängen. Auf einer 5er Skala konnten die Befragten die Intensität angeben, in der sie sich dort aufgehoben fühlten. In der Kirchengemeinde / der Glaubensgemeinschaft fühlen sich die wenigsten eingebunden.

Kommen wir nun zu den jüngsten Befragten, den 6-14jährigen. Sie wurden (Unicef-Wertestudie, 2006) befragt, wie wichtig bestimmte Werte und Dinge für sie sind, die Ihnen nacheinander vorgelesen wurde. Auf einer 4er Skala konnten die Kinder und Jugendlichen angeben, ob sie diese Vorgaben als "total wichtig", als "wichtig", als "nicht so wichtig" oder "überhaupt nicht wichtig" betrachten.

Von höchster Wichtigkeit sind Freundschaft, Vertrauen, Zuverlässigkeit/Treue, Geborgenheit und Ehrlichkeit, die von der Hälfte und mehr der Befragten als "total wichtig" eingestuft wurden. Auf dem letzten Platz landet die "Ordnung", die nur 14% für "total wichtig" erachten, auf dem vorletzten Platz der "Glaube". Fasst man beide "Wichtig"-Einstufungen zusammen, rangiert der "Glaube" sogar auf dem letzten Platz von 20 Werten.

Diese Bewertung entspricht z.B. den Ergebnissen einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 1999 In/Out 1999, für die 18-24jährige befragt wurden, was Sie als zeitgemäß betrachteten, was für sie "in" bzw. als nicht zeitgemäß, also "out" sei. In der Zuordnung der 27 vorgegebenen Items wird die "Kirche" von 77% der Befragten als "out" bewertet.

Für die große empirische Studie Youth in Europe (unter der Leitung von Hans-Georg Ziebertz) wurde 2004 eine ganz spezifische Auswahl von Jugendlichen befragt: 17-18jährige Schülerinnen und Schüler in "regionalen Zentren", d.h. weder in Großstädten noch auf dem flachen Land. 78% von ihnen sind getauft, 46% beschreiben den Vater als gläubig, 61% die Mutter als gläubig, und sich selbst empfinden ebenfalls 46% als gläubig.

Nun könnte man sehr schnell überrascht mit der Stirn runzeln, denn repräsentativ für die "Jugend in Europa" und in Deutschland ist diese Auswahl nun keineswegs. Das soll sie aber auch erklärtermaßen gar nicht. Absicht ist es, die zukünftigen religiösen Meinungsführer in der Gesellschaft genauer zu betrachten.

In der religiösen Sozialisation zeigt sich, dass von den Vätern und Müttern nur etwa jede(r) Zehnte sehr wichtig war, dass das Kind den eigenen Glauben übernahm. Beide Elternteile haben auch nur äußerst selten (3 bis 4%) sehr starken Druck ausgeübt, damit die Kinder am Gottesdienst teilnehmen sollten.

Dieser liberalen Grundhaltung der Eltern entspricht auch das Verständnis der 17-18jährigen, von denen nur 2% die Bibel als "Wort Gottes" betrachten. Als zwar göttlich inspiriert, aber von Menschen geschrieben, betrachten es die Hälfte der 78% Getauften, und für zwei Fünftel (41%) hat die Bibel nichts mit Gott zu tun.

Wesentliches Element der Untersuchung ist die Ermittlung und Analyse der religiösen Weltsichten dieser zukünftigen religiösen Meinungsführer - und es bestätigt sich auch für diese spezifische Auswahl von Befragten, was auch in anderen großen Studien für alle Jugendlichen festgestellt wurde: Sie ist pragmatisch, hat sehr eigene Weltsichten und zum traditionellen offiziellen Christentum ein distanziertes Verhältnis.

Zur Analyse wurden eine ganze Serie von Aussagen und Behauptungen auf einer 5er-Skala von sehr starker Übereinstimmung bis hin zur völligen Ablehnung bewertet.

Am weitesten verbreitet ist danach der Pragmatismus. (m = 4,24). Diese Sichtweise beruht auf folgenden Ansichten:

Die Bedeutung des Lebens beruht nicht auf Gott oder einem höheren Wesen, sondern liegt bei mir selbst.
Für mich bedeutet der Sinn des Lebens, das Beste daraus zu machen.
Jeder muss für sich selbst entscheiden, welche Bedeutung sein Leben hat.

Die weit verbreitetste Weltsicht ist universalistisch (m = 3,63):

Einem Gott wurden verschiedene Namen durch die Religionen gegeben.
Die Religionen beziehen sich alle auf den gleichen Gott.
Religionen sind verschiedene Wege zu dem gleichen Gott.

Danach folgt der Metatheismus (m = 3,55):

Es gibt ein höheres Wesen, dass wir nicht mit Worten beschreiben können.
Gott oder das Göttliche kann nicht mit Worten beschrieben werden.
Was Gott oder das Göttliche ist, liegt außerhalb unserer Vorstellung.

Auf Platz 4 befindet sich der Naturalismus (m = 3,47):

Die einzige höhere Realität ist die Macht der Natur.
Im Endeffekt wird unser Leben durch die Naturgesetze bestimmt.
Das Leben ist Teil der natürlichen Entwicklung.

An 5. Stelle folgt der Agnostizismus (m = 3,30):

Es ist eine große Frage, ob Gott existiert oder nicht.
Ich weiß nicht, ob es einen Gott oder ein höheres Wesen gibt.
Es gibt ernsthafte Zweifel an der Existenz Gottes.

Das Christentum befindet sich im Zustimmungswert eines Weltbildes auf Platz 10 (m = 2,49) mit den Feststellungen:

Gott ist für mich der "Gott der Bibel"
Es gibt einen Gott, dessen Königreich kommen wird.
Es gibt einen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat.
Es gibt einen Gott, der sich persönlich um jeden Menschen kümmert.

Bei einem mittleren Zustimmungswert von 2,49 hat es - genau genommen - unter den Jugendlichen mit Kirchenmitgliedschaft keine Mehrheit mehr.

In der Zusammenfassung der Ergebnisse hinsichtlich der Dimensionen religiöser Weltorientierung der befragten Jugendlichen nennen Hans Georg Ziebertz und William K. Kay als wichtigste Dimension: "Deismus." Und sie erläutern: "Im Deismus ist Gott oder eine höhere Realität absolut transzendent. Im Unterschied zum christlichen Konzept einer Personalisierung ist diese Gottesvorstellung abstakt. Gott wird als Macht gesehen, die sich weit von den Menschen entfernt hat. Gott existiert zwar, hat aber keine Verbindung zu den Menschen." [2]


Fazit

Von einer "Rückkehr der Religion" kann keine Rede sein, eher vom Gegenteil. Daraus wächst die Frage, wie denn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen kann, dass es eine "Rückkehr der Religion" gäbe? Dafür im Folgenden ein Beispiel:

Im April 2005 meldeten verschiedene Medien - allen voran der Kölner Stadtanzeiger: "Fast 80 Prozent der Jugendlichen glauben an Gott." Das Ganze wurde dann in einer weiteren Schlagzeile groß herausgestellt: "Glaube an Gott nimmt bei Jugendlichen zu".

Zugrunde lag dieser überraschenden Mitteilung eine Umfrage des Umfrageinstitutes OmniQuest aus Bonn. Schaut man sich den Bericht genauer an, dann wird eines deutlich: 72,6% der Befragten waren katholisch oder evangelisch. Das spottet jeder Repräsentativität und daraus abgeleiteter Feststellungen.

Auch die in den Text eingestreute Relativierung: "Praktiziert wird diese behauptete Religiosität aber kaum", vermag derartigen Ergebnissen keine größere Seriosität zu geben.

Das Schlusswort möchte ich deshalb einem Zitat aus der 5. Berliner Rede zur Religionspolitik (Berlin, Humboldt-Universität, 12. Dezember 2006) geben, in der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sagte: "(Wir erleben) nun in Deutschland das, was einige die 'Renaissance der Religion' nennen. Sie scheint allerdings eher ein Feuilleton-Phänomen zu sein; denn eine Welle von Kircheneintritten ist wohl nicht zu verzeichnen. Stattdessen rangieren in den Bestsellerlisten jene Sachbücher ganz oben, in denen religiöse Werte besonders laut beschworen werden."


Anmerkungen

1 Christiane Gern: Geschlechtsrollen. Stabilität oder Wandel? Eine empirische Analyse anhand von Heiratsinseraten. Opladen 2002, zit. Michael N. Ebertz, Erosion der Gnadenanstalt? Zum Wandel der Sozialgestalt von Kirche, Frankfurt a.M. 1998, S.300.

2 Hans Georg Ziebertz and William K. Kay: Religiosity of Youth in Europe - a comparative Analysis. In: Ziebertz / Kay (Hg.), Youth in Europe II, An international empirical Study about Religiosity, Berlin 2006, S.260 (Übersetzung: CF).


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken der Originalpublikation:

Kirchenaustritte 1953 - 2005
Wissen um die Bedeutung von Pfingsten - 2004
Gottesvorstellung nach Religionszugehörigkeit - 2002

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Quelle:
humanismus aktuell, Heft 21 - Herbst 2007, Seite 18-32
Hefte für Kultur und Weltanschauung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2008