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BERICHT/197: Grundlagendebatte des Humanismus (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 84/2008 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Grundlagendebatte des Humanismus

Von Helmut Fink


Nürnberg - Auf einer hochkarätigen Tagung auf der Nürnberger Burg am 21./22. Juni wurden Naturalismus und Humanismus miteinander gekreuzt. Das Ergebnis ist ein naturalistischer Humanismus.


Das schönste Sommerwetter konnte die fast 200 Teilnehmer nicht davon abhalten, sich am Welthumanistentag in den Eppeleinsaal der Kaiserstallung auf der Burg zurückzuziehen, um den eingeladenen Philosophen und Naturwissenschaftlern zu lauschen, sich an den Diskussionen zu beteiligen, Kontakte zu pflegen und Bücher zum Thema zu erstehen.

Titel der Tagung war "Der neue Humanismus. Wissenschaftliches Menschenbild und säkulare Ethik". Inspiriert war dieser Titel durch das journalistische Schlagwort vom "neuen Atheismus", mit dem seit wenigen Jahren kompromisslose Religionskritiker wie der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins belegt worden sind.

Für die längerfristige Debatte um ein zeitgemäßes und fruchtbares Verständnis der säkularen Triebkräfte, die von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehen, erschien den Veranstaltern jedoch der Übergang von "Atheismus" zu "Humanismus" sinnvoll, ja geradezu geboten. Denn für die Orientierung des Menschen in einer erforschbaren Welt reicht Religionskritik nicht aus. Positive Werte und säkulare Ethik werden gebraucht, und hierfür bleibt die Tradition des Humanismus ein unverzichtbarer kultureller Hintergrund.


Religion als Placebo-Effekt

Das Eröffnungsreferat hielt der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, Michael Schmidt-Salomon. Die von ihm vertretene Ausprägung naturalistischen Denkens betont die Entzauberung traditioneller philosophischer Konzepte wie (Willens-) Freiheit, Würde, Gut und Böse und setzt stattdessen auf evolutionäre Erklärungen, spieltheoretische Betrachtungen und biologische Mechanismen. Auf dieser Grundlage soll die Menschwerdung in naturgeschichtlicher wie in ethischer Hinsicht verständlich werden: als Hominisierung einerseits und als Humanisierung andererseits.

Antike Wurzeln humanistischen Denkens wurden erschlossen von Theo Ebert aus Erlangen, der das Weltbild des Epikur erläuterte, und von Bernulf Kanitscheider aus Gießen, der über hedonistische Ethik sprach. Am Nachmittag ging es dann um Erklärungen für Religiosität aus evolutionärer Sicht: Eckart Voland aus Gießen und Gerhard Schurz aus Düsseldorf gingen der Frage nach, worin der Überlebensvorteil religiösen Verhaltens in der Menschheitsentwicklung zu suchen ist.

Während Voland die bloße Fähigkeit zur Religiosität (nicht aber Grad oder Art ihrer Verwirklichung) als Teil der natürlichen Ausstattung des Menschen untersucht, betont Schurz eher die Ebene der kulturellen Evolution. Religion kann dann durch verallgemeinerte Placebo-Effekte erklärt werden.

Der Biologe Josef H. Reichholf betrachtete die Mechanismen der Abgrenzung verschiedener Menschengruppen voneinander und erkannte Sprache und Kultur als die entscheidenden Faktoren. Kultur als die zweite Natur des Menschen und die Auseinandersetzung mit Ideologien sieht er als wesentliche Felder des Humanismus. Die biologischen Grundlagen ermöglichten Humanismus, bestimmten ihn aber nicht. Der Physiker Bernd Vowinkel gab einen kurzweiligen Überblick über Hoffnungen und Perspektiven des sogenannten Transhumanismus - der technischen Weiterentwicklung, Optimierung und Reparatur der Ausstattung des Menschen. Gentechnik, Prothetik und neuronale Implantate machen Fortschritte, lindern Leid und verlängern das Leben. Ohne kulturelle Verarbeitung des technischen Fortschritts, seines möglichen Missbrauchs und seiner Grenzen erscheinen allerdings manche Versprechungen - etwa eines ewigen Lebens auf künstlicher Basis - als überzogen und naiv.

Mit dieser Diskussion um die technische Erweiterbarkeit menschlicher Fähigkeiten ging ein spannender Vortragstag zu Ende, abends noch abgerundet durch die Vorführung des Spielfilms "Wer den Wind sät".

Dieser hervorragende US-Film von 1960 zeichnet den emotionalen Streit um Kreationismus vs. Evolution im amerikanischen Schulunterricht anlässlich des so genannten Affenprozesses von 1925 nach und vermittelt dabei ein heute rar gewordenes Wissenschaftspathos.


Die Tagung ist beendet, die Debatte nicht

Am folgenden Tag verglich Franz-Josef Wetz aus Schwäbisch-Gmünd "alten" und "neuen" Humanismus, vor allem im Hinblick auf die Verankerung der menschlichen Selbstachtung. Der Theologe und Wissenschaftsphilosoph Winfried Löffler aus Innsbruck beleuchtete die Struktur des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und seiner weltanschaulichen Voraussetzungen und Auswirkungen. Dabei trat er der Erwartung einer "wissenschaftlichen Weltanschauung" entgegen und kritisierte die Schein-Alternativen weltanschaulich überspitzter Positionen.

Für eine gehörige Portion säkularer Selbstkritik sorgte schließlich Armin Pfahl-Traughbers Frage nach strukturellen Analogien zwischen radikalem Atheismus und dogmatischer Religion. Somit hatte sich mehr als genug Stoff für ein kontroverses Rundtischgespräch angesammelt, bei dem das schwierige Verhältnis von Wissenschaft und Weltanschauung facettenreich und engagiert behandelt wurde. Die Tagung ist vorbei, die Debatte nicht am Ende.

Die Zusammenarbeit der Nürnberger Humanisten, hier in Gestalt der Humanistischen Akademie Bayern und des turmdersinne, mit der Giordano Bruno Stiftung, hat sich nach beidseitiger Einschätzung bestens bewährt und soll im Darwin-Jahr 2009 durch eine weitere wissenschaftliche Großveranstaltung fortgeführt werden. In der Zwischenzeit wird die Herausgabe der Tagungsbeiträge zum "Neuen Humanismus" in Buchform vorbereitet. Wer nicht hören konnte, soll wenigstens lesen dürfen. Denn Humanismus braucht Theorie.


Helmut Fink ist Vorsitzender der Nürnberger Humanisten.


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 84/September/08, S. 8
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2008